TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/4 W119 2129723-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2019
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Entscheidungsdatum

04.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch

W119 2129723-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a EIGELSBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17. 6. 2016, Zl. 820297505/150259937, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 Z 1 VwGVG iVm § 68 Abs 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005 idgF iVm § 9 Absatz 3 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 Z 2 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 12. 3. 2012 einen (ersten) Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz in Österreich.

Bei seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag gab er zu seinem Fluchtgrund an, dass er in Kabul für eine Bank als Security gearbeitet habe. Er sei auch persönlicher Leibwächter des Bankdirektors gewesen. Die Taliban hätten ihn aufgefordert, diese Tätigkeit zu beenden, ansonsten würden sie ihn umbringen. Aus Angst um sein Leben habe er Afghanistan verlassen.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. 3. 2012 gab der Beschwerdeführer an, aus dem Dorf XXXX in der Provinz Kunduz zu stammen und dort aufgewachsen zu sein. Ca. fünf Jahre vor seiner Ausreise sei er mit seiner Familie nach Kunduz (gemeint wohl: Stadt) übersiedelt. Dort hätten sie ein Haus gemietet. Seine Frau, sein Sohn und seine Brüder wohnten weiterhin dort. Seine Eltern seien bereits verstorben. Der Beschwerdeführer machte über Befragung nähere Angaben zu seiner Tätigkeit als Sicherheitsmann für die Kabul-Bank und als Leibwächter für deren Direktor und brachte vor, dass er deshalb wiederholt Drohanrufe von den Taliban bekommen habe. Als er einmal mit einem Taxi von Kabul zu seiner Familie gefahren sei, seien drei bewaffnete und maskierte Männer auf der Straße gewesen und hätten das Auto aufhalten wollen. Da dies nicht gelungen sei, hätten sie dem Auto nachgeschossen. Es sei jedoch niemand getroffen worden. Danach habe er sich entschlossen, Afghanistan zu verlassen. Auf den Vorhalt, dass der Beschwerdeführer nicht wissen könne, ob der Vorfall im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit gestanden sei, antwortete er, dass er später einen Anruf, bekommen habe, bei dem gesagt worden sei, dass er noch einmal entkommen sei.

Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 21. 3. 2012, Zahl: 12 02.975-BAT, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 12. 3. 2012 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG mit einer Ausweisung nach Afghanistan (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf das Bundesasylamt Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers sowie gegen dessen Ausweisung nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Ein Abschiebungshindernis liege nicht vor.

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt (zusammengefasst) aus, dass der Beschwerdeführer bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubhaft sei.

Der Beschwerdeführer habe seine Fluchtgeschichte nicht nachvollziehbar und unschlüssig geschildert. Er habe vage und unplausible Angaben gemacht und somit keine Glaubwürdigkeit erlangen können.

Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde erhoben, in der der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen wiederholte und unter Anführung von Berichtsmaterial aus dem Jahr 2011 auf die schlechte Sicherheitslage in Kabul verwies. Mit der Beschwerde legte er eine undatierte englischsprachige Bestätigung der " XXXX " vor, wonach ein " XXXX " eine Ausbildung als "Security Guard" gehabt habe und im Rahmen dieses Unternehmens für die XXXX vom XXXX bis XXXX als Sicherheitsmann gearbeitet habe.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 1. 8. 2012, Zl C13 425.880-1/2012/3E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer - wie vom Bundesasylamt zu Recht festgestellt - vage sowie unplausible und somit unglaubwürdige Angaben zu seinen Fluchtgründen getätigt habe. Die "Grundgeschichte" habe der Beschwerdeführer halbwegs stimmig vorbringen können. Im Falle einer tiefergehenden Befragung sei sich der Beschwerdeführer jedoch unsicher gewesen, habe vorangehende Stehsätze wiederholt oder die allgemeine Lage in Afghanistan erläutert. Zusammengefasst sei der Kern des Fluchtvorbringens zwar (größtenteils) gleichgeblieben, habe jedoch aufgrund gleichbleibender Stehsätze sowie wegen eines oberflächlichen und unkonkreten Inhalts nicht glaubhaft gemacht werden können. Insbesondere erscheine die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers in ihrer Gesamtheit konstruiert und realitätsfern. So sei es beispielsweise nur schwer nachvollziehbar, dass die Taliban über dreieinhalb Jahre hinweg jede Woche den Beschwerdeführer angerufen hätten, ohne auch nur ein einziges Mal ihre Drohungen wahr gemacht zu haben. Der vom Beschwerdeführer geschilderte - einzige - Vorfall, bei dem auf ihn geschossen worden sei, entbehre einer gewissen Logik, zumal den Taliban sein Wohnort bekannt gewesen sei und somit ein riskanter Überfall auf offener Straße auf ein fahrendes Auto nur wenig Sinn ergeben würde. Auch sei die Argumentation, dass man in Afghanistan bei jeder Arbeit von Taliban bedroht werde unglaubwürdig und lebensfremd.

Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, dass die Sicherheitslage sich in großen Teilen Afghanistans zunehmend stabilisiere, aber nach wie vor angespannt sei. Gesonderte Feststellungen zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Kunduz, traf der Asylgerichtshof nicht. Die humanitäre Situation stelle das Land vor allem mit Hinblick auf die mehr als 4,5 Millionen, meist aus Pakistan zurückgekehrten, Flüchtlinge vor große Herausforderungen.

Zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des subsidiären Schutzes erwog der Asylgerichtshof in der rechtlichen Beurteilung, dass aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben seien. Die aktuelle Situation in Afghanistan sei weder sicher noch stabil, doch variiere die Sicherheitslage von Provinz zu Provinz und auch von Distrikt zu Distrikt. Im Raum Kabul sei es der afghanischen Armee und Polizei nach anfänglichen Schwierigkeiten 2010 gelungen, Zahl und schwere sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren. Die positive Sicherheitslage dort erlaube es sogar, mit dem Rückbau von Betonbarrieren und Verkehrsbeschränkungen zu beginnen. Der Beschwerdeführer verfüge über eine mehrjährige Berufserfahrung in der Sicherheitsbranche. Darüber hinaus habe er in seiner Heimatprovinz nach wie vor enge familiäre Anknüpfungspunkte. Dort sei er auch mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut. Andererseits sei auch nicht von einer Ortsunkundigkeit in Kabul auszugehen, weil er dort fünf Jahre lang als Security gearbeitet habe. Unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen hätten sich keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass die nach einer Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, seien nicht hervorgekommen.

Am 12. 3. 2015 stellte der Beschwerdeführer einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde er im Rahmen der Erstbefragung nach dem AsylG niederschriftlich einvernommen. Zu seinen neuen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan dramatisch verschlechtert habe. Seine drei Brüder und seine Frau mit dem gemeinsamen Kind seien von XXXX nach XXXX geflüchtet, weil sie ständig von Taliban bedroht worden seien. Die Taliban hätten auch nach ihm gefragt. Die Situation sei immer unerträglicher geworden. Bei einer Rückkehr hätte der Beschwerdeführer Angst vor den Taliban.

Mit einem Schriftsatz vom 12. 3. 2015 gab der im Spruch genannte rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers seine Vollmacht bekannt und führte zu dessen nunmehrigem Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen aus, dass sich seit dem, den ersten Antrag abweisenden Erkenntnis im Jahr 2012 die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Kunduz dramatisch verschlechtert habe. In Kunduz habe sich dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) zufolge die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle "im Vergleichszeitraum" um 77 Prozent erhöht. Wörtlich heiße es im Länderinformationsblatt: "Die Sicherheitslage in Kunduz ist angespannt und hat sich in den vergangenen Monaten verschlechtert." Vor dem Hintergrund dieser Veränderung der Sicherheitslage sei es der Familie des Beschwerdeführers nicht mehr möglich, im Heimatort zu leben. Bereits aufgrund der gegenwärtigen Sicherheitslage sei es dem Beschwerdeführer im Sinne des Art. 3 EMRK nicht möglich bzw. auch nicht zumutbar, in seine Heimatregion zurückzukehren. Doch auch in Kabul sei es ihm nicht möglich, eine neue Existenz aufzubauen. Nach der Judikatur des VfGH und des BVwG sei es nur bei einem hinreichend etablierten sozialen Netz bzw. bei entsprechend qualifizierter Ausbildung möglich, eine neue Existenz in Kabul aufzubauen. In rechtlicher Hinsicht liege somit ein neuer Sachverhalt vor, so dass das erste Asylverfahren der inhaltlichen Behandlung des gegenständlichen Antrages nicht entgegenstehe. Aufgrund des geänderten Sachverhaltes würde den Beschwerdeführer eine zumindest Art. 3 EMRK, wenn nicht Art. 2 EMRK widersprechende Situation erwarten. Zur aktuellen Situation in Afghanistan wurden mehrere Medienberichte aus den Jahren 2010, 2013, 2014 und 2015 sowie Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. 10. 2014, vorwiegend zur Sicherheitslage, vorgelegt.

