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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. November 2019, G305 2225034-1/3E, betreffend ersatzlose Behebung eines Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: H C P R, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein deutscher Staatsangehöriger, hält sich zumindest seit Anfang Oktober 2015 in Österreich als Student auf und betreibt das Masterstudium Politikwissenschaft an der Universität Wien.
2 Der bislang unbescholtene Mitbeteiligte wurde am 11. September 2019, kurz nach Mitternacht, auf frischer Tat betreten, als er mit vermummtem Gesicht gemeinsam mit weiteren Personen in Wien vor dem Gebäude eines Unternehmens, das Militärfahrzeuge entwickelt und produziert, eine Mauer durch Besprühen mit schwarzer Farbe (u.a. durch den Schriftzug „Blut an euren Händen“) beschädigte. Dabei versuchte er, sich der Anhaltung durch Polizeiorgane mittels Anwendung von Gewalt („Kniestoß“, versuchte Schläge), wodurch einem Einschreiter Verletzungen an Knie, Handgelenk und Unterarm zugefügt wurden, zu entziehen. Deshalb wurde der Mitbeteiligte wegen schwerer Sachbeschädigung, Widerstands gegen die Staatsgewalt, schwerer Körperverletzung und Mitwirkung an einer kriminellen Vereinigung zur Anzeige gebracht.
3 Mit Bescheid vom 11. September 2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Es wurde gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub gewährt und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Noch am selben Tag wurde der Mitbeteiligte auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben.
4 Der gegen den erwähnten Bescheid vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. November 2019 statt und es hob diesen Bescheid (ersatzlos) auf. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision des BFA, die sich als unzulässig erweist.
6 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Das gegen den Mitbeteiligten erlassene Aufenthaltsverbot wurde vom BFA wegen dessen (unbestrittener) Stellung als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigter EWR-Bürger auf § 67 FPG gegründet. Nach dessen Abs. 1 kann (unter anderem) gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des (fallbezogen nicht in Betracht kommenden) Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
8 Vor diesem rechtlichen Hintergrund erachtete das BVwG in seinem tragenden Begründungsteil die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit entgegen der Einschätzung des BFA, das sich „(ausschließlich) auf den bisher einzig bekannten Vorfall vom 11.09.2019 gestützt“ habe, für nicht gerechtfertigt und für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG „als ungenügend“. Deshalb könne der Bescheid des BFA „nicht gehalten“ werden. In diesem Zusammenhang hatte das BVwG noch festgestellt, der Mitbeteiligte sei bisher weder „angeklagt“, noch werde er in einem inländischen strafgerichtlichen Verfahren als Beschuldigter geführt.
9 Nun wird in der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG vorgetragenen Begründung der Zulässigkeit der Amtsrevision zwar grundsätzlich richtig darauf verwiesen, dass es zulässig ist, das Vorliegen eines Verhaltens, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, selbständig zu prüfen und auf Basis entsprechender Feststellungen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen (vgl. dazu etwa VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0081, Rn. 13, mit dem Hinweis unter anderem auf VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 15, mwN; siehe auf das letztgenannte Erkenntnis Bezug nehmend beispielsweise auch noch VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0237, Rn. 8). Demnach lässt sich nicht generell annehmen, die strafgerichtliche Unbescholtenheit eines Fremden müsse in jedem Fall zu einer positiven Gefährdungsprognose führen. Vielmehr kann sich auch aus besonderen Umständen in dessen Person eine Gefährlichkeit ergeben (vgl. VwGH 4.4.2019, Ro 2018/01/0014).
10 Entgegen der Meinung in der Amtsrevision lässt sich die Begründung des BVwG aber nicht dahin deuten, es habe in Abweichung von dieser Rechtsprechungslinie die Auffassung vertreten, bei Fehlen einer strafgerichtlichen Verurteilung komme ein Aufenthaltsverbot generell nicht in Betracht. Vielmehr brachte das BVwG in erster Linie zum Ausdruck, die vom BFA (im Sinne der Wiedergabe in Rn. 2) festgestellten Tathandlungen des Mitbeteiligten reichten nicht aus, um trotz seiner bisherigen Unbescholtenheit den (strengen) Gefährdungsmaßstab gemäß § 67 Abs. 1 FPG als verwirklicht anzusehen und bereits in diesem Stadium, also noch bevor eine diesbezügliche strafgerichtliche Verurteilung vorliegt, sofort ein Aufenthaltsverbot zu verhängen. Diese Beurteilung kann aber im Ergebnis nicht als unvertretbar angesehen werden, wobei das vom BFA verhängte Aufenthaltsverbot in der Höchstdauer von zehn Jahren jedenfalls bei Weitem überschießend war.
11 Im Übrigen lagen für die Unterstellung des BFA im Aufenthaltsverbotsbescheid vom 11. September 2019, der Mitbeteiligte habe „schon öfters derartige gerichtlich strafbare Handlungen gesetzt“, keine nachvollziehbaren Beweisergebnisse vor. Für diese Mutmaßung reichte es nämlich nicht, dass das „scheinbar arbeitsteilige Zusammenwirken bei den Besprühungen“ nach Meinung des BFA „eine hohe Professionalität“ aufgewiesen habe. Des Weiteren hat der vom BFA erhobene Vorwurf, der Mitbeteiligte sei „aus einem anderen Staat“ nach Österreich gereist, um hier strafbare Handlungen zu begehen, keine Deckung in der Aktenlage. Gleiches gilt für die Konstatierung, durch das vom Mitbeteiligten „an den Tag gelegte Verhalten“ habe er „Angst und Unruhen in der österreichischen Bevölkerung provoziert“.
12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die einzelfallbezogene Beurteilung der Erstellung der für ein Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose nur dann revisibel, wenn sie nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage oder nicht im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Andernfalls liegt daher in Bezug auf die bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im jeweiligen Einzelfall getroffene Gefährdungsprognose keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG in Form des Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (siehe zum Ganzen mit weiteren Nachweisen etwa VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0230, Rn. 5).
13 Die im vorliegenden Fall gegebene Vertretbarkeit des vom BVwG erzielten Ergebnisses steht somit der Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG entgegen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 24. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210008.L00Im RIS seit
09.07.2020Zuletzt aktualisiert am
14.07.2020