Entscheidungsdatum
30.01.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W253 2134225-1/46E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Gerhard MORY, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am XXXX 2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX 2014 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei am XXXX in der Provinz XXXX geboren, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und habe fünf Jahre die Grundschule besucht. Der Beschwerdeführer sei traditionell verheiratet und habe zwei Brüder. Seine Flucht begründete der Beschwerdeführer damit, dass die Taliban von ihm verlangt hätten, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Dieser Aufforderung sei der Beschwerdeführer nicht nachgekommen, weshalb er ungefähr vor einem Monat illegal aus Afghanistan ausgereist sei.
3. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.05.2016 führte der Beschwerdeführer zusammenfassend ergänzend aus, er sei sunnitischen Bekenntnisses und habe regelmäßig Kontakt zu seiner Familie, welche sich derzeit in der XXXX befinde. Der Vater des Beschwerdeführers habe als Verkäufer gearbeitet, wodurch er den Lebensunterhalt der Familie bestreiten habe können.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer aus, in seinem Heimatdorf XXXX würden die Taliban herrschen; diese hätten den Beschwerdeführer und seinen Cousin mitnehmen wollen. Nach drei Tagen hätten die Taliban das Haus der Familie angegriffen und den Cousin des Beschwerdeführers mitgenommen, woraufhin der Beschwerdeführer mit seinen Eltern in dieXXXX geflüchtet sei. Vier Tage nach dem Vorfall hätten sie erfahren, dass der Cousin von den Taliban umgebracht worden sei. Der Vater des Beschwerdeführers habe anschließend die Ausreise aus Afghanistan organisiert. Näher zu den Taliban befragt, gab der Beschwerdeführer an, er kenne diese Leute nicht und könne keine Namen nennen. Sie seien zu seinem Onkel gekommen, zumal er der Familienälteste sei. Der Beschwerdeführer sei nicht persönlich bedroht worden, jedoch hätten die Taliban ihn mitnehmen und ihn einer Kampfausbildung unterziehen wollen.
4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer in Bezug auf die versuchte Rekrutierung durch die Taliban in mehrere Widersprüche verstrickt habe. Individuelle Umstände, die dafürsprechen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde, würden nicht vorliegen. In der Hauptstadt Afghanistans, Kabul, besitze der Beschwerdeführer eine innerstaatliche Lebens- und Wohnalternative. Weiters seien keine erheblichen Gründe hervorgetreten, welche auf eine besondere Bindung zu Österreich hinweisen würden.
Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARG Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
5. Mit Schreiben vom 26.07.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid, in welcher er seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 16 Abs. 1 BFA-VG ins Treffen führte und anregte, die Aufhebung dieser präjudiziellen Norm beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Der Beschwerdeführer monierte, die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und würden sich nicht mit seinem konkreten Fluchtvorbringen auseinandersetzen. Es seien wesentliche Ermittlungen hinsichtlich Zwangsrekrutierungen unterlassen worden. Zudem seien die Länderberichte der belangten Behörde über die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des afghanischen Staates unvollständig. Der Beschwerdeführer zitierte in diesem Zusammenhang diverse Länderberichte. Insgesamt habe das Bundesamt nach mangelhaftem Ermittlungsverfahren und Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs das Verfahren mit einer mangelhaften Beweiswürdigung und Begründung belastet. In Bezug auf die Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wonach der Beschwerdeführer einmal den Begriff "unser Haus" benutzt und ansonsten die Bedrohung und Entführung im Haus des Onkels geschildert hätte, hält der Beschwerdeführer weiters fest, dass er mit dem Begriff "unser Haus" ein Haus seiner Familie gemeint habe.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem Beschwerdeführer nicht offen, zumal die Taliban in ganz Afghanistan aktiv seien. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der kampffähigen Männer und aufgrund seiner unterstellten politischen Einstellung von den Taliban verfolgt werde, lasse für ihn die Definition des Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zutreffen, weil sich die Verfolgungshandlungen und asylrelevanten Diskriminierungen unter Art. 10 Abs. 1 lit. a und d der Statusrichtlinie subsumieren ließen. Eine Rückkehr zu seinen Verwandten komme aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage nicht in Betracht. Letztlich sei dem Beschwerdeführer zumindest ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG zu gewähren. Dem Beschwerdeschriftsatz fügte der Beschwerdeführer abschließend diverse Integrationsbestätigungen bei.