Am 14. 9. 2015 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesamt einvernommen. Er legte mehrere Fotos zum Beweis dafür, dass er bei einem Sicherheitsunternehmen gearbeitet habe, vor und gab an, dass die Fotos in Afghanistan aufgenommen worden seien. Den Zeitpunkt der Aufnahmen wisse er nicht genau. Er sei in der Zwischenzeit nicht nach Afghanistan zurückgereist. Zudem legte der Beschwerdeführer mehrere fremdsprachige Schreiben zum Beweis seines Vorbringens vor, die seinen Angaben zufolge aus der Zeit vor seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz stammen. Zu Neuerungen seit der Rechtskraft seines ersten Asylverfahrens befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass die Taliban, seitdem er Afghanistan verlassen habe, mehrmals "zu uns" nach Hause gekommen seien. Sie hätten neulich nach ihm gesucht und seine Familie bedroht. Außerdem hätten sie einen neuen Drohbrief verschickt. Deshalb habe seine Familie ihren Wohnort wechseln müssen. Vorher habe sie in Kunduz (gemeint wohl: die Stadt) gewohnt, nunmehr lebe sie in XXXX (Distrikt). Sein Bruder habe ihm vor zwei Monaten übers Telefon gesagt, dass die Taliban "nachdem wir unseren Wohnort gewechselt haben, mehrmals nach uns gefragt haben."

Sie seien zum ehemaligen Haus seiner Familie gekommen und hätten die Leute, die jetzt dort wohnten, "gefragt". Seine Familie lebe versteckt. Falls die Taliban seine Familie fänden, dann wäre diese wieder in Gefahr. Zu seiner Rückkehrsituation befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er in Kabul nicht leben könnte. Dort sei es wie in der Hölle und es würden viele Selbstmordattentate verübt. Er glaube auch nicht, dass er wieder eine Arbeit finden würde. Das Unternehmen, bei dem er gearbeitet habe, sei aufgelöst worden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er getötet werden. Momentan sei die Situation in XXXX schlecht.

Am 18. 5. 2016 wurden dem Beschwerdeführer die vorläufigen Sachverhaltsannahmen des Bundesamtes zur Situation in Afghanistan in Form des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 21. 1. 2016 zur Kenntnis gebracht und ihm eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme gewährt. Dem Länderinformationsblatt ist insbesondere zu Kunduz zu entnehmen, dass der Anstieg ziviler Opfer im Jahr 2015 zum Großteil auf einen Anstieg komplexer Angriffe und Selbstmordattentate, sowie gezielter vorsätzlicher Tötungen durch regierungsfeindliche Kräfte zurückzuführen sei. Eine erhöhte Anzahl ziviler Opfer werde durch regierungsfreundliche Kräfte im Rahmen von Bodenoffensiven und Luftangriffen verursacht, während eine erhöhte Zahl von Zivilisten ins Kreuzfeuer zwischen den Konfliktparteien geraten sei. Besonders erwähnenswert sei hier die Provinz Kunduz. Die Sicherheitslage sei trotz militärischer Operationen in den nord-östlichen Regionen volatil - speziell in der Gegend rund um Kunduz, in welcher regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin eine Präsenz in der Nähe zu Kunduz City beibehielten. Durch die Talibanoffensiven in den Provinzen Helmand und Kunduz entstehe der Eindruck, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptbevölkerungszentren nicht kontrollieren könnten. In Kunduz sei es den Taliban nicht möglich gewesen, das Territorium für einen längeren Zeitraum zu halten. Im Zeitraum 1. 1. bis 31. 8. 2015 seien in der Provinz Kunduz 462 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert worden. Die temporäre Einnahme der Stadt Kunduz vom 28. 9. 2015 bis 13. 10. 2015 durch die Taliban, die erste Provinzhauptstadt, die seit 2001 von den Taliban eingenommen worden sei, habe die erhöhte Intensität des Konfliktes markiert und sei ein großer Rückschlag für die afghanische Regierung gewesen. Zuvor sei es geschätzten 2000 Talibankämpfern gelungen, fünf der sieben Provinzdistrikte zu erobern. Den afghanischen Sicherheitskräften sei es möglich gewesen, bis zum 31. 10. 2015 nicht nur die Stadt Kunduz, sondern dreizehn weitere Distriktszentren im Norden und Süden wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.

