TE OGH 2020/5/27 7Ob40/20p

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Veröffentlicht am 27.05.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** B*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 9.583,17 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. Mai 2018, GZ 50 R 8/18k-13, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 2. November 2017, GZ 2 C 156/17f-7, teilsweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

II. Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin unterfertigte am 22. 12. 2005 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Antrag auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags (Pensionsversicherung mit Gewinnbeteiligung). Vereinbart war der 1. 12. 2005 als Versicherungsbeginn, eine Versicherungsdauer von 10 Jahren und das Versicherungsende mit 1. 12. 2015 sowie ein garantierter Rechnungszins in Höhe von 2,75 % auf die Sparprämie. Bei Antragstellung wurde die Klägerin wie folgt über ihr Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt:

Erklärungen bezüglich des Abschlusses dieser beantragten Versicherung

[…]

- Rücktrittsrecht nach §§ 5b und 165a Versicherungsvertragsgesetz. Die […]Versicherung weist darauf hin, dass der Antragsteller binnen zweier Wochen vom Vertrag zurücktreten kann. Der Rücktritt bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit der Schriftform; es genügt, wenn die Erklärung innerhalb der Frist abgesendet wird. Die Rücktrittsfrist beginnt erst nach Ausfolgung der Polizze zu laufen und erlischt spätestens einen Monat nach Zugang der Polizze.“

Die Klägerin bezahlte in den Jahren 2005 bis 2011 insgesamt 36.500 EUR an Prämien. Mit 1. 1. 2012 wurde der Versicherungsvertrag auf ihren Wunsch prämienfrei gestellt.

Mit Schreiben vom 23. 9. 2015 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass die Aufschubdauer des Versicherungsvertrags am 1. 12. 2015 ende. Die Klägerin kündigte daraufhin die Lebensversicherung per 1. 12. 2015 und erhielt von der Beklagten einen Betrag von 37.818 EUR ausbezahlt.

Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 3. 11. 2016 ihren Rücktritt vom Versicherungsvertrag, den die Beklagte als verspätet zurückwies.

Die Klägerin begehrt nunmehr die Zahlung von 9.583,17 EUR sA. Aufgrund der Ausübung ihres – unbefristeten – Rücktrittsrechts habe sie die Prämien rechtsgrundlos geleistet. Ihr bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch umfasse nicht nur die Rückzahlung dieser Prämien (einschließlich Versicherungssteuer), sondern auch ein Vergütungsentgelt von (pauschaliert) 4 % Zinsen ab Zahlung der jeweiligen Prämie. Für diesen Vorteil, den der Bereicherungsschuldner durch die überlassene Geldsumme gehabt habe, gelte die 30-jährige Verjährungsfrist. Nach Abzug der Auszahlungssumme ergebe sich Klagsanspruch an noch offenen Vergütungszinsen.

Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Bei einem regulär abgelaufenen – vollständig erfüllten – Vertrag sei ein Rücktritt nicht mehr möglich. Die Ausübung eines allfälligen Rücktrittsrechts sei rechtsmissbräuchlich und überdies verjährt. Selbst im Fall eines – wirksamen – Rücktritts hätte die Klägerin nur Anspruch auf den Rückkaufswert gemäß § 176 VersVG. Mehr als drei Jahre rückwirkend wären Verzugszinsen verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 2.544 EUR sA statt, das auf Zahlung weiterer 7.039 EUR sA gerichtete Begehren wies es ab.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil teilweise dahingehend ab, dass es dem Klagebegehren im Umfang von 132,64 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren in Höhe von 9.450,53 EUR sA abwies. Die Belehrung sei aufgrund des Schriftformerfordernisses fehlerhaft und daher unrichtig. Der Klägerin stehe demnach ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. Der rechtswirksame Rücktritt der Klägerin wirke ex tunc und habe die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der erbrachten Leistungen zur Folge. Sie habe Anspruch auf Rückzahlung der bereits geleisteten Prämien samt den gesetzlichen Zinsen von 4 %. Gesetzliche Zinsen gemäß § 1000 ABGB würden nach § 1480 ABGB jedoch binnen drei Jahren verjähren. Die Klägerin habe am 29. 12. 2015 bereits 37.818 EUR gutgeschrieben erhalten. In ihrer Rücktritts E-Mail vom 3. 11. 2016 habe sie die Beklagte aufgefordert binnen 14 Tagen ab Erhalt des Schreibens 9.661,52 EUR zu überweisen. Die Verjährungsfrist beginne daher mit 17. 11. 2016 zu laufen. Bis zum 29. 12. 2015 stünden ihr keine Vergütungszinsen zu, da sie an diesem Tag bereits den Betrag von 37.818 EUR erhalten habe. Auch eine Berechnung der Zinsen je nach Einzahlung der Prämie müsse nicht durchgeführt werden, weil sie zum Zeitpunkt 17. 11. 2013 sämtliche Prämienzahlungen bereits geleistet gehabt habe. Sie habe somit einen Anspruch auf Rückzahlung der Prämien in Höhe von 36.500 EUR zuzüglich Zinsen – von 17. 11. 2013 bis 28. 12. 2015 aus 35.040 EUR – in Höhe von 2.960,64 EUR. Sie müsse sich darauf noch die Risikokosten von 50 EUR und die Versicherungssteuer von 1.460 EUR anrechnen lassen. Ihr Klagsanspruch betrage unter Berücksichtigung der erhaltenen Zahlung daher nurmehr 132,64 EUR.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof sich bislang noch nicht mit den bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen eines Rücktritts nach § 165a VersVG auseinandergesetzt habe.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen beider Parteien jeweils mit einem Abänderungsantrag.

