Entscheidungsdatum
23.12.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W228 2173947-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter in der Beschwerdesache des XXXX , geboren am XXXX .1999, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 11.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.12.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er in Afghanistan aufgrund seiner Gehörlosigkeit keine Chance auf Arbeit und Bildung habe. Dort wo er aufgewachsen sei, herrsche Krieg. Es habe immer wieder Bombenangriffe gegeben und es sei gefährlich, dort zu leben. Zudem sei er Sunnit und würden die Sunniten von den Schiiten geköpft werden. Die Lebenssituation werde sich nicht verbessern und der Krieg sei noch nicht zu Ende.
Der Beschwerdeführer wurde am 01.09.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers und Gebärdendolmetscher für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in Mazar-e Sharif geboren sei. Seine Angehörigen würden nach wie vor in Afghanistan leben. Er habe die Schule sehr früh verlassen, weil es Streitereien aufgrund der Religion gegeben habe. Er sei Sunnit und sei von den Schiiten immer wieder drangsaliert worden. Im Alter von 17 Jahren habe er dann Afghanistan verlassen. Er habe nie ein eigenes Einkommen gehabt, habe keinen Schulabschluss und habe nie die Möglichkeit gehabt, zu arbeiten. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er in Afghanistan keine Möglichkeit für sich gesehen habe. Er sei gehörlos, habe Angst gehabt und habe nicht gewusst, wohin er gehen solle. Als sein Onkel durch einen Bombenanschlag getötet worden sei, habe er beschlossen, zu fliehen. Hätte es in Afghanistan keinen Krieg gegeben, wäre er geblieben. Sein Leben sei in Gefahr gewesen und er habe in Europa seine einzige Chance gesehen. Er habe mit anderen Gehörlosen gechattet und jene hätten gemeint, seine einzige Möglichkeit sei die Flucht. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer in Afghanistan jemals persönlich bedroht worden sei, gab er an, dass es eine direkte Bedrohung gegen ihn nie gegeben habe. Er sei immer zuhause gewesen und habe das Haus nicht verlassen. Er habe gewusst, dass draußen Leute verschwinden würden und habe er sich deshalb nur zuhause aufgehalten. Befragt, was der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte, gab er an, dass er in Gefahr wäre, weil die Leute, die ihn dort kennen, wissen würden, dass er geflüchtet sei und die Religion nicht mehr so ernst nehme. Die Religion sei dort sehr dominierend. Seine Einstellung habe sich total geändert und die Leute dort würden dies mitbekommen und ihn töten. Er habe hier in Österreich ein neues Leben begonnen, habe eine Freundin und denke nicht daran, nach Afghanistan zurückzukehren.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 07.09.2017, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 07.09.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers habe nicht festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer sei jedoch taubstumm, verfüge über eine sehr geringe schulische Bildung und keinerlei berufliche Ausbildung. Diesem Umstand werde mit der Erteilung des subsidiären Schutzes Rechnung getragen.
Gegen Spruchpunkt I. des verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheides wurde mit Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 17.10.2017 Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund seiner Gehörlosigkeit in einer ausweglosen Lage befunden habe, er um sein Leben gefürchtet habe und deshalb seine Heimat verlassen habe. Er habe sich in Österreich immer mehr vom Islam abgewandt und mit anderen Religionen und Kulturen auseinandergesetzt. Zudem habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Der Beschwerdeführer habe darauf hingewiesen, dass er in Afghanistan aufgrund seiner Gehörlosigkeit um sein Leben gefürchtet habe. Zudem habe er vorgebracht, dass er mit der Rolle der Religion in Afghanistan nicht einverstanden sei. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzen. In weiterer Folge wurde auf diverse Berichte zur Situation in Afghanistan, insbesondere zur Situation Behinderter sowie zur Apostasie, verwiesen, und wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund seiner Behinderung sowie seiner Abkehr vom Islam Verfolgung drohen würde. Dem Beschwerdeführer wäre daher Asyl zu gewähren.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 19.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 10.12.2018 der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Gesellschaftlicher Umgang mit Menschen mit Behinderung vom 13.09.2017, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Diskriminierung und Behandlung von Taubstummen vom 12.12.2017 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Betreuungseinrichtungen für Taubstumme vom 02.08.2016 zur Stellungnahme übermittelt. Zudem wurde der Beschwerdeführer aufgefordert bekanntzugeben, ob es sich bei seiner Gehörlosigkeit um eine angeborene Behinderung handle, bzw. falls nicht, wurde ihm aufgetragen zu beschreiben, wann die Behinderung eingetreten sei bzw. wodurch sie verursacht worden sei.
