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L92008 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung VorarlbergNorm
ASVG §330aBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 13. August 2019, Zl. LVwG-340-1/2019-R11, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: A B in B, vertreten durch Dr. Elisabeth Weichselberger-Chlap, Rechtsanwältin in 1130 Wien, Reischergasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Das Land Vorarlberg hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Amtsrevisionswerberin (in der Folge: Behörde) vom 16. November 2018 wurden - soweit für den Revisionsfall maßgeblich - für die Mitbeteiligte die Unterhalts- und Verpflegskosten in der Pflegewohngemeinschaft B ab dem 1. September 2018 nach Maßgabe nachstehender Vorschreibungen übernommen: Die Mitbeteiligte müsse von den eigenen Einkünften 80 % der monatlichen Pension sowie das Pflegegeld, soweit es 10 % der Stufe 3 übersteige, einsetzen. Die "Bewilligung" erfolge unter der Bedingung, dass die (im Eigentum der Mitbeteiligten stehende) Wohnung EZ 1624, GB B, innerhalb von drei Monaten zu vermieten und der Mietertrag einzusetzen sei; sollte die Wohnung nicht innerhalb der gesetzten Frist vermietet werden, trete dieser Bescheid außer Kraft.
2 Infolge der dagegen von der Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde wurde der angefochtene Bescheid vom Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) dahin gehend abgeändert, dass (u.a.) die genannte Bedingung ersatzlos zu entfallen habe. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das LVwG für zulässig.
3 Begründend führte das LVwG aus, die Mitbeteiligte sei in einer stationären Pflegeeinrichtung im Sinne des § 330a ASVG untergebracht, weshalb ihr Vermögen bei der Gewährung von Mindestsicherung gemäß § 8 Abs. 3 letzter Satz Vorarlberger Mindest sicherungsgesetz, LGBl. Nr. 64/2010 idF LGBl. Nr. 17/2018 (MSG), "überhaupt nicht" berücksichtigt werden dürfe. Wenn die Behörde Mindestsicherung unter der Bedingung gewähre, dass eine Liegenschaft vermietet werde, dann werde die Liegenschaft eben doch berücksichtigt, was die genannte Bestimmung des MSG verbiete. Diese Auffassung werde auch durch § 9 Mindestsicherungsverordnung (MSV), bestätigt, nach dessen Abs. 4 lit. i Vermögen von Personen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebracht seien, nicht verwertet werden dürfe. Die Vermietung sei eine Form der Verwertung einer Liegenschaft und sohin nicht zulässig. 4 Die Zulässigkeit der Revision begründete das LVwG damit, dass es keine Rechtsprechung zur Frage gebe, ob es gegen § 8 Abs. 3 letzter Satz MSG und § 9 Abs. 4 lit. i MSV verstoße, wenn bei der Berechnung der Mindestsicherung die Vermietung einer Wohnung verlangt werde. Dasselbe gelte für die Frage, ob die Vermietung ein verbotener Zugriff auf das Vermögen im Sinne des § 330a ASVG sei.
5 In der dagegen erhobenen Revision schloss sich die Behörde den Zulässigkeitserwägungen des LVwG an und führte in den Revisionsgründen aus, die Auslegung des Vermögensbegriffes durch das LVwG sei überzogen. Durch das Verbot des Pflegeregresses nach § 330a ASVG sei das Subsidiaritätsprinzip hinsichtlich des Vermögens, nicht jedoch des Einkommens abgeschafft worden. Einkommen aus Vermögen - wie zB. Vermietungen - der hilfebedürftigen Person sei weiterhin einzusetzen. Die hilfebedürftige Person treffe eine diesbezügliche
Bemühungspflicht. Im vorliegenden Fall werde nicht auf das Vermögen der Mitbeteiligten, sondern nur auf den Vermögensertrag zugegriffen.
6 In dem vom LVwG durchgeführten Vorverfahren erstattete die - anwaltlich vertretene - Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt. 8 § 330a (Verfassungsbestimmung) Allgemeines Sozialversicherung sgesetz, BGBl. Nr. 189/1955, idF BGBl. I Nr. 125/2017 (ASVG), lautet:
"Verbot des Pflegeregresses
§ 330a. (Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig."