Die Klägerin begehrt, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Beklagte begehrt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

1. Der Senat hat aus Anlass der Revisionen mit Beschluss vom 31. Oktober 2018, AZ 7 Ob 205/18z, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z-12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C-479/18, Uniqa Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

2. Der EuGH hat mit Urteil vom 19. Dezember 2019 in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Hus-Hackner, (ua) über dieses Vorabentscheidungsersuchen entschieden.

3. Das Revisionsverfahren ist fortzusetzen.

Zu II.:

Die Revisionen sind aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie sind im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

A. Belehrung über das Rücktrittsrecht:

1. Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idF BGBl I 2004/62) lautet soweit relevant:

„(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. …

(2) Hat der Versicherer der Verpflichtung zur Bekanntgabe seiner Anschrift (§ 9a Abs 1 Z 1 VAG) nicht entsprochen, so beginnt die Frist zum Rücktritt nach Abs. 1 nicht zu laufen, bevor dem Versicherungsnehmer diese Anschrift bekannt ist.“

2.1 Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass – von den Entscheidungen des EuGH 19. 12. 2013, C-209/12, Endress und 10. 4. 2008, C-412/06, Hamilton, ausgehend – aufgrund einer fehlerhaften Belehrung über die Dauer der Rücktrittsfrist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 165a Abs 2 VersVG dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zusteht (7 Ob 107/15h = RS0130376, 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y).

2.2 Sowohl aus der Struktur als auch aus dem Wortlaut der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen folgt, dass damit sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht genau belehrt wird. Wenn ein Versicherungsnehmer daher nicht oder zumindest nicht ausreichend belehrt worden ist, steht dies dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt damit zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht (7 Ob 107/15h, 7 Ob 10/20a, 7 Ob 11/20y).

2.3 Das Antragsformular enthält die Rechtsbelehrung, dass der Versicherungsnehmer binnen zweier Wochen zurücktreten kann. Weiters wird im unmittelbaren Anschluss darauf verwiesen, dass die Rücktrittsfrist erst nach Ausfolgung der Polizze zu laufen beginnt und spätestens einen Monat nach Zugang der Polizze erlischt. Abgesehen davon, dass diese Belehrung schon insoweit in sich selbst widersprüchlich ist, als einerseits auf die Möglichkeit des Rücktritts binnen zweier Wochen und andererseits auf das Erlöschen der Rücktrittsfrist spätestens einen Monat nach Zugang der Polizze hingewiesen wird, entspricht auch weder die zweiwöchige Frist noch die Monatsfrist dem § 165a VersVG in der anzuwendenden Fassung. Aufgrund der hier im Zusammenhang mit der Rücktrittsmöglichkeit erfolgten Anführung unterschiedlicher Fristen ist schon völlig unklar, welche gilt. Die zweiwöchige Frist bedeutet darüber hinaus auch noch eine erhebliche Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Rücktrittsfrist. Damit wurde der Klägerin die Möglichkeit genommen, ihr Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben.

