TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/20 I414 1436813-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2019
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Entscheidungsdatum

20.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I414 1436813-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Einzelrichter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx und Verein "Legal Focus" gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 22.12.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, eigenen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 26.05.2013 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der am Tag der Antragstellung stattgefundenen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, in Emuhu, Nigeria, geboren worden, jedoch Staatsangehöriger von Liberia zu sein. Seine Muttersprache sei "Ika" und spreche er weiters Englisch. In den Jahren 1990 bis 1995 habe er in Emuhu die Schule besucht und zuletzt als Landwirt gearbeitet. In seinem Heimatland befände sich noch seine jüngere Schwester. Im März 2011 sei er ausgehend von Lagos nach Istanbul geflogen und mit Hilfe eines Schleppers nach Griechenland weitergereist. Danach sei er über Athen nach Österreich gelangt.

In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 04.07.2013 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Eingangs dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer neuerlich an, in Emuhu/Nigeria geboren und aufgewachsen zu sein. Er sei liberianischer Staatsangehöriger wie sein Vater, während seine Mutter die Staatsbürgerschaft Nigerias besessen habe. Der Beschwerdeführer sei selbst nie in Liberia gewesen. Sein Vater habe die Familie verlassen, als er ein Jahr alt gewesen wäre und sei zurück nach Liberia gegangen. Zu seiner privaten Situation in Österreich befragt, führte der Beschwerdeführer an, von der Grundversorgung zu leben und Zeitungen zu verkaufen. Er habe hier weder Verwandte bzw. Bekannte noch besuche er Bundesgebiet Kurse. Er gehe in die Kirche und lese seine Bibel.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.07.2013, Zl. XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Liberia (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Liberia ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.12.2013, Zl. A6 436.813-1/2013/4E hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). In Erledigung der Beschwerde wurde der Bescheid hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) und der Ausweisung des Beschwerdeführers nach Liberia (Spruchpunkt III.) behoben und die Angelegenheit insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Am 20.03.2014 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er in Emuhu/Nigeria geboren und aufgewachsen sei. Bis zu seiner Ausreise im Jahr 2011 habe er in Nigeria gelebt. Seine Mutter sei nigerianische Staatsangehörige. Er sei jedoch wie sein Vater liberianischer Staatsangehöriger.

Mit Schreiben des BFA vom 30.10.2017 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen eines Parteiengehörs über die beabsichtigte Abweisung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria und Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach Nigeria informiert. In der Anlage wurde dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt zu Nigeria übermittelt. Hinsichtlich der Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers führte das BFA an, dass aus der Verfassung Nigerias sich ergäbe, wonach ein Elternteil die nigerianische Staatsbürgerschaft besitze, auch das geborene Kind automatisch "as of birth" die nigerianische Staatsangehörigkeit habe. Ferner sei nicht möglich, diese Staatsbürgerschaft "as of Birth" zurückzulegen (Quelle: BFA Staatendokumentation, Anfragebeantwortung vom 01.04.2014). Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit eingeräumt schriftlich Stellung zu nehmen.

Mit Stellungnahme vom 08.11.2017 führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er in Österreich integriert sei, er die Kirche besuche, die Zeitung Eibischzuckerl verkaufe und er einen Sprachkurs A2 absolviert habe. Da der Beschwerdeführer keine brauchbaren Kontakte mehr habe, könne er weder nach Liberia noch nach Nigeria zurückkehren. Der vorgehaltene Bericht, wonach jedes Kind, das einen nigerianischen Elternteil oder Großelternteil habe, automatisch "durch Geburt" ein nigerianischer Staatsbürger sei, stehe dem liberianischen Staatsbürgerschaftsgesetz entgegen. In der Anlage der Stellungnahme wurde ein Sprachdiplom A2, ein Arbeitsvorvertrag und ein Bestätigungsschreiben über geringfügige Beschäftigung übermittelt.

