TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/27 W154 2134634-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.01.2020
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Entscheidungsdatum

27.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
IntG §10
IntG §9

Spruch

W154 2134634-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.8.2016, Zl. 1067352904 - 150466045/BMI-BFA_SBG_AST_01_TEAM_03, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9 und 10 Integrationsgesetz wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 6.5.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Er wurde am 8.5.2015 niederschriftlich im Rahmen einer Erstbefragung einvernommen und gab eingangs an, in Quetta in Pakistan geboren und von dort ausgereist zu sein, der Volksgruppe der Hazara sowie dem schiitischen Glauben anzugehören und von 2006 bis 2012 in Quetta die Schule besucht zu haben. Zuletzt sei er KFZ-Lehrling gewesen, sein Vater wäre verschollen, die Mutter lebe noch in Pakistan.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, dass sein Vater Hazara und die Mutter Paschtunin sei und die Beiden ohne die Einwilligung ihrer Familie geheiratet hätten. Der Vater wäre seit einigen Jahren verschwunden, sie wüssten nicht, wo er sich befinde bzw. ob er noch lebe. Die Mutter hätte sich alleine um den Beschwerdeführer gekümmert und als Schneiderin für den Lebensunterhalt gesorgt. Er sei der einzige Sohn und deswegen habe die Mutter auf ihn sehr achtgegeben. Da die Hazara in Pakistan verfolgt und getötet würden, hätte sie ihn aus Angst um sein Leben nicht mehr zur Schule gehen lassen. In ihrem Gebiet hätten sie ständig Angst vor Bombenangriffen gehabt. Auch wenn der Beschwerdeführer nicht wie ein Hazara aussehe, hätten sie an den Narben an seinen Rücken erkannt, dass er Schiit sei. Aus diesem Grund habe seine Mutter die Flucht organisiert.

Nachdem der Beschwerdeführer im Juli 2015 einer Altersfeststellung durch einen Sachverständigen unterzogen worden war, wurde sein Geburtsdatum als das im Spruch erstgenannte festgestellt.

Am 13.11.2015 langte bei der belangten Behörde der Bescheid des AMS betreffend die Beschäftigungsbewilligung des Beschwerdeführers für die berufliche Tätigkeit als Koch (Lehrling / Auszubildender) für die Zeit vom 16.12.2015 bis 15.3.2019 ein.

Am 21.1.2016 wurde der Beschwerdeführer aus der Grundversorgung entlassen, weil er seinen Lehrvertrag als Koch angetreten hatte und deshalb auch in einem Personalzimmer seines Arbeitgebers, eines Fünfsternehotels in einer Tourismusregion, wohnte.

Am 28.1.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Dabei legte er zunächst den seit 12.12.2015 gültigen Lehrvertrag, ein Empfehlungsschreiben Hotel und Küche sowie drei weitere Empfehlungsschreiben vor und erklärte, einen A1 Deutschkurs zu besuchen und bald zur Prüfung anzutreten.

