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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S H, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2018, W156 2178035- 1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie Mitglied der schiitischen Glaubensrichtung. Er stellte am 13. November 2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und führte dazu im Wesentlichen aus, im Iran aufgewachsen zu sein, nachdem seine Familie die Provinz Maidan Wardak in Afghanistan aufgrund von Problemen mit einem feindseligen Stamm verlassen habe. Im Iran sei der Revisionswerber schlecht behandelt worden und habe keine Zukunftsperspektive gehabt. In Afghanistan würde er als Hazara verfolgt und von den Taliban rekrutiert werden.
2 Mit Bescheid vom 24. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
4 Begründend führte das BVwG - zusammengefasst und soweit für das Revisionsverfahren relevant - aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft. Auch eine Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan oder von rückkehrenden Personen aus dem Iran sei nicht anzunehmen. Dem Revisionswerber sei auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen. Zwar stelle sich die Herkunftsprovinz seiner Eltern als relativ unsichere Provinz dar, weshalb sich eine Rückkehr dorthin als nicht möglich erweise. Der Revisionswerber könne jedoch auf eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative unter anderem in der Stadt Mazar-e Sharif verwiesen werden. In diesem Zusammenhang führte das BVwG - gestützt auf das zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan - aus, die aktuelle Sicherheitslage in Mazar-e Sharif stelle kein Rückkehrhindernis dar und die Provinz Balkh zähle zu einer der stabilsten Provinzen Afghanistans, die sich zudem wirtschaftlich gut entwickeln würde. Es entstünden neue Arbeitsplätze, der Dienstleistungssektor wachse und im Jahr 2017 sei ein nationales Großprojekt ins Leben gerufen worden, welches darauf abziele, die Arbeitslosigkeit und Armut in der Provinz zu reduzieren. Mazar-e Sharif sei auch sicher erreichbar. Der Revisionswerber selbst sei im erwerbsfähigen Alter, verfüge über Schulbildung und Berufserfahrung und sei mit den grundlegendsten afghanischen kulturellen Gepflogenheiten vertraut, weil er einerseits im afghanischen Familienverband aufgewachsen sei und andererseits im Iran eine afghanische Schule besucht habe. Im Falle seiner Rückkehr bestehe für ihn die Möglichkeit, Unterstützung durch Angehörige seiner Volksgruppe sowie Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Auf dieser Grundlage werde es dem Revisionswerber - auch unter Bedachtnahme auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) und die EASO Country Guidance:
Afghanistan, Juni 2018 (in der Folge "EASO-Länderleitfaden") - möglich sein, nach der Rückkehr in den Herkunftsstaat seinen Lebensunterhalt zu sichern. Betreffend die Rückkehrentscheidung erwog das BVwG, dass fallbezogen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden. 5 Mit Beschluss vom 26. Februar 2019, E 370/2019-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis eingebrachten Beschwerde ab.
6 In der gegen das Erkenntnis vom BVwG erhobenen außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit geltend gemacht, dem Revisionswerber stehe keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen. Die diesbezügliche Annahme des BVwG entbehre einer entsprechenden Grundlage, weil die herangezogenen Länderberichte die Annahme nicht zu tragen vermögen. Vielmehr habe das BVwG diese in einer unvertretbaren Weise gewürdigt. Andere vom Revisionswerber vorgelegte Länderberichte, aus welchen sich ergebe, dass ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative gerade nicht zumutbar sei, habe das BVwG unzulässiger Weise außer Acht gelassen. Dabei hätte es insbesondere die UNHCR-Richtlinien, aus denen sich eine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Zivilpersonen in Kabul und eine prekäre Sicherheitslage in Herat ergebe, zu berücksichtigen gehabt. Die Annahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative würde außerdem voraussetzen, dass entsprechende Feststellungen zur Arbeitsmarkt- und Wohnraumsituation sowie zur Möglichkeit, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, getroffen würden. Auch dies habe das BVwG jedoch unterlassen und sein Erkenntnis auch aus diesem Grund mit Verfahrensmängeln belastet. Schließlich liege auch eine Verletzung des Parteiengehörs vor, weil das BVwG den EASO-Länderleitfaden erstmals in seiner Entscheidungsbegründung herangezogen habe. 7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Insofern sich die vorliegende Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen gegen die Annahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif wendet, ist zunächst auf die hg. Rechtsprechung hinzuweisen, wonach es, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Schutzalternative sprechen zu können, nicht ausreicht, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0292, mwN).
