TE Vwgh Beschluss 2020/5/19 Ra 2018/13/0098

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Veröffentlicht am 19.05.2020
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §236
BAO §295 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des P in A, vertreten durch Dr. Walter Schuhmeister und Mag. Franz Haydn, Rechtsanwälte in 2320 Schwechat, Bruck-Hainburgerstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 21. Juni 2018, Zl. RV/7105228/2016, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 34 Abs. 3 VwGG ist ein solcher Beschluss in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Der Revisionswerber stellte am 13. Juli 2015 einen Antrag, näher bezeichnete Beträge betreffend die Einkommensteuer 2005 und 2006 sowie Anspruchszinsen gemäß § 236 BAO nachzusehen. Mit späteren Eingaben ergänzte er diesen Antrag um Nachsicht betreffend Aussetzungszinsen sowie um Stundungszinsen.

5        Das Finanzamt wies die Anträge ab und erließ nach Erhebung einer Beschwerde eine abweisende Beschwerdevorentscheidung. Nach Stellung eines Vorlageantrages wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. Im Beschwerdeverfahren wurde vorgebracht, dass mit 28. Juli 2009 unter anderem als Feststellungsbescheide intendierte Erledigungen über die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 2005 und 2006 der PL OEG ergangen seien. In der Folge habe das Finanzamt mit gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Bescheiden vom 18. August 2009 die Einkommensteuer des Revisionswerbers für die Jahre 2005 und 2006 neu festgesetzt. Die rechtzeitig erhobene Berufung gegen die Erledigungen über die Feststellung von Einkünften sei vom Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom 30. Mai 2015 mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen worden, es handle sich dabei um Nichtbescheide. Der am 13. Juli 2015 gestellte Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO wurde wegen Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist zurückgewiesen. Es liege eine sachliche Unbilligkeit vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintrete. Dass der Abgabepflichtige allein die Folgen der Fehler mehrerer im Verfahren beteiligten Behörden tragen solle, begründe eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend führte es aus, dass eine Unbilligkeit nicht vorliege, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen sei. Eine solche Unbilligkeit müsse stets eine Unbilligkeit der Einhebung und nicht eine Unbilligkeit der Festsetzung sein. Unter Unbilligkeiten im Sinne des § 236 BAO könnten nur solche Härten, unzumutbare Eingriffe, unverständliche Ergebnisse und subjektiv oder objektiv unerträgliche behördliche Maßnahmen zu verstehen sein, die im Bereich der Einhebung liegen und nicht auch solche, die im Abgabenrecht selbst und damit in der Stufe der Anwendung des materiellen Rechts und damit in der Abgabenfestsetzung ihren Grund haben. Solchen Mängeln sei in dem Bereich zu begegnen, in dem sie entstanden seien, nämlich im Festsetzungsverfahren und in den gegen die Festsetzung möglichen Rechtszügen. Der Revisionswerber habe nicht vorsorglich ein Rechtsmittel gegen die Einkommensteuerbescheide und Anspruchszinsenbescheide 2005 und 2006 eingebracht, sodass von einer ausnahmsweise unverschuldeten Unmöglichkeit einer Rechtsverfolgung keine Rede sein könne. Es sei zwar einzuräumen, dass die Unabänderbarkeit der Einkommensteuerbescheide und Anspruchszinsenbescheide infolge Eintritts der Verjährung eine gewisse Härte darstelle, diese Härte sei aber vom Gesetzgeber offenbar gewollt, es sei im vorliegenden Fall kein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eingetreten. Eine Nachsicht würde unzulässigerweise das geltende Gesetz umgehen. Eine solche durch eine allgemein gültige Rechtsvorschrift bewirkte, nicht auf den Einzelfall beschränkte Härte vermöge für sich keine Unbilligkeit nach § 236 BAO zu begründen.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, aufgrund des nachträglich eingeführten Antragsrechts in § 295 Abs. 4 BAO habe der Gesetzgeber das bisherige Rechtsschutzdefizit durch eine richtigstellende und begünstigende Rechtsvorschrift beseitigen wollen. Dasselbe gelte für die Einführung des § 188 Abs. 5 BAO. Wille des Gesetzgebers sei es, auch bei nachträglich begünstigenden Rechtsvorschriften für Sachverhalte vor Einführung der Begünstigung die Möglichkeit einer Nachsicht wegen sachlicher Unbilligkeit zuzulassen.

8        Das Finanzamt erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der keine Kosten beantragt wurden.

9        Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. z.B. VwGH 20.11.2019, Ra 2018/15/0014, mwN). Ein Umstand, der auch bei allen anderen Abgabepflichtigen in der gleichen Lage hätte eintreten können und den der Gesetzgeber daher hätte voraussehen können, vermag nicht zur Annahme der Unbilligkeit zu führen (VwGH 11.11.2004, 2004/16/0077).

10       Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass im Revisionsfall ein solcher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargestellter Einzelfall vorliegt und die angefochtene Entscheidung somit von dieser Rechtsprechung abweicht. Der Umstand, dass ein Steuerpflichtiger nicht von einer vorteilhaften gesetzlichen Bestimmung profitieren kann, die erst nach Verwirklichung des ihn betreffenden Sachverhalts eingeführt wurde, führt entgegen der Zulässigkeitsbegründung der Revision in der Regel nicht dazu, dass eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vorliegt. Es würden vielmehr die Inkrafttretensbestimmungen gesetzlicher Regelungen umgangen werden, wenn eine Rechtslage über den Umweg der Nachsicht bereits für Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten wirksam werden würde.

11       Insoweit die Revision in diesem Zusammenhang die Einführung der §§ 188 Abs. 5 und 295 Abs. 4 BAO als „begünstigende Rechtsvorschriften“ anspricht, ist darauf zu verweisen, dass ein Fall des § 188 Abs. 5 BAO hier nicht vorlag. In Bezug auf § 295 Abs. 4 BAO ist zu entgegnen, dass der Revisionswerber ohnedies einen solchen Antrag gestellt hat. Dass dieser nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat, lag an den vom Gesetzgeber vorgesehenen - vom Verfassungsgerichtshof mittlerweile als verfassungswidrig aufgehobenen (VfGH 4.12.2019, G 159/2019 u.a.) - Einschränkungen.

12       Der Revisionswerber hat die Zurückweisung seines Antrages auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO allerdings nicht bekämpft. Eine allfällige Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides ist mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen; das gilt auch für eine potentielle Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Ein Nachsichtsverfahren ersetzt daher weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes (vgl. VwGH 8.3.1994, 91/14/0079 bis 0081, mwN).

13       Der Umstand, dass die seinerzeitige Zurückweisung des Antrages gemäß § 295 Abs. 4 BAO auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhte, führt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Einzelfall (vgl. grundlegend VwGH 14.9.1962, 2305/61, und aus der ständigen Rechtsprechung etwa 29.6.2006, 2006/16/0007, mwN).

14       In der Revision werden angesichts der dargestellten Judikatur keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018130098.L00

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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