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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ABGB §138Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des C A in W, vertreten durch Mag. Dr. Günter Harrich, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Margaretenstraße 91/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 2019, I416 1242017-3/7E, betreffend insbesondere Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Im Übrigen, nämlich betreffend die Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung sowie die Frist für die freiwillige Ausreise, wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 16. September 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. September 2003, verbunden mit einer Feststellung gemäß § 8 AsylG 1997, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat zulässig sei, abgewiesen. Dem dagegen erhobenen Rechtsmittel gab der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 7. Juli 2005 keine Folge. Eine Behandlung der gegen diese Entscheidung vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 26. Jänner 2006 abgelehnt.
2 Am 23. Oktober 2007 stellte der in Schubhaft angehaltene Revisionswerber einen (weiteren) Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. November 2007 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, unter einem wurde der Revisionswerber nach Nigeria ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Jänner 2008 als unbegründet abgewiesen.
3 Der Revisionswerber verblieb in Österreich und beantragte am 27. Juni 2011 die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ nach dem (damaligen) § 41a Abs. 9 NAG. Dieser Antrag wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 25. Juli 2013 abgewiesen.
4 Am 17. September 2013 stellte der Revisionswerber einen neuerlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ nach § 41a Abs. 9 NAG, welcher mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Februar 2015 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde zog der Revisionswerber mit Schreiben vom 4. Mai 2015 zurück, weshalb das Verwaltungsgericht Wien das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 6. Mai 2015 einstellte.
5 Am 30. April 2015 beantragte der Revisionswerber die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 Abs. 1 AsylG 2005, den er in der Folge dahingehend abänderte, es möge ein Aufenthaltstitel nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt werden.
6 Mit Bescheid vom 16. August 2017 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Zugleich erließ es gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei, und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
7 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen werde. Das in der Beschwerde unter Berufung auf § 35 VwGVG gestellte Kostenbegehren wurde gemäß § 17 VwGVG iVm § 74 AVG als unzulässig zurückgewiesen.
8 Das Bundesverwaltungsgericht stellte insbesondere fest, der Revisionswerber habe eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt, sei laut eigenen Angaben Mitglied der Zeugen Jehovas, finanziere seinen Lebensunterhalt in Österreich durch „Schwarzarbeit“ und habe eine Einstellungszusage sowie zwei personalisierte Empfehlungsschreiben vorweisen können. Er sei über mehrere Jahre hinweg (November 2009 bis April 2013) Ladungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht nachgekommen und zweimal amtlich von seinen Wohnsitzadressen abgemeldet worden. Zwischen 4. Oktober 2005 und 13. April 2006 sowie 29. August 2012 und 9. April 2013 habe der Revisionswerber keine aufrechte Meldeadresse im Bundesgebiet aufgewiesen. Seit 2015 lebe er in einer Lebensgemeinschaft mit einer slowakischen Staatsangehörigen, mit welcher er einen gemeinsamen (nach den Angaben des Revisionswerbers am 9. August 2016 geborenen) Sohn habe. Die Genannten und der Revisionswerber wiesen jedoch weder eine gemeinsame Meldeadresse auf, noch hätten sie zu irgendeinem Zeitpunkt in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.
9 Rechtlich führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass nicht schon alleine aufgrund des fünfzehnjährigen Aufenthaltes des Revisionswerbers auf die Unzulässigkeit der „Ausweisung“ zu erkennen gewesen sei, da der überwiegende Teil dieser Zeit ohne Aufenthaltsberechtigung und sohin illegal verbracht worden sei. Überdies habe der Revisionswerber durch das beharrliche Verbleiben im Bundesgebiet, insbesondere seine mangelnde Mitwirkung bei der Erlangung eines Heimreisezertifikates, bereits erkennen lassen, dass er eine Aufenthaltsbeendigung zu verhindern bzw. zu erschweren versuche. Es sei unbestritten, dass der Revisionswerber mit der Lebensgefährtin und seinem Kind in keinem gemeinsamen Haushalt lebe bzw. gelebt habe und die Lebensgefährtin auch nicht beabsichtige, in näherer Zeit (dauerhaft) nach Österreich zu kommen. Zwar finde eine finanzielle Unterstützung durch den Revisionswerber statt, diese resultiere jedoch aus einer illegalen Tätigkeit. Eine außergewöhnlich intensive Betreuung habe nicht glaubhaft gemacht werden können, vor allem, da die Lebensgefährtin mit dem Kind und einem weiteren Sohn, dessen Vater nicht der Revisionswerber sei, in der Slowakei lebe und nur auf Besuch zum Revisionswerber komme. Angesichts dieses Familienlebens geringerer Intensität wiege die mehrjährige mangelnde Mitwirkung des Revisionswerbers an den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in einer Gesamtschau so schwer, dass eine Trennung des Revisionswerbers von seinen Familienangehörigen jedenfalls zumutbar erscheine. Der Kontakt werde bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt mittels Internet und Telefon aufrechterhalten, was auch bisher dem Kindeswohl entsprochen habe.