Am 28.12.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 27.12.2018 datierte Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht seit der Geburt gehörlos sei; es handle sich daher nicht um eine angeborene Behinderung. Im Baby- bzw. Kleinkindalter sei der Beschwerdeführer an einer ihm nicht näher bekannten Krankheit erkrankt, habe an hohem Fieber gelitten und sei in weiterer Folge gehörlos geworden. Der Beschwerdeführer erfülle aufgrund seiner Gehörlosigkeit eindeutig das Risikoprofil der Personen mit Behinderungen. Gehörlose würden in der afghanischen Gesellschaft nicht als physisch Behinderte angesehen, ihnen werde vielmehr eine geistige Behinderung unterstellt. Gehörlose würden oftmals Opfer von verbalen und körperlichen Misshandlungen werden. Die dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgungshandlungen würden jedenfalls die für die Asylrelevanz erforderliche erhebliche Intensität erreichen. Menschen mit Behinderungen würden in Afghanistan eine eigene soziale Gruppe darstellen. Diese Menschen würden von der Gesellschaft schlecht behandelt werden, unter anderem weil die Ansicht weit verbreitet sei, dass ihre Eltern Gott beleidigt hätten.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 16.01.2019 der belangten Behörde das Schreiben an den Beschwerdeführervertreter vom 10.12.2018 sowie die Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 27.12.2018 zur allfälligen Stellungnahme übermittelt.
Die belangte Behörde hat keine Stellungnahme dazu abgegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX .1999. Er stammt aus Mazar-e Sharif. Er verfügt aufgrund seiner Gehörlosigkeit nur über eine geringe schulische Bildung und keinerlei Berufsausbildung oder Berufserfahrung. Er war aufgrund seiner Gehörlosigkeit nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt ausreichend selbständig zu bestreiten, sondern wurde dieser durch seine Familie bestritten.
Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Afghanistan.
Der Beschwerdeführer ist volljährig. Er gehört zur Volksgruppe der Paschtunen, ist sunnitischer Moslem und seine Muttersprache ist Dari.
Der Beschwerdeführer ist illegal spätestens am 11.11.2015 in das Bundesgebiet eingereist. Es halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich auf. Laut den Ausführungen in der Beschwerde hat der Beschwerdeführer in Österreich eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer ist gehörlos. Es handelt sich bei seiner Gehörlosigkeit nicht um eine angeborene Behinderung, sondern litt der Beschwerdeführer im Baby- bzw. Kleinkindalter an einer nicht näher bekannten Krankheit, welche seine Gehörlosigkeit zur Folge hatte. Aufgrund seiner Gehörlosigkeit hat der Beschwerdeführer in Afghanistan sein Elternhaus kaum verlassen und hat sich die meiste Zeit zuhause aufgehalten.
Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner im Baby- bzw. Kleinkindalter aufgetretenen Gehörlosigkeit ausgesetzt wäre. Aufgrund seiner Beeinträchtigung wäre der Beschwerdeführer in seiner Heimat Diskriminierungen und Übergriffen von Seiten Dritter ausgesetzt, gegen die entsprechender staatlicher Schutz nicht ansatzweise besteht. Er würde in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner nach außen hin erkennbaren Behinderung jenem Bevölkerungsanteil zugerechnet werden, der als körperlich und psychisch krank angesehen wird und aufgrund dieser Beeinträchtigung mannigfaltigen und schweren Diskriminierungen und Übergriffen von Seiten der Gesellschaft ausgesetzt sein.
Zur Situation im Herkunftsland Afghanistan wird Folgendes festgestellt:
Medizinische Versorgung:
Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 2.9.2019). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WHO o.D.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 2.9.2019).
