TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/28 W253 2139005-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.01.2020
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Entscheidungsdatum

28.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W253 2139005-1/30E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.04.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 03.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei am XXXX in XXXX , Afghanistan geboren und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Er sei Analphabet und habe zuletzt als Landarbeiter gearbeitet. Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, er habe Afghanistan aufgrund eines Grundstückstreits verlassen. Sein Vater sei von den Feinden im Dorf getötet worden. Der Beschwerdeführer befürchte bei einer Rückkehr nach Afghanistan das gleiche Schicksal zu erleiden wie sein Vater.

3. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.10.2016 führte der Beschwerdeführer über seine bereits in der Erstbefragung getätigten Angaben hinausgehend aus, er sei sunnitischen Glaubensbekenntnisses und nehme seit drei Monaten Medikamente; die Ärzte in Afghanistan hätten ihm gesagt, dass er einen Tumor im Hinterkopf hätte. In Afghanistan habe eine Gruppierung das Grundstück des Beschwerdeführers beanspruchen wollen. Der Beschwerdeführer wisse nicht, ob es die Taliban gewesen seien, jedenfalls habe es sich um bewaffnete Gruppierungen gehandelt, die in den Bergen leben würden. Sie hätten die gesamte Generation auslöschen wollen. Der Vater des Beschwerdeführers sei im Jahr 2015 erschossen worden. Ein bereits sehr alter Onkel des Beschwerdeführers lebe noch in Afghanistan.

4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung seiner Person im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend gemacht. Er könne seinen Lebensunterhalt in Kabul und Mazar-e Sharif bestreiten und von seiner Familie unterstützt werden. Der Beschwerdeführer leide zudem an keiner lebensbedrohenden Erkrankung.

Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

5. Mit Schreiben vom 02.11.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides und machte die Rechtswidrigkeit infolge eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens, eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Dabei führte er zusammengefasst aus, der Vater des Beschwerdeführers habe von dessen Vater ein Grundstück vererbt bekommen, das die Söhne der Cousine des Beschwerdeführers, die den Taliban bzw. den Mujaheddin angehört hätten, für sich beanspruchen hätten wollen. Diese hätten hauptsächlich in den Bergen gelebt und eines Tages den Vater des Beschwerdeführers getötet. Daraufhin habe der Beschwerdeführer das Grundstück geerbt, weshalb ihn die Söhne seiner Cousine umbringen hätten wollen. Die belangte Behörde hätte den Beschwerdeführer ergänzende Fragen zur Bedrohung seiner Person durch seine Verfolger stellen müssen. Dann hätte er angegeben, dass er diese genau kenne und deshalb auch gewusst habe, dass sie den Taliban bzw. den Mujaheddin angehört hätten. Die belangte Behörde ziehe ihre Schlussfolgerungen aus unvollständigen und teilweise veralteten Länderberichten. Zum Bestätigungsbrief des Dorfältesten wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer diesen erst in Österreich erhalten habe. Weiters wäre dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen, weil für ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan das reale Risiko einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK bestehe. Aufgrund seiner psychischen Probleme sei der Beschwerdeführer als besonders vulnerabel einzustufen.

6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 07.11.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Mit Eingabe vom 21.11.2016, 10.03.2017, 10.04.2017 und 15.05.2017 wurden dem erkennenden Gericht diverse Integrationsunterlagen übermittelt.

8. Am 30.04.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Der Beschwerdeführer brachte neu vor, vom Islam abgefallen zu sein. Weiters wurde ein Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens gestellt.

9. Mit Beschluss vom 05.05.2019 wurde XXXX zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie bestellt und mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt.

