TE Vwgh Erkenntnis 2020/2/27 Ra 2017/22/0073

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Veröffentlicht am 27.02.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §59 Abs1
FrÄG 2015
FrPolG 2005 §125 Abs28 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §46a
FrPolG 2005 §46a Abs1 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z1
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z1 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §46a Abs1a
FrPolG 2005 §46a Abs6 idF 2015/I/070
VwGG §42 Abs1
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §31
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2017/22/0074

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revisionen 1. der N R und 2. des mj. G R, beide in W, beide vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. April 2017, 1. G306 2141829-1/2E und 2. G306 2141827-1/2E, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revisionen werden abgewiesen.

Begründung

1. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers, beide sind kosovarische Staatsangehörige. Beide reisten im Dezember 2014 mit einem (für 90 Tage gültigen) Visum C in Österreich ein, damit sich der Zweitrevisionswerber einer Krebstherapie in einer Spezialklinik unterziehen könne. Beide blieben auf Grund der fortdauernden medizinischen Behandlung über den Ablauf der Visa hinaus unerlaubt im Bundesgebiet.

2. Mit Bescheiden vom 20. März 2015 stellte die belangte Behörde gegenüber den Revisionswerbern jeweils fest, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) im Sinn des § 9 Abs. 2 und 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Verbindung mit Art. 8 EMRK auf Grund des weiteren Therapiebedarfs des Zweitrevisionswerbers und der damit verbundenen Unmöglichkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat vorübergehend unzulässig sei. Ferner hielt die belangte Behörde fest, dass der Aufenthalt in Österreich gemäß § 46a Abs. 1c FPG (entspricht § 46a Abs. 1 Z 4 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015) geduldet sei und gemäß § 46a Abs. 2 FPG Duldungskarten (mit Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2015) erteilt würden.

Die Duldungskarten wurden in der Folge zweimal (zuletzt mit Gültigkeit bis zum 25. Jänner 2018) verlängert.

3. Am 18. August 2016 beantragten die Revisionswerber jeweils die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Sie würden die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, zumal ihr Aufenthalt im Bundesgebiet auf Grund der fortdauernden lebensnotwendigen Therapie des Zweitrevisionswerbers gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet sei und die diesbezüglichen Voraussetzungen weiterhin vorlägen.

4.1. Mit Bescheiden vom 10. November 2016 sprach die belangte Behörde jeweils aus, dass die Anträge der Revisionswerber „als unzulässig zurückgewiesen“ würden. Nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sei im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsbewilligung besonderer Schutz zu erteilen, wenn der Aufenthalt gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet sei und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorlägen. Gegenständlich stützten sich die in Rechtskraft erwachsenen Bescheide vom 20. März 2015 jedoch auf § 46a Abs. 1 Z 4 FPG, wonach eine Rückkehrentscheidung im Sinn des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig sei. Folglich bestehe keine Grundlage für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.

4.2. Gegen diese Bescheide erhoben die Revisionswerber Beschwerden jeweils mit dem Vorbringen, § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 setze eine Duldung des Aufenthalts gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr und weiterhin voraus. Nach § 46a Abs. 1 Z 1 FPG sei der Aufenthalt zu dulden, solange die Abschiebung gemäß den §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei. Nach § 50 Abs. 1 FPG sei die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch (unter anderem) Art. 3 EMRK verletzt würde.

Vorliegend sei die Duldung des Aufenthalts auf die schwere Erkrankung und die notwendige medizinische Behandlung des Zweitrevisionswerbers im Bundesgebiet zurückzuführen. Dies stelle einen typischen Fall außergewöhnlicher Umstände im Sinn des Art. 3 EMRK dar, die einer Abschiebung entgegenstünden, zumal der Zweitrevisionswerber mangels hinreichender medizinischer Versorgung im Herkunftsland verstorben wäre. Folglich liege eine Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 FPG vor.

Die belangte Behörde vertrete zu Unrecht, dass eine Duldung (nur) gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 FPG vorliege. In jenem Tatbestand sei lediglich eine zusätzliche Grundlage für die Duldung zu sehen, auf die es hier allerdings nicht ankomme, weil bereits ex lege eine Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 1 FPG bestanden habe bzw. auch weiterhin bestehe. Da der Aufenthalt zudem seit mehr als einem Jahr geduldet sei, seien die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erfüllt.

5.1. Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerden der Revisionswerber als unbegründet ab. Es führte dazu jeweils aus, die Revisionswerber gingen zu Unrecht davon aus, dass sich die Duldung ihres Aufenthalts ex lege auf Grund von Rückkehrhindernissen im Sinn des Art. 3 EMRK ergebe und daher der Tatbestand des § 46a Abs. 1 Z 1 FPG verwirklicht sei.

