TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/8 W212 2204660-1

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Veröffentlicht am 08.03.2019
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Entscheidungsdatum

08.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W212 2204666-1/7E

W212 2204660-1/7E

W212 2204656-1/7E

W212 2204663-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle StA. Ukraine, vertreten durch RA Mag. Anna Bechter, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2018, Zl.en 1.) 1073982601/151030835, 2.) 1073982307/151030962, 3.) 1073982405/151030920, 4.) 1073982503/151030954, zu Recht:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55a Abs. 4 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (BF2-BF4). Sie reisten mittels von der österreichischen Botschaft in Kiew ausgestellter Visa am 21.07.2015 in das Bundesgebiet ein, wo sie am 29.07.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Im Rahmen der Erstbefragung am 07.08.2015 gab die BF1 an, dass ihre Familie wegen der Tätigkeit ihres Mannes bedroht werde. Die Bedrohung gehe von der lokalen Regierung in Donezk aus. Sie fürchte um das Leben ihrer Kinder.

I.2. In der Einvernahme vor dem BFA am 12.06.2018 gab die BF1 an, zuletzt in Bucha in der Nähe von Kiew gelebt zu haben. Von 2002 bis 2014 habe sie in Donezk gewohnt. Ihre älteste Tochter sei derzeit nicht in ärztlicher Behandlung, bei Bedarf nehme sie Beruhigungsmittel. In der Ukraine lebten ihre Eltern und ihre Schwester. Ihr Ehemann sei im März 2018 nach Österreich gereist und studiere hier Rechtswissenschaften. Sie sei Ukrainerin, ihre Muttersprachen seine Russisch und Ukrainisch. In der Ukraine habe sie nach der Matura studiert. Sie habe ein Schuhgeschäft, ein Schmuckgeschäft und ein Erholungszentrum betrieben. Letzteres habe ihren Eltern gehört. Die Geschäfte seien 2014, mit Beginn der Kampfhandlungen in Donezk, geschlossen worden.

Zu ihren Fluchtgründen gab sie zusammengefasst an, ihr Mann habe verschiedene öffentliche Positionen bekleidet und sei politisch aktiv gewesen. Nach Beginn der Kampfhandlungen in der Ostukraine 2014 seien Parteimitglieder ermordet worden. Im Mai 2014 seien alle Behörden von Regierungsgegnern übernommen worden. Am 21.01.2015 habe ihr Mann ihr gesagt, dass sie sofort nach Kiew reisen müssten, weil es Drohungen gegeben habe. Sie seien mit den Kindern und ihren Eltern in die Stadt Bucha gezogen, die Kinder hätten dort die Schule besucht. Im März 2015 habe sie erfahren, dass ihr Haus zerstört worden sei, deshalb sei sie dorthin gefahren. Bewaffnete Personen seien in das Haus eingedrungen und hätten sie nach ihrem Mann gefragt. Sie sei gezwungen worden ihren Mann anzurufen, sie habe jedoch keinen Empfang gehabt. Sie sei von den Männern geschlagen und an den Haaren gezogen worden. Sie sei zu Boden gestoßen worden und habe das Bewusstsein verloren. Sie sei im Krankenhaus behandelt und von der Polizei einvernommen worden. Dann sei sie nach Bucha zurückgekehrt. Der Gesundheitszustand ihrer Tochter habe sich verschlechtert, sie sei stationär aufgenommen worden. Da keine Diagnose habe gestellt werden können, habe sie beschlossen, ihre Tochter im Ausland diagnostizieren zu lassen. Im Juni 2015 habe sie einen anonymen Anruf erhalten, der Mann habe nach ihrem Ehemann gefragt und Drohungen gegen ihre Kinder ausgesprochen. Sie sei nicht zur Polizei gegangen. Wegen des Übergriffs auf sie sei zwar ein Verfahren eigeleitet worden, aber die Behörden würden nichts tun. Am 21.07.2015 sei sie mit den Kindern nach Österreich gereist, um ihre Tochter untersuchen zu lassen. Am 25.07.2015 habe ihr Mann angerufen, dass sie nicht mehr nach Bucha zurückkehren könne, weil die Behörden der Republik Donezk von ihrem Aufenthalt wüssten. Ihr Mann habe zuerst gemeint, dass sie in die Westukraine reisen solle, sie habe aber beschlossen in Österreich zu bleiben.

