TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/16 Ra 2019/22/0035

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Veröffentlicht am 16.04.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VwGG §25a Abs4a idF 2017/I/024
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §29 Abs2a
VwGVG 2014 §29 Abs4
VwGVG 2014 §29 Abs5
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das am 20. November 2018 mündlich verkündete und mit 10. Dezember 2018 (in gekürzter Form) schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-151/006/8519/2018-8, betreffend Aufenthaltsbewilligung (mitbeteiligte Partei: M A P M, in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 18. April 2018 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde, Revisionswerber) den Antrag der Mitbeteiligten, einer Staatsangehörigen Ecuadors, auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung „Studierende“ nach § 64 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mangels Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzung ab.

2        Mit dem in der mündlichen Verhandlung am 20. November 2018 verkündeten Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten statt und erteilte ihr eine Aufenthaltsbewilligung „Student“ mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 28. Februar 2019. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

3        Das Verhandlungsprotokoll wurde den Parteien am 21. November 2018 samt einer Belehrung nach § 29 Abs. 2a VwGVG übermittelt.

4        In der gekürzten Ausfertigung vom 10. Dezember 2018 hielt das Verwaltungsgericht - neben einer Zusammenfassung der wesentlichen Entscheidungsgründe - fest, innerhalb der gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG normierten Frist von zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift habe keine zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof legitimierte Partei bzw. kein dazu legitimiertes Organ einen Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG gestellt. Gegen diese gekürzte Ausfertigung sei eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a Abs. 4a VwGG nicht mehr zulässig.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.

6        Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7        Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen, indem es trotz rechtzeitiger Beantragung einer schriftlichen Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses dieses in gekürzter Form und somit ohne die erforderliche Begründung ausgefertigt habe.

Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und begründet.

8        Der im gegebenen Zusammenhang maßgebliche § 29 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, lautet auszugsweise:

Verkündung und Ausfertigung der Erkenntnisse

§ 29. [...]

(2a) Das Verwaltungsgericht hat im Fall einer mündlichen Verkündung die Niederschrift den zur Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof legitimierten Parteien und Organen auszufolgen oder zuzustellen. Der Niederschrift ist eine Belehrung anzuschließen:

1.   über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß Abs. 4 zu verlangen;

2.   darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt.

[...]

(4) Den Parteien ist eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ist in den in Art. 132 Abs. 1 Z 2 B-VG genannten Rechtssachen auch dem zuständigen Bundesminister zuzustellen.

(5) Wird auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof von den Parteien verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt, so kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Art. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.“

9        Gemäß § 25a Abs. 4a letzter Satz VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017 ist eine Revision, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes mündlich verkündet wurde (§ 29 Abs. 2 VwGVG), nur nach einem Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch mindestens einen der hierzu Berechtigten zulässig. Gemäß § 28 Abs. 4 VwGG ist der Revision eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des angefochtenen Erkenntnisses anzuschließen, wenn es dem Revisionswerber zugestellt worden ist, bzw. andernfalls das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25a Abs. 4a letzter Satz oder des § 26 Abs. 2 VwGG nachzuweisen.

10       Der Revisionswerber bringt in der Revision vor, er habe mit E-Mail vom 29. November 2018 die schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses beantragt. In dem vom Revisionswerber ins Treffen geführten E-Mail wurde „um Übermittlung des Erkenntnisses zu oa. Zahl betreffend [die Mitbeteiligte] gebeten“.

11       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an; Parteierklärungen und damit auch Anbringen sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen (vgl. VwGH 16.3.2016, 2013/17/0705, Rn. 9, mwN).

12       Die Übermittlung eines Erkenntnisses setzt jedenfalls dessen Ausfertigung voraus. Im vorliegenden Fall wurde das Ersuchen um Übermittlung des Erkenntnisses am 29. November 2018 und somit innerhalb der gesetzlich vorgesehenen zweiwöchigen (bis zum 5. Dezember 2018 laufenden) Frist nach Zustellung der - eine Belehrung nach § 29 Abs. 2a VwGVG enthaltenden - Niederschrift gestellt. Da gegenständlich nicht auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof verzichtet wurde, hätte das Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG vor Ablauf der zweiwöchigen Frist - und somit zum Zeitpunkt der Antragstellung - nicht in gekürzter Form ausgefertigt werden dürfen. Ausgehend davon ist das Ersuchen des Revisionswerbers um Übermittlung des Erkenntnisses - auch wenn sich darin kein ausdrücklicher Hinweis auf § 29 Abs. 4 VwGVG findet - aufgrund des zeitlichen Konnexes und des objektiven Erklärungswertes als Antrag im Sinn des § 29 Abs. 5 VwGVG auf (vollständige schriftliche) Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG zu werten.

Somit ist die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 25a Abs. 4a letzter Satz VwGG vorliegend erfüllt.

13       Wurde eine Ausfertigung des Erkenntnisses nach § 29 Abs. 4 VwGVG beantragt, ist eine gekürzte Ausfertigung, die nach § 29 Abs. 5 VwGVG keine Begründung enthalten muss, unzulässig (vgl. diesbezüglich VwGH 22.10.2018, Ra 2018/16/0103, Rn. 15). Im Hinblick darauf, dass aufgrund des rechtzeitig gestellten Antrags einer Partei das Revisionsrecht nicht untergegangen ist, ist die tatsächlich zugestellte Ausfertigung mit Revision bekämpfbar.

14       Im vorliegenden Fall enthält die dennoch ergangene gekürzte Ausfertigung zwar - ebenso wie das mündlich verkündete Erkenntnis bzw. dessen niederschriftliche Beurkundung (vgl. insoweit VwGH 16.1.2020, Ra 2019/21/0360, Rn. 20, mwN) - eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Entscheidungsgründe. Damit wird die gekürzte Ausfertigung aber für sich betrachtet den nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einzuhaltenden Begründungserfordernissen eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses nicht gerecht (vgl. hiezu VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0293, Rn. 11, mwN, sowie allgemein zur Begründungspflicht VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0148, Rn. 10, mwN). Eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses durch den Verwaltungsgerichtshof ist nicht möglich.

15       Die Revision zeigt somit einen relevanten Verfahrensmangel auf, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Wien, am 16. April 2020

Schlagworte

Allgemein Begründung Begründungsmangel Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220035.L00

Im RIS seit

03.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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