2.4 Die Rücktrittsfrist nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 2004/62) hat im vorliegenden Fall daher mangels korrekter Belehrung nicht mit dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, zu dem die Klägerin davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Vertrag geschlossen wurde. Die hier vorliegende Falschbelehrung steht dem Beginn des Fristenlaufs entgegen und führt zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht der Klägerin.

2.5 Auf den Umstand, dass die Beklagte darüber hinaus auch noch die Schriftform verlangte, kommt es hier nicht mehr an.

B. Zu den Rechtsfolgen der fehlerhaften Belehrung:

1. Der Umstand, dass die Laufzeit des Versicherungsvertrags zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits abgelaufen und die Beklagte der Klägerin auch schon den Ablaufwert ausbezahlt hat, steht der Ausübung des der Klägerin in Folge fehlerhaften Informationen zustehenden Rücktrittsrechts nicht entgegen (7 Ob 4/20v mwN).

2.1 In der Rechtsprechung ist widersprüchliches Verhalten (venire contra factum propium) als Anwendungsfall des Rechtsmissbrauchs anerkannt (7 Ob 15/20m mwN). Darunter wird verstanden, dass der Berechtigte beim Verpflichteten durch sein Verhalten den Eindruck erweckt hat, ein ihm zustehendes Recht nicht (mehr) geltend zu machen, sodass ihm in Hinblick darauf eine spätere Berufung auf das Recht verwehrt wird. Der Berechtigte erweckt beim Verpflichteten durch sein Verhalten Vertrauen auf das Bestehen einer bestimmten Sach- oder Rechtslage, weshalb die „Widersprüchlichkeit“ nur zwischen der objektiven Rechtslage und dem Verhalten des Berechtigten gesehen wird (vgl RS0128483).

2.2 Die Beklagte argumentiert, die Klägerin habe 10 Jahre am Vertrag festgehalten, ihn 2012 prämienfrei gestellt und nach regulärem Auslaufen des Vertrags den Kapitalablösebetrag erhalten. Aufgrund dieses widersprüchlichen und daher rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sei der Klägerin spätestens ab Wirksamkeit dieser Verfügungen kein Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG mehr zugestanden.

2.3 Dass die Klägerin bereits im Zeitpunkt der eben genannten Verfügungen in Kenntnis ihres Rücktrittsrechts handelte, wird weder von der Beklagten behauptet, noch finden sich Anhaltspunkte dazu im Akt. Schon davon ausgehend können aus den Verhaltensweisen der Klägerin nicht die von der Beklagten gewünschten rechtlichen Schlüsse gezogen werden.

3. Insgesamt folgt, dass im vorliegenden Fall die Rücktrittsfrist zum Zeitpunkt des mit Schreiben vom 3. 11. 2016 erklärten Rücktritts noch nicht abgelaufen war und der Rücktritt wirksam erfolgte.

C. Zu den Rechtsfolgen des Rücktritts:

1. Die Bestimmung des § 1435 ABGB räumt einen Rückforderungsanspruch ein, wenn der zunächst vorhandene rechtliche Grund – wie etwa bei einem Rücktritt – wegfällt. Der Wegfall des Vertrags beseitigt bei beiden Parteien den Rechtsgrund für das Behalten der empfangenen Leistungen (7 Ob 15/20m).

2.1 Die Beklagte zielt nun auf eine bloße ex- nunc-Wirkung der Auflösung des Vertrags insofern ab, als sie bei einem Rücktritt nach § 165a VersVG bloß den Rückkaufswert nach § 176 Abs 1 VersVG erstatten möchte.

Die von der Beklagten gewünschte Beschränkung der Rückabwicklung auf den bloßen Rückkaufswert nach § 176 VersVG widerspricht dem Unionsrecht (vgl (7 Ob 15/20m).

2.2 Die Klägerin hat daher aufgrund der – in Folge des wirksamen Rücktritts – vorzunehmenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Prämien.