9 § 8 Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 64/2010,
idF LGBl. Nr. 17/2018 (MSG), lautet auszugsweise:
"§ 8
Form und Ausmaß der Mindestsicherung
(1) Mindestsicherung wird grundsätzlich in Form von Geldleistungen gewährt. (...) Das Ausmaß der Mindestsicherungsleistung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung eines zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, und Mittel zu bestimmen.
(2) ...
(3) Die eigenen Mittel, wozu das gesamte Vermögen und Einkommen gehört, dürfen bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit nicht berücksichtigt werden, als dies mit der Aufgabe der Mindestsicherung unvereinbar wäre oder für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde. Kleinere Einkommen und Vermögen, insbesondere solche, die der Berufsausübung dienen, sind nicht zu berücksichtigen. Bei der Gewährung von Sonderleistungen (Hilfe in besonderen Lebenslagen) ist überdies darauf Bedacht zu nehmen, dass eine angemessene Lebensführung und die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung nicht wesentlich erschwert werden. Bei Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen untergebracht sind, ist das Vermögen überhaupt nicht zu berücksichtigen.
..."
10 § 9 Vorarlberger Mindestsicherungsverordnung, LGBl. Nr. 71/2010, idF LGBl. Nr. 105/2017 (MSV), lautet
(auszugsweise):
"§ 9
Berücksichtigung von eigenen Mitteln sowie Leistungen Dritter
(1) Nach Maßgabe der Abs. 2 bis 6 sind bei der Ermittlung des Anspruchs auf Leistungen der Mindestsicherung
a) außerhalb von stationären Einrichtungen bei Bedarfsgemeinschaften die Einkünfte und das Vermögen sämtlicher einer Bedarfsgemeinschaft zugehörenden Personen sowie diesen zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter,
b) außerhalb von stationären Einrichtungen in einer Wohngemeinschaft sowie in einer stationären Einrichtung die Einkünfte und das Vermögen der hilfsbedürftigen Person sowie die ihr zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter,
c) in einer stationären Pflegeeinrichtung die Einkünfte der hilfsbedürftigen Person sowie die ihr zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter
zu berücksichtigen.
...
(4) Bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs. 1 dürfen Vermögen nicht berücksichtigt werden, wenn durch deren Verwertung eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies gilt für
(...)
i) Vermögen von Personen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebracht sind."
11 Die Revision bestreitet nicht, dass es sich bei der Pflegewohngemeinschaft B um eine "stationäre Pflegeeinrichtung" handelt. Die Mitbeteiligte hat bis zu ihrer Aufnahme in diese Einrichtung in der in Rede stehenden Eigentumswohnung gewohnt. 12 Die Behörde hat der Mitbeteiligten - als "Bedingung" für die Gewährung der Mindestsicherung - die Vermietung der ihr gehörenden Wohnung bzw. den Einsatz von 100 % der erzielbaren Miete vorgeschrieben.