Der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers gab mit einem Schriftsatz vom 30. 5. 2016 eine Stellungnahme ab und führte im Wesentlichen aus, dass den aktuellen Berichten internationaler Organisationen zufolge sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Antrages auf internationalen Schutz im August 2012 entscheidungsrelevant verschlechtert habe. Verwiesen wurde auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. 4. 2016. Diesen zufolge kontrollierten die Taliban mehr Territorium als in jedem Jahr seit 2001 und die Sicherheitslage habe sich im Jahr 2015 massiv verschlechtert. Der Beschwerdeführer habe zwar Familienangehörige in der Provinz Kunduz, XXXX , doch sei ihm ein Leben in Kunduz bei der bestehenden Sicherheitslage nicht zumutbar. Verwiesen wurde auf Judikatur des BVwG zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes für afghanische Staatsangehörige, die aus Kunduz stammten, aufgrund der dortigen Sicherheitslage. Ein Leben in Kabul sei dem Beschwerdeführer nicht möglich, weil er dort über kein soziales Netzwerk mehr verfüge und sich sowohl die wirtschaftlicheals auch die Sicherheitslage dort verschlechtert hätten. Auch sei eine Verfolgungsgefahr durch die Taliban für den Beschwerdeführer als ehemaligen Mitarbeiter eines "pro-Regierungs-Unternehmens" aktuell gegeben, weshalb ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Der Beschwerde wurde ein Bericht des Afghanistan Analysts Network vom 14. 2. 2016: "The Bloodiest Year Yet: UN Reports on civilian casualties in 2015" beigelegt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17. 6. 2016, Zahl: 820297505/150259937, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG idgF wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 idgF erlassen. Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Unter Spruchpunkt III. wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG bestimmt, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ausschließlich Gründe für seinen neuerlichen Asylantrag vorgebracht habe, welche sich zur Gänze auf sein Vorverfahren beziehen würden und die bereits in zweiter Instanz als nicht glaubwürdig beurteilt worden seien. Damit sei nicht von einem neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt auszugehen. Da der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig sei, Berufserfahrung in Kabul gesammelt habe und die Unterstützung seiner Familie in Afghanistan in Anspruch nehmen könne, habe nicht festgestellt werden können, dass er bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt werden würde.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers und seines rechtsfreundlichen Vertreters hinsichtlich der im Vergleich zum Erstverfahren verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan und insbesondere in der Provinz Kunduz sowie in Kabul findet sich in der Beweiswürdigung lediglich der Satz: "Zudem würdigte Ihr Rechtsvertreter die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan und besonders in Kabul. Die Stellungnahme vermochte die objektiven Feststellungen der Staatendokumentation nicht zu entkräften." Zudem ist in der Beweiswürdigung ausgeführt: "In der Zusammenschau der bekannten Umstände und unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen war daher festzustellen, dass Ihnen eine Rückkehr nach Afghanistan durchaus zumutbar und möglich ist." In der rechtlichen Beurteilung findet sich die Erwägung: "Die von Amts wegen berücksichtigte Ländersituation brachte ebenfalls keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervor, weshalb auch diesbezüglich von entschiedener Sache auszugehen ist. Im Übrigen wird auf die o.a. Beweiswürdigung verwiesen." Da weder in der maßgeblichen Sachlage, noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, stehe die Rechtskraft des ergangenen Erkenntnisses "des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2015, Zahl:W196 1435906-2/4E" dem neuerlichen Antrag des Beschwerdeführers entgegen, weshalb das Bundesamt zu seiner Zurückweisung verpflichtet sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 5. 7. 