TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/2 I406 2211337-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2019
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Entscheidungsdatum

02.10.2019

Norm

AVG §62 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §7 Abs1 Z3
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §2
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z2
FPG §76 Abs3 Z1
FPG §76 Abs3 Z3
NAG §52 Abs1
NAG §54
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §35 Abs3

Spruch

I406 2211337-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard Knitel als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, Staatsangehörigkeit Algerien, vertreten durch RA Mag. German Bertsch, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, zu Recht erkannt:

A)

I. Dem Antrag, die Festnahme und Anhaltung von XXXX, Staatsangehörigkeit Algerien, vom 17.12.2018 bis 27.12.2018 sowie die versuchte Abschiebung von XXXX nach Algerien vom 19.12.2018 für rechtswidrig zu erklären, wird stattgegeben und die Festnahme und Anhaltung von XXXX vom 17.12.2018 bis 27.12.2018 sowie die versuchte Abschiebung von XXXX nach Algerien vom 19.12.2018 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer den Schriftsatzaufwand von €

737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag, den Beschwerdeführer von der Eingabegebühr zu befreien, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang (Feststellungen):

1.1. Der Beschwerdeführer (BF) ist algerischer Staatsangehöriger, seine Identität steht fest. Er reiste unbekannten Datums illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 25.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Der BF verwendete im Asylverfahren sowohl hinsichtlich des Namens als auch seines Geburtsdatums mehrfach eine falsche Identität um die Behörden zu täuschen. Auf Grund einer behördlich angeordneten Altersfeststellung wurde festgestellt, dass der BF entgegen seinem Vorbringen nicht unbegleiteter Minderjähriger ist, da er sich acht Jahre jünger ausgegeben hat als er tatsächlich ist. Der BF behauptete keine Personaldokumente zu besitzen und solche auch nicht besorgen zu können.

1.3. Mit Bescheid der Behörde vom 22.04.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowie auf subsidiären Schutz als unbegründet abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, zugleich wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Algerien zulässig ist. Dem BF wurde eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise gewährt.

1.4. Die gegen den Bescheid des Bundesamtes erhobene Beschwerde des BF wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 18.04.2017 als unbegründet abgewiesen, die Entscheidung erwuchs am 24.04.2017 in Rechtskraft.

1.5. Der BF leistete in der Folge seiner Ausreiseverpflichtung binnen 14 Tagen keine Folge, sondern tauchte unter und entzog sich dem Verfahren zu seiner Außerlandesbringung.

1.6. Am 14.06.2017 stellte der BF unter der bislang behaupteten falschen Identität einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 Abs. 1 AsylG, der von der Behörde mit Bescheid vom 08.09.2017 gem. § 58 Abs. 10 AsylG als unzulässig zurückgewiesen wurde, da gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem Antragsvorbringen im Hinblick auf sein Privat- und Familienleben gem. § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gem. Art. 8 EMRK erforderlich machte, nicht hervorgehe.

1.7. Die gegen den Bescheid des Bundesamtes erhobene Beschwerde des BF wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 28.05.2018 als unbegründet abgewiesen, die Entscheidung erwuchs am 29.05.2018 in Rechtskraft.

1.8. Der BF schloss am 21.11.2018 unter einer anderen als der bislang behaupteten Identität beim Standesamt in XXXX die Ehe mit einer aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin.

1.9. Der BF stellte am 23.11.2018 bei der BH XXXX einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gem. § 54 NAG. Dem BF wurde gleichzeitig von der Behörde am 30.11.2018 mitgeteilt, dass ein Aufenthaltsrecht des BF nicht vorliegt, da der BF keine aufrechte Meldeadresse im Bundesgebiet habe und mit seiner Ehegattin kein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führe.