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (BFA 4.2018; vgl. MPI 2004, AA 2.9.2019). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (BFA 4.2018). Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 2.9.2019). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. WHO 3.2019, BDA 18.12.2018). Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).
Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte "Out-of-pocket"-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).
Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 2.9.2019). Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab.
Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (BFA 4.2018).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 2.9.2019).
Beispielsweise um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Seit dem Jahr 2009 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (BFA 4.2018).
Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 2.9.2019; vgl. WHO 4.2018).
Auszug aus der Anfragebeantwortung zu Afghanistan:
Gesellschaftlicher Umgang mit Menschen mit Behinderung [a-10317]
Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Menschenrechtslage vom März 2017 (Berichtszeitraum: 2016), dass die schlechte Sicherheitslage in entlegenen Regionen, in denen eine unverhältnismäßig hohe Zahl an Menschen mit Behinderungen leben würde, in manchen Fällen Unterstützungsleistungen unmöglich gemacht habe. Die Mehrheit der Gebäude sei weiterhin für Menschen mit Behinderungen unzugänglich gewesen, was vielen den Zugang zu Bildung, Gesundheitsvorsorge und anderen Diensten verwehrt habe. Zudem seien mit mangelnden wirtschaftlichen Möglichkeiten und sozialer Ausgrenzung konfrontiert gewesen. Die Gesellschaft und sogar eigene Familienangehörige hätten Personen mit Behinderungen schlecht behandelt, da die Auffassung verbreitet sei, dass Personen mit Behinderungen oder deren Eltern "Gott beleidigt hätten".
[...]
In einem Bericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (United Nations Children's Fund, UNICEF) zur Lage von Kindern und Frauen in Afghanistan vom November 2014 wird erwähnt, dass soziale Normen und unzureichende Einrichtungen dazu führen würden, dass Kinder mit Behinderungen zu Hause gelassen würden. Kinder mit Behinderungen seien auch sozialer und staatlicher Diskriminierung ausgesetzt, so etwa durch Mangel an geeigneten Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und einem unzureichenden Verständnis der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die bestehenden Einrichtungen würden nur einen Bruchteil der Bedürfnisse abdecken und seien in nur wenigen urbanen Zentren konzentriert. Daher verbleibe ein Großteil der Kinder mit Behinderungen eingesperrt zu Hause und werde von der Mutter gepflegt, die mit den Bedürfnissen des Kindes überfordert sein könnte.
[...]
Traditionell ist Behinderung in Afghanistan weitestgehend ein Tabu-Thema. Ein Kind mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung zu haben, gilt im Allgemeinen als eine Schande: "Auf die Familien wird ein starker sozialer Druck ausgeübt, damit sie ihr Kind so weit wie irgend möglich von der Öffentlichkeit fernhalten", erklärt Frau Leyluma, die als Sonderschullehrerin für Aschiana (Zentrum in Kabul zur Betreuung von Kindern mit geistiger Behinderung, Anm. ACCORD) arbeitet. "Die Nachbarn stellen Fragen und fällen ihr Urteil über die Eltern. Es kommt vor, dass behinderte Kinder sich nicht an die moralischen Regeln halten, etwas, das in Afghanistan nicht akzeptiert wird."
[...]