2016 Beschwerde. In dieser wurde ausgeführt, dass das Ergebnis der Beweiswürdigung des Bundesamtes, wonach der Beschwerdeführer keine Gründe angeführt habe, welche eine entscheidungsrelevante Änderung des Sachverhaltes darstellen würden angesichts der Vorlage von Berichten internationaler Organisationen und der Angaben des Beschwerdeführers in keiner Weise nachvollziehbar sei. Denn sowohl in den durch das Bundesamt getroffenen Feststellungen wie auch in der Stellungnahme vom 30. 5. 2016 werde die Sicherheitslage in Afghanistan als desaströs beschrieben. Gerade die Provinz Kunduz, aus der der Beschwerdeführer und seine gesamte Familie stammten, sei erklärtes Ziel der Taliban und sei im Frühjahr 2015 zeitweilig zur Gänze von ihnen übernommen worden. Die Tatsache, dass die Provinzhauptstadt von den Regierungstruppen zurückerobert habe werden können ändere nichts an dem weiterhin massiven Einfluss der Taliban in dieser Region und an dem unverminderten strategischen Interesse der Taliban an dieser Provinz, wie auch an den weiterhin stattfindenden Kämpfen. Den Feststellungen zur Situation in Afghanistan im angefochtenen Bescheid zufolge sei es gerade in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers im Zuge des Abzugs internationaler Truppen zu einem Erstarken der Taliban gekommen. Dies sei jedenfalls als eine Änderung des entscheidungsrelvanten Sachverhaltes zu qualifizieren. Die in der Stellungnahme vom 30. 5. 2016 zitierten Berichte anerkannter internationaler Organisationen zeichneten ebenso ein von Gewalt und Terror geprägtes Bild der Lage. Dennoch sei vom Bundesamt beweiswürdigend ausgeführt worden, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Afghanistan durchaus zumutbar sei. Wieso das Bundesamt diese Einschätzung trotz der angeführten Berichte vertrete, werde in der Beweiswürdigung nicht näher erläutert. Zudem habe sich die wirtschaftliche Lage in Afghanistan wegen der Verschlechterung der Sicherheitslage verschärft. Das Bundesamt habe die Lage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers in keiner Weise gewürdigt. Trotz des wiederholten Verweises auf eine mögliche Ansiedlung des Beschwerdeführers in Kabul habe das Bundesamt es verabsäumt, sich mit der derzeitigen Sicherheitslage in Kabul auseinanderzusetzen. In der Beweiswürdigung sei lediglich mit der lapidaren Bemerkung: "siehe Länderfeststellungen" auf diese verwiesen worden, ohne sie inhaltlich zu würdigen. Hätte das Bundesamt sich mit den eigenen Länderfeststellungen auseinandergesetzt, wäre es zu einem dem Antrag stattgebenden Ergebnis gekommen. Denn gerade in diesen Feststellungen werde die Sicherheitslage in Kabul als extrem herausfordernd beschrieben. Die mit der Stellungnahme vom 30. 5. 2016 vorgelegten Berichte seien lediglich mit der pauschalen Würdigung abgetan worden, dass diese die behördlichen Länderfeststellungen nicht entkräften hätten können. Damit seien die vorgelegten Berichte nicht gewürdigt worden. Auch wenn sich die im gegenständlichen Fall geschilderten Befürchtungen des Beschwerdeführers - ebenso wie jene in seinem Vorverfahren - auf eine Bedrohung durch die Taliban beziehen würden, so stelle die nunmehr vorgebrachte Furcht aufgrund der neu entstandenen, deutlich erhöhten Verfolgungsgefahr durch das Erstarken der Taliban einen neu zu beurteilenden Sachverhalt dar. Das Bundesamt hätte jedenfalls zu der Ansicht gelangen müssen, dass sich die Sachlage (mindestens) in Hinblick auf die Prüfung des subsidiären Schutzes entscheidungsrelevant geändert habe. Die verfehlte Ansicht des Bundesamtes zeige sich unter anderem in der Rechtsprechung des BVwG zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers. Dabei habe das Bundesverwaltungsgericht wiederholt jungen, arbeitsfähigen Männern den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Auch habe das Bundesverwaltungsgericht wiederholt Personen, welche kein soziales Netzwerk oder familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul hätten, subsidiären Schutz zuerkannt. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens jedenfalls zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG nicht zulässig sowie ebenso nicht möglich sei und der Aufenthalt folglich als geduldet anzusehen sei.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. 7. 2016, Zahl:

W119 2129723-1/2Z wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. 10. 2016, Zl W119 2129723-1/3E, wurde der Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Mit der vom Bundesamt in Revision gezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. 4. 2017, Zl Ra 2016/01/0307-5, diese wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes auf.

Mit Schriftsatz vom 4. 7. 2017 stellte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und führte weiters aus, dass sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt in Bezug auf das nach Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährte Recht auf Aufrechterhaltung des schützenswerten Privat- und Familienlebens seit der letzten niederschriftlichen Einvernahme verfahrensmaßgeblich zu Gunsten des Beschwerdeführers intensiviert habe, sodass eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG aus den Gründen des Art 8 EMRK auf Dauer nicht zulässig sei.

Dies wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer nunmehr in einer Wohngemeinschaft mit einem österreichischen Ehepaar lebe, das ihn aufgenommen habe. Der Beschwerdeführer beteilige sich an den Hausarbeiten und er nehme regelmäßig an Deutschkursen teil. Es wurde die zeugenschaftliche Einvernahme jener Person beantragt, in deren Wohnung der Beschwerdeführer Aufnahme gefunden hat.

Mit Schriftsatz vom 26. 7. 2017 teilte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers mit, dass dieser in der Küche eines Yachthafens als Volontär beschäftigt sei.

Mit Schriftsatz vom 27. 9. 2017 legte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers einen ärztlichen Befundbericht vom 22. 8. 2017 vor, wonach der Beschwerdeführer an einer Anpassungsstörung mit verlängerter depressiver Reaktion leide.

Am 24. 10. 2018 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt als weitere Partei nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer legte zunächst eine Einstellungszusage, eine Bestätigung über die von ihm mit Asylwerbern ausgeübte Dolmetschertätigkeit, eine Teilnahme an einem Deutschkurs sowie Empfehlungsschreiben vor.

Befragt, ob sein Fluchtvorbringen eine Änderung erfahren habe, gab er an, dass seine Ehefrau nunmehr bei ihrer Mutter lebe. Für den Fall seiner Abschiebung befürchte er von den Taliban getötet zu werden. Er könne ebenso wenig in Mazar-e Sharif leben, weil es für seine Ehefrau zu gefährlich sei, dort alleine zuhause zu sein.

Er lebe seit drei Jahren mit einem österreichischen Ehepaar in einem gemeinsamen Haushalt. Überdies habe er auch den Drogen abgeschworen.

Der als Zeuge einvernommene österreichische Staatsbürger führte zu dem Zusammenleben mit dem Beschwerdeführer aus, dass er und seine Ehefrau eine Wohngemeinschaft mit einem Flüchtling begründen hätten wollen. Das Zusammenleben gestalte sich in der Weise, dass sowohl gemeinsam als auch getrennt gekocht werde. Er unterstütze den Beschwerdeführer in Bezug auf Kleidung, Miete müsse er nicht bezahlen. Der Beschwerdeführer sei auch in der Nachbarschaft besser integriert als er selbst.

Mit Schriftsatz vom 8. 4. 2019 legte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers das Zeugnis zur Integrationsprüfung (Niveau: A2) sowie eine Bestätigung über eine ehrenamtliche Tätigkeit in einem gemeinnützigen Verein vor. Überdies wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer seit nunmehr sieben Jahren im österreichischen Bundesgebiet aufhältig sei, wobei er sich auch nachhaltig und erfolgreich in die österreichische Gesellschaft integriert habe.