1.10. Zuvor wurde der BF am 11.12.2018 und die Ehegattin des BF am 29.11.2018 als Beschuldigte nach § 117 Abs. 1 FPG wegen des Verdachtes auf Eingehens einer Aufenthaltsehe einvernommen. Im Abschlussbericht vom 20.12.2018 an die LPD XXXX führte die Polizeiinspektion XXXX aus, dass ein Vertreter des BF im Juli 2018 bei der österreichischen Botschaft in Algier zwecks Beglaubigung von Dokumenten für eine Eheschließung in Österreich angefragt habe, weiters dass der BF in Österreich nicht gemeldet und während den Erhebungen zum Strafverfahren nicht auffindbar bzw. anzutreffen gewesen sei. Der BF konnte mehrfach im Zeitraum von September bis November 2018 an der Wohnadresse seiner Verlobten nicht angetroffen werden. Erst nach der Eheschließung konnte er angetroffen werden und zum gegenständlichen Sachverhalt, bezüglich des Verdachts der Aufenthaltsehe, einvernommen werden. Im Abschlussbericht kommt die PI XXXX zum Ergebnis, dass der Verdacht der Aufenthaltsehe weder erhärtet noch ausgeschlossen werden könne. Beide Einvernahmeprotokolle finden sich im Akt der belangten Behörde.

1.11. Nach Ablehnung des Antrags des BF auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gem. § 54 NAG am 30.11.2018 meldete sich der BF mit 06.12.2018 an der Adresse seine Ehegattin an.

1.12. Die Behörde erließ am 14.12.2018 einen Festnahmeauftrag gegen den BF.

1.13. Der BF wurde von der Behörde unter der gemeinsamen Meldeadresse des BF mit seiner Ehegattin mit der Aufforderung, Dokumente - Heiratsurkunde, Ausweis, alle Reisedokumente (Reisepass) vorzulegen - geladen. Der BF leistete der Ladung am 17.12.2018 Folge und legte Reisepass, Meldezettel und Heiratsurkunde vor. Da die wahre Identität des BF nunmehr feststand, wurde der BF in den Räumlichkeiten des BFA festgenommen, da gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestand, die bislang jedoch nicht vollzogen werden konnte, da unter der vom BF behaupteten falschen Identität von der algerischen Botschaft ein Heimreisezertifikat nicht ausgestellt wurde. Die Behörde leitete unverzüglich ein Verfahren zur Erlangung eines HRZ ein.

1.14. Die Behörde unterließ es, den BF im Hinblick auf die vorgelegte Heiratsurkunde und den Meldezettel der gemeinsamen Ehewohnung zum Verdacht einer Scheinehe zu befragen. Sie legte der Abschiebung vielmehr einen alten Aktenvermerk für Zulässigkeit der Abschiebung vom 12.09.2017 zugrunde, in dem festgehalten wird, dass kein Abschiebungshindernis auf Grund von Art. 8 EMRK vorliege.

1.15. Gegen die Festnahme, die Anhaltung und Abschiebung erhob der BF am 17.12.2019 Beschwerde und begründete diese damit, dass er mit einer rumänischen Staatsbürgerin verheiratet sei und einen Antrag auf eine Aufenthaltsbewilligung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gestellt habe.

1.16. Der BF vereitelte am 19.12.2018 seine Abschiebung nach Algerien indem er in einem Gespräch mit dem Kapitän des Luftfahrzeuges unter Hinweis auf seine Familie in Österreich äußerte, nicht fliegen zu wollen. In der Folge verweigerte der Kapitän die Mitnahme des BF. Die begleitete Abschiebung musste abgebrochen werden.

1.17. In der Folge wurde dem BF Gelegenheit gegeben, binnen einem Tag zur beabsichtigten Verhängung der Schubhaft schriftlich Stellung zu nehmen, wobei der BF angab, mit seiner Ehegattin an deren konkret angegebenen Meldeadresse gemeinsam zu wohnen und von ihr erhalten zu werden. Er gab an, auch weiterhin gemeinsam mit seiner Ehegattin zu sein.

1.18. In der Folge wurde über den BF am 20.12.2018, 09.50 Uhr die Schubhaft gem. § 76 Abs.2 Z 2 FPG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Die Behörde ging davon aus, dass der BF weder sozial noch beruflich integriert sei und eine Aufenthaltsehe geschlossen habe. Er habe über 3 1/2 Jahre seine wahre Identität verschleiert, sei untergetaucht und war für die Behörde nicht greifbar. Auf Grund seines bisherigen Verhaltens sei der BF nicht vertrauenswürdig. Die Behörde sah Fluchtgefahr im Sinne von § 76 Abs. 3 Z. 1 und 3, Sicherungsbedarf und Verhältnismäßigkeit als vorliegend an. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sah die Behörde die Voraussetzungen für die Anordnung eines gelinderen Mittels nicht gegeben. Der Bescheid wurde dem BF persönlich zugestellt, von seiner Haftfähigkeit wurde ausgegangen.