6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 06.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Stellungnahme vom 05.09.2016 führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, als low-profile-Fall sei der Beschwerdeführer in Kabul keiner erhöhten Gefährdung ausgesetzt. Weiters sei es nur schwer vorstellbar, dass die mit dem Beschwerdeführer in Kontakt getretenen Taliban wie aus dem Nichts von der Ferne aufgetaucht und wieder in der Ferne verschwunden seien. Naheliegend sei, dass die Taliban aus dem Dorf oder der näheren Umgebung stammten; somit hätte der Beschwerdeführer die Taliban identifizieren können. Ferner hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, es sei unverständlich, auf welchen Argumenten die "politische Einstellung" des Beschwerdeführers beruhe, sei sein bisheriges Leben bisher unpolitisch verlaufen. Abschließend hielt die belangte Behörde fest, der Besuch eines Deutschkurses oder eine Berufsausbildung allein würde noch kein schützenswertes Privatleben begründen.
7. Am 11.01.2018 wurde die Vollmacht von Rechtsanwalt Dr. Gerhard MORY bekanntgegeben und die Beschwerde wie folgt ergänzt: Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers, XXXX, sei besonders stark von den Aktivitäten aufständischer Gruppen geprägt und überschattet. Junge, wehrfähige Männer und heranwachsende Jugendliche befänden sich in diesem Gebiet in besonderer Weise im Verfolgungsfokus der Aufständischen. Die relevanten, individuellen Verfolgungsvorfälle und Bedrohungsereignisse hätten im Zeitraum vom ungefähr 15. bis 20.10.2014 stattgefunden. Der Onkel des Beschwerdeführers sei in dem Heimatgebiet ein besonders angesehener Mann. In der Nachbarschaft würden Dorfbewohner leben, die mit den Taliban zusammenarbeiten. Diese hätten offensichtlich den Taliban Informationen über die Betroffenen gegeben, sodass die Taliban in das Haus des Onkels gegangen seien. Ebengenanntes Haus sei ungefähr fünfzehn bis zwanzig Minuten Gehstrecke vom Haus der Familie des Beschwerdeführers entfernt. Beim ersten Mal seien die Taliban in das Haus des Onkels gekommen und hätten gefordert, dass der Cousin des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführer für die Taliban kämpfen und sich ihnen anschließen. Nach dieser ersten Bedrohung sei der Onkel zu Besuch in das Haus des Beschwerdeführers gekommen und habe vom Vorfall berichtet, wobei er diesen nicht ausreichend ernst genommen habe. Drei oder vier Tage später sei der Onkel erneut zum Beschwerdeführer und dessen Familie gekommen und habe ihnen erzählt, dass die Taliban seinen Sohn mitgenommen hätten. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer mit seinen Eltern aus dem Dorf in die Stadt geflüchtet.
Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer ein persönliches Zusammentreffen mit den Taliban in seinem eigenen Haus nicht geschildert. Hätte die Verwaltungsbehörde ihrer Verpflichtung entsprochen, die Aussage des Beschwerdeführers gesamthaft zu betrachten, zu analysieren und zu würdigen und dabei auf die besonderen Umstände abzustellen, unter denen derartige asylbehördliche Einvernahmen ablaufen, so hätte sie dem Beschwerdeführer wegen der in Rede stehenden, geringfügigen Ungereimtheit oder Unklarheit, im Punkte der Tatsachenfrage: "Hat es nun einen direkten Kontakt zwischen den die Zwangsrekrutierung fordernden / vornehmenden Taliban und dem Beschwerdeführer gegeben?" keinesfalls zur Gänze die Unglaubwürdigkeit absprechen dürfen.
Weiters bestehe für den Beschwerdeführer keinesfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative, zumal er als Taliban-Deserteur einer besonderen Verfolgungsgefährdung ausgesetzt sei. Ob dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, lasse sich zudem nicht allgemein, abstrakt und generell beurteilen. In Bezug auf die Lage in Kabul verwies der Beschwerdeführer auf die gutachterliche Äußerung des Sachverständigen Dr. Rasuly zur AZ W217 2119069.
8. Mit Schriftsatz vom 26.04.2017 teilte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers mit, er könne an der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht teilnehmen, und beantragte, ihm nach der mündlichen Verhandlung nochmals schriftliches Parteiengehör einzuräumen.
9. Am 02.05.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Beschwerdeführervertreterin stellte zum Beweis, dass die Taliban durchaus auf die vom Beschwerdeführer geschilderte Art operieren würden, den Antrag auf Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens.