Jean-François Trani und Parul Bakhshi, an der Washington University in St. Louis tätige Soziologen, schreiben in einem wissenschaftlichen Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 2013, der auf einer Studie von 5.130 Haushalten in allen 34 Provinzen Afghanistans basiert, dass insbesondere Personen mit angeborener Behinderung (die sogenannten "mayub") von sozialer Ausgrenzung betroffen seien. Im Gegensatz zum Wort "malul", das für "erworbene", d.h. mit eindeutig identifizierbaren Vorfällen wie Kriegsverletzungen und Arbeitsunfälle zusammenhängende Behinderungen stehe, verweise "mayub" auf religiöse bzw. übernatürliche, ungeklärte Ursachen (z.B. auf den Willen Gottes, Geister, Dschinns, schwarze Magie, Schicksal etc.). Die Unterscheidung zwischen "mayub" und "malul" beeinflusse alle Lebensbereiche, darunter gesellschaftliche Akzeptanz und Selbstwertgefühl, Integration im Bildungsbereich, Zugang zum Arbeitsmarkt sowie Heirat. Mayub würden von der Gesellschaft systematisch ausgestoßen, da davon ausgegangen werde, dass ihre Behinderung mit ihrem Schicksal zusammenhänge. Diese Personen würden von der Gesellschaft für ihre Behinderung verantwortlich gemacht. Die von der Gesellschaft ausgehende Feindseligkeit zeige sich auch in beleidigenden Ausdrücken: So würden Mayub als "ungesund" und als "Halb-Menschen" angesehen. Solche Erfahrungen mit Feindseligkeit und Scham würden zu weiterer Isolation führen. Mütter würden etwa befürchten, dass ihre behinderten Kinder in der Schule misshandelt würden. Personen mit jeglicher Art von Lernbehinderung oder psychischer Erkrankung sowie auch Menschen mit Gehörproblemen würden umgangssprachlich als "Dewana", d.h. Personen mit Problemen in Zusammengang mit der Psyche, bezeichnet. Fehlendes Verständnis für derartige Beschwerden und eine Unfähigkeit im Umgang mit Personen mit psychischen Problemen würden zu Vorurteilen und in weiterer Folge zu Exklusion und Ausgrenzung führen.
Wie die Autoren an anderer Stelle anführen, seien Personen mit Behinderungen in vielen Lebenssituationen von sozialer Stigmatisierung betroffen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn eine Behinderung nicht auf eine klar erkennbare Ursache zurückzuführen sei, als "angeboren" angesehen werde oder es dafür kein "Heilmittel" gebe. Dies gelte vor allem für geistige Behinderungen. Aus der Forschungsliteratur gehe hervor, dass nicht nur die Einzelperson, sondern auch die Familie als Ganze Ziel von Vorurteilen werde. So würden solche Familien aus sozialen Netzwerken ausgeschlossen und Geschwister von geistig behinderten Personen würden häufig als für das Heiraten ungeeignet angesehen.
UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:
Personen mit Behinderung, insbesondere Personen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung, sind Berichten zufolge Misshandlungen durch Mitglieder der Gesellschaft ausgesetzt, darunter auch durch Angehörige ihrer eigenen Familien, da ihre Krankheit oder Behinderung als Bestrafung für von den Betroffenen oder ihren Eltern begangene Sünden betrachtet wird. Personen mit Behinderungen sind mit Diskriminierung und mit eingeschränktem Zugang zu Erwerbstätigkeit, Bildung und angemessener medizinischer Betreuung konfrontiert. UNHCR ist der Ansicht, dass - abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles - für Personen mit Behinderungen, insbesondere für Personen mit geistiger Behinderung, sowie Personen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, bestehen kann.
2. Beweiswürdigung:
Hinsichtlich der Herkunft, der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seinen Lebensumständen in Afghanistan stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf die Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellung zu der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gehörlosigkeit beruht auf seinen glaubhaften Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde sowie auf den Ausführungen in der Stellungnahme vom 27.12.2018.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner im Baby- bzw. Kleinkindalter infolge einer Krankheit aufgetretenen Gehörlosigkeit ausgesetzt wäre, beruht auf folgenden Erwägungen:
Es ist festzuhalten, dass Menschen mit Behinderungen, vor allem Personen mit angeborener oder plötzlicher bzw. unerklärlicher Erkrankung, Diskriminierungen aufgrund von Aberglauben ausgesetzt sind. Die afghanische Bevölkerung ist solchen Personen gegenüber im Allgemeinen negativ eingestellt und behandelt diese oft respektlos; Behinderte sind Misshandlungen und Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Der Beschwerdeführer würde in besonderem Maße mit dieser Art der Diskriminierung zu rechnen haben, da seine Gehörlosigkeit nicht mit einem eindeutig identifizierbaren Vorfall zusammenhängt, sondern eine Folge einer nicht näher bekannten Erkrankung im Kleinkindalter ist und der Beschwerdeführer daher als "mayub" einzustufen ist. Personen mit Beeinträchtigungen, die nicht mit eindeutig identifizierbaren Vorfällen (wie z.B. einer Kriegsverletzung) zusammenhängen, werden in Afghanistan von der Gesellschaft für ihr Schicksal selbst verantwortlich gemacht.