Die BF1 legte folgenden Unterlagen vor:

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Gewerbeanmeldung vom 05.04.2017

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Diverse Sporturkunden BF2 und BF3

-

A2 Zertifikat BF1

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Schulnachrichten BF2-BF4

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Befund BF2 vom 27.07.2015

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Befund BF2 vom 22.07.2015

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Medizinische Dokumente in ukrainischer Sprache zu BF2

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Auszug aus dem Grundbuch

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Vereinsregisterauszug des Ehemannes der BF1

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Eintragung eines Menschenrechtsvereins des Ehemannes der BF1

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Kindergarteneinschreibung (Ukraine) der BF4

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Bestätigung über ein eingeleitetes Strafverfahren

-

Universitätsdiplom der BF1

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Schulbestätigungen (Ukraine) BF2 und BF3

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Registrierung der BF1- BF4 als Binnenflüchtlinge vom 24.01.2015

-

Heiratsurkunde

1.3. Der Ehemann der BF1 wurde am 12.07.2018 einvernommen. Aufgrund seiner Inskribierung für das Studium der Rechtswissenschaften wurde auf die Beiziehung eines Dolmetschers verzichten. Die Einvernahme musste allerdings aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse abgebrochen werden.

Der Ehemann der BF1 legte Diplome über den Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften, des Studiums "Technische Bedienung und Reparatur von Fahrzeugen und Motoren" und des Studiums "Öffentliche Verwaltung" in der Ukraine, ein Studienblatt der Universität Wien, Sommersemester 2018, und eine Kursbestätigung über den Besuch eines Vorstudienlehrgangs "Deutsch für AnfängerInnen ohne Vorkenntnisse" vor.

I.4. Mit Schriftsatz vom 19.06.2018 gaben die BF eine Stellungnahme ab, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, dass der Ehemann der BF1 als Assistent des Abgeordneten XXXX arbeite und die Rechtschutzorganisation leite. Der Abgeordnete überwache Infrastrukturprojekte, sodass der Ehemann als "Korruptionsjäger" wichtig sei. Der Ehemann werde nach wie vor bedroht und sei häufig in Wien. Er habe in der Ukraine keinen festen Wohnsitz, sondern wohne in wechselnden Hotels, damit er nicht gefunden werde. Es wurde beantragt, den Ehemann als Zeugen einzuvernehmen. Die Tochter habe in Österreich Freundschaften geschlossen, die einen positiven Einfluss auf ihre Gesundheit hätten. Daher scheine eine Rückkehr nach Art. 8 EMRK unzulässig.

I.5. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 8 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betragte die Frist für die frewillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt. Festgehalten wurde, dass die BF Staatsangehörige der Ukraine seien und ihre Identität feststehe. Die ärztliche Behandlung der BF2 sei bereits abgeschlossen. Es sei nicht glaubhaft, dass sie einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen seien und sei eine Rückkehr zumutbar und möglich. Die Fluchtgründe würden sich auf ihren Ehegatten beziehen, der jedoch erst im März 2018 nach Österreich gereist sei und bisher keinen Asylantrag gestellt habe. Da die BF Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat hätten und die BF1 überdies arbeitsfähig und gesund sei, gehe die Behörde davon aus, dass ihnen auch keine Gefahren drohten, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass der von den BF vorgebrachte Sachverhalt nicht glaubhaft sei, womit keine Grundlage für eine Subsumierung unter § 3 AsylG 2005 habe festgestellt werden können. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass bei den BF keine individuellen Umstände vorlägen, die dafür sprechen würden, dass sie bei einer Rückkehr in die Ukraine in eine derart extreme Notlage geraten würden, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Unter Spruchpunkt III. wurde mit näherer Begründung darauf verwiesen, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration der BF in Österreich rechtfertigen würden. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden somit keine Hinweise gefunden werden, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens eingegriffen werden würde.

I.6. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht am 28.08.2018 Beschwerde erhoben. Begründend wurde vorgebracht, dass die Einvernahme des Ehemannes der BF1 nicht mit Dolmetscher wiederholt worden sei. Die Polizei der Ukraine sei nicht in der Lage, die BF vor Verfolgung zu schützen. Bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung sei im Übrigen das Kindeswohl nicht berücksichtigt worden.

Der Beschwerde lagen folgende Unterlagen bei:

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Deutsche Übersetzung einer Bestätigung über die Zerstörung des Hauses der BF am 02.03.2015 vom 02.12.2016

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Deutsche Übersetzung einer Bestätigung über einen gewaltsamen Übergriff auf die BF1 vom 02.06.2016

-

Lehrvertrag der BF2 vom 17.07.2018

-

Stellungnahme der BF1

I.7. Mit Schreiben vom 21.09.2018 beantragten die BF die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme des Ehemannes der BF1 als Zeugen.

