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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AsylG 2005 §3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S A, vertreten durch Mag. Patrizia Netal, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Herrengasse 1, diese vertreten durch Mag.a Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2019, W148 2155457-2/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 10. November 2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde im Mai 2018 rechtskräftig zur Gänze abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan ausgesprochen. Das Fluchtvorbringen zur behaupteten Verfolgung durch die Taliban sei nicht glaubhaft. Auch wenn dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Logar nicht möglich sei, so stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen.
2 Der Revisionswerber hielt sich von 31. Mai 2018 bis 4. Dezember 2018 in Deutschland auf, wo er einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stellte. Nach Rücküberstellung aus Deutschland am 5. Dezember 2018 wurde dieser Antrag als Folgeantrag behandelt. Diesen begründete der Revisionswerber damit, dass seine Familie aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben worden und in Kabul bei einem Selbstmordanschlag ums Leben gekommen sei. Die Sicherheitslage in Kabul sei sehr schlecht. Er habe vom Tod seiner Familie via Facebook von einem Freund erfahren. Nach Unterbrechung der Einvernahme zur Vorlage dieser Kommunikation mit dem Freund konnte der Revisionswerber diese bei Fortsetzung der Einvernahme nicht vorlegen. 3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Folgeantrag mit Bescheid vom 4. April 2019 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Das BFA legte ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot fest und sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die er insbesondere damit begründete, dass aufgrund der neuen Fassung des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018) eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul nicht mehr in Frage komme.
5 Diese Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig. Im Wesentlichen führte es aus, das BFA habe zu Recht ausgeführt, das neu erstattete Vorbringen weise keinen glaubhaften Kern auf und sei überdies nicht asylrelevant. Die Angaben des Revisionswerbers seien vage und unschlüssig geblieben, er habe nicht nachvollziehbar darlegen können, warum er auf seinen Facebook-Account, auf dem die Kommunikation mit dem Freund stattgefunden haben soll, keinen Zugriff mehr hätte. Er habe auch die Hilfe bei der Wiederherstellung des Zugriffs nicht in Anspruch genommen und nicht darlegen können, warum er seinen Freund nicht über seinen zweiten Facebook-Account habe kontaktieren können, da er einerseits behauptete, im Dorf funktioniere das Internet nicht und sodann auf den Vorhalt, dass ihn der Freund dann auch nicht hätte kontaktieren können, andererseits vorbrachte, dieser habe seine Freundschaftsanfrage nun nicht akzeptiert. Auch sei nicht nachvollziehbar dargelegt worden, wie der Freund zu den Informationen gekommen sei. Der Revisionswerber habe die Quelle der Informationen nicht nennen können, er wusste kein Datum, konnte auch den Monat des Anschlags nicht nennen, wobei er dies damit begründete, dass er die Namen der Monate nach dem afghanischen Kalender nicht kenne. Der Revisionswerber sei jung, gesund und arbeitsfähig ohne spezifische Vulnerabilitäten. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht und dann zwei Jahre Rechtswissenschaften studiert. Der Revisionswerber könne auch ohne familiäre Unterstützung ein hinreichendes Auskommen finden. Die neuen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 würden zwar festhalten, dass Kabul keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative darstelle. Eine wesentliche Änderung der Situation sei jedoch weder substantiiert behauptet worden noch dem BVwG bekannt. Dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul und Mazar-e Sharif offen. 6 Die dagegen eingebrachte außerordentliche Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 AVG ab. Das BFA hätte zumutbare Nachforschungen zum Vorbringen des Revisionswerbers erstatten müssen und das BVwG deshalb die Beschwerde nicht abweisen dürfen. Aus den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 ergebe sich, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul nicht mehr zumutbar sei, der nunmehrige Sachverhalt weiche somit von jenem im Erstverfahren ab. Der Folgeantrag des Revisionswerbers hätte daher inhaltlich behandelt werden müssen.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 34 Abs. 3 VwGG kann ein derartiger Beschluss in jeder Lage des Verfahrens gefasst werden.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG war lediglich die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH 15.3.2019, Ra 2019/18/0064, mwN). 11 Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen (vgl. VwGH 24.5.2018, Ra 2018/19/0187 bis 0189, mwN).
12 Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung einen "glaubhaften Kern" aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 6.6.2019, Ra 2018/20/0432, mwN). 13 Mit dem Vorbringen, das BVwG hätte die Beschwerde nicht abweisen dürfen, weil das BFA nicht jede mögliche und zumutbare Nachforschung zum Vorbringen der behaupteten Tötung seiner aus dem Iran abgeschobenen Familie bei einem Selbstmordanschlag in Kabul durchgeführt habe, übersieht die Revision, dass sowohl das BFA als auch das BVwG dem diesbezüglichen Vorbringen des Revisionswerbers nachvollziehbar einen glaubhaften Kern absprachen. Den beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG zur Begründung der Einschätzung, dass dem Vorbringen des Revisionswerbers nicht geglaubt werde, hält die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nichts Substantiiertes entgegen. Insbesondere legt sie nicht dar, auf Basis welchen Vorbringens das BFA eine Beweisaufnahme hätte durchführen müssen und inwiefern diese geeignet gewesen wäre, zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Der Revision gelingt es insofern nicht darzulegen, dass die Erwägungen des BVwG - vor dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes - unvertretbar wären. 14 Insoweit sich die Revision gegen die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status eines subsidiär Schutzberechtigten wendet und dazu auf die geänderte Lagebeurteilung betreffend Kabul in den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 verweist, gelingt es ihr nicht aufzuzeigen, inwiefern dadurch eine entscheidungswesentliche Änderung der Beurteilung, dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, zu gewärtigen wäre. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass das BVwG basierend auf den im Verfahren zugrunde gelegten Länderfeststellungen unter Einbeziehung der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 nachvollziehbar ausführt, dass dem Revisionswerber im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung eine derartige Fluchtalternative auch in Mazar-e Sharif offen steht, wogegen sich die Revision auch nicht wendet. Damit kann aber die vorgebrachte Lageänderung betreffend Kabul nicht zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis führen.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 15. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180234.L00Im RIS seit
16.06.2020Zuletzt aktualisiert am
16.06.2020