3.1.1 Alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungsverpflichtung, darunter auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“), verjähren gemäß § 1480 ABGB (RS0031939; RS0033829; RS0032078; RS0038587). Unkenntnis des Anspruchs hindert den Beginn der Verjährung im Allgemeinen nicht. Wer etwa einen wegen Irrtums (auch eines Rechtsirrtums) ohne Rechtsgrund geleisteten Geldbetrag zurückfordert, ist zwar bis zur Aufdeckung dieses Willensmangels gar nicht in der Lage, Zinsen von dem rechtsgrundlos gegebenen Kapital zu fordern; das hindert aber nicht den Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1480 ABGB, ist doch der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich – von Ausnahmebestimmungen wie etwa § 1489 ABGB abgesehen – an die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung geknüpft. Die Möglichkeit zu klagen ist im objektiven Sinn zu verstehen; subjektive, in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse, wie ein Irrtum des Berechtigten oder überhaupt Unkenntnis des Anspruchs, haben in der Regel auf den Beginn der Verjährungsfrist keinen Einfluss (RS0034337; RS0034445 [T1]; RS0034248). Mehr als drei Jahre vor dem Tag der Klagseinbringung rückständige Vergütungszinsen sind daher verjährt (4 Ob 584/87).

3.1.2 In seinen erst jüngst ergangenen Entscheidungen 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y hat der erkennende Fachsenat diese Rechtsprechung auch für den Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach einem (Spät-)Rücktritt des Versicherungsnehmers von einem Lebensversicherungsvertrag ausdrücklich aufrechterhalten.

3.2 Ausgehend von der Entscheidung des EuGH 19. 12. 2019, C-355/18–C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, (ua) hat der Senat in seinen Entscheidungen 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y weiters ausgesprochen: Im Grundsatz steht das Unionsrecht einer Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren nicht entgegen, wenn dies die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst nicht beeinträchtigt. Der EuGH hob deutlich hervor, dass das Rücktrittsrecht nicht dazu dient, dass der Versicherungsnehmer eine höhere Rendite erhalten oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen spekulieren kann. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine solche Verjährung des Anspruchs auf Vergütungszinsen geeignet ist, die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst zu beeinträchtigen, zumal Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietenden Versicherer große Unterschiede aufweisen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können. Wenn unter diesen Umständen die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen, insbesondere wenn der Versicherungsnehmer nicht richtig über die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts informiert wurde. Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren.

3.3 Die Klägerin meint, dass der dreijährigen Verjährung von Vergütungszinsen jedenfalls entgegenstehe, wenn dadurch der Anspruch des Versicherungsnehmers infolge des Rücktritts erheblich (mehr als 10 %) geschmälert würde.

Die Ausführungen des EuGH in seiner Entscheidung 19. 12. 2019, C-355/18–C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, (ua) zeigen, dass bei der – im Zusammenhang mit der Verjährung von Vergütungszinsen relevanten – Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ausschließlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Hingegen bezieht sich der EuGH ganz klar auf den Zeitpunkt des Rücktritts, wenn er davon ausgeht, dass dessen Ausübung dem Versicherungsnehmer keinesfalls ermöglichen soll auf eine Rendite im oben aufgezeigten Sinn zu spekulieren, er also keine Vorteile aus einem Spätrücktritt ziehen soll. Auf die zu 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y dargestellten Lehrmeinungen muss – vor dem Hintergrund der eben genannten Entscheidung des EuGH – nicht weiter eingegangen werden. Daraus folgt aber, dass das Ausmaß der Nutzungsentschädigung – entgegen der Ansicht der Klägerin – keine relevante Bezugsgröße darstellt, die auf die Frage der Verjährung der Vergütungszinsen Einfluss haben könnte, weil damit nämlich der vom EuGH verpönte Vorteil aus dem Spätrücktritt gezogen würde (Spekulation mit den gesetzlich gesicherten Vergütungszinsen). Das Ergebnis, dass nach Wirksamwerden der Verjährung kein Anspruch bestehen könnte, ist allein kein Grund für eine teleologische Reduktion der Verjährungsregeln.

3.4 Soweit die Klägerin argumentiert, es stelle einen Wertungswiderspruch dar, wenn zwar der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Vergütungszinsen, nicht aber jener des Versicherers auf Risikokosten – die von der Klägerin überdies selbst in Abzug gebracht wurden – innerhalb von drei Jahren verjähre, übersieht sie, dass es sich bei den Risikokosten um die aufgrund des Rücktritts nach § 1435 ABGB rückforderbare Leistung und somit den Konditionsanspruch der Beklagten handelt.

3.5 Die unter Punkt 3.1 dargestellten Aspekte waren bislang nicht Gegenstand des Verfahrens und wurden nicht mit den Parteien erörtert. Es ist daher den Parteien Gelegenheit zu geben, Vorbringen zu erstatten und im Weiteren zu klären und festzustellen, ob der Vertrag im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den Bedürfnissen der Klägerin entsprach, und ob und inwiefern sie durch die Verjährung binnen drei Jahren daran gehindert worden ist, ihr Rücktrittsrecht geltend zu machen. Nur wenn der Vertrag im konkreten Einzelfall nicht den Bedürfnissen der Klägerin entsprach und sie durch die Verjährung am Rücktritt gehindert wurde, wird die dreijährige Verjährungsfrist nicht anzuwenden sein.