Zu seiner in Quetta lebenden Mutter gebe es zwei- bis dreimal pro Woche telefonischen Kontakt. Die Familie habe dort ein Haus gemietet, der Beschwerdeführer sei dort 6 Jahre - bis zum Jahr 2012 - zur Schule gegangen und dann als Mechaniker tätig gewesen. Er sei gläubiger Shiite und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. In Quetta gebe es eine Splittergruppe der Taliban, die die Schiiten verfolge, er selbst sei jedoch persönlich nicht konkret bedroht worden.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er konkret vor, dass sein Vater Hazara und die Mutter Paschtunin sei und die Eltern gegen den Willen der Familie geheiratet hätten. Daraus seien Konflikte entstanden und der Onkel habe Probleme gemacht, weshalb die Eltern im Jahr 1998 beschlossen hätten, sich im ca. 2 Stunden mit dem Auto entfernten Quetta niederzulassen. Die Familie hätte dort ein normales Leben geführt, bis sein Vater eines Tages im Jahr 2010 bei einer Bombenexplosion ums Leben gekommen sei und sie ihn seither nie wiedergesehen hätten. Dann sei es zu einem Kampf zwischen Schiiten und Sunniten gekommen und im Jahr 2012 eine Bombe in einem Bus hochgegangen. Da seine Mutter daraufhin Angst um den Beschwerdeführer gehabt habe, hätte er nicht mehr zur Schule gehen können und habe in weiterer Folge als Mechaniker gearbeitet. Vor ca. zwei Jahren sei in ihrer Gegend eine Bombe explodiert und der Beschwerdeführer habe einen Splitter in sein Bein bekommen. Als er letztes Jahr im Jänner mit seinen Freunden vor seinem Haus gestanden sei, seien zwei Motorräder mit vier Personen vorbeigefahren, eines zurückgekehrt, sie seien mit Kalaschnikows beschossen worden und zwei Freunde des Beschwerdeführers ums Leben gekommen sowie einige Leute schwer verletzt und der Beschwerdeführer am Arm getroffen worden. Man hätte deshalb auf sie geschossen, weil man gewusst habe, dass dort Schiiten leben. Letztendlich habe seine Mutter entschieden, dass der Beschwerdeführer das Land verlassen solle, zumal er auch die Täter gesehen habe.

Der Beschwerdeführer glaube eher nicht, dass der Onkel ihn jetzt erkennen würde. Mittlerweile wisse jener auch, wo die Eltern nach ihrer Heirat hingezogen seien. Dies habe ihm die Mutter erzählt, als sich der Beschwerdeführer in Traiskirchen befunden habe. Sie lebe nun woanders, und habe keine Probleme.

Er sei wegen des Krieges von Quetta nach Europa geflüchtet. In Afghanistan hätte er keine Sicherheit, diese Gruppierungen, die sie angeschossen hätten, würden ihn dort finden. Nachgefragt, welche Probleme er nach einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, erwiderte der Beschwerdeführer, er hätte Angst vor dem Krieg und deshalb habe ihn seine Mutter aufgefordert, zu flüchten. Zudem kenne er niemanden in Afghanistan. Er hätte Angst vor dem Krieg und Angst um seine persönliche Sicherheit. Konkret würde er durch die Gruppe, die ihn angeschossen habe, und in Afghanistan durch seinen Onkel bedroht.

Mit Schreiben vom 4.2.2016 wurde dem Bundesamt ein weiteres Empfehlungsschreiben seines Lehrbetriebes übermittelt.

In einer Stellungnahme vom 18.7.2016 wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und auf die Situation der Hazara unter dem Regime der Taliban hingewiesen.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage (Spruchpunkt IV.).

Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in der nunmehr vorgebracht wurde, der Onkel hätte damals gedroht, er würde Mutter und Sohn umbringen. Im Falle der Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Blutrache betroffenen Personen Verfolgung durch eben diesen Onkel, einem bekannten Juwelier aus Kandarhar, der auch in Kabul und Herat arbeite und dort gut vernetzt sei. Auch hätte dieser aus Sicherheitsgründen oft und viel mit der Polizei zu tun und viele Freunde und Bekannte. Zudem sei der Beschwerdeführer in Afghanistan einer Verfolgung als schiitischer Hazara ausgesetzt. Der Beschwerde angefügt wurden nochmals eine Empfehlung des Küchenchefs sowie seines Arbeitgebers.

