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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des P A in W, vertreten durch Mag. Michael Mendel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Dezember 2018, Zl. W171 1431534- 2/8E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wurde dem Revisionswerber, einem afghanischen Staatsangehörigen, in der Sache - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der mit Erkenntnis des BVwG vom 13. April 2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan festgestellt und eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt. Zudem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 2 Begründend für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei im Hinblick auf die Sicherheitslage verbunden mit dem fehlenden familiären Anschluss in Afghanistan der Status des subsidiär Schutzberechtigten gewährt worden. Demgegenüber hätten sich die Umstände seither insofern maßgeblich geändert, als neben der Kernfamilie des Revisionswerbers auch mehrere Onkel in der Provinz Kabul aufhältig seien, sodass er durch dieses "bestehende (erweiterte) familiäre Netz" bei seiner Rückkehr (finanzielle) Unterstützung erwarten könne. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 lägen somit vor. 3 Im Übrigen sei der Revisionswerber am 5. März 2018 rechtskräftig wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG (Überlassen von Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge) sowie nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall SMG als Beitragstäter (Einfuhr von Suchtgift) sowie wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG (Erwerb und Besitz von Suchtgift) zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, davon 13 Monate bedingt, verurteilt worden. Die vom Revisionswerber begangenen Straftaten stellten sich angesichts des näher wiedergegebenen Tathergangs als "schwere Straftaten" iSd Art. 17 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU dar. Insofern seien auch die Voraussetzungen für die Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 gegeben. 1 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 26. Februar 2019, E 235/2019-8, deren Behandlung ablehnte und diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 18. März 2019, E 235/2019- 10, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abtrat.
2 Gegen das angefochtene Erkenntnis des BVwG richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Das BVwG hat die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis Ra 2019/14/0153 mit Verweis auf seine Vorjudikatur ausgesprochen, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 nicht geändert hat. Bei Hinzutreten von neuen Sachverhaltselementen, die für die Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde aber eine neue Beurteilung vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des zur Anwendung gebrachten Tatbestandes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben seien (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 97 bis 99).
8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei maßgeblich, dass es gerade in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 101).
9 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, dürfen bei Hinzutreten neuer Umstände (nach der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung) im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, mwN). Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind daher nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind (vgl. VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 102).
10 Ausgehend davon vermag die Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, das BVwG habe entgegen näher genannter Rechtsprechung zur Rechtskraft eines Bescheids in Bezug auf die vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage vorliegend denselben Sachverhalt rechtlich anders beurteilt, kein Abweichen von der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzuzeigen.
11 Mit dem nicht näher substantiierten Zulässigkeitsvorbringen zum Vorliegen von Begründungs- bzw. Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Familienverhältnisse des Revisionswerbers in seinem Heimatstaat zeigt die Revision eine diesbezüglich für das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG erforderliche rechtliche Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 10.2.2020, Ra 2020/01/0021, Rn. 7, mwN). Eine unvertretbare Interessensabwägung zeigt die Revision allein mit dem Hinweis, der Revisionswerber sei, wie in der Beschwerde vorgebracht, bereits seit Oktober 2016 - und nicht bloß seit wenigen Monaten - mit seiner nunmehrigen Ehefrau verlobt gewesen, nicht auf.
13 Dem in Bezug auf die als fehlerhaft erachtete Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK erstmals erstatteten Vorbringen, der Revisionswerber habe seine Verlobte im Juli 2018 nach islamischen Ritus und am 21. Dezember 2018 standesamtlich geheiratet bzw. seine nunmehrige Ehefrau sei seit Oktober 2018 schwanger, steht das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot entgegen. 14 Soweit sich die Revision in Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung gegen den Entfall der mündlichen Verhandlung wendet, hat zwar der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine "absolute" (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten der Fremden sprechenden Fakten auch dann für sie kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihnen einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0008 - 0010, Rn. 19, mwN).
15 Mit dem Hinweis, dass der Revisionswerber, wie in der Beschwerde vorgebracht, bereits seit Oktober 2016 mit seiner nunmehrigen Ehefrau verlobt sei und die Heirat bald stattfinden solle, vermag die Revision (schon im Hinblick auf die festgestellte Straffälligkeit des Revisionswerbers) nicht aufzuzeigen, dass das BVwG im konkreten Fall das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Absehen von der beantragten Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG in unvertretbarer Weise angenommen hat. Das im Übrigen erstattete Vorbringen zur Heirat des Revisionswerbers und zur Schwangerschaft seiner nunmehrigen Ehefrau verstößt - wie bereits dargelegt - gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu beachtende Neuerungsverbot. 16 Soweit die Revision in Bezug auf die Feststellungen des BVwG zum Herkunftsstaat auf Basis der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 die Verletzung des Parteiengehörs geltend macht, zeigt sie fallbezogen in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung nicht die für das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG erforderliche Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels auf.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 13. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010164.L00Im RIS seit
23.06.2020Zuletzt aktualisiert am
23.06.2020