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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das am 5. April 2018 mündlich verkündete und mit Datum vom 1. Februar 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/039/16370/2017-14, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: S S, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 15. November 2017 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde, Revisionswerber) den Antrag des Mitbeteiligten, eines mazedonischen Staatsangehörigen, vom 8. September 2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab, weil der Aufenthalt des Mitbeteiligten zu einer finanziellen Belastung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG führen könnte.
2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt und änderte den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass dem Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 NAG für die Dauer von zwölf Monaten stattgegeben wurde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.
Das Verwaltungsgericht traf umfangreiche Feststellungen zu den (zu erwartenden) Einkommensverhältnissen des Mitbeteiligten und seiner in Österreich daueraufenthaltsberechtigten Ehefrau und hielt - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren relevant - fest, dass der Mitbeteiligte ein „Zeugnis des ÖSD vom 9.2.2016“ über die Absolvierung der Sprachprüfung „Deutsch A2“ vorgelegt habe und demnach entsprechende Deutschkenntnisse belegen habe können.
In seinen rechtlichen Erwägungen erachtete das Verwaltungsgericht die allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen als erfüllt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangte Behörde.
4 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er - ohne weitere Ausführungen - beantragte, der Revision keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes sei die Erteilungsvoraussetzung des § 21a Abs. 1 NAG nicht erfüllt, weil das vom Mitbeteiligten vorgelegte Sprachzertifikat zum Zeitpunkt der Vorlage bereits älter als ein Jahr gewesen sei.
Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und auch begründet.
6 Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, lauten auszugsweise:
„Nachweis von Deutschkenntnissen
§ 21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms einer durch Verordnung gemäß Abs 6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.
[...]
(3) Der Nachweis gilt überdies als erbracht, wenn
1. die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 9 und 10 IntG) vorliegen oder
[...]
(5) Die Behörde kann auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen von einem Nachweis nach Abs. 1 absehen:
[...]
2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).
Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.
[...]
Übergangsbestimmungen
§ 81. [...]
(36) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.
[...]“
7 Im Hinblick auf den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten und vom Mitbeteiligten nicht bestrittenen Sachverhalt (bei der Antragstellung am 8. September 2017 wurde ein Sprachzertifikat vom 9. Februar 2016 vorgelegt) erfüllt der Mitbeteiligte unstrittig nicht das in § 21a Abs. 1 letzter Satz NAG normierte Erfordernis, wonach das Sprachdiplom zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein darf.
8 Zwar gilt der Nachweis von Deutschkenntnissen nach § 21a Abs. 3 Z 1 NAG überdies als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§ 9 und 10 IntG) vorliegen. Ein Vorliegen der Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nach den §§ 9 und 10 IntG wurde vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt.
9 Zum Vorbringen des Revisionswerbers betreffend die (seiner Ansicht nach nicht anwendbare) Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG wird Folgendes angemerkt: Nach § 81 Abs. 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Gemäß § 14a Abs. 4 Z 2 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2015 war das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG vorlegte.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2019, Ra 2018/22/0228, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, festgehalten, dass die Formulierung des § 81 Abs. 36 NAG darauf abstellt, dass der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (bereits) „erfüllt“ hat. Dies setzt voraus, dass eine Verpflichtung dazu bestanden hat, die wiederum erst durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels entstanden sein kann. Die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG war daher auf die dort zugrunde liegende Konstellation, in welcher der dort betroffene Mitbeteiligte einen Erstantrag gestellt und noch nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt hatte, nicht anwendbar.
11 Auch dem vorliegenden Fall liegt ein Erstantrag des Mitbeteiligten zugrunde. Der Revisionswerber verweist darauf, dass bisher noch kein Aufenthaltstitel erteilt worden sei. Demgegenüber ist im angefochtenen Erkenntnis die Aussage des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung wiedergegeben, der zufolge er „schon Aufenthaltsbewilligungen hatte“. Es finden sich allerdings im angefochtenen Erkenntnis keine Feststellungen dahingehend, dass der Mitbeteiligte - durch das vorgelegte Sprachzertifikat - einer in der Vergangenheit bereits eingetretenen Verpflichtung zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 entsprochen hat.
12 Das Verwaltungsgericht ist somit in einer für den Verwaltungsgerichtshof nicht überprüfbaren Weise von der Erfüllung der Voraussetzung des § 21a Abs. 1 NAG ausgegangen. Daher war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
13 Für das fortzusetzende Verfahren wird auf § 21a Abs. 5 NAG hingewiesen (vgl. dazu VwGH 27.7.2017, Ra 2017/22/0107, Rn. 8).
Wien, am 16. April 2020
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220082.L00Im RIS seit
03.07.2020Zuletzt aktualisiert am
08.07.2020