Im Rahmen ihrer Beschwerdevorlage vom 2.9.2016 nahm das Bundesamt zum Beschwerdevorbringen im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass es sich bei Blutrache um ein Prinzip zur Sühne von Verbrechen handle, bei dem Tötungen oder andere Ehrverletzungen durch Tötungen gerecht würden. Sie stelle die Ultima Ratio der Konfliktbewältigung innerhalb der Fehde dar. Die Familie des Beschwerdeführers habe fast 20 Jahre ungehindert in einem von Afghanen beeinflussten Gebiet leben können. Wenn sein Onkel wirklich derartige Absichten gehabt hätte, eine Blutfehde durchführen zu wollen, wäre es ihm sicherlich möglich gewesen, dies auch im nahen Pakistan bewerkstelligen zu können. Da die Familie dort ohne jede Bedrohung durch den Onkel gelebt habe, sei anzunehmen, dass dieser von seinem, nicht auf dem Beschwerdeführer umlegbaren, Verhalten abgekommen sei. Es sei seitens der belangten Behörde nicht glaubhaft, dass eine derartige Gefährdung relevant wäre.

In einer ergänzenden Eingabe des Beschwerdeführers vom 11.11.2016 wurden folgende weitere Nachweise zur Integration vorgelegt: A1 Zertifikat vom 17.8.2016, Zeugnis seines Arbeitgebers, Einberufung zum Berufsschulbesuch sowie die dazugehörige Schulbesuchsbestätigung samt Einzahlungsbestätigung des Schulgeldes. Zudem wurde auf die Sicherheitslage in Afghanistan für Schiiten hingewiesen.

Am 31.1.2017 wurde dem Bundesverwaltungsgericht das Jahreszeugnis des Beschwerdeführers als Koch für das Schuljahr 2016/17 der Landesberufsschule übermittelt.

Am 3.7.2018 langten beim Bundesverwaltungsgericht ein Empfehlungsschreiben des Lehrbetriebes des Beschwerdeführers vom 2.5.2018 sowie eine Bestätigung vom 28.6.2018 darüber, dass der Beschwerdeführer nach Abschluss seiner Lehre über die gesetzliche Behaltefrist hinaus weiterhin beschäftigt werde, ein.

Am 7.2.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht der am 15.12.2018 abgeschlossene unbefristete Arbeitsvertrag des Beschwerdeführers bei seinem ehemaligen Lehrbetrieb als Jungkoch - Commis de Cuisine beginnend mit 16.12.2018 vorgelegt. Weiters wurden das Jahres- und Abschlusszeugnis vom 31.10.2018 der dritten Fachklasse für den Lehrberuf Koch (Schuljahr 2018/19), der Bescheid der Wirtschaftskammer des Landes vom 31.1.2019, mit dem der Beschwerdeführer zur Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Koch zugelassen wurde, nochmals das Empfehlungsschreiben seines Arbeitgebers (ehemaligen Lehrbetriebes) vom 2.5.2018, eine Teilnahmebestätigung der Landesberufsschule an der unverbindlichen Übung kreatives Kochen (24 Unterrichtseinheiten) sowie eine Urkunde, laut der der Beschwerdeführer im Rahmen der Landesmeisterschaft der Lehrlinge in Tourismusberufen im Bereich "Goldener Kochlöffel" Gold erreicht hat, übermittelt.

In weiterer Folge traf beim Bundesverwaltungsgericht die Beschäftigungsbewilligung des AMS für den Beschwerdeführer für die Zeit vom 16.3.2019 bis 15.5.2019 für eine Ganztagsbeschäftigung im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche mit einem monatlichen Entgelt von €

2369 brutto ein.

Am 15.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm. Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, in Quetta geboren und nur einmal mit seinen Eltern im Alter von acht oder neun Monaten in Afghanistan (Uruzgan) aufhältig gewesen zu sein. Gelebt habe er dort aber nicht. Den Grund der Reise und wie lange er sich mit den Eltern dort aufgehalten habe wisse er nicht. Im Quetta habe er 6 bis 7 Jahre eine normale Schule (die Grundschule nach dem Kindergarten) besucht. Beruf hätte er in Pakistan keinen erlernt, aber als Automechaniker gearbeitet. Von seiner Geburt bis zur Ausreise habe er immer in Quetta gelebt. Jetzt befinde sich nur mehr seine Mutter dort, sein Vater sei seit einem Bombenanschlag am 3.9.2010 nicht mehr aufgetaucht. Geschwister habe der Beschwerdeführerkeine, Verwandte väter- oder mütterlicherseits kenne er nicht. Der Beschwerdeführer selbst sei gesund und leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.