1.19. Am 20.12.2018 erließ die Behörde einen Berichtigungsbescheid gemäß § 62 Abs. 4 AVG, durch den sie den Schubhaftgrund auf die Sicherung der Abschiebung einschränkte. Die Zweckänderung des Schubhaftbescheides wurde als offensichtlicher Schreibfehler oder eine diesem gleichzuhaltende, offenbar auf ein Versehen beruhende Unrichtigkeit gewertet.

1.20. Der BF wurde am 27.12.2018 um 15.05 Uhr aus der Schubhaft entlassen. Im Zuge der amtswegigen Schubhaftprüfung sei festgestellt worden, dass erneut ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet werde, welches der BF auch auf freiem Fuß führen könne. In der nachfolgenden Stellungnahme vom 23.01.2019 erläuterte die Behörde ihre Entscheidung dahingehend, dass diese Freilassung erfolge, damit das Verfahren bezüglich der Aufenthaltsehe erneut durch die LPD XXXX aufgenommen werden könne.

1.21. Gegen den Mandatsbescheid vom 20.12.2018 in der Fassung des Berichtigungsbescheides desselben Datums, die Festnahmeanordnung vom 14.12.2018 und die Festnahme vom 17.12.2018, die Sicherstellung des Reisepasses, der Heiratsurkunde und des Meldezettels am 17.12.2018, die versuchte Abschiebung am 19.12.2018 und die Inhaftierung vom 17.12.2018 bis 27.12.2018 erhob der Rechtsvertreter des BF innerhalb offener Frist Beschwerde mit der Begründung, dass der BF seit 21.11.2018 mit einer aufenthaltsberechtigten Unionsbürgerin verheiratet sei, in gemeinsamen Haushalt mit ihr lebe, dort gemeldet sei und ex lege ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet habe. Der Rechtsvertreter brachte weiter vor: Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Absatz 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als 3 Monate berechtigt. Gemäß § 54 Abs. 2 NAG sind zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe vorzulegen. Alle Nachweise hat der Beschwerdeführer anlässlich seiner Vorsprache am 17.12.2018 erbracht und erfolgte die Festnahme und Inhaftierung daher rechtswidrig. Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers ist nach Erlassung der Rückkehrentscheidung ex lege entstanden und ist die Rückkehrentscheidung damit unionrechtlich verdrängt und gegenstandslos. Es wurde daher beantragt eine mündliche Verhandlung durchzuführen, der Beschwerde Folge zu geben und die angefochtenen Bescheide ersatzlos aufzuheben, festzustellen, dass die Festnahme am 17.12.2018, die versuchte Abschiebung am 19.12.2018, die Verhängung der Schubhaft am 20.12.2018 und Inhaftierung bis 27.12.2018 rechtswidrig waren, festzustellen, dass die Sicherstellung des Reisepasses, der Heiratsurkunde und des Meldezettels rechtswidrig war, der belangten Behörde den Ersatz der Kosten dieser Beschwerde aufzuerlegen.

1.22. Am 18.01.2019 teilte die LPD XXXX mit, dass gegen den BF ein Ermittlungsverfahren bezüglich des Verdachtes des Versuches der Aufenthaltsehe gemäß § 117 FPG eingeleitet wurde, wobei offensichtlich die Fortführung des bereits eingeleiteten und im Hinblick auf die angekündigte Abschiebung des BF eingestellten Verfahrens gemeint war.

