TE Vwgh Beschluss 2020/4/27 Ra 2020/21/0116

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Veröffentlicht am 27.04.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §12a
BFA-VG 2014 §22a Abs1a
BFA-VG 2014 §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
EURallg
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §76 Abs6
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §35
32013L0033 Aufnahme-RL Art8 Abs3 litd

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/21/0119 B 28.04.2020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des T S in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. März 2020, W279 2229549-1/11E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Usbekistans, reiste im Besitz eines von der lettischen Botschaft in Taschkent ausgestellten, vom 25. April 2019 bis 21. Mai 2019 gültigen Visums über Weißrussland und Lettland nach Deutschland und von dort zwei Tage später, am 3. Mai 2019, nach Österreich. Hier verblieb er unangemeldet auch nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums. Seinen Angaben zufolge nächtigte er „auf der Straße“, bei Bekannten und in der Kirche sowie auch in gemieteten Wohnungen. Er habe im Internet nach „Job-Möglichkeiten“ gesucht und bei verschiedensten Arbeitgebern zumeist im Gastgewerbe „Aushilfsjobs“ gemacht. Der Revisionswerber habe somit - so wurde es von ihm ausdrücklich zugestanden - in Österreich von „illegalen Gelegenheitsarbeiten“ gelebt.

2        Der Revisionswerber wurde im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle am 6. März 2020 in Korneuburg auf einem Firmengelände bei der Ausübung einer (unerlaubten) Beschäftigung betreten und anschließend festgenommen. Nach seiner Einvernahme ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über ihn mit Mandatsbescheid vom 7. März 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an.

3        Davor hatte das BFA mit Bescheid vom selben Tag gegen den Revisionswerber - verbunden mit dem Ausspruch, dass ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde - eine Rückkehrentscheidung und ein mit fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Unter einem wurde mit diesem Bescheid die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Usbekistan festgestellt. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

4        Während der Schubhaft, am 9. März 2020, stellte der Revisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde dann seitens des BFA in einem Aktenvermerk vom 10. März 2020 festgehalten, „zum jetzigen Zeitpunkt“ bestünden im Sinn des § 76 Abs. 6 FPG Gründe zur Annahme, dass der vom Revisionswerber gestellte Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei; die Anhaltung in Schubhaft bleibe (daher) derzeit aufrecht, weil die Voraussetzungen hierfür vorlägen.

5        Mit Schriftsatz vom 12. März 2020 erhob der Revisionswerber gegen seine Anhaltung in Schubhaft eine Beschwerde mit dem Antrag, das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) möge die Rechtswidrigkeit der Schubhaft „ab Asylantragstellung am 10.3.2020“ feststellen.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. März 2020 gab das BVwG dieser Beschwerde statt und erklärte die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft vom 10. März 2020 bis 18. März 2020 - wegen der ungenügenden Begründung des erwähnten Amtsvermerks betreffend die Aufrechterhaltung der Schubhaft - gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 6 FPG für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 6 FPG stellte das BVwG demgegenüber fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Demzufolge wies es die Anträge des Revisionswerbers und des BFA auf Zuspruch von Kostenersatz ab (Spruchpunkte A.III und A.IV.). Schließlich sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

7        Gegen Spruchpunkt A.II. und gegen die den Kostenersatzantrag des Revisionswerbers abweisende Entscheidung mit Spruchpunkt A.III. richtet sich die vorliegende Revision, die sich als unzulässig erweist.

8        Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10       Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Revision zunächst geltend gemacht, Schubhaft dürfe nur dann verhängt werden, wenn eine durchsetzbare „Ausweisung“ vorliege und eine Abschiebung auch möglich sei. Eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung liege aber nicht vor, weil § 16 Abs. 4 BFA-VG bestimme, dass mit der Abschiebung bis eine Woche nach Beschwerdevorlage im Asylverfahren an das BVwG zuzuwarten sei. Dem Revisionswerber komme daher ein Bleiberecht zu und es müsste die Schubhaft überdies in der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU) Deckung finden. Das sei nicht der Fall.