Zu seiner Rückkehrbefürchtung befragt, gab der Beschwerdeführer an, in Afghanistan niemanden zu kennen und keine Angehörigen zu haben. Der Bruder seiner Mutter stelle ein Problem dar. Die Eltern des Beschwerdeführers hätten geheiratet, obwohl sein Vater Hazara und die Mutter Paschtunin aus Kandarhar sei. Deswegen hätten die Eltern Probleme mit der Familie gehabt. Nach der Geburt des Beschwerdeführers hätten sie hauptsächlich ihm Probleme bereiten wollen. Konkret meine der Beschwerdeführer damit den Bruder der Mutter. Danach hätte die Familie in Quetta gelebt, wo sich der Beschwerdeführer ausgebildet habe. Nachdem die Bombenanschläge stattgefunden hätten, sei es problematisch geworden. Er hätte weder die Schule besuchen, noch arbeiten können. Freunde von ihm wären ums Leben gekommen, wozu er (bei der belangten Behörde) Fotos vorgelegt habe.

Wann sich die Eltern des Beschwerdeführers genau zur Ausreise nach Quetta entschlossen hätten, wisse der Beschwerdeführer nicht. Die Mutter habe ihm nur erzählt, dass sie in Afghanistan Probleme mit ihrer Familie gehabt habe, weil sie seinen Vater geheiratet hätte und ihr Onkel gegen diese Heirat gewesen sei. Sonst hätte sie nichts erzählt, auch nicht, in welchem Zeitraum sich das Ganze abgespielt hätte. Der Onkel mütterlicherseits würde den Beschwerdeführer nicht akzeptieren, weder er selbst noch dessen Familie. Dies habe ihm seine Mutter erzählt. Wo sich der Onkel gegenwärtig aufhalte, wisse der Beschwerdeführer nicht, er werde wahrscheinlich in Afghanistan sein.

Nachgefragt, welche konkrete Gefährdung seiner Person der Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Afghanistan zu befürchten habe, gab dieser an, die Familie seines Onkels, der Onkel selbst, die Taliban, weitere Terroristen. Mit diesen Problemen sei er auch in Quetta konfrontiert gewesen.

Wann die Eltern geheiratet hätten, wisse der Beschwerdeführer nicht, die Eheschließung habe in Kabul stattgefunden, die Hochzeit später in Quetta. Nochmals nachgefragt, wieso der Beschwerdeführer glaube, persönlich von einer Verfolgung seitens des Onkels bedroht zu sein, erwiderte er, seine Mutter habe ihm erzählt, dass er ihn keineswegs akzeptieren würde. Weshalb wisse er nicht, sie hätten ein Problem untereinander gehabt. Weshalb die Eltern nach der Geburt des Beschwerdeführers nach Afghanistan zurückgekehrt seien, wisse der Beschwerdeführer auch nicht, er sei damals acht oder neun Monate alt gewesen. Nochmals gefragt, welche persönliche Bedrohung der Beschwerdeführer seitens seines Onkels zu befürchten habe, erwiderte dieser, sie wollten ihn töten, sonst gar nichts. Er habe keine Kenntnis darüber, warum sie es wollten, seine Mutter hätte es ihm erzählt. Da der Onkel viel mit Soldaten und der Polizei zu tun habe, würde er erfahren, wenn der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehren würde. Der Onkel sein Händler, er kaufe und verkaufe Autos und Gold in Kandarhar. Er sei in ganz Afghanistan beruflich tätig, sogar bis zur Grenze Pakistans.