In seinem neurologischen und psychiatrischen Gutachten vom 15.07.2019 führte der Sachverständige im Wesentlichen aus, beim Beschwerdeführer bestehe ein altersentsprechender neurologischer Status und es würden sich keine Defizite finden. Aus psychiatrischer Sicht bestehe eine Anpassungsstörung mit gedrücktem Stimmungsbild und deutlicher Somatisierung sowie Schlafstörungen. Die derzeitige Medikation erscheine ausreichend. Es bestehe keine beschränkte Wiedergabefähigkeit bzw. sei der Beschwerdeführer in der Lage, das Erlebte wiederzugeben. Zudem bestehe auch keine beschränkte Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit. Der Beschwerdeführer sei grundsätzlich zeitlich, örtlich und situativ zur Person orientiert. Er sei in der Lage, alle Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen. Weiters sei der Beschwerdeführer arbeitsfähig; leichte bis schwere Arbeiten seien ihm ohne besondere Anforderungen an Konzentration und Aufmerksamkeit zuzumuten. Arbeiten unter besonderem Zeitdruck seien halbzeitig zuzumuten. Der Beschwerdeführer sollte aufgrund seiner psychischen Symptomatik keine Schwierigkeiten bei der Arbeit oder Hausarbeit haben.

10. Anschließend wurden dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde das unter Pkt. I.9. angeführte Gutachten, das Dokument "Die österreichischen Bischöfe: Katechumenat -Pastorale Orientierungen" sowie das Länderinformationsblatt zu Afghanistan übermittelt und ihnen eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

11. Mit Stellungnahme vom 29.07.2019 führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, sie erkenne aus dem Gutachten, dass dessen Erkenntnisse mit denen der Feststellungen des Organwalters bei der Einvernahme anher gehen würden. Hinsichtlich der Beilage "Die österreichischen Bischöfe: Katechumenat -Pastorale Orientierungen" erfahre das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Übersendung der bereits erfolgten Einvernahme durch das erkennende Gericht erstmals die Information, dass sich der Antragsteller für das Christentum interessiere. In der Beschwerde werde davon ebenso nichts vorgebracht, sodass die belangte Behörde davon ausgehe, dass dieser Umstand vom Antragsteller nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen worden sei, um einen Status zu erlangen.

12. In der Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, er sei zum Christentum konvertiert, weshalb ihm im schlimmsten Fall in Afghanistan die Todesstrafe drohe. Zum gegenständlichen Gutachten führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, dieses enthalte weder einen Befund iSd Judikatur bzw. der Standesregeln noch eine Angabe, welche Erfahrungssätze der Gutachter seinen fachlichen Schlussfolgerungen zu Grunde lege. Insgesamt mangle es an einer verständlichen, nachvollziehbaren und überprüfbaren Begründung. Zudem enthalte es keine Angaben zu herangezogenen Quellen. Der Gutachter habe somit bei der Erstattung des Gutachtens Pkt. 2.10.2. der Standesregeln des Hauptverbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs nicht eingehalten. Das Gutachten sei mangelhaft und im Verfahren nicht zu verwerten. Ergänzend legte der Beschwerdeführer einen aktuellen ambulanten Fachbefund der Abteilung für Neurologie vor und führte dazu aus, er leide einerseits an einer posttraumatischen Belastungsstörung und andererseits an einer Depression mit möglicher Somatisierung. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Gutachter zu einer gänzlich anderen Diagnose, nämlich zur Diagnose einer bloßen "Anpassungsstörung" des Beschwerdeführers komme. Es wurde der Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch einen medizinischen Sachverständigen aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie gestellt. Weiters führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er befürchte im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner psychischen Erkrankung, seiner Konversion, seines mehrjährigen Aufenthaltes in Europa, seiner fehlenden besonderen Qualifizierung oder Fachausbildung und seines Analphabetismus sowie der derzeitigen prekären humanitären Situation nicht einmal seine existenziellen Grundbedürfnisse sichern zu können. Der UNHCR halte fest, dass aufgrund der aktuellen Situation Kabul in keinem Fall eine interne Schutzalternative darstellen könne. Aus der aktuellen ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 12.10.2018 gehe hervor, dass auch Mazar-e Sharif und Herat nicht als innerstaatliche Fluchtalternative in Frage kämen.