10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Über die gegen dieses Erkenntnis (erkennbar mit Ausnahme der Zurückweisung des Kostenbegehrens) erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
11 Die Revision ist - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.
12 Zunächst hat das Bundesverwaltungsgericht sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet, soweit es den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen hat. Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und äußerster Rahmen seiner Prüfbefugnis ist nämlich nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des bei ihm angefochtenen Bescheides gebildet hat (vgl. etwa VwGH 29.1.2020, Ra 2018/08/0234, Rn 23, mwN). Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, ist Sache eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 4.7.2019, Ra 2017/06/0210, Rn 17, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher im vorliegenden Fall, in dem das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG zurückgewiesen hatte, keine inhaltliche Entscheidung treffen dürfen. Vielmehr wäre nur die Bestätigung der Zurückweisung oder aber deren ersatzlose Behebung in Betracht gekommen (vgl. dazu auch VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314, Rn 17).
13 Die Abweisung des Antrags, weil seine Erteilung nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 Z AsylG 2005 „gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten“ sei, war aber auch inhaltlich verfehlt.
14 Es ist unstrittig, dass der Revisionswerber spätestens am 16. September 2003 nach Österreich einreiste und sich somit - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - mehr als fünfzehneinhalb Jahre ohne Unterbrechung im Bundesgebiet aufhielt. Dem kommt für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG wesentliche Bedeutung zu.
15 Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, auf die in den Zulässigkeitsausführungen der Revision zutreffend Bezug genommen wird, ist nämlich bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. aus jüngerer Zeit etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 12, mwN).
16 Letzteres trifft auf den Revisionswerber schon aufgrund seiner Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2, der vorgelegten Einstellungszusage und der Empfehlungsschreiben nicht zu.
17 Jedoch ist auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. wiederum VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 14, mit dem Hinweis auf die beispielhafte Aufzählung in VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).
18 Diesbezüglich setzte das Bundesverwaltungsgericht den Integrationsschritten des Revisionswerbers insbesondere entgegen, dass er den überwiegenden Teil seines Aufenthaltes im Bundesgebiet ohne Aufenthaltsberechtigung verbracht habe und sich seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein habe müssen. Zudem habe der Revisionswerber durch das beharrliche Verbleiben im Bundesgebiet bereits erkennen lassen, dass er eine Aufenthaltsbeendigung zu verhindern bzw. zu erschweren versuche. Er sei seiner Mitwirkungspflicht von November 2009 bis April 2013 durch Nichtbefolgen von Ladungen nicht nachgekommen. Außerdem zeigt das Bundesverwaltungsgericht Zeiträume auf, in denen der Revisionswerber seine Meldeverpflichtung nicht wahrgenommen habe. Diese „Vereitelungshandlungen“ erstreckten sich insgesamt über einen Zeitraum von ca. vier Jahren. Ebenfalls zu Ungunsten des Revisionswerbers ins Treffen zu führen ist die zweifache Asylantragstellung, zumal der Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn 13, mwN).
19 Wenngleich diese Umstände das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung jedenfalls erhöhen, wären sie aber in Relation zur Gesamtaufenthaltsdauer von fünfzehneinhalb Jahren zu sehen und angesichts dessen nicht überzubewerten gewesen (vgl. in diesem Sinn VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243, Rn 12). Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass die „Zehnjahresgrenze“ fallgegenständlich nicht bloß geringfügig, sondern deutlich überschritten wurde (vgl. dazu auch VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0177, Rn 9, mwN). Zudem hätte in die Bewertung einzufließen gehabt, dass das gegenständliche Verfahren über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 fast vier Jahre gedauert hat, ohne dass dem Revisionswerber diese Verfahrensdauer erkennbar angelastet werden könnte (vgl. dazu VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0010, Rn 12).