Zu seiner Integration in Österreich führte der Beschwerdeführer aus, am 15.12.2015 mit der Lehre als Koch begonnen und drei Jahre eine Ausbildung gemacht, die Berufsschule besucht und die Lehrabschlussprüfung absolviert zu haben. Nach der Lehre habe er bei einem Wettbewerb mitgemacht und dabei den zweiten Platz erreicht. Beim Landesmeisterschaftswettbewerb habe er ebenfalls den zweiten Platz gemacht und zudem eine Goldmedaille bekommen. Anschließend habe er beim Staatsmeisterschaftswettbewerb für ganz Österreich die Silbermedaille erreicht. Zudem habe er einen Englisch Kurs A2+ besucht und einen Deutschkurs mit dem Niveau A1 sowie einen Kurs B1-Integration. Das Zeugnis habe er noch nicht, ihm sei gesagt worden, dass es drei Wochen dauere. Derzeit sei er beim Nationalteam für Köche als Jungkoch tätig. Im Jahr 2020 werde er bei der Kocholympiade mitmachen, in Kürze würde das Kochtraining anfangen. Zudem seien Zeitungen erschienen, die er gerne vorlegen könne. Jetzt im November habe er Urlaub, im Dezember werde er wieder zu arbeiten beginnen.

Der Beschwerdeführer legte folgende Unterlagen vor:

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zwei Urkunden "Kreatives Kochen" einer Landesberufsschule,

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Fotos mit dem Beschwerdeführer und erworbenen Medaillen und Urkunden,

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sonstige Fotos und Fotos mit dem Bundeskanzler,

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diverse Zeitungsartikel über den Beschwerdeführer und seine Tätigkeit als Koch,

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Lohnzettel des Beschwerdeführers von Juli, August und September 2019,

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drei Schreiben seines Arbeitgebers, zuletzt vom 05.11.2019,

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Bestätigung über einen Englischkurs vom 26.09.2019,

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Urkunde über die Lehrabschlussprüfung als Koch vom 23.05.2019 (im Original vorgelegt, als Kopie im Akt),

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Jahres- und Abschlusszeugnis der Landesberufsschule, Schuljahr 2018/2019 vom 31.10.2018, (im Original vorgelegt, als Kopie im Akt),

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drei Urkunden der Wirtschaftskammer über die Teilnahme an Lehrlingswettbewerben samt errungener Platzierungen,

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Urkunde der "Junior Skills Austria", erhaltene Silbermedaille

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weiters: zwei Unterstützungsschreiben seiner Wohngruppe vom 21.05.2016 und 22.06.2016.

Der Beschwerdeführer habe ein eigenes Zimmer in dem Hotel, in dem er arbeite und zudem eine österreichische Staatsbürgerin, die in demselben Hotel wie er arbeite, als Freundin. Überdies pflege er viele Freundschaften mit österreichischen Staatsbürgern.

Unterstützung vom Staat erhalte er keine und lebe von der Arbeit, die er verrichte. Seit Dezember 2015 sei er selbsterhaltungsfähig.

Vor seiner jetzigen Tätigkeit habe der Beschwerdeführer im Asylheim freiwillig gearbeitet, für die Leute gekocht, sie ins Krankenhaus begleitet und für sie gedolmetscht. Da er jetzt nur einmal in der Woche freihabe, gehe sich dies nun nicht mehr aus. Er sei jedoch Mitglied im Kochnationalteam und würde sehr gerne - auch auf Wunsch seines Küchenchefs hin - im Februar 2020 an der Kocholympiade teilnehmen.

Das Zeugnis A1 wurde im Original vorgelegt (liegt nunmehr in Kopie bei). Hinsichtlich des B1-Kurses gebe es aktuell nur eine Teilnahmebestätigung (Kopie betreffend ÖIF-Integrationsprüfung B1, vom 25.10.2019). Seitens der erkennenden Richterin wurde angemerkt, dass der Beschwerdeführer über ausgezeichnete Deutschkenntnisse verfügt.

Vorgelegt werden die allgemeinen Feststellungen der Staatendokumentation, LIB Afghanistan, Stand 13.11.2019 und eine Steelungnahmefrist von vier Wochen eingeräumt.

