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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch gesetzwidrige Zusammensetzung des belangten Landesvergabeamtes; Ergänzung der landesgesetzlichen Bestimmung über die Zusammensetzung dieser Kollegialbehörde durch eine EU-Richtlinie hinsichtlich der erforderlichen Qualifikation des Vorsitzenden; Erlassung des bekämpften Bescheides unter Vorsitz einer Person ohne abgeschlossene juristische Berufsausbildung und ohne Qualifikation zum RichteramtSpruch
Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, den beschwerdeführenden Gesellschaften zuhanden ihres Rechtsanwaltes die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die beschwerdeführenden Gesellschaften hatten sich als Bietergemeinschaft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an einer Ausschreibung für die Gewerke Wärme-, Kälte- und Dampfanlagen; Lüftungs- und Klimaanlagen; Sanitär- und Medizinalgasanlagen für einen Erweiterungsbau des Bezirkskrankenhauses Schwaz in Tirol beteiligt. Ihre Angebote fanden in der Zuschlagsentscheidung des Gemeindeverbandsausschusses des Gemeindeverbandes Bezirkskrankenhaus Schwaz vom 15. März 1995 keine Berücksichtigung.
Mit Antrag vom 31. März 1995 an das Landesvergabeamt begehrten die beschwerdeführenden Gesellschaften die Nachprüfung dieser Vergabeentscheidung. Mit dem den beschwerdeführenden Gesellschaften am 30. Juni 1995 zugestellten Bescheid des Landesvergabeamtes wurde nach Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens festgestellt, "daß der Zuschlag im Vergabeverfahren beim Erweiterungsbau des Bezirkskrankenhauses Schwaz für die Gewerke: Wärme-, Kälte- und Dampfanlagen; Lüftungs- und Klimaanlagen; Sanitär- und Medizinalgasanlagen dem Bestbieter erteilt wurde und dem Antragsteller auch bei Einhaltung der Bestimmungen des Landesvergabegesetzes der Zuschlag nicht erteilt worden wäre".
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Erwerbsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides mit der Begründung begehrt wird, das Landesvergabeamt habe Preisnachlässe der zum Zuge gekommenen Bieter in grob unrichtiger Weise berücksichtigt.
3. Das belangte Landesvergabeamt hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde begehrt. Auch der Gemeindeverband Bezirkskrankenhaus Schwaz verteidigt in einer Äußerung den bekämpften Bescheid.
Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
II. 1. Das Landesvergabeamt beim Amt der Tiroler Landesregierung ist eine - weisungsfreie (vgl. Art20 Abs2 B-VG iVm §6 Tiroler Vergabegesetz (TVergG)) - kollegiale Verwaltungsbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG, deren Bescheide gemäß §6 Abs7 TVergG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen. Der Instanzenzug ist daher erschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 8731/1980, 10022/1984, 11350/1987).
b) Gemäß §6 Abs1 TVergG besteht das - weisungsfreie - Landesvergabeamt beim Amt der Tiroler Landesregierung aus:
"a) einer mit den Angelegenheiten des Vergabewesens vertrauten Person als Vorsitzendem,
b) einem rechtskundigen Bediensteten des Amtes der Tiroler Landesregierung als Berichterstatter,
c)
einem Mitglied aus dem Richterstand,
d)
je einem von der Wirtschaftskammer Tirol, der Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer für
Tirol und Vorarlberg, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol und dem Tiroler Gemeindeverband
vorzuschlagenden Mitglied, das mit den Angelegenheiten des Vergabewesens vertraut ist".
Nach Art2 Abs8 der für die Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der hier maßgeblichen Art relevanten Richtlinie des Rates (der Europäischen Gemeinschaften) vom 21. Dezember 1989, 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, muß unter anderem zumindest der Vorsitzende einer für eine Nachprüfung zuständigen Instanz, die kein Gericht ist, die juristischen und beruflichen Qualifikationen eines Richters besitzen. Diese Vorschrift ist nach Rechtsnatur, Systematik und Wortlaut (vgl. EuGH 4.12.1974, Rs 41/74, van Duyn, Slg. 1974, 1337) geeignet, unmittelbare Wirkungen zu entfalten. Die Regelung ist nämlich unbedingt und inhaltlich hinreichend genau formuliert (vgl. zB EuGH 5.4.1979, Rs 148/78, Ratti, Slg. 1979, 1629; 19.1.1982, Rs 8/81, Becker, Slg. 1982, 53) und vermittelt dem einzelnen ein Recht auf Überwachung durch ein in bestimmter Weise zusammenzusetzendes unabhängiges Organ (vgl. EuGH 15.5.1986, Rs 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651). Die Vorschrift ist daher und weil der Tiroler Landesgesetzgeber, der zu ihrer Umsetzung in das nationale Recht schon seit Inkrafttreten des EWR-Abkommens am 1.1.1994 verpflichtet war, sie nicht entsprechend umgesetzt hat, insoweit unmittelbar anwendbar (vgl. neben den zitierten Entscheidungen auch EuGH 22.6.1989, Rs 103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839).
Die genannte Richtlinienbestimmung hat infolgedessen die lita des zitierten §6 Abs1 TVergG so ergänzt, daß der Vorsitzende des Landesvergabeamtes eine mit den Angelegenheiten des Vergabewesens vertraute und zum Amt eines Richters juristisch und beruflich qualifizierte Person sein muß, wobei auf die Qualifikation des Richters im nationalen Recht verwiesen ist.
c) Wie aus den Verwaltungsakten hervorgeht, hat das Landesvergabeamt den bekämpften Bescheid unter Vorsitz des Landesbaudirektors beim Amt der Tiroler Landesregierung, eines Diplomingenieurs, der weder über eine abgeschlossene juristische Berufsausbildung noch über sonstige Voraussetzungen zum Richteramt verfügt, erlassen. Schon deshalb war die entscheidende Kollegialbehörde gesetzwidrig zusammengesetzt, sodaß ihr Bescheid die beschwerdeführenden Gesellschaften im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Angesichts dessen war es entbehrlich, auf weitere Fragen der Übereinstimmung der Rechtsvorschrift des §6 TVergG und der konkreten Besetzung des Landesvergabeamtes mit gemeinschaftsrechtlichen (vgl. Art2 Abs8 der zitierten Richtlinie) Bestimmungen einzugehen. Bedenken ob der Übereinstimmung einer Kontrollbehörde in Vergabesachen, die unter Vorsitz des im übrigen weisungsgebundenen Landesbaudirektors steht, mit den Anforderungen des Art6 EMRK (vgl. zB VfSlg. 10639/1985, 11131/1986) wäre durch eine rechtsgemäße Zusammensetzung des Tiroler Landesvergabeamtes im Sinne auch des Art2 Abs8 der zitierten Richtlinie der Boden entzogen, sodaß darauf ebenfalls nicht näher eingegangen zu werden brauchte.
d) Der Bescheid war somit aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
Vergabewesen, EU-Recht Richtlinie, Kollegialbehörde, Anwendbarkeit EU-Recht, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B2477.1995Dokumentnummer
JFT_10039388_95B02477_00