10. Mit Beschluss vom 18.05.2017 wurde Frau Mina ASEF-HAMEED zur Sachverständigen aus dem Fachgebiet Länderkunde (Afghanistan) bestellt und mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt.
11. In der Stellungnahme vom 23.05.2017 führte der Beschwerdeführervertreter im Rahmen des ergänzend eingeräumten Parteiengehörs im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe durchaus schlüssig dargelegt, warum er eingangs der Verhandlung seinen Namen mit XXXX angeführt habe. Weiters wurde die Frage in den Raum gestellt, wie der Beschwerdeführer über die Taliban, deren Kommandostruktur etc. wissen könne, wo doch derartige Organisationen solche Internas nicht nach außen hin preisgeben würden und der Beschwerdeführer nie Mitglied dieser Organisation gewesen sei. Es sei keinesfalls unplausibel und widerspreche nicht der Lebenserfahrung, dass die Taliban die Weigerung des Onkels, seinen Sohn den Taliban zu überlassen, mit der Entführung des Sohnes sowie mit dessen Ermordung sanktioniert hätten. Ferner stelle die Vermutung, die Taliban wären nicht in der Lage, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers anderswo in Afghanistan in Erfahrung zu bringen, eine reine Hypothese und Fiktion dar. So zeige der Artikel von Friederike Stahlmann, Bedrohungen im sozialen Alltag Afghanistans, Asylmagazin 3/2017, auf, dass es nicht möglich sei, in Afghanistan unter falscher Identität eine neue Existenz aufzubauen. Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Bedürfnisse des Beschwerdeführers sei auch zu berücksichtigen, dass ihm das Recht zugestanden werden müsse, mit seiner Ehefrau zusammen zu leben, was auch den paschtunischen Traditionen entspreche. Es wäre daher eine Mindestexistenzsicherung für zwei Personen in Kabul oder einer anderen als Rückkehroption in Betracht gezogenen afghanischen Großstadt erforderlich. Daran anschließend brachte der Beschwerdeführervertreter ausführlich zur Lage in Afghanistan vor, insbesondere verwies er darauf, dass nach Stahlmann die Annahme, dass zumindest alleinstehende, junge und gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend in Frage zu stellen sei. Als aus Europa abgeschobener "verwestlichter", unter dem Verdacht des Glaubensabfalls stehender Rückkehrer wäre der Beschwerdeführer von Bedrohungen durch "Gewalt im sozialen Umfeld" in besonderer Weise betroffen. Abschließend führte der Beschwerdeführervertreterin Einwendungen zum Gutachten von Mag. Karl Mahringer ins Treffen.
Der Beschwerdeführervertreter stellte den Antrag, ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer ergänzenden Stellungnahme zum eingeholten Gutachten einzuräumen.
12. Am 21.01.2019 wurde dem erkennenden Gericht mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer mit 27.12.2018 aus der Grundversorgung des Landes Salzburg aufgrund einer saisonellen Beschäftigung im Bundesland Tirol entlassen worden sei.
13. Mit Eingabe vom 22.02.2019 wurden diverse Integrationsbestätigungen in Vorlage gebracht.
14. Am 19.02.2019 übermittelte die Sachverständige Mina ASEF-HAMEED das in Auftrag gegebene Gutachten, in welchem zusammenfassend ausgeführt wurde, die Angaben des Beschwerdeführers hätten insofern bestätigt werden können, als dass er tatsächlich aus dem Dorf XXXX Provinz XXXX stamme. Die Vorortrecherche habe ergeben, dass der Vater des Beschwerdeführers in der XXXX ein Geschäft geführt und gelegentlich seine Söhne mitgenommen habe. Bewohner des Dorfes hätten weiters bestätigt, dass der Vater und auch der Onkel des Beschwerdeführers bei Ratsversammlungen des Dorfes hinzugezogen worden seien. Die Taliban seien in der gesamten Provinz XXXX präsent und in mehreren Distrikten vorherrschend, weshalb Zwangsrekrutierungen durch die Taliban in dieser Provinz nicht ausgeschlossen werden könnten. Auch Bewohner aus der Heimatregion des Beschwerdeführers hätten von Fällen von Zwangsrekrutierung durch die Taliban erzählt. Die Probleme der Großfamilie mit den Taliban, insbesondere im Zusammenhang mit der Entführung und der anschließenden Tötung des Cousins des Beschwerdeführers durch die Taliban seien den Bewohnern weitgehend bekannt. Der Onkel des Beschwerdeführers lebe mit dessen Ehefrau und Töchtern nach wie vor im Heimatdorf. Dorfbewohner hätten erzählt, dass die Taliban über hinreichend Einfluss im Dorf verfügen würden und von vielen Bewohnern, darunter auch Dorfälteste freiwillig unterstützt werden würden. Regierungstruppen hätten zu vielen Dörfern in der Provinz