Mit gegenständlich bekämpften Bescheid des BFA vom 22.12.2017, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 2 Wochen (Spruchpunkt III.).

Mit fristgerecht eingebrachtem Beschwerdeschriftsatz erhob der Beschwerdeführer vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seit Mai 2013 rechtmäßig in Österreich sei und viele soziale Kontakte habe. Eine Rückkehr nach Liberia oder Nigeria sei nicht möglich, da der Beschwerdeführer keine Kontakte mehr habe.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.12.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die englische Sprache, des Beschwerdeführers, einer Zeugin und seiner nunmehrigen zusätzlichen Rechtsvertretung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Gemeinsam mit der Ladung war dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt zu Nigeria übermittelt worden. Dabei wurde der Beschwerdeführer zur allgemeinen Lage in Nigeria und über seine privaten über seine privaten persönlichen Verhältnisse einvernommen. Darüber hinaus wurde die Zeugin einvernommen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden nachfolgende Unterlagen eingebracht: Vollmacht, mehrere Empfehlungsschreiben, Arbeitsvorvertrag, Bestätigungsschreiben über die freiwillige Tätigkeit in der Gemeinde und Bestätigungsschreiben über den regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der im Verfahrensgang dargestellte Sachverhalt wird als erwiesen festgestellt. Zudem werden nachfolgende weitere Feststellungen getroffen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig und bekennt sich zum christlichen Glauben.

Der Beschwerdeführer ist in Nigeria geboren und aufgewachsen. Er stammt aus dem Bundesstaat Delta und gehört zur Volksgruppe der Ika.

Die Mutter des Beschwerdeführers ist nigerianische Staatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias.

Seine Muttersprache ist Ika und er spricht weiters Englisch.

Der Beschwerdeführer besuchte in Nigeria die Schule und war in der Landwirtschaft beschäftigt. Bis zu seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer durchgehend in Nigeria.

Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in Nigeria.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.05.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.07.2013, Zl. XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Liberia (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Liberia ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.12.2013, Zl. A6 436.813-1/2013/4E hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). In Erledigung der Beschwerde wurde der Bescheid hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) und der Ausweisung des Beschwerdeführers nach Liberia (Spruchpunkt III.) behoben und die Angelegenheit insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich.

Der Beschwerdeführer hat einen Deutschkurs Niveau A2 erfolgreich absolviert. Er verfügt über rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung und lebt derzeit in der Gemeinde XXXX. Er verkauft die Straßenzeitung Eibisch-Zuckerl und er besucht regelmäßig die Kirche. Seit Anfang Mai 2018 ist der Beschwerdeführer in der Gemeinde XXXX gemeinnützig tätig. Er pflegt Kontakte zu ÖsterreichInnen. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über einen Arbeitsvorvertrag. Er ist nicht Mitglied eines Vereines oder hat in Österreich außer der Sprachprüfung keine Kurse absolviert.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurden in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.07.2019 die aktuellen Länderfeststellungen, welche dem Beschwerdeführers im Rahmen der Ladung zur Verhandlung übermittelt wurden, erläutert und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Stellungnahme gewährt.

Staatsbürgerschaft

Die nigerianische Staatsbürgerschaft erwerbt ein Kind kraft Geburt, auch wenn das Kind im Ausland geboren wurde; solange ein Elternteil die Nigerianische Staatsbürgerschaft besitzt.

Zudem erscheint es gemäß Art. 28, dass einem Staatsangehöriger Nigerias eine Doppelstaatsbürgerschaft zusteht, wenn er/sie die zweite Staatsangehörigkeit ebenfalls kraft Geburt erworben hat.