Am 12.12.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, der ein Versicherungsdatenauszug sowie ein Schreiben seiner Freundin angefügt wurden. Bezüglich des Versicherungsdatenauszuges wurde angemerkt, dass der Beschwerdeführer - wie in der Gastronomie üblich - während der Betriebsferien vom 1.11.2019 bis 10.12.2019 abgemeldet worden sei. Da der Versicherungsdatenauszug am 18.11.2019 erstellt worden sei, sei die Wiederanmeldung mit 10.12.2019 daraus nicht ersichtlich. Aus diesem Grund werde die Anmeldung durch die Gebietskrankenkasse ebenfalls beigelegt, aus welcher hervorgehe, dass der Beschwerdeführer seit 10.12.2019 wieder ganz normal arbeite.

Angemerkt wurde, dass der Beschwerdeführer aus der Provinz Uruzgan stamme, welche zu den besonders volatilen Provinzen mit hoher Talibanaktivität zähle. Im Falle des Beschwerdeführers liege eine multiple Vulnerabilität vor. Er sei in Pakistan geboren und habe dort sein gesamtes Leben (unterbrochen von einem kurzen Aufenthalt in Afghanistan im Babyalter) verbracht. Es existierten keine Erinnerungen oder Erfahrungen in Afghanistan und er verfüge dort weder über Familienangehörige noch über ein sonstiges soziales Netzwerk. Unterstützungsleistungen durch seine Mutter aus Pakistan sei nicht zu erwarten. Auch habe er keinerlei Ortskenntnisse und kenne die lokalen Gepflogenheiten in Afghanistan nicht.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit nunmehr vier Jahren und neun Monaten in Österreich und es sei ihm gelungen, sich in dieser Zeit außergewöhnlich gut zu integrieren. Seine Deutschkenntnisse seien ausgezeichnet, mindestens auf B1 Niveau, wie die Richterin im Verhandlungsprotokoll auch ausdrücklich festgehalten habe. Darüber habe der Beschwerdeführer erfolgreich die Lehre im Mangelberuf Koch abgeschlossen und arbeite seit nunmehr vier Jahren in einem Hotel in einer Tourismusregion. Er sei seit vier Jahren selbsterhaltungsfähig und habe in seinem Beruf an zahlreichen Wettbewerben, zum Beispiel der Staatsmeisterschaft, teilgenommen und Medaillen gewonnen. Auch sei er im österreichischen Nationalteam und plane, an der Olympiade im Februar 2020 in Deutschland teilzunehmen. Zahlreiche Fotos, unter anderem mit dem Bundeskanzler, seien der Verhandlung vorgelegt worden. Diese Integration sei hervorragend und außergewöhnlich im Sinne der neuen strengen Rechtsprechung des VwGH. Der Beschwerdeführer führe außerdem seit 2017 eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, es gebe gemeinsame Heiratspläne. Neben seiner Partnerin und seinen Vorgesetzten habe er zahlreiche weitere österreichische Freunde und Bekannte und sei in seiner Heimatgemeinde besonders integriert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben an. Er wurde in Quetta in Pakistan geboren, lebte dort bis zu seiner Ausreise mit seinen Eltern bzw. ab dem Verschwinden seines Vaters mit der Mutter, besuchte ca. sechs Jahre lang die Schule und arbeitete dann als KFZ-Mechaniker. In Afghanistan hielt er sich nur einmal kurz im Babyalter mit seinen Eltern auf und zwar in Uruzgan, der ursprünglichen Herkunftsprovinz.

Die Mutter des Beschwerdeführers befindet sich in Quetta, in Afghanistan hat der Beschwerdeführer keine Kontakte zu Verwandten oder sonstige soziale Verbindungen.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, in Afghanistan als Angehöriger der sozialen Gruppe seiner Familie von seinem Onkel mütterlicherseits verfolgt zu werden. Ebenso wenig konnte er glaubhaft machen, in der Heimat aktuell und persönlich in der hier relevanten Intensität wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit bedroht zu werden.