Nach § 46a Abs. 1 FPG sei der Aufenthalt dann zu dulden, wenn die Abschiebung aus bestimmten Gründen unzulässig sei (Z 1 bis Z 3) oder eine Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig sei (Z 4). Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sei die Abschiebung nur bei Bestehen einer Rückkehrentscheidung, einer Anordnung zur Außerlandesbringung, einer Ausweisung oder eines durchsetzbaren Aufenthaltsverbots zulässig. Der Abschiebung habe somit jedenfalls eine durchsetzbare rechtskräftige aufenthaltsbeendende Entscheidung voranzugehen. Konkrete Abschiebungshindernisse bzw. -unzulässigkeiten im Sinn des § 46a Abs. 1 Z 1 bis 3 FPG könnten nur bei Vorliegen eines die Abschiebung grundsätzlich erlaubenden Abschiebungsgrunds bzw. -tatbestands im Sinn des § 46 Abs. 1 FPG zu einer Duldung führen. Fehle es bereits an den Voraussetzungen im Sinn des § 46 Abs. 1 FPG, so stelle sich die Frage hinsichtlich allfälliger Abschiebungshindernisse bzw. -unzulässigkeiten im Sinn des § 46a Abs. 1 Z 1 bis 3 FPG gar nicht.

Gegenständlich liege kein die Abschiebung grundsätzlich erlaubender Abschiebungsgrund bzw. -tatbestand im Sinn des § 46 Abs. 1 FPG vor, sodass eine Duldung im Sinn des § 46a Abs. 1 Z 1 bis 3 FPG nicht in Betracht komme. Einziger Duldungsgrund sei die Feststellung der vorübergehenden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung nach § 46a Abs. 1 Z 4 FPG. Im Hinblick darauf seien jedoch die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht erfüllt. Der belangten Behörde könne daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie die betreffenden Anträge als unzulässig zurückgewiesen habe.

5.2. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.

6. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende - außerordentliche Revision.

In der Zulässigkeitsbegründung wird (unter anderem) vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs zu der Frage, ob für die von § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vorausgesetzte Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG die bloße Erfüllung der erforderlichen materiellen Voraussetzungen ausreichend sei, oder ob es dazu einer förmlichen Feststellung bedürfe.

7. Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - erwogen:

Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig, sie ist jedoch - aus den nachfolgenden Erwägungen - nicht begründet.

8.1. Die Revisionswerber machen geltend, bis zur Novelle des § 46a FPG durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz (FrÄG) 2015, BGBl. I Nr. 70/2015, sei die Duldung ex lege mit dem Zeitpunkt eingetreten, in dem die erforderlichen Voraussetzungen vorgelegen seien, und nicht erst mit der - nunmehr konstitutiven - Ausfolgung der Karte für Geduldete. Vorliegend hätten die Revisionswerber die (näher erörterten) materiellen Voraussetzungen des § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Abs. 1a FPG idF vor dem FrÄG 2015 erfüllt, sodass ihre Duldung ex lege eingetreten sei.

Der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 28 FPG zufolge bestehe ein geduldeter Aufenthalt nach § 46a Abs. 1 Z 1 FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 FPG und ein geduldeter Aufenthalt nach § 46a Abs. 1a FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG weiter. Gegenständlich liege daher eine Duldung der Revisionswerber nach § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Z 3 FPG vor und seien folglich die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG2005 erfüllt. Dass Karten für Geduldete (lediglich) nach § 46a Abs. 1c FPG (gilt nach § 125 Abs. 28 FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 FPG) erteilt worden seien, sei unschädlich.

8.2. Nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde (auf näher bestimmte Weise) strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt.

Mit dem am 20. Juli 2015 durch das FrÄG 2015 in Kraft gesetzten § 46a Abs. 6 FPG wurde der Beginn der Duldung insoweit geändert, als der Aufenthalt eines Fremden nunmehr - soweit das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 46a Abs. 1 FPG nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt wurde - erst mit Ausfolgung der Karte als geduldet gilt. Demgegenüber trat die Duldung nach der bis zum FrÄG 2015 geltenden Rechtslage bereits ex lege mit dem Zeitpunkt ein, in dem feststand, dass die in den betreffenden Tatbeständen genannten Voraussetzungen gegeben waren. Das FrÄG 2015 bewirkte daher insofern einen „Systemwechsel“, als der Ausstellung der Karte für Geduldete nunmehr grundsätzlich konstitutive Wirkung zukommt (vgl. eingehend VfSlg. 19.935/2014; 20.106/2016; je mwN). Der Grund für die Überarbeitung der Systematik der Duldung lag darin, „ein Mehr an Rechtssicherheit - für den Fremden wie für die verschiedenen Behörden - zu erreichen“ (vgl. ErläutRV 582 BlgNR 25. GP 19).

