TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/27 Ra 2019/19/0455

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Veröffentlicht am 27.04.2020
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des F A in W, vertreten durch Ing. Dr. Werner Schostal, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Platz 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. August 2019, Zl. G307 2181178-1/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die übrigen Spruchpunkte (Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger aus Basra, stellte am 29. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, wegen der Probleme zwischen Sunniten und Schiiten geflohen zu sein. Seine Familie sei bereits mehrfach Übergriffen durch Milizen ausgesetzt gewesen. Zuletzt habe die Asaib al Haq versucht, den Revisionswerber zu rekrutieren und gedroht, ihn im Fall der Weigerung zu töten. Nachdem der Revisionswerber von einem Auto verfolgt worden sei und anschließend einen Drohbrief erhalten habe, habe er sich zur Flucht entschlossen.

2        Mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, gewährte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak fest. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

3        Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 12. August 2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        In der Begründung führte das BVwG aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber von Angehörigen staatlicher oder dem Staat nahestehender Einrichtungen derart mit dem Tod bedroht worden sei, dass daraus eine asylrelevante Verfolgung resultiere. Insoweit der Revisionswerber vorgebracht habe, von Angehörigen der Asaib al Haq Miliz verfolgt zu werden, sei kein einziger Übergriff auf seine Person geltend gemacht worden. Der Revisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung auch keine konkreten Schritte gegen seine Person durch namentlich bekannte Bedroher einer bestimmten Organisation nennen können. Abgesehen davon müsse hervorgehoben werden, dass die Drohungen über rund sieben Jahre hätten andauern sollen, diese jedoch nie in die Tat umgesetzt worden seien. Im Übrigen sei auch der von den Milizen intendierte Zweck, mit Hilfe der Rekrutierung des Revisionswerbers den IS zu bekämpfen, weggefallen, weil dieser weitgehend ausgelöscht sei.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts ergebe sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben seien. Der gesunde, über Schulbildung und Berufserfahrung verfügende Revisionswerber werde im Herkunftsstaat in der Lage sein, sich ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Es gebe keine Anzeichen für einen schlechten Gesundheitszustand des Revisionswerbers. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liege nicht vor. Ebenso habe der Revisionswerber nicht dargelegt, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirke, insbesondere inwieweit er durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu I.:

6        Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, ist sie nicht zulässig.

7        In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe den exakten Inhalt des Drohschreibens nicht festgestellt, was für eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung jedoch erforderlich gewesen wäre. Die Beweiswürdigung betreffend das Drohschreiben sei unvertretbar erfolgt.

8        Dazu ist darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0463, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit wird mit der bloßen Wiedergabe einzelner Aspekte der beweiswürdigenden Argumente des BVwG und der Behauptung, diese seien nicht nachvollziehbar bzw. unvertretbar, nicht aufgezeigt.

9        Soweit die Revision in Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten weiter rügt, es fehle Rechtsprechung zur Frage der Asylrelevanz einer drohenden Rekrutierung durch paramilitärische Milizen, ist ihr zu entgegnen, dass das BVwG seinen Feststellungen zu Folge nicht von der behaupteten Verfolgung durch eine solche Miliz ausgeht, weshalb sich das Vorbringen als nicht entscheidungsrelevant erweist. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zuständig (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0336, mwN).

10       Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten werden in der Revision somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzlich Bedeutung zukäme, sodass die Revision in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.

11       Zu II.:

12       In der Revision wird weiters vorgebracht, das BVwG habe entgegen den Anforderungen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs keine ausreichende Einzelfallprüfung vorgenommen und näher bezeichnete, einschlägige UNHCR-Berichte überhaupt nicht berücksichtigt. Auch auf die Sicherheitslage in Basra, dem Herkunftsort des Revisionswerbers, sei nicht ausreichend eingegangen worden.

13       Die Revision ist in Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.

14       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedarf es bei der im Zuge der Entscheidung über die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten erforderlichen Beurteilung, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht, insbesondere einer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Menschenrechtslage im Herkunftsstaat (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0143, mwN).

15       Von den mit Asylverfahren befassten Behörden und Gerichten ist zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Folglich hatte auch das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2019/19/0043, mwN).

16       Diesen Anforderungen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:

17       Dem angefochtenen Erkenntnis sind explizite Feststellungen und in der Folge rechtliche Erwägungen zur Sicherheitslage in Basra - wohin dem Revisionswerber nach Ansicht des BVwG eine Rückkehr offenstehe - nicht zu entnehmen (vgl. zur problematischen Sicherheitslage und eskalierenden Gesetzeslosigkeit in Basra die in VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0393, wiedergegebenen Länderfeststellungen).

18       Auch auf die Berichte zur Versorgungslage in Basra wird in den Erwägungen des BVwG inhaltlich nicht eingegangen, obwohl den herangezogenen Länderberichten zu entnehmen ist, dass sich insbesondere die Versorgung mit ausreichend Wasser, Nahrungsmitteln und Strom als äußerst problematisch darstelle, Basra von einer schweren Wasserkrise betroffen sei und zudem eine Verschärfung der Lage erwartet werde.

19       Die Revision weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass Länderberichte internationaler Organisationen - etwa des UNHCR - zur Sicherheits- und Versorgungslage im Irak vorliegen, die zu berücksichtigen gewesen wären (vgl. zur „Indizwirkung“ der Richtlinien des UNHCR VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533) und die ebenfalls ein differenzierteres Bild der dortigen Sicherheitslage zeigen (vgl. ebenfalls den Irak betreffend zuletzt VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0085 bis 0092).

20       Mangels hinreichender Feststellungen der zu erwartenden Lage des Revisionswerbers im Fall seiner Rückkehr ist das angefochtene Erkenntnis in Hinblick auf die Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht zugänglich (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0433 bis 0434, mwN).

21       Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden Spruchpunkte wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verfahrensfehlern gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

22       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190455.L01

Im RIS seit

12.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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