TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/13 W254 2148832-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.03.2020
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Entscheidungsdatum

13.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61 Abs1 Z1
FPG §61 Abs2

Spruch

W 254 2148832-2/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat:

"I. Der Antrag auf internationalen Schutz vom 10.07.2015 wird gemäß § 4a Asylgesetz 2005 zurückgewiesen und festgestellt, dass XXXX sich nach Ungarn zurück zu begeben hat.

II. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 Asylgesetz 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen XXXX die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG 2005 angeordnet. Demzufolge ist gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Ungarn zulässig."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im österreichischen Bundesgebiet am 10.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 12.07.2015 erfolgte die Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

1.2. Am 14.11.2016 brachte der BF eine Säumnisbeschwerde beim BFA ein, die dem Bundesverwaltungsgericht am 01.03.2017 vorgelegt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht beauftragte mit Schreiben vom 04.04.2017 das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit der Einvernahme des BF.

1.3. Am 11.05.2017 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dem Minderheitenclan der Madhiban anzugehören und aus XXXX zu stammen und aufgrund seiner Clanzugehörigkeit im Zusammenhang mit einem Grundstücksstreit geflüchtet zu sein. Zu seinen familiären Bindungen in Österreich befragt, gab er an, in Österreich traditionell geheiratet zu haben und eine Tochter namens XXXX zu haben.

1.4. Am 19.07.2018 stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss das Säumnisbeschwerdeverfahren wegen Zurückziehung der Säumnisbeschwerde ein.

1.5. Am 21.08.2018 wurde der BF nochmals vom BFA einvernommen. In der Einvernahme legte der BF die Geburtsurkunde seiner zweitgeborenen Tochter, XXXX , geboren am XXXX samt Anerkennung der Vaterschaft vor. Zu seinem Familienleben in Österreich brachte er vor, dass er seit 2015 mit seiner Frau zusammen lebe, zwei Kinder habe und dass seine Frau und er sich gegenseitig unterstützen und dass sie gemeinsam auf den Spielplatz gingen. Wenn seine Kinder etwas bräuchten und er Geld habe, unterstütze er sie finanziell.

1.6. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft habe machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der BF sei bei einer Rückkehr nach Somalia in der Lage eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden, er verfüge auch über einen Onkel in Mogadischu. Der Beschwerdeführer habe eine asylberechtigte Partnerin, die er in Österreich kennengelernt habe und zwei Töchter, die ebenfalls (abgeleitet) asylberechtigt sind. Ein Eingriff in sein Familienleben gemäß Art. 8 EMKR wurde nicht festgestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass es in Österreich viele Alleinerziehende gibt, die auf pädagogische Einrichtungen zur Erziehung der Kinder zurückgreifen würden. Es stehe dem BF offen im Wege niederlassungsrechtlicher Bestimmungen die legale Einreise nach Österreich zu beantragen.

Der BF erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte betreffend der Rückkehrentscheidung vor, dass die Zeugeneinvernahme von XXXX beantragt werde, zum Beweis des aufrechten Familienlebens. Ein Aufwachsen der minderjährigen Töchter ohne Vater würde jedenfalls nicht dem Kindeswohl entsprechen.

1.7. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Parteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12.01.2018, zuletzt am 17.09.2018 aktualisiert, Focus Somalia, Clans und Minderheiten des Schweizer Staatssekretariats für Migration SEM vom 31.05.2017, der Fact Finding Mission Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia von August 2017, die Länderinformation zur Versorgungslage in Mogadischu von 2018 und Ein ACCORD Länderbericht zur Lage der Gabooye vom 12.06.2015 zum Parteiengehör übermittelt. XXXX wurde als Zeugin geladen.

1.8. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 14.06.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch und im Beisein der Rechtsvertretung des BF eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Im Zuge der Einvernahme gab der BF an, seit 2014 in Ungarn zu leben und seit Oktober 2014 ein anerkannter Flüchtling in Ungarn zu sein. Er wolle aber Asyl in Österreich haben, da seine Frau und seine zwei Kinder in Österreich leben würden.

1.9. Am 16.07.2019 stellte das Bundesverwaltungsgericht die Anfrage an das BFA, dem Bundesverwaltungsgericht binnen drei Wochen mitzuteilen, welchen Aufenthaltsstatus der BF in Ungarn habe. Am 13.08.2019 wurde vom BFA die Information aus Ungarn an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet, dass der BF am 30.09.2014 den Asylstatus in Ungarn erhalten habe und dass der Status weiterhin gültig ist.