Die aufgezeigte Neuregelung ging mit der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 28 FPG einher, wonach ein vor dem 20. Juli 2015 geduldeter Aufenthalt im Fall des § 46a Abs. 1 Z 1 FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 FPG, im Fall des § 46a Abs. 1 Z 2 FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG, im Fall des § 46a Abs. 1a FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG und im Fall des § 46a Abs. 1c FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 FPG gilt.

8.3. Vorliegend reisten die Revisionswerber im Dezember 2014 in Österreich ein und blieben über den Ablauf ihrer Visa C hinaus unerlaubt im Bundesgebiet. Mit in Rechtskraft erwachsenen Bescheiden vom 20. März 2015 wurde festgestellt, dass ihr Aufenthalt gemäß § 46a Abs. 1c FPG geduldet sei und dass eine bis zum 31. Dezember 2015 befristete Karte für Geduldete erteilt werde. Diese Duldung galt mit Inkrafttreten des FrÄG 2015 am 20. Juli 2015 nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 28 FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 FPG weiter und wurde in der Folge zweimal unter Ausfolgung entsprechender Karten verlängert.

Die Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 4 FPG war freilich nicht geeignet, einen Anspruch gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zu begründen, sodass die diesbezüglichen Anträge der Revisionswerber vom 18. August 2016 „zurückgewiesen“ (der Sache nach abgewiesen; vgl. dazu noch näher Punkt 9.) wurden. In der Folge beriefen sich die Revisionswerber darauf, dass ihr Aufenthalt bereits vor Inkrafttreten des FrÄG 2015 ex lege nach § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Abs. 1a FPG geduldet gewesen sei und diese Duldung - auch ohne Ausfolgung entsprechender Karten - nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 28 FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Z 3 FPG weiterbestehe, sodass die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erfüllt seien.

8.4. Gegenständlich muss nicht näher geprüft werden - auch die diesbezüglich behaupteten Feststellungsmängel sind folglich nicht gegeben -, ob vor Inkrafttreten des FrÄG 2015 eine ex lege Duldung der Revisionswerber nach § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Abs. 1a FPG (nunmehr § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Z 3 FPG) eingetreten ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte aus den nachstehenden Erwägungen nicht von einem unbegrenzten Fortbestehen einer solchen Duldung ausgegangen werden.

Aus der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 28 FPG ergibt sich, dass ein vor dem 20. Juli 2015 ex lege geduldeter Aufenthalt nach § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Abs. 1a FPG als Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Z 3 FPG weitergilt (vgl. dazu auch VfSlg. 20.106/2016). Daraus kann freilich nicht geschlossen werden, dass eine solche ex lege Duldung ad infinitum fortbestehe. Der Zweck der Übergangsbestimmung ist nämlich nicht darin zu sehen, das alte Recht für die betreffenden Fälle zeitlich unbegrenzt in Geltung zu belassen, wogegen schon das Ziel der Neuregelung spricht, ein Mehr an Rechtssicherheit für Fremde und für die diversen Behörden herbeizuführen. Der Zweck ist vielmehr darin zu erblicken, eine Überleitung der nach alter Rechtslage gegebenen Duldungen in das neue System vorzunehmen, um klarzustellen, welche der neuen Regelungen auf die nach altem Recht erworbenen Duldungen anzuwenden sind. Dies diente auch dazu, die Betroffenen vor plötzlichen Eingriffen zu schützen und ihnen eine rechtzeitige Disposition auf Basis der neuen Rechtslage zu ermöglichen. Eine weitergehende normative Bedeutung kommt einer solchen „Einordnungsregelung“ nicht zu. Das bedeutet aber, dass die Übergangsregelung des § 125 Abs. 28 FPG das Fortwirken einer bis zum Inkrafttreten des FrÄG 2015 ex lege eingetretenen Duldung nur für eine zeitlich begrenzte Übergangsphase bewirkte. Die Dauer dieser Phase ist - gemäß § 46a FPG, wonach die grundsätzlich durch die Ausfolgung der Karte konstitutiv begründete Duldung für ein Jahr gelten und bei Fortbestehen der Voraussetzungen auf Antrag für jeweils ein weiteres Jahr verlängert werden soll - mit einem Jahr beschränkt.

8.5. Fallbezogen bedeutet dies, dass die nach § 125 Abs. 28 FPG gegebene Berechtigung jedenfalls längstens bis zum Ablauf eines Jahres nach Inkrafttreten des FrÄG 2015 - mithin bis zum 20. Juli 2016 - gedauert hat. Die Revisionswerber hätten daher rechtzeitig die Verlängerung ihrer behaupteten ex lege Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Z 3 FPG durch Erwirkung diesbezüglicher Karten, die sodann - im Sinn der neu eingeführten Systematik - konstitutive Wirkung entfaltet hätten, herbeiführen müssen. Da dies nicht geschehen ist, sondern bloß die Verlängerung der Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 4 FPG erwirkt wurde, sind die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (Vorliegen einer Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr, weiteres Bestehen dieser Voraussetzungen) nicht erfüllt.