Nigeria: Neues Staatsangehörigkeitsrecht

Verfassung der Bundesrepublik Nigeria vom 5.5.1999

Kap. III Staatsbürgerschaft

Art. 25 Staatsbürgerschaft durch Geburt

(1) Folgende Personen sind Staatsbürger Nigerias durch Geburt, nämlich:

(a) wer vor dem Unabhängigkeitstag in Nigeria geboren ist, falls ein Eltern- oder Großelternteil einer Eingeborenengemeinschaft Nigerias angehört oder angehörte:

jedoch wird jemand nicht Staatsbürger Nigerias gemäß diesem Artikel, wenn keiner seiner Eltern- oder Großelternteile in Nigeria geboren wurde;

(b) wer nach dem Unabhängigkeitstag in Nigeria geboren ist, falls einer seiner Eltern- oder Großelternteile Staatsbürger von Nigeria ist;

(c) wer außerhalb Nigerias geboren ist, falls einer seiner Elternteile Staatsbürger Nigerias ist.

Quelle:

BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Sierra Leone und Nigeria: Staatsangehörigkeit der gemeinsamen Kinder, 3. Oktober 2019

https://www.ecoi.net/en/file/local/2018177/SIER_RA_Staatsangeh%C3%B6rigkeit+der+Kinder_2019_10_03_KE.odt

Die Nigerianische Verfassung legt in Sektion 25 fest, dass jede nach dem Datum der Unabhängigkeit (1.10.1960) geborene Person nigerianischer Staatsbürger ist, unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb Nigerias geboren wurde, sofern ein Elternteil oder Großelternteil nigerianischer Staatsbürger war oder ist. Falls die Person vor diesem Datum geboren wurde, so wird sie als nigerianischer Staatsbürger angesehen, sofern ein Elternteil oder Großelternteil einer in Nigeria ansässigen Gemeinschaft angehörte, sofern diese in Nigeria geboren worden. Daraus folgt, dass der Geburtsort einer Person für die Aneignung der nigerianischen Staatsbürgerschaft keine Rolle spielt. Sobald ein Elternteil einer Person nigerianischer Staatsbürger ist, wird diese automatisch nigerianischer Staatsbürger, unabhängig vom Geburtsort. Gemäß Sektion 42 der nigerianischen Verfassung soll außerdem kein nigerianischer Staatsbürger aufgrund seiner Geburtsumstände Schlechterbehandlung erfahren. (OB-Abuja (21.7.2010):

Ermittlungsbericht VA GZ. 4.600/124/2010, via Email)

Aus der Verfassung Nigerias ergibt sich, dass wenn ein Elternteil die nigerianische Staatsbürgerschaft hat, auch das geborene Kind automatisch "as of birth" die nigerianische Staatsangehörigkeit hat. Es ist nicht möglich diese Staatsbürgerschaft "as of birth" zurückzulegen.

Quelle:

BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Nigeria/Niger: Staatsbürgerschaft, 11. Dezember 2014

https://www.ecoi.net/en/file/local/1046723/5013_1469619506_nige-ra-staatsbuergerschaft-2014-12-11-as.doc

Zur aktuellen Lage in Nigeria wird auf die zur Ladung der mündlichen Verhandlung übermittelten Länderberichte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria) verwiesen, aus welchen sich auszugsweise Folgendes ergibt:

Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018; AA 9.2018a; GIZ 4.2019a) und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 12.10.2018; vgl. AA 9.2018a; GIZ 4.2019a). Sie verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 9.2018a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 10.12.2018; vgl. AA 9.2018a). Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 10.12.2018).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 4.2019a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 4.2019a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten (GIZ 4.2019a).

Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Am 18.3.2019 focht Abubakar das Ergebnis aufgrund von Unregelmäßigkeiten vor dem Obersten Gerichtshof an. Das Verfahren muss gemäß den gesetzlichen Vorgaben innerhalb von 180 Tagen bis spätestens Mitte September abgeschlossen werden. Die Aussichten, dass die Beschwerde Erfolg hat, sind gering. So hatte Präsident Buhari nach den Wahlen von 2003, 2007 und 2011 als Oppositionskandidat ebenfalls vergleichbare Beschwerden eingelegt und diese verloren (GIZ 4.2019a).

Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen

Ausschreitungen (GIZ 4.2019a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 15 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 12.4.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen - wenn auch weitgehend informellen - Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 9.2018a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 11.4.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

-

Stears News (12.4.2019): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/ governor/2019, Zugriff 12.4.2019

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes ("Biafra") hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).

In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).

Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).

Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).

In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch

Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende

Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019

-

BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019):

Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/, Zugriff 12.4.2019

-

CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019

-

EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 12.4.2019

Nigerdelta

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Nach Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur ist das Amnestieprogramm bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein "Waffenstillstand" zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu "erkaufen" und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 10.12.2018).

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben. Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2018). Die Lage im Nigerdelta hat sich seit damals beruhigt, ist aber weiterhin volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko (AA 9.2018c). Im Berichtszeitraum 1.10.2017 bis 30.9.2018 registrierte ACLED, eine von einer NGO betriebene Datenbank sicherheitsrelevanter Vorfälle, in der Kategorie "Violence against civilians" in den Bundesstaaten des Nigerdeltas insgesamt 116 Vorfälle (insg. 350 sicherheitsrelevante Vorfälle). Die Exekutive war nicht in der Lage kommunale Gewalt zu verhindern. Daher wird auch die Armee im Zuge gemeinsamer Sicherheitsoperationen und -übungen eingesetzt (EASO 11.2018a). Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 10.12.2018).

Entführungen sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig. Politiker, Wohlhabende und Ausländer sind die häufigsten Opfer (FH 1.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

-

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

Middle-Bel inkl. Jos/Plateau

Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria - vorwiegend im Middle-Belt - zu religiös motivierter Gewalt zwischen christlichen ansässigen Bauern und nomadisch lebenden muslimischen Viehhirten (USCIRF 4.2018; vgl. EASO 2.2019). Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019). Der Konflikt lädt sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 10.12.2018). Eine Polarisierung erfolgt anhand religiöser Linien, da Angriffe oft als religiös motiviert wahrgenommen werden. Im Jahr 2017 setzte sich der Konflikt fort und war Ursache für Todesfälle, Zerstörung und Vertreibung. Desertifikation und Konflikte im Norden führen dazu, dass Viehhirten Richtung Süden ziehen. Der Konflikt um die Landnutzung wird oft gewaltsam ausgetragen. Beide Seiten fühlen sich durch die Sicherheitskräfte nicht ausreichend geschützt, Angreifer bleiben ungestraft. Es wird auch von ethnische Säuberungen im Rahmen des Konflikts berichtet (USCIRF 4.2018).

Immer wieder kommt es zu lokalen Konflikten zwischen einzelnen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen, insbesondere zwischen Hirten und Bauern in Zentralnigeria (AA 9.2018a). Dort flammten im Verlauf des Jahres 2017 die Konflikte zwischen muslimischen Hausa-Fulani Hirten und einheimischen christlichen Bauern wieder stärker auf, besonders in den Bundesstaaten Kaduna, Plateau, Taraba, Nasarawa und Benue. In einzelnen Fällen forderten diese Auseinandersetzungen mehrere hundert Tote (AA 9.2018a; vgl. FH 1.2018; EASO 2.2019). Auch Adamawa ist betroffen (EASO 2.2019). Der Konflikt um Land und Ressourcen nimmt durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, das Bevölkerungswachstum und die allgemein angespannte wirtschaftliche Lage zu (AA 9.2018a). Nach einer Eskalation im Jänner 2018 waren in der ersten Jahreshälfte 2018 mehr als 1.300 Todesopfer zu verzeichnen, 300.000 Personen wurden vertrieben. Beide Seiten begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Morde, Zerstörung von Häusern und anderem Eigentum (EASO 2.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance:

Nigeria,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

-

USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2018): Annual Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435651/1226_1529393816_tier1- nigeria.pdf, Zugriff 29.11.2018

Nordnigeria - Boko Haram

"Boko Haram" ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 9.2018a). Dem Konflikt fielen unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 9.2018a; vgl. HRW 18.1.2018; EASO 11.2018a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati wal- Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a). Diese Gruppen waren weiterhin für Tötungen, Bombenanschläge und Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich. Diese Aktivitäten forderten tausende Todesopfer und Verletzte und verursachten bedeutende Zerstörung von Eigentum (USDOS 19.9.2018).

