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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Q S, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Mai 2019, W216 2170257-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 24. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er sei als schiitischer Afghane im Iran geboren sowie aufgewachsen. Er sei aus dem Iran geflohen, weil er dort immer wieder diskriminiert worden sei. Er habe nie in Afghanistan gelebt und habe auch keine Angehörigen mehr, die dort lebten. 2 Mit Bescheid vom 24. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
4 Begründend führte es aus, dass sich die vom Revisionswerber angegebenen Fluchtgründe allesamt auf den Iran bezögen und daher aufgrund dessen afghanischer Staatsbürgerschaft keine asylrechtliche Relevanz hätten. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, grundsätzlich - abgesehen von einer diagnostizierten und medikamentös behandelten Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik und Stress - gesunden, arbeitsfähigen Mann handle, der Dari und Farsi, eine der Landessprachen Afghanistans, auf muttersprachlichem Niveau spreche, drei Jahre lang die Schule besucht habe und über Arbeitserfahrung als Bauarbeiter und Schneider verfüge. Seine psychischen Probleme könnten auch in Afghanistan behandelt werden und würden die Arbeitsfähigkeit des Revisionswerbers nicht mindern. Er kenne durch seine afghanischen Eltern die Sitten und Gebräuche seines Herkunftsstaats. In Afghanistan würden zwar keine Verwandten des Revisionswerbers mehr leben, aber er werde in der Lage sein, sich in der afghanischen Gesellschaft zurechtzufinden. Es könne nicht festgestellt werden, dass in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat das Leben des Revisionswerbers mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet wäre oder er dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre. Der Revisionswerber würde auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine nachhaltige existenzielle Notlage geraten, weil er in der ersten Zeit auf Programme für Rückkehrer zurückgreifen könne. Im Übrigen könne er seinen Lebensunterhalt zunächst, bis er eine Arbeit findet, mit Gelegenheitsarbeiten finanzieren.
5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht wird, das BVwG habe die Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (UNHCR-RL) nicht ausreichend berücksichtigt. Hätte das BVwG die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Indizwirkung der UNHCR-RL beachtet, wäre es nicht zu dem Schluss gekommen, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar sei, sondern hätte ihm wegen seines fehlenden sozialen Netzwerks, seiner nicht möglichen medizinischen Behandlung und seiner Unkenntnis der Lage in Afghanistan subsidiären Schutz zuerkannt. 6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241; VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff, mwN).
11 Wie der Verwaltungsgerichtshof auch bereits festgehalten hat, hindert allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0398, sowie wiederum 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).
12 Das BVwG traf fallbezogen hinreichend aktuelle Länderfeststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere in Mazar-e Sharif, berücksichtigte die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Demnach sei der Revisionswerber grundsätzlich gesund. Seine diagnostizierten psychischen Probleme und Stress würden seine Erwerbsfähigkeit nicht mindern und könnten auch in Afghanistan behandelt werden. Der Revisionswerber sei ein junger Mann im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans auf muttersprachlichem Niveau spreche und aufgrund seiner Erziehung mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei. Er habe drei Jahre lang die Schule besucht und verfüge über Arbeitserfahrung als Bauarbeiter und Schneider. 13 Die Revision vermag vor dem Hintergrund dieser Feststellungen nicht darzutun, dass das BVwG mit seiner Begründung von der oben genannten Rechtsprechung abgegangen wäre bzw. dass das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0258, mwN).
14 Vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen ist zudem nicht ersichtlich, dass es der Annahme der Zulässigkeit einer Rückführung in die revisionsgegenständlichen afghanischen Städte bereits für sich entgegenstehen sollte, wenn ein afghanischer Staatsangehöriger, der die längste Zeit seines Lebens im Ausland verbracht hat, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara ist (vgl. zur Lage nach Afghanistan rückkehrender Hazara VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0258; VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0282, sowie VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).
15 Im Übrigen kann es gegenständlich dahingestellt bleiben, ob das BVwG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass dem Revisionswerber auch eine Rückkehr nach Kabul zumutbar sei, weil - wie oben ausgeführt - schon die vom BVwG hilfsweise herangezogene Begründung, der Revisionswerber finde jedenfalls in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, das Ergebnis der Entscheidung trägt. 16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme und von denen das rechtliche Schicksal der Revision abhängt. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180266.L00Im RIS seit
16.06.2020Zuletzt aktualisiert am
16.06.2020