3.6 Die grundsätzlich anzuwendende dreijährige Verjährungsfrist beginnt im Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung, dh mit der Zahlung der Prämie. Mehr als drei Jahre rückständige Verzugszinsen berechnet von dem Tag der Klagseinbringung sind daher verjährt. Werden fällige Zinsen eingeklagt, können mangels gesonderter Vereinbarung Zinseszinsen nicht vor dem Tage der Klagsbehändigung gefordert werden (§ 1000 Abs 2 ABGB; RS0083307). Die Klägerin wird in diesem Sinn ihr Klagebegehren aufzuschlüsseln und klarzustellen haben, welche Beträge aus welchen Prämien, welche aus Zinsen und aus welchen (nicht verjährten Zinsen) welche Zinseszinsen begehrt werden, dies unter Berücksichtigung der bereits erhaltenen Zahlung und insbesondere ihres Zeitpunkts. Aus einem bereits erhaltenen Betrag gebühren nach dem Zeitpunkt des Erhalts keinesfalls Vergütungszinsen.

3.7 Die Klägerin meint weiters, dass die Unterlassung der gesetzmäßigen Rücktrittsbelehrung kausal für den entstandenen Schaden (verjährte Vergütungszinsen) sei, weil sie bei rechtzeitiger Belehrung bzw sodann erfolgtem Rücktritt, dessen Möglichkeit abstrakt zu prüfen sei, innerhalb von drei Jahren ab Prämienzahlung keinen Zinsenverlust durch Verjährung erlitten hätte. Schadenersatzansprüche würden aber erst drei Jahre ab Kenntnis des Schadens verjähren.

Abgesehen davon, dass bei einem aufgrund einer rechtzeitigen Belehrung erfolgten Rücktritt gar keine Vergütungszinsen entstanden wären, verbietet sich auch die Beurteilung allein der Verjährung der ausschließlich geltend gemachten bereicherungsrechtlichen Vergütungszinsen nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen.

D. Risikokosten und Versicherungssteuer:

1. Risikokosten wurden unstrittig in Höhe von 50 EUR von der Klägerin in Abzug gebracht.

2.1 Der Senat hat zu 7 Ob 211/18g im Anschluss an die zu C-355/18–C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner, gestellten – jedoch zwischenzeitig entschiedenen – Vorabentscheidungsersuchen folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Sind Art 15 Abs 1 der Richtlinie 90/619/EWG iVm Art 31 der Richtlinie 92/96/EWG (bzw Art 35 Abs 1 iVm Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw Art 185 Abs 1 iVm Art 186 Abs 1 der Richtlinie 2009/138/EG) dahin auszulegen, dass sie nationalen Regelungen entgegenstehen, wonach im Fall eines berechtigten (Spät-)Rücktritts des Versicherungsnehmers vom Versicherungsvertrag die von ihm als Steuerschuldner geschuldete und vom Versicherer bloß als Haftender eingehobene und an den Bund (Republik Österreich) abgeführte Versicherungssteuer (in Höhe von 4 % der Nettoversicherungsprämie) nicht jedenfalls gemeinsam mit der Nettoversicherungsprämie vom Versicherer aus vertraglicher Rückabwicklung zurückerlangt werden kann, sondern der Versicherungsnehmer darauf verwiesen ist, die Versicherungssteuer vom Bund (Republik Österreich) nach abgabenrechtlichen Vorschriften zurückzuverlangen, oder
– falls dies erfolglos bleibt – allenfalls Schadenersatzansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen?“.

Dieses Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH in der Rechtssache C-803/19, WWK, wurde bislang noch nicht beantwortet.

2.2 Es bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen überlassen, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt des fortgesetzten Verfahrens sie – im Hinblick darauf, dass sie auch in Rechtssachen, in denen sie nicht unmittelbar Anlassfallgericht sind, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden haben – in Ansehung der begehrten Versicherungssteuer auch das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen unterbrechen (RS0110583 mwN).

E. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache war zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Textnummer

E128287

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00040.20P.0527.000

Im RIS seit

16.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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