13. Die unter Pkt. I.12. angeführte Stellungnahme wurde dem Sachverständigen zur Stellungnahme übermittelt. In dem daraufhin eingelangten Ergänzungsgutachten vom 22.10.2019 führte der Sachverständige im Wesentlichen aus, die Untersuchung sei am 04.07.2019 im Beisein von XXXX als Dolmetsch für die Sprache Farsi durchgeführt worden. Der Sachverständige entschuldigte sich, dass diese Information irrtümlich nicht im Gutachten angeführt worden sei. Der Beschwerdeführer sei eingehend psychiatrisch untersucht worden und vorgelegte Befunde seien im Gutachten berücksichtigt worden. Es habe zu keinem Zeitpunkt in nachvollziehbarer Weise eine Wahrnehmungsstörung als krankheitswertiges Symptom, wie es zum Beispiel bei einer Psychose zu beobachten sei, bestanden. Es sei richtig, dass die Anpassungsstörung bereits abgeklungen sei und nur mehr ein gedrücktes Stimmungsbild und eine deutliche Somatisierung vorliege, jedoch keine psychiatrische Symptomatik mit Krankheitswert. Wie aus der Gebührennote ersichtlich sei, sei die Position "Computer-EEG" nicht ausgefüllt worden, weil auch keine derartige Untersuchung durchgeführt worden sei.

14. Dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde wurde das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen übermittelt und ihnen eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt. In ihrer Stellungnahme vom 31.10.2019 brachte die belangte Behörde im Wesentlichen vor wie in ihrer in Pkt. I.11. genannten Stellungnahme. Der Beschwerdeführer führte in seiner Stellungnahme vom 13.11.2019 zusammengefasst aus, in dem erstatteten Ergänzungsgutachten gehe der Sachverständige - mit Ausnahme der Bekanntgabe der Untersuchung sowie der Beiziehung eines Dolmetschers - mit keinem Wort auf die vom Beschwerdeführer ausführlich dargelegte Mangelhaftigkeit des Gutachtens ein. Der Beschwerdeführer erachtet das Gutachten vom 15.07.2019 sowie das Ergänzungsgutachten vom 22.10.2019 weiterhin als mangelhaft und halte seine bisherigen Anträge unverändert aufrecht.

15. Am 09.01.2020 wurden dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde aktuelle Länderberichte übermittelt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von sieben Tagen eingeräumt. Die belangte Behörde führte in ihrer Stellungnahme sinngemäß aus, aus der Anfragebeantwortung sei erkennbar, dass die Medikamente Cerebokan, Pantoprazol, Saroten und Setralin in Afghanistan verfügbar seien, und es seien bis dato keine neuen Erkenntnisse ergangen, die der Beantwortung entgegenstünden. [l1]Der Beschwerdeführer kam um eine Fristverlängerung ein, welche im gewährt wurde und langte des Stellungnahme am 23.01.2020 ein. Der Beschwerdeführer verwies darin auf seine im Verfahren vorgebrachten Stellungnahmen sowie gestellten Anträge und teilte mit, dass er aufgrund seiner psychischen Erkrankung und der mangelnden Unterstützung vor Ort nicht in der Lage sein werde, seine Grundbedürfnisse in Afghanistan zu decken.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, dem neurologischen und psychiatrischen Gutachten vom 15.07.2019 sowie dem Ergänzungsgutachten vom 22.10.2019, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 03.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 02.11.2016 fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 30.04.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Mit Beschluss vom 05.05.2019 wurde XXXX zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie bestellt und mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt.

1.2. Zum Beschwerdeführer:

1.2.1. Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der Provinz Baghlan, im Distrikt XXXX geboren. Er stammt aus dem Dorf XXXX , wo er bis zur Ausreise aus Afghanistan (ungefähr im Januar 2015) gelebt hat. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist sunnitischer Moslem und seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Kernfamilie mehr; seine Eltern und deren Geschwister sind bereits verstorben. Die Mutter des Beschwerdeführers ist an Magenbeschwerden im Juni 2008 gestorben (zum Vater und Onkel des Beschwerdeführers siehe auch die Ausführungen unter Pkt. II.1.3.).