1.23. Die Behörde legte die Akten vor, erstattete Stellungnahmen im Sinne des Akteninhalts und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

1.24. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.09.2019 wurden die Sicherstellung des Reisepasses, des Meldezettels und der Eheurkunde des Beschwerdeführers am 17.12.2018, der Schubhaftbescheid vom 20.12.2018 sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers bis 27.12.2018 in Schubhaft sowie der Berichtigungsbescheid vom 20.12.2018 für rechtswidrig erklärt, weiters festgestellt, dass dem Beschwerdeführer der Schriftsatzaufwand zu ersetzen ist und der Antrag, den Beschwerdeführer von der Eingabegebühr zu befreien, als unzulässig zurückgewiesen.

1.25. Von der Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte wegen geklärten Sachverhalts aus dem vorliegenden Akteninhalt und der Beschwerde abgesehen werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

2.1. Die im Verfahrensgang als Feststellungen formulierten Punkte werden als solche der Entscheidung zu Grunde gelegt.

2.2. Der BF ist algerischer Staatsangehöriger. Er schloss am 21.11.2018 am Standesamt in XXXX die Ehe mit einer aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin. Der BF meldete sich am 06.12.2018 an der Adresse seine Ehegattin an. Nach der Eheschließung konnte der BF durch Erhebungsorgane angetroffen werden, dem BF konnte an dieser Adresse auch eine Ladung der Behörde zugestellt werden. Bislang konnte der Verdacht einer Aufenthaltsehe weder erhärtet noch ausgeschlossen werden.

2.3. Der BF leistete der genannten Vorladung der Behörde am 17.12.2019 Folge und legte seinen Reisepass, die Eheurkunde sowie einen Meldezettel betreffend die gemeinsame Ehewohnung vor. Die Behörde nahm den BF in der Folge auf Grund eines erlassenen Festnahmeauftrags in den Räumlichkeiten der Behörde fest und stellte die vorgelegten Urkunden sicher.

2.4. Die Behörde unterließ es, den BF vor dem Abschiebeversuch hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse, insbesondere seiner Ehe und des Verdachtes der Scheinehe zu befragen, sondern ging im Hinblick auf die Zulässigkeit der Abschiebung vom nicht mehr aktuellen Aktenvermerk vom 12.09.2017 aus, in dem festgehalten wird, dass kein Abschiebungshindernis auf Grund von Art. 8 EMRK vorliege.

2.5. Der BF wurde nach der gescheiterten Abschiebung und vor Schubhaftverhängung von der Behörde nicht einvernommen, sondern ihm lediglich Gelegenheit gegeben, sich binnen einem Tag zu seinen persönlichen Verhältnissen zu äußern. Der BF verwies neuerlich auf seine Ehegemeinschaft und den gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Ehegattin.

2.6. Die Behörde verhängte am 20.12.2018 über den BF die Schubhaft gemäß § 76 Abs.2 Z 2 FPG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung. Die Behörde ging davon aus, dass der BF weder sozial noch beruflich integriert sei und eine Aufenthaltsehe geschlossen habe. Auf Grund seines bisherigen Verhaltens sei der BF nicht vertrauenswürdig. Die Behörde sah Fluchtgefahr im Sinne von § 76 Abs. 3 Z. 1 und 3, Sicherungsbedarf und Verhältnismäßigkeit als vorliegend an. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sah die Behörde die Voraussetzungen für die Anordnung eines gelinderen Mittels nicht gegeben.

2.7. Am 20.12.2018 erließ die Behörde einen Berichtigungsbescheid gem. § 62 Abs. 4 AVG, durch den sie den Schubhaftgrund auf die Sicherung der Abschiebung einschränkte.

2.8. Der BF wurde am 27.12.2018 um 15.05 Uhr aus der Schubhaft mit der Begründung entlassen, dass im Zuge der amtswegigen Schubhaftprüfung festgestellt worden sei, dass erneut ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet werde, welches der BF auch auf freiem Fuß führen könne. In der nachfolgenden Stellungnahme vom 23.01.2019 ergänzte die Behörde ihre Entscheidung dahingehend, dass die Freilassung erfolge, damit das Verfahren bezüglich der Aufenthaltsehe erneut durch die LPD XXXX aufgenommen werden könne.