XXXX keinen Zugang. Jugendliche, die der Forderung der Taliban, sich ihnen anzuschließen, nicht Folge leisten würden, würden sich der Verfolgung der Taliban aussetzen. Wenn solch ein Jugendlicher nicht greifbar sei, müsse sich das Familienoberhaupt des jungen Mannes vor den Taliban direkt oder über eine Kontaktperson (zum Beispiel über den Mullah der Dorfmoschee) gegenüber den Taliban verantworten. Es gebe Fälle, in denen das Familienoberhaupt von den Taliban getötet worden sei. Dies trete insbesondere dann auf, wenn die Taliban herausfinden, dass das Familienoberhaupt den Jugendlichen zum Beispiel bei der Flucht unterstützt habe. Der Onkel des Beschwerdeführers sei eine ältere Person, weshalb er von den Taliban nicht dazu aufgefordert werde, für sie Dienste zu erbringen. Mit der Ermordung von dessen Sohn hätten die Taliban die zu erwartende Bedrohung umgesetzt. Die Taliban würden über ein Informationsnetzwerk verfügen.
Bei Paschtunen sei es ferner üblich, dass vor allem männliche Gäste nur in Anwesenheit einer männlichen Person im Haus empfangen und bewirtet werden. Zur Ehe des Beschwerdeführers führte die Sachverständige aus, dass einer der befragten Dorfbewohner angegeben habe, dass der älteste Sohn von XXXX vor vielen Jahren seine Cousine geheiratet hätte.
15. Am 06.03.2019 wurde dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde das Ergebnis der Beweisaufnahme sowie die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie der Landinfo report zu Afghanistan übermittelt und ihnen eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.
16. In der daraufhin eingelangten Stellungnahme vom 18.03.2019 brachte der Beschwerdeführervertreter im Wesentlichen vor, es könne nicht zweifelhaft sein, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Heimatprovinz und seines Heimatgebietes von asylrelevanter, hinreichend eingriffsintensiver Verfolgung durch die Taliban bedroht sei und diese Verfolgung auf einer der in der Konvention genannten Gründe - auf politischen oder religiösen Gründen - beruhe. Die Vorstellung, der Beschwerdeführer könne zum Beispiel in Kabul oder Mazar-e Sharif als Fremder untertauchen, ohne dass seine Verfolger davon Kenntnis erlangen würden, sei schlichtweg naiv und realitätsfern. Es sei konkret zu befürchten, dass sich der Beschwerdeführer auf der schwarzen Todesliste der Taliban befinde. Im Falle einer Ansiedlung in einer der Großstädte habe der Beschwerdeführer damit zu rechnen, dass über bestehende soziale Netzwerke diese Ansiedlung früher oder später auch in seiner Herkunftsgemeinde bekannt werde und dort den Taliban verraten werde. Letztlich sei dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative jedenfalls nicht zumutbar, zumal er nicht in der Lage wäre, seine elementarsten Versorgungsbedürfnisse aus eigener Kraft abzudecken. Dabei verwies er erneut auf die Gefährdung des Beschwerdeführers als Rückkehrer aus Europa und zitierte diverse Länderberichte. In Hinblick auf den EASO-Länderbericht von August 2017 wurde ausgeführt, in Afghanistan gebe es schlichtweg keine realistischen sozio-ökonomischen Überlebens-und Existenzmöglichkeiten. In der Stadt Mazar-e Sharif gebe es seit 2013 einen wirtschaftlichen Einbruch; Gelegenheitsarbeiter hätten weniger Jobmöglichkeiten und würden die Löhne stagnieren oder gar sinken. Wer keine Tazkira habe, könne im Bereich einer weiten Bandbreite von "elementaren Rechten" einschließlich Wohnen, Gesundheitsdienste, Bildung, humanitäre Unterstützung, öffentliche Dienstleistungen benachteiligt werden. Weiters verschärfe sich die humanitäre Krise durch die anhaltende Dürre in Afghanistan. Eine Zuflucht in Kabul, Herat, Mazar-e Sharif oder einer anderen Großstadt sei aufgrund des mangelnden Zugangs zu lebensunterhalterwirtschaftender Arbeit und mangelnder, zumutbarer, nicht schwer gesundheitsschädlicher Unterkunft, fehlender medizinischer Notfall- und Grundversorgung, mangelndem sauberen Trinkwasser und ausreichenden Nahrungsmitteln unzumutbar. In weiterer Folge führte der Beschwerdeführervertreter zum Länderinformationsblatt vom 31.01.2019 zusammenfassend aus, die Sicherheitslage in Afghanistan sei extrem volatil und im ganzen Land herrsche ein sehr hohes Maß an willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung.