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine Schule absolviert und weder lesen noch schreiben gelernt; er kann mündlich zählen. Der Beschwerdeführer hat sein Einkommen durch die Tätigkeit als Landwirt erzielt und auf den Feldern anderer Leute gearbeitet. Die Familie des Beschwerdeführers war zudem im Besitz von Grundstücken.

Der Beschwerdeführer nimmt das Medikament Saroten 25 mg. Er leidet an einer Anpassungsstörung bzw. Somatisierungsstörung. Die Anpassungsstörung ist bereits abgeklungen und es liegt nur mehr ein gedrücktes Stimmungsbild vor. Es liegt keine psychiatrische Symptomatik mit Krankheitswert vor. Beim Beschwerdeführer besteht weiters keine beschränkte Wiedergabe,- Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit. Der Beschwerdeführer leidet insgesamt an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Er ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

1.2.2. Der Beschwerdeführer spricht ein einfaches Deutsch und hat an Deutschkursen, zuletzt auf dem XXXX - teilgenommen. Er besucht derzeit keinen Deutschkurs und hat auch noch keine Deutschprüfung absolviert. Der Beschwerdeführer verrichtet in seiner Unterkunft den Hauptputzdienst und hilft den Ortsbewohnern gelegentlich bei der Gartenarbeit. Ansonsten geht er keiner Erwerbstätigkeit nach. Er ist auch kein Mitglied in einem Verein. In seiner Freizeit kocht der Beschwerdeführer unter anderem gerne und geht spazieren.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Substanzielle Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. intensive Freundschaften oder Beziehungen) können nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.3.1. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung durch entfernte Verwandte, die Mitglieder der Taliban sind, ausgesetzt war oder im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Vater und der Onkel des Beschwerdeführers aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten, ausgelöst von ebengenannten Verwandten, ums Leben gekommen sind.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat (bzw. jeder derartige "Rückkehrer") in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist bzw., dass er eine solche im Falle der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.

1.3.2. Der Beschwerdeführer wurde als Moslem erzogen und ist bisher nicht zum Christentum konvertiert. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer ein tatsächliches Interesse am Christentum hegt sowie diesem im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen und dieses nach außen zur Schau tragen würde.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hat. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Mazar-e Sharif) Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist, in Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Mazar-e Sharif ist über den dort vorhandenen Flughafen sicher erreichbar.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 [in Folge kurz "LIB"], den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 [in Folge kurz "UNHCR-Richtlinien"], der EASO-Country Guidance zu Afghanistan vom Juni 2019, die auf Grund der gerichtsnotorischen englischen Sprache im englischen Original verwendet wird [in Folge kurz "EASO Juni 2019"], und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan:

Behandlung von Gastritis und Interkostalneuralgie und Kosten von Cerebokan, Pantoprazol, Saroten und Setralin vom 30.01.2018 [in Folge kurz "Anfragebeantwortung 30.01.2018"]):

1.5.1. Zur allgemeinen Sicherheitslage (LIB Kapitel 3.):

1.5.1.1. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen. Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten. Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen:

die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren. Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19 % im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen. Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten.

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet. In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten. So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan.

Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5 %, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte.

Für den Berichtszeitraum 10.05. - 08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63 % Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert. Für den Berichtszeitraum 08.02 - 09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7 % gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist.

Für den Berichtszeitraum 10.05. - 08.08.2019 sind 56 % (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7 % im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17 %. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44 % verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57 % mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018.

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge.

Von Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56 % auf 54 % der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. der Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15 % auf 12 %. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29 % auf 34 %. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5 % zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6 % der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39 % der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37 % von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20 % der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4 % der Distrikte.

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation. Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen. Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet.