2.9. Festgestellt wird, dass der Kenntnisstand der Behörde hinsichtlich der Eheschließung und der Anmeldung des BF an der gemeinsamen Ehewohnung sowie hinsichtlich eines eingeleiteten Verfahrens wegen des Verdachtes einer Scheinehe unmittelbar vor der Festnahme des BF am 17.12.2018 bis zu seiner Freilassung durch die Behörde am 27.12.2018 unverändert der gleiche war, zumal es die Behörde unterlassen hat, den BF und allenfalls seine Ehegattin zum Sachverhalt einzuvernehmen.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde, dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts und der erhobenen Beschwerde.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit des BVwG

Gemäß Artikel 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) idgF erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

[...]

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

[...]

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

§ 7 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr 87/2012 idgF, lautet:

(1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über

[...]

3. Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG,

Für das gegenständliche Verfahren, den Antrag, die Festnahme und Anhaltung sowie die versuchte Abschiebung für rechtswidrig zu erklären, ist sohin das Bundesverwaltungsgericht zuständig.

3.1.1. Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3). Gemäß § 9 Abs. 2 FPG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Die Maßnahmenbeschwerde gegen die Sicherstellung des Reisepasses, des Meldezettels und der Eheurkunde des Beschwerdeführers am 17.12.2018, den Schubhaftbescheid vom 20.12.2018 sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers bis 27.12.2018 in Schubhaft und den Berichtigungsbescheid vom 20.12.2018 wurde gesondert erhoben, der Sachverhalt ist rechtlich als Einheit zu betrachten. Darüber wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.09.2019, Zl W197 2211337-2/7E entschieden.

3.2. Zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht des BF

3.2.1. Anzuwendende Bestimmungen:

§ 52.(1) NAG: Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie Ehegatte sind.

§ 54.(1) NAG: Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

(7) Liegt eine Aufenthaltsehe [...] zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.

3.2.2. Der BF ist sohin solange keine Entscheidung über eine allfällige Aufenthaltsehe getroffen ist, begünstigter Drittstaatsangehöriger i.S. § 2 Abs. 4 Z.11 FPG mit einem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht.

3.3. Zu Spruchpunkt A. I. (Festnahme und Anhaltung vom 17.12.2018 bis 27.12.2018 sowie versuchte Abschiebung)

3.3.2. Da die Behörde BF im vorliegenden Fall den BF als begünstigter Drittstaatsangehöriger (3.2.) bis zur Feststellung einer Aufenthaltsehe nicht abschieben durfte und diesem bis dahin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, waren die Festnahme und Anhaltung vom 17.12.2018 bis 27.12.2018 sowie die versuchte Abschiebung rechtswidrig.

3.4. Zu Spruchpunkt A. II und III. - Kostenbegehren

3.4.1. Da der Beschwerdeführer in allen Punkten vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen allein der Ersatz des verzeichneten Schriftsatzaufwands zu.

3.4.2. Mangels gesetzlicher Bestimmungen war der Antrag des BF auf Befreiung der Entrichtung von Eingabegebühr bzw. dessen Refundierung zurückzuweisen. Dass die Eingabegebühr das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zu Gericht beschneidet, trifft im Hinblick auf die geringe Höher nicht zu. Dieser Gebührensatz kann keineswegs als prohibitiv hoch angesehen werden. Der BF hat die Eingabegebühr entrichtet und diesbezüglich keine Verfahrenshilfe beantragt.

3.5. Zu Spruchpunkt B - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen. Wie ausgeführt, sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in allen Spruchpunkten nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung, Anhaltung, Aufenthaltsehe, Aufenthaltsrecht, aufrechte
Rückkehrentscheidung, Ausreiseverpflichtung, Befehls- und
Zwangsgewalt, begünstigte Drittstaatsangehörige,
Berichtigungsbescheid, Ehe, Eingabengebühr, falsche Angaben,
Festnahme, Festnahmeauftrag, Fluchtgefahr, gemeinsamer Haushalt,
Identität, Kostenersatz, Kostenersatz - Antrag, Mandatsbescheid,
Maßnahmenbeschwerde, Privat- und Familienleben, Rechtswidrigkeit,
Scheinehe, Schriftsatzaufwand, Schubhaft, sichernde Maßnahme,
Sicherungsbedarf, Täuschung, Untertauchen, Verdacht,
Verhältnismäßigkeit, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I406.2211337.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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