11       Entgegen der Auffassung in der Revision findet jedoch der herangezogene Schubhaftgrund des § 76 Abs. 6 FPG, welcher der Aufrechterhaltung einer schon in Vollzug befindlichen Schubhaft gegenüber einem (nunmehrigen) Asylwerber dient, in der Aufnahme-RL Deckung; mit der genannten Bestimmung des FPG wird nämlich Art. 8 Abs. 3 lit. d der Aufnahme-RL abgebildet (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204, Rn. 13). Die weitere Prämisse in der Revision, Schubhaft dürfe nur verhängt werden, wenn eine durchsetzbare „Ausweisung“ vorliege, verkennt aber den Inhalt des § 76 Abs. 6 FPG, wonach die Schubhaft aufrechterhalten werden kann, auch wenn - wie hier - ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, sofern Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das gilt auch für eine Schubhaft, die ursprünglich auf Basis einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, der dann aufgrund des dem Revisionswerber nach der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz zukommenden faktischen Abschiebeschutzes der Boden entzogen wurde, nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung der Abschiebung verhängt worden war.

12       Bei einer auf § 76 Abs. 6 FPG gestützten Anhaltung steht die Sicherung des „Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“, somit die Verfahrenssicherung, im Vordergrund (vgl. neuerlich VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204, nunmehr Rn. 17/18). Der in der Revision auch enthaltene Hinweis, aufgrund der „derzeitigen“ weltweiten Flugreisebeschränkungen wäre eine Abschiebung ohnehin nicht möglich, geht daher - jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG - ins Leere, zumal dessen diesbezügliche Annahme, es wäre mit einer Aufhebung dieser Maßnahmen „binnen weniger Wochen“ und mit einer „baldigen“ Abschiebung des Revisionswerbers nach Abschluss des Asylverfahrens zu rechnen, jedenfalls damals nicht unvertretbar war und ihr in der Revision auch nicht konkret entgegen getreten wird. Freilich wird - wie in diesem Zusammenhang anzumerken ist - die diesbezügliche weitere Entwicklung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einer weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft zu berücksichtigen sein, weil die Schubhaft ihren Zweck nur dann erfüllen kann, wenn das zu sichernde Verfahren letztlich auch in eine Abschiebung münden kann (vgl. zum insoweit ähnlich strukturierten § 76 Abs. 2 Z 1 FPG VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0177, Rn. 17).

13       Zu der bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehenden Dauer des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz scheint die Revision erkennbar davon auszugehen, dass nunmehr bereits eine erstinstanzliche Entscheidung vorliege und die Rechtsmittelfrist noch offen sei. Vor dem Hintergrund, dass die Stellung des Antrags am 9. März 2020 erfolgte, sind daher keine maßgeblichen Verfahrensverzögerungen zu erkennen. Soweit in der Revision in diesem Zusammenhang die Verlängerung der Beschwerdefrist durch das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG) angesprochen wird, ist zu entgegnen, dass der Revisionswerber nicht gehindert wäre, die Frist nicht zur Gänze auszuschöpfen und die Beschwerde zur Verfahrensbeschleunigung schon früher einzubringen.

14       Schließlich genügt es zur Rüge betreffend die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung zu erwidern, dass in der von einem Rechtsanwalt verfassten Beschwerde kein darauf zielender Antrag gestellt wurde, worauf auch das BVwG hinwies. Das durfte als (impliziter) Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gewertet werden (siehe VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0056, Rn. 11, mwN). Im Übrigen ist die Argumentation des BVwG zum Vorliegen von Fluchtgefahr und von Missbrauchsabsicht bei der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz auf Basis der Aktenlage jedenfalls schlüssig und bedurfte unter Ermessensgesichtspunkten keiner weiteren Klärung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.

15       Soweit der Revisionswerber auch unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision noch die Abweisung seines Antrags auf Kostenersatz bekämpft, vertritt er unter Bezugnahme auf VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0169, die Meinung, im Hinblick auf die Beschwerdestattgebung mit Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses habe er Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen.

16       Aus der genannten Entscheidung ist aber schon deshalb nichts zu gewinnen, weil sie in erster Linie die Frage behandelte, wie viele Verwaltungsakte in der dort erhobenen, zur Gänze erfolgreichen Beschwerde angefochten worden waren. Zur hier maßgeblichen Frage ist es aber gefestigte Judikatur, dass bei einer Beschwerdestattgebung in Bezug auf den Schubhaftbescheid und Rechtswidrigerklärung der darauf gegründeten Anhaltung einerseits sowie Feststellung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft andererseits weder dem Beschwerdeführer noch der belangten Behörde ein Aufwandersatz zusteht (vgl. dazu des Näheren VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0228, Rn. 5, mwN, und daran anschließend VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0122, Rn. 11). Eine derartige Konstellation liegt auch im gegenständlichen Fall vor, sodass die vom BVwG getroffene Kostenentscheidung im Einklang mit der erwähnten Rechtsprechung steht.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 27. April 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210116.L00

Im RIS seit

09.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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