12 Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241, sowie VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, jeweils mwN).
13 Zunächst ist vor diesem Hintergrund anzumerken, dass das BVwG - entgegen dem Vorbringen der Revision und diesen Leitlinien folgend - die UNHCR-Richtlinien sehr wohl berücksichtigt und sich mit ihnen und dem EASO-Länderleitfaden auseinandergesetzt hat (siehe dazu etwa das Erkenntnis des BVwG S. 41 f).
14 Dem Vorbringen, wonach die Annahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative durch das BVwG nicht entsprechend begründet worden sei, ist zu entgegnen, dass das Verwaltungsgericht fallbezogen hinreichend aktuelle Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere in Mazar-e Sharif traf, die im herangezogenen - zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG aktuellen - Berichtsmaterial auch ausreichend Deckung finden (vgl. dazu die Feststellungen im Erkenntnis des BVwG auf S. 13).
15 Insoweit die Revision argumentiert, dass dieses Berichtsmaterial unrichtig gewürdigt worden sei, richtet sie sich tatsächlich erkennbar gegen die rechtliche Beurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative aufgrund seiner persönlichen Situation und der allgemeinen Lage zumutbar sei. Diesbezüglich führt die Revision insbesondere ins Treffen, dass es dem Revisionswerber nicht möglich sein werde, seine Existenz zu sichern, weil er nie in Afghanistan gelebt habe und über kein soziales Netzwerk verfüge.
16 Dem entgegenstehend hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindert, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0278, mwN).
17 Wenn das BVwG vor diesem Hintergrund daher zu dem Ergebnis kommt, dass es dem Revisionswerber als Mann im erwerbsfähigen Alter, der über Schulbildung, Berufserfahrung und grundlegende Kenntnisse über die kulturellen Gepflogenheiten im Herkunftsstaat verfüge, allenfalls unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe oder Unterstützung durch seine Volksgruppe, möglich sein werde, seine Existenz in Mazar-e Sharif zu sichern, kann ein Abgehen von der oben genannten Rechtsprechung nicht erkannt werden. 18 Soweit die Revision diesbezüglich auf die Außerachtlassung von vorgelegten Länderberichten hinweist, konnte sie nicht darlegen, dass die Vermeidung dieses allfälligen Verfahrensmangels zu einem für den Revisionswerber günstigeren Verfahrensausgang hätte führen können (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarlegung bei Verfahrensmängeln etwa VwGH 9.10.2014, Ra 2014/18/0036). Dies insbesondere, als der Revisionswerber ausschließlich die Außerachtlassung von Berichten rügt, die - mit Ausnahme der ohnedies vom BVwG berücksichtigten UNHCR-Richtlinien - älteren Datums sind als die im Erkenntnis herangezogenen Berichte und überdies nicht aufzeigt, inwieweit diese ein anderes Bild als das vom BVwG zitierte Berichtsmaterial zeichnen würden. 19 Insofern die Revision schließlich eine Verletzung des Parteiengehörs moniert, ist anzumerken, dass das BVwG im Hinblick auf den EASO-Länderleitfaden insbesondere wiedergibt, auf welche Umstände laut diesem im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative besonderes Augenmerk zu legen sei. Dass das BVwG seine rechtliche Beurteilung tragend auf dieses Dokument gestützt hätte, wird in der Revision ebenso wenig substantiiert dargelegt, wie die Möglichkeit eines anderen Verfahrensausgangs bei Einräumung von Parteiengehör. 20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 15. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180051.L00Im RIS seit
16.06.2020Zuletzt aktualisiert am
16.06.2020