I.8. In einer Stellungnahme vom 29.10.2018 wurde das bisherige Vorbringen wiederholt und ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand der BF2 verschlechtert habe. In Donezk stehe ihr keine psychiatrische Betreuung zur Verfügung. Die angefochtenen Bescheide enthielten keine Feststellungen zur aktuellen Situation in der Heimatregion der BF. Die Ukraine sei für die BF kein sicherer Herkunftstsaat. Die BF seien legal nach Österreich gereist und würden keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Die minderjährigen BF2 - BF4 lebten bereist seit drei Jahren in Österreich und seien bestens integriert. Die BF2 absolviere eine Lehre, der BF3 und die BF4 sprächen deutsch besser als Russisch und verfügten über keine Kentnisse der ukrainischen Sprache, weshalb sie im Fall einer Rückkehr einer massiven psychischen Belastung ausgesetzt seien.

Mit der Stellungnahme wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

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Bericht Amnesty Internationel zur Ukraine 2017/2018

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"Report on Preliminary Examination Activities 2017" des International Criminal Court

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"Report on the human rights situation in Ukraine" von UNHCR

-

Arztbrief BF2 vom 10.10.2018

-

Schulbesuchsbestätigung BF2 Berufsschule

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, der Volksgruppe der Ukrainer zugehörig und Christen. Ihre Muttersprachen sind Ukrainisch und Russisch. Ihre Identität steht infolge der vorgelegten unbedenklichen Dokumente fest.

Die BF stellten am 29.07.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, wobei sie zuvor legal mittels gültiger ukrainischer Reisepässe in das Bundesgebiet eingereist sind. Den BF waren von der Österreichischen Botschaft in Kiew Visa ausgestellt worden. Als Zweck der Reise wurde die medizinische Untersuchung der BF2 angegeben, welche von den BF selbst finanziert wurde.

1.2. Die BF1 hat in der Ukraine studiert und betrieb bis 2014 mehrere Geschäfte. Die BF2 und der BF3 besuchten in der Ukraine die Schule, die BF4 den Kindergarten. In der Ukraine leben noch die Eltern und eine Schwester der Bf1.

1.3. Die BF halten sich seit der Einreise am 21.07.2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Die BF1 geht aktuell keiner Beschäftigung nach. Die BF2 absolviert seit Juli 2017 eine Lehre als Friseurin, der BF3 und die BF4 besuchen die Schule. Die BF1 spricht Deutsch auf dem Niveau A2. Die BF1 und die BF2 sind strafrechtlich unbescholten.

1.4. Der Ehemann der BF1 und Vater der BF2-BF4 ist seit 03.01.2018 im Bundesgebiet gemeldet. Ihm wurde am 21.12.2017 durch die Österreichische Botschaft in Kiew ein Visum ausgestellt und er ist aktuell im Besitz eines bis 31.10.2019 gültigen Aufenthaltstitel als Studierender. Er besucht derzeit im Rahmen des Vorstudienlehrgangs Deutschkurse. Der Ehemann der BF1 hat bisher keinen Asylantrag gestellt. Seit Einreise besteht kein gemeinsamer Haushalt.

1.5. Die BF2 leidet an einer komplexen Tic-Störung (Tourette-Syndrom) und ADHD. Derzeit ist sie wegen Depressionen und Aggressionsneigung in ärztlicher Behandlung. Sie wird medikamentös mit Trittico (Antidepressivum) und Atarax (gegen Unruhe und Schlafstörungen) behandelt.

Die BF1, der BF3 und die BF4 sind gesund.

Die BF leiden aktuell an keinen schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder behandlungsbedürftigen Erkrankungen, die ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.6. Die BF stammen aus dem Gebiet Donezk im Osten der Ukraine. Sie verließen Donezk im Jahr 2014 aufgrund der Kampfhandlungen und ließen sich schließlich in der Stadt Bucha (auch: Butscha) in der Nähe von Kiew nieder, wo sie als Binnenflüchtlinge registriert wurden.

Das Haus der BF wurde durch einen Artillerieschlag zerstört. Die BF1 wurde im März 2015 von bewaffneten Männern in ihrem Haus geschlagen und bedroht.

Der Ehemann der BF1 war bis Ende 2017 als Assistent des Abgeordneten XXXX unter anderem in der Korruptionsbekämpfung tätig.

Die BF waren in der Ukraine keiner an asylrelevante Merkmale anknüpfenden landesweiten staatlichen oder staatlich geduldeten Verfolgung - oder einer sonstigen Verfolgung maßgeblicher Intensität - ausgesetzt und droht ihnen auch im Fall einer Rückkehr keine landesweite asylrelevante Verfolgung.

Die BF wären im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

1.7. Die BF würden im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.8. Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-

DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

-

UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

2. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt.

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

3. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der

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EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

3.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse

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wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlic

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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