Aus der dargelegten Situation ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Gehörlosigkeit im Fall einer Rückkehr in hohem Ausmaß gefährdet wäre, Opfer von Diskriminierungen und Übergriffen zu werden, gegen die ihm ausreichender staatlicher Schutz nicht zur Verfügung steht, da der Staat behinderte Menschen selbst benachteiligt.
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019) dem EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Begründete Furcht liegt vor, wenn diese objektiv nachvollziehbar ist und sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation ebenfalls aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Relevant ist eine Verfolgungsgefahr auch nur dann, wenn diese aktuell ist (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat Afghanistan wegen seiner Gehörlosigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus einem in der GFK genannten Grund verfolgt zu werden, ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts begründet:
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens ergibt sich, dass Menschen mit nach außen hin erkennbaren Behinderungen in Afghanistan in hohem Ausmaß gefährdet sind, Opfer von Übergriffen seitens Dritter zu werden, gegen die ausreichender staatlicher Schutz nicht ansatzweise zur Verfügung steht, da dieser selbst beeinträchtigte Personen diskriminiert.
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt nur dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich an die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung, anknüpft.
Im Fall des Beschwerdeführers steht die Verfolgungsgefahr in einem Konnex zu seiner körperlichen Behinderung (Gehörlosigkeit). Dieser Umstand ist jedenfalls unter dem Aspekt der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (durch Gehörlosigkeit und daraus resultierende Unfähigkeit zum lautsprachlichen Ausdruck betroffene Personen in Afghanistan) relevant. Auch UNHCR ist der Ansicht, dass je nach den einzelfallbezogenen Umständen für Personen mit Behinderungen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bestehen kann.
Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie 2004/83/EG (in der Neufassung 2011/95/EU diesbezüglich unverändert) gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
*die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
* die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Im vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sein persönliches Merkmal der Behinderung nicht verändern kann und die Gehörlosigkeit auch nicht geheilt werden kann. Menschen mit nach außen erkennbaren Behinderungen werden in Afghanistan von der sie umgebenden Gesellschaft auch eindeutig als andersartig betrachtet. Es ist insoweit richtlinienkonform gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d RL 2004/83/EG von einer den Beschwerdeführer umfassenden sozialen Gruppe der Menschen mit Behinderungen in Afghanistan auszugehen.
Aus den gegenständlich getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers geht unter Berücksichtigung der eingeholten Berichte zum Herkunftsstaat hervor, dass diesem aufgrund seiner Situation - einer körperlichen Behinderung (Gehörlosigkeit), die eine Folge einer Erkrankung im Kleinkindalter ist, zudem unheilbar und für uninformierte Dritte "unerklärlich" ist - bei einer Rückkehr nach Afghanistan aller Voraussicht nach soziale und staatliche Diskriminierung droht. Wie bereits ausgeführt ist der Beschwerdeführer, da seine Gehörlosigkeit nicht mit einem eindeutig identifizierbaren Vorfall zusammenhängt, sondern eine Folge einer Erkrankung im Kleinkindalter ist, als "mayub" einzustufen ist. Personen, die "erworbene" Behinderungen - das sind solche, die mit eindeutig identifizierbaren Vorfällen wie etwa Kriegsverletzungen oder Arbeitsunfällen in Zusammenhang stehen - aufweisen, werden als "malul" bezeichnet und sind in weit geringerem Ausmaß Stigmatisierungen und Diskriminierungen ausgesetzt als "mayub" (vgl. VwGH vom 18.10.2018, Ra2018/19/0461).
Die Situation, die dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht, ist daher von asylrelevanter Intensität, und die Verfolgung wurzelt in einem der in der GFK genannten Gründe, und zwar in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
Da sich die oben dargelegte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan gleichermaßen darstellt, besteht keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005.
Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs.1 VwGG 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Behinderung, Diskriminierung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W228.2173947.1.00Zuletzt aktualisiert am
15.06.2020