1.10. Am 20.01.2020 wurde das Bundesverwaltungsgericht informiert, dass der BF vom Landesgericht für Strafsachen rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten gemäß § 119 StGB zweiter Strafsatz (Unrechtmäßige Inanspruchnahme von sozialen Leistungen) verurteilt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:

-

Der Akt der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde,

-

die den BF mit der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung übersandte Länderberichte, welche im Verfahrensgang beschrieben sind,

-

der Inhalt der mündlichen Verhandlung am 19.06.2018,

-

Sämtliche vorgelegte Beweismittel,

-

Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).

-

Einholung der Geburtsurkunde des jüngsten Kindes

1.1. Zur Person und zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Somalias und stellte am 10.07.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Er bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er hat im Jahr 2015 in Österreich XXXX traditionell geheiratet. Seine Lebensgefährtin ist somalische Staatsangehörige und in Österreich asylberechtigt. Aus dieser Partnerschaft stammen drei minderjährige Kinder. Die älteste Tochter ist am XXXX geboren, die zweite Tochter am XXXX und sein Sohn am XXXX zum Entscheidungszeitpunkt sind die Kinder daher vier Jahre, zwei Jahre und das jüngste Kind ein halbes Jahr alt.

Der Beschwerdeführer ist seit 30.09.2014 Ungarn asylberechtigt. Der Asylstatus ist immer noch aufrecht. Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 10.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Seine Lebensgefährtin und Kinder sind in Österreich asylberechtigt. Die Kinder haben im Familienverfahren aufgrund der Mutter den Asylstatus erhalten. Der BF unterstützt seine Familie gelegentlich finanziell. Sie leben im gemeinsamen Haushalt.

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung auf internationalen Schutz rechtmäßig im Bundesgebiet, daher seit fast 4 Jahren und 8 Monaten.

Der BF besuchte bis zum 29.06.2019 einen A2 Deutschkurs. Er geht keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF weist eine strafgerichtliche Verurteilung auf.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Asylantragstellung in Österreich ergeben sich aus dem verwaltungsbehördlichen Akt. Die Feststellung zur Asylgewährung in Ungarn ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers sowie aus der Mitteilung der ungarischen Behörden (OZ 19).

Die Feststellung zur familiären Situation ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem Inhalt des Verwaltungsaktes in Verbindung mit vorgelegten Personenstandsurkunden seiner Kinder sowie der amtswegigen Einholung der Geburtsurkunde des jüngsten Kindes und einer Nachschau in das Zentrale Melderegister, woraus auch hervorgeht, dass der BF mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt lebt.

Di strafgerichtliche Verurteilung ergibt sich aus dem vorliegenden Akt und der Einsicht in das Strafregister am 11.03.2020.

Die Aussage, dass der BF einen Deutschkurs A2 besuchte, ergibt sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Aus der Einsicht in das Betreuungsinformationssystem ergibt sich, das der BF bis zum 31.01.2020 Grundversorgung bezogen hat. Die Abmeldung erfolgte aufgrund der Kenntnis der Behörde, dass der BF bereits in Ungarn Asyl hat (vgl. GVS-Auszug vom 11.3.2020).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutzes

§ 4a AsylG lautet:

§ 4a. Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig

zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.

Dem BF wurde in Ungarn der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Umstände, dass er in Ungarn keinen Schutz vor Verfolgung gefunden hätte, sind keine ersichtlich, sodass sein Antrag gemäß §4a AsylG als unzulässig zurückzuweisen ist.

3.2. Zur Außerlandesbringung

3.2.1. Zu den gesetzlichen Grundlagen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 wurden. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird. Gemäß Abs. 2 hat eine Anordnung zur Außerlandesbringung zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist.

§ 9 BFA-VG lautet:

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 50 FPG lautet:

Verbot der Abschiebung

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

3.2.2. Es ist daher zu prüfen, ob die Außerlandesbringung nach Ungarn gemäß § 4a AsylG und § 61 FPG den Beschwerdeführer - unter Bezugnahme auf seine persönliche Situation - nicht in seinen Rechten gemäß Art. 3 bzw. 8 EMRK verletzen würde.