Beim volljährigen Beschwerdeführer handelt es sich um einen alleinstehenden, gesunden und leistungsfähigen Mann. Er wuchs zwar nicht in Afghanistan auf, wurde jedoch von afghanischen Eltern sozialisiert und beherrscht eine Landessprache (Dari) auf muttersprachlichem Niveau. Zudem hat er in Pakistan eine sechsjährige Schulbildung absolviert und bereits Berufserfahrung als KFZ-Mechaniker sowie eine Ausbildung samt Berufserfahrung als Koch und Englischkenntnisse auf A2+ Niverau. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig und erwirtschaftet sich seit mehreren Jahren selbstständig seinen Lebensunterhalt. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist deshalb - obwohl er nicht in Afghanistan lebte - in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin und Ansiedelung in Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

Der Beschwerdeführer wurde bereits am 21.1.2016 aus der Grundversorgung entlassen, weil er einen Lehrvertrag als Koch angetreten hatte und deshalb seitdem auch in einem Personalzimmer seines Arbeitgebers wohnt. Im Dezember 2015 begann er seine Lehre als Koch in einem Fünfsternehotel in einer Tourismusregion, die er nach der Absolvierung der Berufsschule mit der Lehrabschlussprüfung am 23.5.2019 erfolgreich beendete. Zudem legte er zwei Urkunden "Kreatives Kochen" der Landesberufsschule vor, und nahm an mehreren Kochwettbewerben (Landes- bzw. Staatsmeisterschaften) teil, bei denen er Gold bzw. Silber erreichte.

Seit 16.12.2018 ist er legal bei seinem ehemaligen Lehrbetrieb unbefristet als Jungkoch - Commis de Cuisine tätig (laut Arbeitsvertrag vom 15.12.2018), wobei die vorgelegten Lohnzettel mit Stand September 2019 ein monatliches Bruttogehalt von € 2.446,07 aufweisen.

Der Beschwerdeführer verfügt über ausgezeichnete Deutschkenntnisse. Er legte ein ÖSD Zertifikat A1 vom 17.8.2016 vor und trat am 25.10.2019 bei der ÖIF Integrations Prüfung B1 an. Zudem lernte er im Bundesgebiet Englisch bis zum Niveau A2+.

Bervor er mit der Lehre begann, arbeitete der Beschwerdeführer freiwillig im Asylheim, kochte für die Leute, begleitete sie ins Krankenhaus und dolmetschte. Er ist Mitglied im Kochnationalteam und bereitet sich - auch auf Wunsch seines Küchenchefs hin - auf die im Februar 2020 stattfindende Kocholympiade vor.

Er hat viele Österreicher als Freunde und konnte eine große Anzahl an Unterstützungsschreiben seines Arbeitgebers sowie seiner Wohngruppe vorlegen. Auch hat er seit 2017 eine österreichische Staatsbürgerin als Freundin.

Insgesamt ist die Integration des Beschwerdeführers als außergewöhnlich gut festzustellen.

Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers (Stand: 13.11.2019):

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Quellen:

• AAN - Afghanistan Analysts Network (9.6.2019): Civilians at

Greater Risk from Pro-government Forces: While peace seems more elusive?,

https://www.afghanistan-analysts.org/civilians-at-greater-risk-from-pro-government-forces-while-peace-seems-more-elusive/, Zugriff 12.7.2019

• AAN - Afghanistan Analysts Network (24.2.2019): Record Numbers of Civilian Casualties Overall, from Suicide Attacks and Air Strikes:

UNAMA reports on the conflict in 2018, https://www.afghanistananalysts.org/recordnumbersofciviliancasualtiesoverallfromsuicideattacksandairstrikesunamareportsontheconflictin2018/, Zugriff 3.6.2019

• AAN - Afghanistan Analysts Network (19.2.2019): "Faint lights twinkling against the dark": Reportage from the fight against ISK

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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