13 § 8 Abs. 1 letzter Satz MSG sieht vor, dass das Ausmaß der Mindestsicherung im Einzelfall unter Berücksichtigung eines zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, und Mittel zu bestimmen ist. Zu den eigenen Mitteln gehört gemäß § 8 Abs. 3 MSG das gesamte Vermögen und Einkommen. 14 § 8 Abs. 3 letzter Satz leg. cit. normiert, dass bei Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen untergebracht sind, das Vermögen "überhaupt nicht" zu berücksichtigen ist. Die Bestimmung diente ausweislich der Gesetzesmaterialien der Umsetzung des § 330a ASVG (vgl. RV 119 BlgLT, 30. GP, S. 2). 15 Dem gesetzlich verankerten Verbot der Berücksichtigung von Vermögen der in stationären Pflegeeinrichtungen untergebrachten Hilfeempfängern entsprechend lässt § 9 Abs. 1 lit. c MSV hinsichtlich dieser Personengruppe zu berücksichtigendes Vermögen unerwähnt, während ein solches bei den in lit. a und b leg. cit. genannten Personengruppen angeführt ist. Damit korrespondierend führt § 9 Abs. 4 MSV im Rahmen der Aufzählung von Vermögen, das nicht berücksichtigt werden darf, wenn durch dessen Verwertung eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte, in lit. i Vermögen von Personen an, die in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebracht sind. 16 Aus diesen Bestimmungen ergibt sich somit, dass Vermögen von in einer stationären Pflegeeinrichtung untergebrachten Personen ("überhaupt") nicht berücksichtigt werden darf. Die Nichtberücksichtigung bedeutet schon nach dem Wortsinn, dass solches Vermögen außer Betracht zu bleiben hat, also im Mindestsicherungsverfahren nicht darauf abzustellen ist. 17 Für diese Auslegung spricht auch ein Blick auf bisherige Judikatur zu Ersparnissen unterhalb der Freibetragsgrenze. Solche sind bei der Zuerkennung von Mindestsicherungsleistungen nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen (vgl. zum Sbg. MSG VwGH 27.3.2019, Ra 2018/10/0161). Zu einer ähnlichen Regelung im Oö SHG und der Oö Sozialhilfeverordnung 1993 hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2000, 97/08/0655, ausgesprochen, dass es sich bei nicht zu berücksichtigendem verwertbarem Vermögen um geschütztes, der Verwertung entzogenes Vermögen handelt (zur Gleichsetzung von fehlender Verwertbarkeit von Vermögen mit dessen Nichtberücksichtigung vgl. auch VwGH 23.2.2009, 2005/10/0173). 18 Ist daher unter einem nicht zu berücksichtigenden Vermögen zu verstehen, dass es nicht verwertet werden darf, so scheidet auch Vermietung aus (vgl. VwGH 18.10.2000, 95/08/0181, in dem der VwGH die Vermietung einer Wohnung als einen Fall der Verwertbarkeit von Vermögen angenommen hat). Es darf daher hinsichtlich eines unverwertbaren Vermögens in Form einer Wohnung nicht vom Hilfeempfänger verlangt werden, es im Rahmen der ihn treffenden Bemühungspflicht zu vermieten, weil diesbezüglich kein Verwertungsrecht des Sozialhilfeträgers besteht.
19 Fallbezogen folgt daraus, dass die Vorschreibung der Vermietung der Wohnung der Mitbeteiligten nicht den Mindestsicherungsvorschriften Vorarlbergs entspricht. 20 Mit Blick auf die Revisionsausführungen ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass von der im Revisionsfall vorliegenden Konstellation der Fall zu unterscheiden ist, dass der Hilfesuchende tatsächlich Einnahmen aus der (im Anspruchszeitraum erfolgten) Vermietung einer Wohnung lukriert. Derartige Mieteinnahmen würden verwertbare "Einkünfte" im Sinne des MSG bzw. des § 9 Abs. 1 lit. c MSV darstellen, die auch dem Verbot des Pflegeregresses nicht unterliegen.
21 Davon ausgehend kann dahin gestellt bleiben, ob § 330a ASVG nur die Veräußerung des Vermögens von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen verbietet (vgl. Müllner, Von der Abschaffung des Pflegeregresses und was daraus folgt, JRP 25/2017, 187f) oder auch die Geltendmachung von Nutzungs- oder Verwertungsobliegenheiten (vgl. Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg), Der SV-Komm (234. Lfg.) § 330a, § 330b ASVG Rz 8, sowie Pfeil/Wetsch, Kein "Pflegeregress" mehr - was heißt das? in: Jahrbuch Öffentliches Recht 2018, 124 f), weil das Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz mit seiner Anordnung, Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen untergebrachten Personen "überhaupt" nicht zu berücksichtigen, jedenfalls nicht gegen das verfassungsgesetzliche Verbot des Pflegeregresses verstößt.
22 Das LVwG hat somit die erwähnte Bedingung im Bescheid der Behörde zu Recht behoben.
23 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
24 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 4. Mai 2020
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019100036.J00Im RIS seit
01.07.2020Zuletzt aktualisiert am
01.07.2020