3.2.2.1. Nach diesem Regelungssystem ist somit anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles eine Interessenabwägung am Maßstab des Art. 8 EMRK durchzuführen. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme darf nur erlassen werden, wenn die dafür sprechenden öffentlichen Interessen schwerer wiegen als die persönlichen Interessen des Drittstaatsangehörigen und seiner Familie an dessen weiterem Verbleib in Österreich. Bei dieser Interessenabwägung sind die Kriterien nach der Methode des beweglichen Systems in einer Gesamtbetrachtung zu bewerten, indem das unterschiedliche Gewicht der einzelnen Kriterien zueinander in eine Beziehung zu setzen und eine wechselseitige Kompensation der einzelnen Gewichte vorzunehmen ist (vgl. EGMR 18.10.2006, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 57f; VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).

Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u. a.) stellen die Regeln des Einwanderungsrechtes eine ausreichende gesetzliche Grundlage in Hinblick auf die Frage der Rechtfertigung des Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK dar. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, welche dem öffentlichen Interesse an der effektiven Durchführung der Einwanderungskontrolle dient, nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten. Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VfGH 29.09.2007, B 328/07; VwGH 22.01.2013, 2011/18/0012; 18.10.2012, 2010/22/0130).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 5.9.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 9.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.4.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich; 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande; 31.7.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

Für den vorliegenden Fall ergibt sich zweifellos, dass der BF in Österreich über ein Familienleben mit seiner Lebensgefährtin und seinen drei minderjährigen Kindern verfügt. Seine Lebensgefährtin und Kinder sind asylberechtigt in Österreich. Der BF lebt mit seiner Familie im gemeinsamen Haushalt und unterstützt sie gelegentlich finanziell. Der BF hat daher ein Familienleben mit zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigten Personen und seine Außerlandesbringung bedeutet daher eine (zumindest vorübergehende) Trennung von seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin. Gemäß der Rechtsprechung des VwGH sind die konkreten Auswirkungen einer Familientrennung auf das Wohl des Kindes eingehend in Betracht zu ziehen. Ein Kind hat grundsätzlich Anspruch auf "verlässliche Kontakte" zu beiden Elternteilen (VwGH vom 19.12.2019, Ra 2019/21/0282).

Eingangs ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sein Familienleben im Bundesgebiet zu einem Zeitpunkt begründet hat, zu dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein musste und mit der Fortsetzung des Familienlebens im Bundesgebiet nicht rechnen durfte. Diesfalls müssten - nach der Judikatur des EGMR - schon "außergewöhnliche Umstände" vorliegen, damit das Familienleben schützenswert iSd Art. 8 EMRK erschiene. Solche außergewöhnlichen Umstände, wie beispielsweise etwa besondere Notlagen oder Pflegebedürftigkeiten, etc. sind im hier vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.

Darüber hinaus stellen die Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz in Österreich den gesetzlich vorgesehenen Weg für einwanderungswillige Drittstaatsangehörige dar, die einen Aufenthaltstitel erlangen wollen, etwa auch zwecks Familienzusammenführung. Gegen die Entscheidung der zuständigen Einwanderungsbehörde stehen letztlich auch noch Rechtsbehelfe an ein Verwaltungsgericht sowie an den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof offen. Hingegen kann nach der maßgeblichen Rechtsprechung ein allein durch Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken. Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu verhaltenden Drittstaatsangehörigen führen (EGMR 08.04.2008, 21878/06, Nnyanzi; VfGH 12.06.2010, U 613/10).

Im vorliegenden Fall ist auch in die Überlegungen miteinzubeziehen, dass es sich um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme innerhalb der Europäischen Union handelt. Es besteht daher auch durchaus die rechtliche und faktische Möglichkeit von regelmäßigen Besuchen und einer finanziellen Unterstützung. Als Nachbarland Österreichs ist die räumiche Distanz daher nicht allzu groß ist. Die Trennung wäre auch nur von vorübergehender Natur bis die Familenzusammenführung nach den hierfür vorgesehenen Bestimmungen erfolgt.

