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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art140 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der Mag. D B, Rechtsanwältin in G, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 6. September 2018, Zl. RV/2100723/2018, betreffend Zurückweisung eines Antrages gemäß § 295 Abs. 4 BAO (Einkommensteuer 2005), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 240 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin war als atypisch stille Gesellschafterin an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, für die am 9. November 2006 ein Feststellungsbescheid nach § 188 BAO für das Streitjahr 2005 erlassen wurde. Unter Berücksichtigung dieses Grundlagenbescheides (anteiliger Verlust - 76.000 EUR) wurde die Einkommensteuer der Revisionswerberin für das Jahr 2005 mit Bescheid vom 14. Dezember 2006 festgesetzt.
2 Nach einer bei der Mitunternehmerschaft durchgeführten Außenprüfung erging am 11. Oktober 2011 eine als neuer Grundlagenbescheid intendierte Erledigung (anteiliger Verlust - 1.661,26 EUR), woraufhin am 17. Oktober 2011 gestützt auf § 295 Abs. 1 BAO ein geänderter Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 erlassen wurde.
3 Das gegen die als neuer Grundlagenbescheid intendierte Erledigung eingebrachte Rechtsmittel wurde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 23. April 2014 mit der Begründung zurückgewiesen, dass diese Erledigung des Finanzamtes auf Grund einer mangelhaften Adressierung als "Nicht-Bescheid" anzusehen sei. Daraufhin erließ das Finanzamt am 27. Oktober 2014 einen betragsmäßig gleichlautenden Grundlagenbescheid, gegen den wiederum Beschwerde erhoben wurde.
4 Mit Eingabe vom 9. Dezember 2014 beantragte die Revisionswerberin die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 vom 17. Oktober 2011 gemäß § 295 Abs. 4 BAO, weil dieser auf einem Feststellungsbescheid basiere, der keine rechtliche Wirkung entfaltet habe. Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 2. März 2018 mit der Begründung zurück, dass der Antrag erst nach Eintritt der Verjährung eingebracht worden sei.
5 Die dagegen erhobene Bescheidbeschwerde wurde mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis vom 6. September 2018 abgewiesen. Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, dass die Verjährungsfrist der Einkommensteuer 2005 mit 31. Dezember 2005 zu laufen begonnen habe. Während der fünfjährigen Verjährungsfrist sei ein Einkommensteuerbescheid erlassen worden, weshalb sich die Verjährungsfrist um ein Jahr verlängert habe. Am 17. Oktober 2011 (somit im "Verlängerungsjahr") sei gemäß § 295 Abs. 1 BAO ein geänderter Einkommensteuerbescheid ergangen. Dagegen sei weder Berufung erhoben worden, noch seien seitens des Finanzamtes weitere nach außen erkennbare (verjährungsfristverlängernde) Amtshandlungen gesetzt worden. In Bezug auf die Einkommensteuer 2005 sei daher am 31. Dezember 2012 Verjährung eingetreten. Da das Antragsrecht nach § 295 Abs. 4 BAO einer klar umschriebenen zeitlichen Begrenzung unterliege, sei der Antrag vom 9. Dezember 2014 vom Finanzamt zu Recht aus dem Grunde der Verjährung zurückgewiesen worden.
6 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege, die auf den Beschwerdefall übertragbar sei.
7 Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, die sich in ihrem Zulässigkeitsvorbringen mit der vom Bundesfinanzgericht angeführten Rechtsprechung auseinandersetzt und im Einzelnen ausführt, warum diese auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation
nicht anwendbar sei, vielmehr nach wie vor entsprechende Judikatur fehle.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Aus Anlass der Revision stellte der Verwaltungsgerichtshof
mit Beschluss vom 3. September 2019, Zl. A 2019/0002 (Ra 2018/15/0121), an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, den letzten Satz des § 295 Abs. 4 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung - BAO), BGBl. Nr. 194/1961 idF BGBl. I Nr. 70/2013, als verfassungswidrig aufzuheben. In seinem Antrag schloss sich der Verwaltungsgerichtshof den im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Juni 2019, E 4256/2018, geäußerten Bedenken gegen die angeführte Bestimmung an.
11 Mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2019, G 159/2019 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof den Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen." in § 295 Abs. 4 BAO in der angeführten Fassung als verfassungswidrig aufgehoben. Weiters sprach er aus, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. Dezember 2020 in Kraft tritt und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten. Der Verfassungsgerichtshof begründete die Gesetzesaufhebung im Wesentlichen damit, dass der Gesetzgeber durch das Anknüpfen an die Rechtskraft des abgeleiteten Bescheides - ebenso wie durch das Anknüpfen an den Eintritt der Verjährung - in unsachlicher Weise nicht berücksichtige, dass das Antragsrecht seine rechtserhebliche Bedeutung (erst) im Zeitpunkt der Zurückweisung der Beschwerde betreffend die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation erlange.
12 Gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte (vgl. VwGH 28.4.2011, 2010/15/0182). 13 Der vorliegende Revisionsfall bildet einen der Anlassfälle für die angeführte teilweise Gesetzesaufhebung.
14 Da das Bundesfinanzgericht das angefochtene Erkenntnis auf die aufgehobene Gesetzesbestimmung gestützt hat, die nach dem Gesagten im Revisionsfall nicht (mehr) anzuwenden ist, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. 15 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der begehrte Ersatz von Schriftsatzaufwand war der Revisionswerberin nicht zuzusprechen, weil sie als Rechtsanwältin in eigener Sache eingeschritten ist (vgl. für viele VwGH 13.11.2019, Fr 2019/13/0003).
Wien, am 18. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018150121.L00Im RIS seit
01.07.2020Zuletzt aktualisiert am
01.07.2020