Abschließend hielt der Beschwerdeführervertreter fest, beim Beschwerdeführer liege eine gut gelungene Integration in sprachlicher, zivilgesellschaftlicher und privater Hinsicht vor. Der Beschwerdeführer sei vom 27.12.2018 bis 27.02.2019 als Abwäscher tätig gewesen.
17. Mit Erkenntnis vom 03.05.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Begründend schenkte der zur Entscheidung berufene Richter dem Vorbringen des Beschwerdeführers glauben, wonach sein Onkel sich im Jahr 2014 geweigert habe, einer Aufforderung der Taliban zur Übergabe seines Sohnes und des Beschwerdeführers als Rekruten zu entsprechen. In der Folge hätten die Taliban den Sohn des Onkels entführt und getötet; der Beschwerdeführer habe hingegen die Flucht ergriffen, ohne zuvor von den Taliban persönlich bedroht worden zu sein. Dem Beschwerdeführer würde nach Einschätzung des zur Entscheidung berufenen Richters bei Rückkehr in seinem Heimatdistrikt Verfolgung durch die Taliban drohen, ihm stehe eine zumutbare inländische Fluchtalternative in den Städten Herat oder Mazar -e- Scharif zur Verfügung. Zwar würden die Taliban über ein Informationsnetzwerk verfügen, durch welches sie in der Lage seien, jemanden, den sie suchten, auch an einem anderen Ort als den Heimat Gebiet aufzuspüren. Dass der Beschwerdeführer jedoch tatsächlich zum Ziel der Taliban würde, sei zu verneinen. Der Onkel des Beschwerdeführers lebe noch immer im Heimatdorf des Beschwerdeführers und sei es nicht vorgebracht worden, dass es zu weiteren Handlungen der Taliban gegen ihn gekommen sei. Auch die Kernfamilie des Beschwerdeführers sei-wenn auch an einem anderen Ort-noch in Afghanistan aufhältig. Von den Taliban nicht aufgespürt worden. Würde jedoch tatsächlich ein besonderes Interesse der Taliban der Person des Beschwerdeführers bestehen, wäre davon auszugehen, dass diese den Beschwerdeführer über den Onkel oder andere Familienmitglieder zu finden versucht hätten.
18. Mit Beschluss des VwGH vom 16.07.2019 wurde der ao. Revision des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die außerordentliche Revision wurde vom Beschwerdeführer damit begründet, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht sämtliche für die Beurteilung der Gefährdung des Beschwerdeführers bedeutsamen Beweisergebnisse und Umstände berücksichtigt habe. Der zur Entscheidung berufene Richter habe die Gefahren Einschätzung des UNHCR Personen mit den Profil des Beschwerdeführers sowie weitere näher ausgeführte Beweisergebnisse außer Acht gelassen. So habe etwa die länderkundliche Gutachterin erklärt, warum die Taliban den Onkel des Revisionswerbers nach der Ermordung seines Sohnes nicht weiter behelligt hätten, worauf das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung nicht näher eingegangen sei. Darüber hinaus habe das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Annahme, der Beschwerdeführer könne sich der Verfolgung durch die Taliban durch Inanspruchnahme einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative in den Städten Herat oder Mazar-Scharif entziehen, den Beschwerdeführer überrascht und sein gegenteiliges substantiiertes Vorbringen außer Acht gelassen und sich mit dessen Einwänden auch nicht im Rahmen einer Verhandlung auseinandergesetzt.