1.5.1.2. Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01. - 30.09.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41 % der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5 % bzw. 11 % bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24 % gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt.

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 01.06.2018 und 30.11.2018 fanden 59 High-Profile Angriffe (HPAs) in Kabul statt (Vorjahreswert: 73), zwischen 01.12.2018 und 15.05.2019 waren es 6 HPAs.

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge.

1.5.1.3. In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität.

1.5.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Baghlan (LIB Kapitel 3.4.):

1.5.2.1. Baghlan, das sich im Nordosten Afghanistans befindet, grenzt an die Provinzen Bamyan, Samangan, Kunduz, Takhar, Panjshir, Parwan, und in einem sehr kleinen Abschnitt an Balkh. Baghlan ist in die folgenden 15 Distrikte unterteilt: Andarab, Baghlan-e-Jadeed (auch bekannt als Baghlan-e-Markazi), Burka, Dahana-e-Ghuri, Deh Salah, Dushi, Firing Wa Gharu, Gozargah-e-S. Noor, Khinjan, Khost Wa Firing, Khwaja hejran (Jalga), Nahreen, Pul-e-Hisar, Pul-i-Khumri und Tala Wa Barfak. Die Hauptstadt der Provinz ist Pul-iKhumri.

Die zentrale Statistikorganisation Afghanistan (CSO) schätzt die Bevölkerung von Baghlan für den Zeitraum 2019-20 auf 995.814 Personen. Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan.

Baghlan befindet sich auf der Kabul-Nord-Route, welche insgesamt neun Provinzen miteinander verbindet. Dies ist die einzige Trans-Hindukush-Autobahn in Afghanistan und die wichtigste Transitroute zwischen Kabul und dem Norden des Landes. Die Sicherheit entlang der Autobahn ist auch bedeutsam für die Energieversorgung Kabuls, da Stromleitungen aus Tadschikistan und Usbekistan entlang dieser verlaufen.

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Baghlan im Jahr 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. Der Schlafmohnanbau blieb in Baghlan im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 ungefähr gleich.

1.5.2.2. Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans; Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen. Im Dezember 2018 erklärte das afghanische Innenministerium (MoI), dass Baghlan zu den Provinzen mit einer hohen Taliban-Präsenz gehört und dass afghanische Streitkräfte in Teilen der Provinz in tödliche Kämpfe verwickelt sind. Zwischen 2014 und 2018 wurde in Baghlan ein Angriff des ISKP gezählt.

Aufseiten der Regierungstruppen liegt Baghlan im Verantwortungsbereich des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird.

1.5.2.3. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 261 zivile Opfer (68 Tote und 193 Verletzte) in Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 17 % gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDs) und gezielten Tötungen.

Baghlan liegt im Fokus der im April 2019 von der Regierung beschlossenen "Operation Khalid". Seit dem Jahr 2018 führen die ANDSF regelmäßig Operationen in der Provinz durch. Bereits im November wurden zusätzliche Sicherheitskräfte vom Verteidigungsministerium als Verstärkung nach Baghlan entsandt. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und den Taliban finden statt. Taliban-Kämpfer griffen im Mai 2019 in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri Sicherheitskräfte an und im September 2019 die Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri selbst und lieferten sich weitere bewaffnete Zusammenstöße. Die Verbindungsstraßen in die Hauptstadt waren temporär gesperrt und waren erst nach großangelegten Sicherheitsoperationen der afghanischen Regierungstruppen wieder eröffnet worden.

1.5.2.4. UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 13.421 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, in den benachbarten Provinzen Parwan, Balkh Panjsher und Bamyan sowie in anderen Provinzen wie Kabul, Kapisa und Khost Zuflucht fanden. Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 6.699 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die in der Provinz selbst verblieben, sowie nach Kabul und Herat gingen. Im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 meldete UNOCHA 11.928 Vertriebene in die Provinz Baghlan, die alle aus der Provinz selbst stammten. Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 936 konfliktbedingt nach Baghlan vertriebene Personen, die allesamt aus der Provinz selbst stammten.