In den ersten eineinhalb Jahren Amtszeit hatte es Präsident Buhari geschafft, die Bedrohung durch Boko Haram weitgehend einzudämmen (AA 9.2018a). Die von Boko Haram betroffenen Staaten haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer 8.700 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AA 9.2018a). Im Vorfeld der Wahlen 2015 wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten Kamerun, Niger und Tschad intensiviert und hat nach dem Amtsantritt von Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten "technischen Sieg" geführt (ÖB 10.2018). Bis Oktober 2015 konnte Boko Haram aus allen von ihr kontrollierten Städten und aus fast allen Landkreisen im Nordosten Nigerias vertrieben werden, ohne das es den nigerianischen Sicherheitsbehörden bisher gelungen ist, diese Gebiete dann auch abzusichern und vor weiteren Angriffen der Islamisten zu schützen (AA 9.2018a; vgl. AA 1.12.2018). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten "Islamischen Staat" ist Boko Haram mittlerweile zu seiner ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2018). Mit Selbstmordanschlägen auf Streitkräfte, Vertriebenenlager, Moscheen in ländlichen Bereich oder in Einzugsgebieten von größeren Städten im Nordosten, besonders Maiduguri, sowie Entführungen bleiben die Islamisten weiterhin regional aktiv (AA 9.2018a). Die seit 2015 erzielten Fortschritte im Kampf gegen Boko Haram nutzen sich langsam ab (erhöhte Anschlagsaktivitäten, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte). Die nigerianischen Streitkräfte beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 10.12.2018). Die Zahl und Qualität der Anschläge, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte und Polizei, hat 2018 wieder zugenommen (AA 9.2018a). Boko Haram verübte 2017 mindestens 65 Angriffe, bei denen insgesamt 411 Zivilpersonen getötet wurden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 73 Menschen (AI 22.2.2018). Im Jahr 2018 kamen zumindest

1.200 Personen durch Boko Haram ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

In Lagos gibt es keine Fälle von Tötungen durch Boko Haram. Die Terroristen sind nicht in der Lage, eine Person überall in Nigeria aufzuspüren. Wenn sich Menschen von Boko Haram bedroht fühlen, dann können sie im Land umsiedeln (VA1 16.11.2015). Zwar gibt es im Süden Schläferzellen der Boko Haram. Trotzdem können z.B. Deserteure der Boko Haram in den Süden umsiedeln, wo sie sicher sind (VA2 16.11.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

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AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425079.html, Zugriff 8.11.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

HRW - Human Rigths Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/ dokument/1422531.html, Zugriff 28.11.2018

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HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/ document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

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USDOS - U.S. Department of State (19.9.2018): Country Report on Terrorism 2017 - Nigeria,

https://www.refworld.org/docid/5bcf1f8e13.html, Zugriff 30.11.2018

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VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

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VA2 - Vertrauensanwalt 2 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 10.12.2018). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2018). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 10.12.2018). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 13.3.2019).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 10.12.2018). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem ("Common Law" oder "Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben "Scharia-Gerichte" neben "Common Law"- und "Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischtkonfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2018).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; ÖB 10.2018; USDOS 13.3.2019). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019; FH 1.2019). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; USDOS 13.3.2019; ÖB 10.2018). Die Gehälter im Justizbereich sind niedrig, und es mangelt an Infrastruktur (ÖB 10.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich widersprechen sich die Rechtssysteme mitunter (ÖB 10.2018). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 1.2019).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte auf Grund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 10.12.2018). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 13.3.2019). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 10.12.2018).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 10.12.2018). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 10.12.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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