19. Mit Erkenntnis vom 18.09.2019 wurde der ao. Revision folge gegeben und behob der VwGH das Erkenntnis des BVwG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Zusammengefasst begründete der VwGH seine Erkenntnis damit, dass die Recherchen der länderkundliche Sachverständigen zusammengefasst dem Ergebnis gekommen seien, dass das Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers der Wahrheit entspreche. Die Gutachterin habe ausgeführt, dass junge Männer welche sich der Zwangsrekrutierung entziehen würden, mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen hätten und der Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wären. Die Taliban würden solche Personen, wenn sie ihrer habhaft werden, festnehmen und töten. Auch bejahte die Gutachterin die Frage wonach es möglich sei, dass der Onkel des Revisionswerbers trotz der Ermordung seines Sohnes durch die Taliban unbehelligt im Heimatdorf leben könne, mit näherer Begründung. Ebenso bestätigte die Gutachterin, dass die Taliban über die Möglichkeit verfügen würden, den Beschwerdeführer an anderen Orten in Afghanistan aufzuspüren. Überdies sei das Bundesverwaltungsgericht auf die nach der mündlichen Verhandlung neu herausgekommenen und ins Verfahren eingeführten UNHCR Richtlinien zur Feststellung des International Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, welche unter anderem darlegen würden, dass "angesichts des geographisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban ... Für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine Internet Schutzalternative [existiere]" nicht eingegangen. Das Bundesverwaltungsgericht sei abweichend von den Beweisergebnissen in seiner Entscheidungsbegründung zu dem Ergebnis gekommen, dass aus der unterbliebenen (weiteren) Behelligung des Onkels bzw. er in Afghanistan an einem anderen Ort aufhältigen Familienmitglieder durch die Taliban auf deren fehlendes Interesse an der Verfolgung des Revisionswerbers bei Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative in den Städten Herat oder Mazar e-Scharif geschlossen werden könnte. Das Bundesverwaltungsgericht habe daher im Rahmen seiner Beweiswürdigung nicht alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt, weshalb die Einschätzung einer Rückkehrfall Gefährdung des Revisionswerbers sei bei einer Ansiedlung in einer der beiden genannten Städte zur verneinen, keinen Bestand haben könne.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde sowie der Beschwerdeergänzung gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Stellungnahmen, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht, des eingeholten Sachverständigengutachtens, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am XXXX 2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26.07.2016 fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 02.05.2017 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Mit Beschluss vom 18.05.2017 wurde Frau Mina ASEF-HAMEED zur Sachverständigen aus dem Fachgebiet Länderkunde (Afghanistan) bestellt und mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. Am 19.02.2019 übermittelte die Sachverständige das in Auftrag gegebene Gutachten, in welchem sie die Angaben des Beschwerdeführers im Wesentlichen bestätigte. Am 03.05.2019 wurde die Beschwerde vom zur Entscheidung berufenen Richter als unbegründet abgewiesen und erhob der Beschwerdeführer gegen dieses Erkenntnis die ao. Revision. Mit Erkenntnis vom 18.09.2019 hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.05.2019 auf, woraufhin am 10.12.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seines Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu stattfand, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Im Zuge der Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet. Am 11.12.2019 verlangte das BFA die schriftliche Ausfertigung.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
Der volljährige und kinderlose Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der Provinz XXXX , im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Muslim und seine Muttersprache ist Paschtu. Der Beschwerdeführer ist mit seiner Cousine väterlicherseits ungefähr seit seinem 16. Lebensjahr traditionell verheiratet.
Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, seinen zwei jüngeren Brüdern sowie seiner Ehefrau. Seit dem Tod des Onkels vor ca. 8 Monaten lebt die Familie in Pakistan.
Der Beschwerdeführer ist im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX aufgewachsen und hat ebendort fünf Jahre die Schule besucht. Sein Vater hat in der Provinzhauptstadt XXXX ein Textilgeschäft geführt und wurde dabei im Verkauf gelegentlich vom Beschwerdeführer unterstützt. Die Führung des Textilgeschäftes oblag dem Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers, wobei sein Vater für die Verwaltung des Geldes zuständig war. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Familie.
Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.
Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache gut und hat das Österreichische Sprachdiplom Deutsch (in Folge kurz "ÖSD") -Zertifikat auf dem Sprachniveau A2 mit gutem Erfolg bestanden. Zuletzt hat der Beschwerdeführer einen Deutschkurs auf dem Sprachniveau B1 besucht. Zusätzlich hat er den Pflichtschulabschluss am 07.07.2017 erworben und am Clearing für die Aufnahme in das Ausbildungsprojekt "Linie 50" teilgenommen. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer freitags für zwei Stunden Fußball in einem Verein und hilft bei Bedarf seinem Unterkunftgeber, dem Pfarrer XXXX . Der Beschwerdeführer pflegt Freundschaften zu Österreichern. Im Zeitraum vom 27.12.2018 bis 27.02.2019 war er als Abwäscher im Posthotel XXXX beschäftigt und selbsterhaltungsfähig[l1]. Zurzeit geht der Beschwerdeführer keiner Erwerbtätigkeit nach. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Onkel des Beschwerdeführers wurde im Jahr 2014 von den Taliban, welche in der Heimatregion des Beschwerdeführers präsent sind, aufgefordert, seinen Sohn sowie seinen Neffen (den Beschwerdeführer), als Rekruten zu übergeben. Nachdem dieser der Forderung nicht nachgekommen ist, wurde der Sohn des Onkels von den Taliban entführt und in weiterer Folge getötet.