20 Darüber hinaus ist der vorliegende Fall vor allem dadurch gekennzeichnet, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausging, dass dem Revisionswerber eine Trennung von seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn - die aktuell zwar nicht in Österreich, aber im Nachbarstaat Slowakei leben, was regelmäßige Besuchskontakte ermöglicht - zumutbar sei. Die Lebensgemeinschaft als solche wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht in Frage gestellt, wenn ihr auch eine nur „geringe Intensität“ zugesprochen wurde. Eine Trennung von diesen nahen Angehörigen wäre nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht schon wegen des - vom Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis wiederholt betonten - Eingehens der Beziehung bzw. Zustandekommens des Familienlebens während unsicheren Aufenthalts, sondern nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“ (vgl. neuerlich VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 18, mwN). Sowohl für ein strafrechtswidriges Verhalten des Revisionswerbers als auch für eine - von der Rechtsprechung in diesen Konstellationen geforderte - „von Anfang an“ beabsichtigte Umgehung der Regelungen über den Familiennachzug, somit für ein diesbezügliches „missbräuchliches“ Vorgehen, bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine sachverhaltsmäßigen Grundlagen (vgl. zu Letzterem nochmals VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 18, mwN).
21 Außerdem hätte es einer Bewertung der Situation aus der Perspektive des Kindes bedurft. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, Rn 8, mwN). Ein Kind hat grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen (vgl. erneut VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 20, mwN). Im gegenständlichen Fall müsste es jedoch bei Versagung des beantragten Aufenthaltstitels und Durchsetzung der Rückkehrentscheidung (zumindest vorübergehend) ganz ohne Vater aufwachsen. Wenn das Bundesverwaltungsgericht die Beibehaltung des Kontakts über Internet und Telefon für faktisch möglich und rechtlich ausreichend erachtet und darauf hinweist, dass der Revisionswerber bereits bisher auf diese Weise den Kontakt zu seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn aufrecht erhalten habe, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach Kontakte über Telefon oder E-Mail nicht die durch die Trennung von Mutter oder Vater verursachte maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls wettmachen können (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0108, Rn 11, mwN); die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel ist mit einem Kleinkind kaum möglich und dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) kommt grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu (vgl. in diesem Sinn betreffend ein knapp dreijähriges Kind VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0128, mwN; zu einem ähnlich gelagerten Fall bezüglich eines vierjährigen Kindes VwGH 17.4.2013, 2013/22/0088, mwN; aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vgl. etwa VfGH 19.6.2015, E 426/2015, mwN). Die bislang stattfindenden Besuche der Familienangehörigen beim Revisionswerber würden durch seine Abschiebung nach Nigeria aber (zumindest) erheblich erschwert. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Revisionswerber an, dass er seinen Sohn jeden Monat sehe; manchmal verbringe er dann einen Monat, manchmal eine Woche mit ihm. Warum das Bundesverwaltungsgericht angesichts dieser Angaben dennoch davon ausging, dass „nicht festgestellt werden kann“, wie oft der Revisionswerber von seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn besucht worden sei, ist nicht nachvollziehbar.
22 Die Dauer des Aufenthaltes des Revisionswerbers in Verbindung mit der erreichten Integration und seinen familiären Bindungen lässt sich somit insgesamt nicht maßgeblich durch die vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen Gesichtspunkte relativieren.
23 Im fortgesetzten Verfahren wird daher - bei unverändertem Sachverhalt - im Hinblick auf die schon im Zusammenhang mit der Frage der Erfüllung des Zurückweisungstatbestandes nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG (vgl. dazu etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0103, Rn 11, mwN) mit einer ersatzlosen Behebung der Antragszurückweisung vorzugehen sein.
24 Indem das Bundesverwaltungsgericht jedoch meritorisch über die Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 entschieden hat, hat es seine Entscheidung - wie bereits ausgeführt - mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet, sodass das angefochtene Erkenntnis insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben war.
25 Im Übrigen war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, weil die gemäß § 52 Abs. 3 FPG (nur) bei Zurück- oder Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zu erlassende Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Absprüche nach § 52 Abs. 9 FPG und nach § 55 FPG infolge der Aufhebung des Spruchpunktes betreffend die Antragsabweisung ebenfalls keinen Bestand haben konnten.
26 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. April 2020
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210134.L00Im RIS seit
08.07.2020Zuletzt aktualisiert am
14.07.2020