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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H H, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2020, W275 2172622-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 18. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass in seiner Herkunftsprovinz Krieg herrsche und er seine Arbeitsstelle verloren habe. Im späteren Verfahren brachte er zudem vor, dass er aufgrund seiner Tätowierungen und einer ihm unterstellten „Verwestlichung“ eine Verfolgung im Herkunftsstaat befürchte.
2 Mit Bescheid vom 13. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. März 2020 als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - aus, dass von einer Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund einer unterstellten „Verwestlichung“ in Zusammenhang mit seinen Tätowierungen in einer größeren Stadt wie Mazar-e Sharif, die sich unter Regierungskontrolle befinde, nicht auszugehen sei. Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes erwog das BVwG, dass dem Revisionswerber in seiner Herkunftsprovinz aufgrund der prekären Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohe. Der volljährige, gesunde, arbeitsfähige Revisionswerber könne jedoch auf eine ihm zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif verwiesen werden.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit die Verletzung der Begründungspflicht von Erkenntnissen und einen Verstoß gegen die amtswegige Ermittlungspflicht im Asylverfahren geltend macht. Dazu bringt die Revision zusammengefasst vor, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit den Tätowierungen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und nicht nachvollziehbar begründet, warum der Revisionswerber aufgrund dieser Tätowierungen in Afghanistan nicht als „verwestlicht“ wahrgenommen werde und in diesem Zusammenhang keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe. Zudem habe das BVwG keinerlei Ermittlungen dazu angestellt, ob Tätowierungen in Afghanistan tatsächlich verboten seien und mit welchen Sanktionen zu rechnen sei.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision bringt zunächst vor, das BVwG habe zwar festgestellt, dass Personen, die Erscheinungsbilder übernommen hätten, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht würden, Zielscheibe von regierungsfeindlichen Kräften werden könnten. Es habe sich beweiswürdigend jedoch nicht damit auseinandergesetzt, ob der Revisionswerber aufgrund seiner Tätowierungen ein solches Erscheinungsbild angenommen habe und sich daraus ein Verfolgungsrisiko für ihn ergebe oder nicht.
11 Dies trifft jedoch nicht zu. Das BVwG hat nämlich eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif angenommen und in seiner Beweiswürdigung erwogen, dass der Revisionswerber bei einem Aufenthalt in einer sich unter Regierungskontrolle befindlichen größeren Stadt wie Mazar-e Sharif allein aufgrund seiner Tätowierungen (die keine politische, religiöse oder gesellschaftskritische Wertehaltung erkennen ließen) oder einer daraus resultierenden unterstellten „Verwestlichung“ nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein werde.
12 Die Fehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber nur dann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung begründen, wenn sie in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. dazu etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2019/18/0073, mwN).
13 Es gelingt der Revision jedoch nicht eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung aufzuzeigen. Weder die vom BVwG herangezogenen Länderberichte, noch die von der Revision ins Treffen geführten EASO-Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 zeichnen ein der Beurteilung des BVwG widersprechendes Bild. Den EASO-Country Guidance ist vielmehr zu entnehmen, dass die Gefahr einer Verfolgung für Männer, die als „verwestlicht“ angesehen werden, minimal sei und die Gesellschaft in Städten eher offen gegenüber westlichen Ansichten sei.
14 Um den Status eines Asylberechtigten zu erhalten, muss dem Revisionswerber bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung aber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0273, mwN).
15 Sofern die Revision rügt, das BVwG habe nicht festgestellt, dass sich auch auf der linken Hand Tätowierungen befänden und sich an anderer Stelle nicht nur eine „Mutter“, sondern eine teilweise entblößte junge Frau sowie englische und deutsche Schriftzüge befänden, wird damit ein Verfahrensmangel geltend gemacht. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/18/0032 , mwN). Mit dem Vorbringen, das BVwG hätte bei Vermeidung des Verfahrensmangels zu dem Ergebnis kommen müssen, dass diese Motive den Revisionswerber jedenfalls als „verwestlicht“ erscheinen ließen, wird die Relevanz jedoch bereits deshalb nicht dargetan, weil eine Verfolgungsgefahr aufgrund von „Verwestlichung“ vom BVwG bereits vertretbar verneint worden ist.
16 Aus demselben Grund wird auch mit dem Vorbringen, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer Erkennbarkeit eines afghanischen Rückkehrers aus Europa aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes ausgegangen werden müsse, keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, weil die Revision von deren Lösung nicht abhängt.
17 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH, 4.3.2020, Ra 2020/18/0069, mwN). Es ist nicht ersichtlich, dass das BVwG eine solche grobe Fehlbeurteilung getroffen hätte.
18 Wenn der Revisionswerber schließlich vorbringt, es wäre ihm zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen, weil er im Falle einer Rückkehr Diskriminierungen und/oder gravierenden Problemen bei der Wohnraum- und Arbeitssuche ausgesetzt wäre und in eine ausweglose Lage geraten würde, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0017, mwN). Dem Revisionswerber ist zwar zuzugestehen, dass das BVwG seine Tätowierungen bei der Prüfung subsidiären Schutzes nicht mehr explizit berücksichtigt hat, es gelingt der Revision angesichts der Berichtslage zu „verwestlichten“ Rückkehrern jedoch ebenfalls nicht darzulegen, dass das BVwG bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis gelangen hätte müssen.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 22. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180153.L00Im RIS seit
09.07.2020Zuletzt aktualisiert am
14.07.2020