Aufgrund seiner Flucht vor der drohenden Zwangsrekrutierung ist der Beschwerdeführer gefährdet im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban aufgrund der ihm unterstellten oppositionellen politischen Haltung getötet zu werden.
1.4. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen und dem vorliegenden Sachverständigen Gutachten folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:
1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 (in Folge kurz "LIB"):
1.5.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan (LIB Kapitle 4)
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019). So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).
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1.5.1.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, XXXX (LIB Kapitel 3.18.):
Kunar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Nuristan, im Osten an Pakistan (Provinz Khyber Pakhtunkhwa), im Süden an Nangarhar und im Westen an Laghman (NPS o.D.kn; vgl. UNOCHA 4.2014kn). Neben der Provinzhauptstadt Asadabad (NPS o.D.kn; vgl. OPr 1.2.2017kn) ist die Provinz in die folgenden Distrikte unterteilt: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor und Sheltan (CSO 2019; vgl. IEC 2018, UNOCHA 4.2014kn, NPS o.D.kn, OPr 1.2.2017kn). Letzterer wird als "temporärer Distrikt" definiert, was bedeutet, dass er als Teil der Provinz gilt, aber sein Status als solcher vom afghanischen Parlament noch nicht genehmigt wurde (AAN 16.8.2018; vgl. CSO 2019).
Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kunar für den Zeitraum 2019-20 auf 490.690 (CSO 2019). Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai und Nuristani (NPS o.D.kn; vgl. OPr 1.2.2017kn).
Eine Autobahn führt von Jalalabad durch die Distrikte Nurgal, Chawkay, Narang, Asadabad, Shigal nach Asmar (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014kn). Vom Distrikt Asmar führt eine Straße durch die Distrikte Ghaziabad und Nari in die Provinz Nuristan (ST 9.8.2018). Die Provinz hat eine 175 Kilometer lange Grenze mit Pakistan (NPS o. D.kn). Diese Grenze, auch als Durandlinie bezeichnet, erhält nun eine Grenzbefestigung, die sich derzeit in Bau befindet und weit fortgeschritten ist. Diese Grenzbefestigung durch Pakistan soll entlang der gesamten Länge der Grenze in zwei bis drei Jahren abgeschlossen sein. Auf die Art sollen grenzüberschreitende Bewegungen von Aufständischen und Schmugglern unterbunden werden. Jedoch werden auch die Bewegungen von Zivilisten eingeschränkt, die familiäre Beziehungen auf beiden Seiten der Staatsgrenze haben (GN 5.7.2019). Im Jahr 2016 berichtete eine Quelle von drei offiziellen Grenzübergängen zwischen Kunar und Pakistan: Arandu, Gursal und Nawa-Pass (Dawn 2.9.2016). Um von Kunar nach Pakistan zu gelangen müsse man über Nangarhar fahren - was einen Umweg von mehreren Stunden bedeutet. Es gibt jedoch mehrere inoffizielle Durchlässe durch den Grenzzaun, die von Schmugglern und Aufständischen genutzt werden, welche die pakistanischen Grenzwächter bestechen (GN 5.7.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 wurde in Kunar auf einer Fläche von
1.723 Hektar Schlafmohn angebaut, was einem Anstieg der Anbaufläche von 6% entspricht (UNODC/MoCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die in der Provinz aktiven terroristischen Organisationen sind unter anderem: ISKP (TN 14.3.2017; vgl. LWJ 30.6.2019b), al-Qaida (Tolo 14.3.2017; vgl. LWJ 30.6.2019a) und Lashkar-e Taiba (Tolo 14.3.2017). Berichten zufolge soll sich die Präsenz des ISKP auf die östlichen Regionen - Kunar und Nangarhar - konzentrieren; die Stärke der Organisation wird mit 2.500 - 4.000 Kämpfern beziffert. Angeblich sollen Kämpfer des ISKP in Kunar eine eigene lokal-gefärbte Version des Islamischen Staates gegründet haben; in manchen Fällen offenbar aus opportunistischen Gründen - in der Regel Dispute mit anderen aufständischen Gruppen - mit denen sie zuvor verbunden waren. Das Überlaufen wurde wohl auch dadurch begünstigt, dass viele Kunaris (im Gegensatz zu den meisten anderen Afghanen) Salafisten sind, was sie - aufgrund ideologischer Ähnlichkeiten - anfälliger für den Wechsel zum Islamischen Staat macht (TD 14.5.2019).