Die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 waren schon deshalb abzuweisen.

8.6. Auf die weiteren Revisionsausführungen, das Verwaltungsgericht habe eine Duldung im Sinn des § 46a Abs. 1 Z 1 bzw. Z 3 FPG wegen Fehlen eines die Abschiebung grundsätzlich erlaubenden Abschiebungsgrunds bzw. -tatbestands im Sinn des § 46 Abs. 1 FPG zu Unrecht verneint, kommt es nicht an und braucht nicht eingegangen zu werden.

9.1. Die Revisionswerber machen weiters geltend, das Verwaltungsgericht habe (wie schon die belangte Behörde) die gegenständlichen Anträge als unzulässig zurückgewiesen, obwohl es sich bei den in § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen nicht um Formalerfordernisse, sondern um Erfolgsvoraussetzungen handle. Es wäre daher eine inhaltliche Entscheidung zu treffen gewesen, die eine entsprechende Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erfordert hätte.

9.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, stellt - wenn das Verwaltungsgericht die Sache (ohnedies) inhaltlich behandelt hat - der Umstand, dass die Beschwerde zurückgewiesen statt abgewiesen wurde, lediglich ein Vergreifen im Ausdruck dar, das nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses führt (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2017/04/0013).

9.3. Vorliegend geht aus den Bescheiden vom 10. November 2016 hervor, dass bereits die belangte Behörde die Anträge materiell geprüft und darüber eine inhaltliche Entscheidung getroffen hat, indem sie wegen Vorliegen einer Duldung bloß nach §46a Abs. 1 Z 4 FPG und nicht (auch) nach § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG die Anspruchsvoraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verneint hat. Das Verwaltungsgericht nahm ebenso eine materielle Prüfung vor und fällte eine inhaltliche Entscheidung, indem es wegen Fehlen eines die Abschiebung erlaubenden Abschiebungsgrunds bzw. -tatbestands im Sinn des § 46 Abs. 1 FPG die Tatbestände des § 46a Abs. 1 Z 1 und Z 3 FPG als nicht erfüllt ansah und deshalb die Anspruchsvoraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verneinte.

Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass die gegenständlichen Anträge materiell geprüft wurden - ob richtig bzw. vollständig, kann hier dahinstehen - und meritorisch erledigt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass eine Zurückweisung aus formalen Gründen bzw. wegen Unzulässigkeit der Anträge ausgesprochen worden wäre, sind nicht zu sehen. Soweit in den Entscheidungen gleichwohl von einer Zurückweisung die Rede ist, liegt ein unschädliches bloßes Vergreifen im Ausdruck vor.

10.1. Die Revisionswerber relevieren ferner, das Verwaltungsgericht habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt, obwohl eine solche beantragt worden sei und die Voraussetzungen für den Entfall (Absehbarkeit, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen könne; Fehlen von Rechtsfragen, deren Erörterung erforderlich wäre) nicht vorgelegen seien. Es seien Rechts- und auch Tatsachenfragen aufgeworfen worden, für deren Klärung eine Verhandlung notwendig gewesen wäre, zumal auch keine schriftliche Stellungnahme eingeräumt worden sei.

10.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt (vgl. etwa VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0121; 3.9.2015, Ro 2015/21/0012) kann nach § 21 Abs. 7 BFA-VG trotz Vorliegen eines Parteiantrags von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Wird also in der Beschwerde der von der belangten Behörde zugrunde gelegte entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht bzw. nur unsubstanziiert bestritten, indem insbesondere kein konkretes entgegenstehendes oder darüber hinausgehendes entscheidungswesentliches Tatsachenvorbringen erstattet wird, bzw. reduziert sich die Beschwerde auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen, so kann von der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden (vgl. etwa VwGH 21.9.2017, Ra 2017/22/0128; 25.10.2017, Ra 2017/22/0038; 17.6.2019, Ra 2018/22/0195).

10.3. Diese Voraussetzungen sind - entgegen der Auffassung der Revisionswerber - auch hier gegeben, blieb doch der rechtserhebliche Sachverhalt im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen unbestritten und beschränkte sich das maßgebliche Beschwerdevorbringen auf rechtliche Erörterungen. Von den Revisionswerbern wird auch in der Revision nicht konkret aufgezeigt, inwiefern ein unklarer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliegen sollte, der einer näheren Aufklärung oder Ergänzung zu unterziehen gewesen wäre. Folglich ist aber - im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung - im Unterbleiben der beantragten mündlichen Verhandlung kein Verfahrensmangel zu erblicken.

11. Die Revision erweist sich daher insgesamt als nicht berechtigt und war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 27. Februar 2020

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220073.L00

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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