Am 16. 9. 2019 fand beim Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt als weitere Partei nicht teilnahm. Dazu legte der Beschwerdeführer zunächst einen Verteilervertrag sowie ein Schreiben seines Vermieters vor. Weiters erklärte der Beschwerdeführer, dass sich die Sicherheitslage in der Provinz Kunduz sehr verschlechtert habe. Er habe mit seiner Familie gesprochen, die ihm gesagt habe, dass sich die Taliban nach seinem Verbleib erkundigt hätten. Zu einer inländischen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif befragt, gab er an, dass es auch dort sehr gefährlich sei.

Zu seinem Verhältnis zu dem österreichischen Ehepaar befragt, gab er an, dass er dort weiterhin wohne. Sie hätten ihn bei seiner Deutschprüfung sehr unterstützt. Zu seiner Tätigkeit als Verteiler befragt, gab er an, dass er bisher zwei Verteilergebiete betreue, ein drittes erhalte er, sobald dieses frei werde.

Dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers wurden die in das Verfahren eingeführten Länderberichte übergeben und ihm eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.

Mit Schriftsatz vom 14. 10. 2019 nahm der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers Stellung und führte aus, dass sich der Beschwerdeführer im österreichischen Bundesgebiet nachhaltig integriert habe. Dabei sei insbesondere auf die enge Beziehung zu dem österreichischen Ehepaar hingewiesen, das den Beschwerdeführer seit dem Jahr 2015 unterstütze. Überdies verfüge der Beschwerdeführer über zahlreiche aus Vorarlberg stammende Freunde, wie den Unterstützungsschreiben zu entnehmen sei. Weiters sei der Beschwerdeführer auch am österreichischen Arbeitsmarkt integriert, indem er selbständig als Zeitungszusteller tätig sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der paschtunischen Volksgruppe an. Er stammt aus der Provinz Kunduz. Er bestritt in Afghanistan seinen Lebensunterhalt durch eine Tätigkeit als Sicherheitsmann und Leibwächter. In Afghanistan leben seine Ehefrau und seine Kinder.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner ersten Asylantragstellung im März 2012 im österreichischen Bundesgebiet. Nach Abschluss seines ersten Asylverfahrens im August 2012 blieb der Beschwerdeführer im österreichischen Bundesgebiet aufhältig und stellte am 12. 3. 2015 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. 10. 2016 wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. 4. 2017 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die allgemeine Situation in Afghanistan hat sich hinsichtlich des im ersten Verfahrensgang herangezogenen Länderberichtsmaterials nicht so weit geändert, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan Drohungen oder Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten hätte. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine seine Existenz bedrohende Notlage geriete.

Der Beschwerdeführer lebt seit dem Jahr 2015 mit einem österreichischen Ehepaar in einem gemeinsamen Haushalt. Über diese Jahre entwickelte sich zwischen diesen eine tiefgehende Beziehung. Der Beschwerdeführer verfügt auch über ein nachhaltig tragfähiges soziales Netzwerk, das ihn bei seinen integrativen Fortschritten unterstützt.

Er absolvierte die Integrationsprüfung des ÖIF auf dem Niveau A2. Zudem ist er auch in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert, indem er als Zeitungszusteller selbständig tätig ist. Dies ermöglicht ihm, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten.

Der Beschwerdeführer weist eine strafrechtliche Verurteilung auf, wonach er vom Bezirksgericht Feldkirch mit Urteil vom 8. 3. 2016, Zl 018 U 38/2016i, wegen §§ 27 Abs 1 Z 1, Abs 2 SMG zu einer Geldstrafe, bedingt, mit einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt wurde.

Zur Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 04.06.2019:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017)

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016 ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt, vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkten Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018)

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/Innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte); damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: Im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Von 1.1.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registrierte die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben; dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018)

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018)

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte) und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u.a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert, ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände ("explosive remnants of war") 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte), ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen die Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: Das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban ("governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO-Mission-Resolute-Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt werden, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht; es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld, insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig, Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren; dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch, die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten, die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt, inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich, eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos, greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018), sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

Haqqani-Netzwerk

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt, finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden, inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban hat das Netzwerk mit mehreren anderen aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren; zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).

Al-Qaida

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen, sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.2017 - 20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

Sicherheitsbehörden

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: Das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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