Die Anzahl der al-Qaida-Aufständischen in Afghanistan wird von offizieller Seite auf 240 geschätzt - wobei sich die signifikanteste Anzahl auf 3 Provinzen - Badakhshan, Kunar und Zabul - verteilen soll. Kunar ist nach wie vor eine Region, in der ausländische Aufständische zu finden sind; die Lashkar-e-Tayyiba rekrutiert hier nach wie vor und finanziert Aktivitäten. Afghanischen Beamten zufolge beträgt die geschätzte Anzahl ihrer Mitglieder in den beiden Provinzen Kunar und Nangarhar um die 500. Die Lashkar-e-Tayyiba soll versucht haben, Beziehungen zu den Taliban und dem ISKP zu unterhalten und einen Waffenstillstand zu erreichen. In letzter Zeit hat sie jedoch versucht, sich vom ISKP zu distanzieren und somit eine neutralere Rolle eingenommen (UNSC 13.6.2019). Kunar ist eine der Grenzregionen, wo ausländische Terrororganisationen aktiv sind und sichere Rückzugsgebiete unterhalten (UNSC 13.6.2019). Auch betreiben Mitglieder der Teherik-e Taliban Pakistan (TTP) in der Provinz Kunar eine Militärbasis - das sogenannte Ghazi Camp; sie verlagerten ihre Basis nach Räumungsoperationen durch das pakistanische Militär nach Kunar (Dawn 8.3.2018; vgl. LWJ 22.1.2019). Deren Mitglieder werden auf 3.500 geschätzt (UNSC 13.6.2019). Aufständische, die in Gebieten tätig sind, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, wie Chapadara und Dara-e-Pech, finanzierten sich durch Gewinne aus Entwaldung und Bergbau (IWPR 23.1.2018).
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kunar in der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, die von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).
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Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 397 zivile Opfer (128 Tote und 269 Verletzte) in der Provinz Kunar. Dies entspricht einer Steigerung von 77% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und IEDs (UNAMA 24.2.2019).
In der Provinz Kunar werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt (z.B. XI 4.7.2019; PAJ 13.6.2019; AJ 23.5.2019; KP 3.4.2019; TN 30.1.2019; UNAMA 24.2.2019; XI 24.9.2018), dabei wurden unter anderem Aufständische gefangen genommen oder getötet (z.B. PAJ 13.6.2019; BN 23.5.2019; KP 2.10.2018; AJ 15.6.2018), jedoch kam es unter anderem auch zu Todesopfern unter Zivilisten, z.B. im Mai 2019 (AJ 23.5.2019), sowie Dezember (UNAMA 2.24.2019) und Oktober 2018 (NYT 26.10.2018).
Zusammenstöße zwischen ISKP-Kämpfern und den Regierungskräften (KP 11.12.2018), aber auch zwischen ISKP-Anhänger und Taliban finden statt. Dabei werden Kämpfer auf beiden Seiten getötet und verletzt, zudem kommt es in manchen Fällen auch zu zivilen Opfern (ET 6.10.2018; vgl. UNSC 7.12.2018; KP 28.1.2019; KP 19.1.2019; PAJ 28.8.2018; KP 28.1.2019; KP 19.1.2019; PAJ 28.8.2018).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 15.207 Binnenvertriebene aus der Provinz Kunar, von denen 14.022 in der Provinz selbst neu ansiedelten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 32.068 aufgrund von gewaltsamem Konflikt aus Kunar vertriebene Personen, die sich in Kunar selbst, sowie in Nangarhar und Nuristan ansiedelten (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 14.047 konfliktbedingt Binnenvertriebene in die Provinz Kunar, die vor allem aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 28.037 konfliktbedingt in die Provinz Kunar vertriebene Personen, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 18.8.2019).
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1.5.1.3 Zur Sicherheitslage in der Provinz Herat (LIB Kapitel 4.13)
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte - Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) -, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:
Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).
2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).
Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
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Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).
Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).
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1.5.1.4. Zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh (LIB Kapitel 3.5.):
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt:
Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den
7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).
Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bunde