Wenn es also letztlich zwar auf der Hand liegt, dass für die Betroffenen ein Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und somit in größerer Nähe vor allem zu den Kindern vorteilhafter wäre, so überwiegen bei der Interessenabwägung dennoch klar die Interessen an der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens. Da ein Kontakt durch gegenseitige Besuche und Telefonate aufrecht erhalten werden kann, ist nicht davon auszugehen, dass das Wohl seiner Kinder in Gefahr wäre, zumal die Trennung nur vorübergehender Natur wäre. In einem ähnlich gelagerten Fall hat der Verwaltungsgerichtshof bereits entschieden, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Recht darauf abstellt, dass der Revisionswerber durch den unzulässigen Antrag auf internationalen Schutz seinen Aufenthalt in Österreich entgegen den einschlägigen Vorschriften des Asyl- und Fremdenrechts zu verlängern trachtet, während er die gesetzliche Möglichkeit eines Familiennachzugs nach den Bestimmungen des NAG außer Betracht lässt. Der vorliegende Fall (ebenso wie der hier zu beurteilende Fall) ist auch nicht mit jenem zu vergleichen, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. April 2013, Ra 2013/22/0088, zugrunde lag, weil dort - im Gegensatz zu dem hier vorliegenden Fall - von keiner Möglichkeit eines persönlichen Kontaktes zwischen dem ausgewiesenen Vater und seinem in Österreich verbleibenden minderjährigen Sohn ausgegangen worden war (VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/18/0123).

Insgesamt gesehen kann somit dem Beschwerdeführer jedenfalls zugemutet werden, den Wunsch nach Einwanderung und Familienzusammenführung in Österreich im Einklang mit den einschlägigen unionsrechtlichen und österreichischen Rechtsvorschriften zu verwirklichen.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall mit der Anordnung der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers kein unzulässiger Eingriff und damit keine Verletzung im Recht auf Familienleben erfolgt.

Der durch die normierte Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet erfolgende Eingriff in sein Privatleben ist ebenfalls durch ein Überwiegen des öffentlichen Interesses im Vergleich zu seinem Privatinteresse am Verbleib im Bundesgebiet gedeckt: Sein nunmehriger Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von etwa vier Jahren und acht Monaten war nur ein vorläufig berechtigter.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente spielt jedoch eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.). Der Beschwerdeführer musste sich auch seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein.

Es ergaben sich keine Hinweise auf eine bereits fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers in Österreich; besondere Integrationsschritte oder ein Versuch der legalen Einwanderung nach Österreich wurden keine geltend gemacht. Der BF geht keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltugnsfähig. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer bereits einmal strafgerichtlich in Erscheinung getreten ist. Auch der Umstand, dass er einen Deutschkurs A2 besucht, kann hier zu keiner anderen Einschätzung führen.

Bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung ergibt sich somit, dass der mit der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers verbundene Eingriff in sein Privatleben zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geboten ist. Insgesamt stellt seine Außerlandesbringung damit keine Verletzung seiner Rechte gem. Art. 8 EMRK dar.

3.2.2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK haben die Vertragsstaaten der EMRK aufgrund eines allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatzes - vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich der EMRK - das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu regeln. Jedoch kann die Ausweisung eines Fremden durch einen Vertragsstaat ein Problem nach Art. 3 EMRK aufwerfen und damit die Verantwortlichkeit dieses Staates nach der EMRK auslösen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Abschiebung mit einer realen Gefahr rechnen muss, im Zielstaat einer dem Art. 3 widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden. Unter diesen Umständen beinhaltet Art. 3 die Verpflichtung, die betreffende Person nicht in diesen Staat abzuschieben (z. B. EGMR, Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 30; Große Kammer, 28.02.2008, 37201/06, Saadi, Rn. 124-125).

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61204/09 und mwH).

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer lediglich angegeben, er wolle in Österreich sein, damit er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und seinen 3 Kindern zusammenleben könne. Konkrete Umstände, dass er in Ungarn, einem Nachabrland Österreichs und Mitglied der Europäischen Union einer Gefährdung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt sein könnte, hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht und sind solche auch nicht ersichtlich.

Gravierende (existenzbedrohende, aktuelle) gesundheitliche Probleme hat der BF keine geltend gemacht, weshalb eine - nach dem Maßstab der Judikatur des EGMR - maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers gemäß Art. 3 EMRK nicht erkannt werden kann.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.

Schlagworte

Asylgewährung, Außerlandesbringung, Mitgliedstaat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W254.2148832.2.00

Zuletzt aktualisiert am

15.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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