1.5.3. Zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh (LIB Kapitel 3.5. und 21.):

1.5.3.1. Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari.

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird.

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten.

Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet.

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den

7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30 % gegenüber 2017.

1.5.3.2. Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet.

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi. Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird. Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert.

1.5.3.3. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76 % gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz. Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden.

Im Winter 2018/2019 und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt. Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäßig Operationen in der Provinz unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch. Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak, Chemtal, Dawlatabad und Nahri Shahi an.

Berichten zufolge errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert. Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen.

1.5.3.4. UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden. Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben. Im Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 meldete UNOCHA

15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul. Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten.

1.5.4. Zur Versorgungslage und den allgemeinen Lebensbedingungen in der Stadt Mazar-e Sharif (EASO Juni 2019, Kapitel V. "Internal protection alternative"):

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsunternehmen und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen.

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76 %), die in der Regel verrohrt sind oder aus den Brunnen stammen. 92 % der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen.

Laut Einschätzung des "Famine Early Warning System" (FEWS) ist die Situation in Mazar-e Sharif betreffend die Ernährungslage im Dezember 2018 als "angespannt" (engl.: "stressed") einzustufen, das bedeutet, dass mindestens jeder fünfte Haushalt trotz humanitärer Hilfe über einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch verfügt, aber nicht in der Lage ist, sich wesentliche nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden.

1.5.5. Religionsfreiheit, Christentum und Konversion zum Christentum (LIB Kapitel 16., 16.2.):

1.5.5.1. Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben.

1.5.5.2. Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0,3 % der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen. Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion.

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger.

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken.

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden.

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt. Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul. Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde.

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie.

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren. Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv; bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet. Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung.

1.5.6. Tadschiken (LIB Kapitel 17.2.):

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land. Sie machen etwa 27 bis 30 % der afghanischen Bevölkerung aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit.

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation. Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst¿.

Tadschiken dominierten die "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

1.5.7. IDPs und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):

Im Jahresverlauf 2018 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für das gesamte Jahr 2018 von ca. 350.000 bis 372.000 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden. Trotz des im Zeitvergleich hohen Ausmaßes der Gewalt war im Jahr 2018 das Ausmaß der konfliktbedingten Vertreibungen geringer als im Jahr 2017, als ca. 450.000 bis 474.000 Menschen durch den Konflikt innerhalb Afghanistans vertrieben wurden. Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu. Nach Angaben von UNOCHA sind im ersten Halbjahr 2019 rund 210.000 neue Konflikt induzierte Binnenflüchtlinge hinzugekommen. Mehr als die Hälfte von ihnen stammen aus den Provinzen Takhar, Faryab und Kunar. Die Gesamtzahl von Binnenflüchtlingen lag IDMC zufolge Stand Jahresende 2018 bei ca 2,598,000 Menschen.

Im Jahr 2018 kam es in 33 der 34 Provinzen zu konfliktbedingten Vertreibungen. Der Auslöser für Flucht war häufig Einschüchterung durch bewaffnete Akteure. Beispielsweise wurden im Zuge des Angriffes der Taliban auf die Stadt Ghazni im August 2018 rund 36.000 Menschen zu IDPs. Auch wurden zum Beispiel im November 2018 in Folge eines bewaffneten Konfliktes zwischen Hazara und Taliban

6.400 Menschen aus bis dahin sicheren Distrikten der Provinz Ghazni vertrieben.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft.

Die afghanische Regierung kooperiert mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, der erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen fördert sowie humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten erstellt und diese koordiniert.

1.5.8. Grundversorgung (LIB Kapitel 21.):

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38 % (2011) auf 55 % (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport.

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1 %, tertiärer Sektor: 53,1 %). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar. Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6 % und wird für 2019 auf 3,1 % prognostiziert.

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8 %.

Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt:

Einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren.

1.5.9. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können. In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle.

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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