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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §8Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2020/14/0159Ra 2020/14/0160Ra 2020/14/0161Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in den Revisionssachen 1. der A B, 2. des C D,
3. des E F und 4. der G H, alle vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 16. März 2020, 1. W136 2199506- 1/10E, 2. W136 2199520-1/11E, 3. W136 2199515-1/9E und
4. W136 2199524-1/9E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind afghanische Staatsangehörige, stammen aus Mazar-e Sharif, sind miteinander verheiratet und Eltern der in den Jahren 2013 und 2015 geborenen Dritt- und Viertrevisionswerber.
2 Die revisionswerbenden Parteien stellten am 19. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz. 3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies sämtliche Anträge mit Bescheiden vom 17. Mai 2018 ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen. Es stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei. 5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen im Wesentlichen vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung nicht nachvollziehbar mit der "westlichen Orientierung" der Erstrevisionswerberin auseinandergesetzt. Hinsichtlich der Nichtgewährung von subsidiären Schutz sei eine Rückkehr aufgrund der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände, insbesondere aufgrund der Minderjährigkeit des Dritt- und der Viertrevisionswerberin, nicht zumutbar. 9 Soweit sich die Revisionen in der Zulassungsbegründung allgemein gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts wenden, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz tätig ist und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 2.3.2020, Ra 2020/14/0062, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung wird in den Revisionen nicht aufgezeigt.
10 Soweit sich die Revisionen in diesem Zusammenhang gegen die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der "westlichen Orientierung" der Erstrevisionswerberin wenden und die zugrundeliegende Beweiswürdigung bekämpfen, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu führt, dass ihr deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste (vgl. VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0184, mwN). Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/18/0447 bis 0449, mwN).
11 Im vorliegenden Fall hat sich das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Einvernahme der Erstrevisionswerberin sowohl mit deren derzeitigen Lebenssituation als auch deren aktuellen Tagesablauf auseinandergesetzt. Zudem hat es Länderfeststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan, aber auch ihr familiäres Umfeld in seine Erwägungen mit einbezogen. Das Bundesverwaltungsgericht würdigte das entsprechende Vorbringen und kam in einer nicht unvertretbaren Weise zu dem Ergebnis, dass die Erstrevisionswerberin keine verfestigte Änderung der Lebensweise angenommen oder Werthaltung verinnerlicht habe, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden sei, aufgrund derer sie im Heimatland einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. Den Revisionen gelingt es in diesem Zusammenhang nicht darzulegen, inwiefern die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wären.
12 Nach der Rechtsprechung ist hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzes eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429).
13 Eine besondere Vulnerabilität - etwa aufgrund von Minderjährigkeit - ist bei der Beurteilung, ob den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung mit der Situation, die eine solche Person bei ihrer Rückkehr vorfindet (vgl. etwa VwGH 23.3.2020, Ra 2020/14/0096 bis 0102; 4.10.2018, Ra 2018/18/0229 bis 0232, mwN).
14 Insoweit das Bundesverwaltungsgericht keinen subsidiären Schutz zuerkannt hat, hat es dazu ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif kein reales Risiko einer Verletzung ihrer in Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Es hat fallbezogen hinreichend aktuelle Länderfeststellungen getroffen, sowohl die Wirtschafts- und Versorgungslage als auch die allgemeinen Gegebenheiten in der Herkunftsregion berücksichtigt und hat sich mit den persönlichen Umständen der revisionswerbenden Parteien näher auseinandergesetzt. Aufgrund der umfassenden Berufserfahrung des Zweitrevisionswerbers und der guten wirtschaftlichen Situation der Familie der Erstrevisionswerberin, auf dessen Unterstützung die revisionswerbenden Parteien zurückgreifen könnten, sei deren finanzielle Situation gesichert und die Familie würde in keine existentielle Notlage geraten. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei seiner Beurteilung der Rückkehrmöglichkeit - evidentermaßen auch hinsichtlich der Prüfung nach Art. 3 EMRK - auch die besondere Vulnerabilität der minderjährigen Revisionswerber sowie deren besondere Schutzbedürftigkeit berücksichtigt. Es stellte fest, dass eine Gefahrenverdichtung in den Personen der Dritt- und Viertrevisionswerber aufgrund ihrer Minderjährigkeit nicht vorliege. Es bestehe keine erhöhte Gefahr, zivile Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzungen zu werden. Im Hinblick auf ihre familiäre Situation gäbe es keine Hinweise, dass sie Gefahr laufen würden, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden. Sie würden weiterhin innerhalb ihrer afghanischen Familie aufwachsen und seien daher im Familienverband eingebunden. Diesen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts halten die revisionswerbenden Parteien nichts Stichhaltiges entgegen. Die Revisionen zeigen nicht konkret auf den vorliegenden Fall bezogen auf, warum entgegen der festgestellten Situation eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif zu einer Verletzung der minderjährigen Revisionswerber in ihren Rechten nach Art. 2 oder 3 EMRK führen würde.
15 In den Revisionen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gem. § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 28. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140158.L00Im RIS seit
16.06.2020Zuletzt aktualisiert am
16.06.2020