TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/4 Ra 2019/16/0214

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Veröffentlicht am 04.05.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
VStG §44a Z1
VStG §44a Z2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §29 Abs4
VwGVG 2014 §47 Abs4
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und Hofrat Dr. Thoma sowie Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des M H in W, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das am 5. September 2019 mündlich verkündete und am 23. September 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-002/011/2620/2019-14, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 17. Dezember 2018 war der Revisionswerber als Hauptmieter eines näher bezeichneten Lokals der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild Glücksspielgesetz (GSpG) für schuldig erkannt worden, weil er es durch die entgeltliche Überlassung (Untervermietung) des näher bestimmten Lokals zu verantworten habe, dass er sich an der Zugänglichmachung verbotener Ausspielungen zur Teilnahme vom Inland aus im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG beteiligt habe. Über den Revisionswerber wurden zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils 20.000 EUR (Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall deren Uneinbringlichkeit: jeweils 14 Tage) verhängt. Weiters wurde ihm ein Beitrag in der Höhe von 4.000 EUR zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.

Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.

2        Nach Schluss der am 5. September 2019 durchgeführten mündlichen Verhandlung verkündete der Richter des Verwaltungsgerichts die Abweisung der Beschwerde in der Schuldfrage, gab ihr aber in der Straffrage insoweit Folge, als er die Geldstrafen auf jeweils 6.000 EUR sowie die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 5 Tage pro Spruchpunkt herabsetzte. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass sich der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens pro Spruchpunkt auf 600 EUR reduziere, sowie, dass der Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens leisten müsse (Spruchpunkt I.). Außerdem erklärte es die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig (Spruchpunkt II.).

3        In der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses vom 23. September 2019 führte das Verwaltungsgericht im Spruch - neben den bereits verkündeten Spruchpunkten I. und II. - in einem Spruchpunkt IA. aus,

„[u]nter Einbeziehung der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Berichtigungsmöglichkeit zu VfGH vom 24.11.2017, E 2792/2017 und VfGH vom 4.3.2011, B 1084/10 und in Ansehung des Umstandes, dass der EuGH das Kumulationsverbot am 12.09.2019, in den verbundenen Rs C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18 für unzulässig erklärte, wird die am 5.9.2019 im Rahmen der mündlichen Verkündung bemessene und herabgesetzte Geldstrafe nicht pro Spruchpunkt, i.e. nicht pro illegalem Eingriffsgegenstand festgesetzt, sondern eine Gesamtgeldstrafe von Euro 12.000.- und eine gesamte Ersatzfreiheitsstrafe mit 5 Tagen ausgesprochen.“

Weiters - so der Spruch der schriftlichen Ausfertigung - reduziere sich der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auf insgesamt 1.200 EUR. Dem Revisionswerber werde außerdem kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei unzulässig.

4        Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision leitete der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren ein; die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5        Die Revision erweist sich schon in Hinblick auf das Vorbringen, dass - entgegen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses vom mündlich verkündeten abweiche, als zulässig und berechtigt.

6        Gemäß § 47 Abs. 4 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG ist nach Schluss der Verhandlung und - im Verfahren vor dem Senat nach Beratung und Abstimmung - der Spruch des Erkenntnisses und seine wesentliche Begründung nach Möglichkeit sofort zu beschließen und zu verkünden.

Gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen, wobei das Erkenntnis unter den in § 29 Abs. 5 leg. cit. festgelegten Voraussetzungen in gekürzter Form ausgefertigt werden kann.

7        Mit der Verkündung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung steht einer neuerlichen im Wesentlichen gleichen Entscheidung der Einwand der entschiedenen Sache entgegen. An die Verkündung dieser Entscheidung knüpft daher auch ihre Unwiderrufbarkeit an, weshalb die schriftliche Entscheidungsausfertigung nicht in einem wesentlichen Spruchelement von der verkündeten Entscheidung abweichen darf (VwGH 15.4.2019, Ra 2018/16/0209, mwN).

Eine wesentliche Abweichung, eine Änderung wesentlicher Spruchelemente, liegt nicht vor, wenn die schriftliche Ausfertigung bloß formell etwas abweichend von der mündlich verkündeten Entscheidung formuliert ist, der normative Inhalt der ausgefertigten Fassung aber mit jenem der mündlich verkündeten übereinstimmt (VwGH 15.4.2019, Ra 2018/16/0209, mwN).

8        Dem Verwaltungsgericht Wien ist bei der schriftlichen Ausfertigung seines Erkenntnisses vom 23. September 2019 nicht etwa nur ein berichtigbarer Schreibfehler (§ 17 VwGVG iVm § 62 Abs. 4 AVG) unterlaufen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr ausdrücklich vom mündlich verkündeten Spruch des Erkenntnisses abweichen und der schriftlichen Ausfertigung einen anderen normativen Inhalt verleihen wollen als der mündlich verkündeten Entscheidung vom 5. September 2019. Solcherart stellt das schriftlich ausgefertigte Erkenntnis vom 23. September 2019 eine neuerliche, inhaltlich geänderte Entscheidung in dem in Rede stehenden Verwaltungsstrafverfahren dar, welcher das Hindernis der (durch das mündlich verkündete Erkenntnis vom 5. September 2019 ) entschiedenen Sache (res iudicata) entgegenstand.

9        Das mit 23. September 2019 datierte schriftliche Erkenntnis ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

10       Zudem weisen sowohl das mündlich verkündete Erkenntnis vom 5. September 2019 als auch die schriftliche Ausfertigung vom 23. September 2019, wie die Revision zutreffend aufzeigt, einen Widerspruch zwischen Spruch und Begründung auf.

§ 44a VStG regelt, welche Bestandteile der Spruch eines Straferkenntnisses zu enthalten hat. Dazu zählen unter anderem die als erwiesen angenommene Tat (Z 1) und die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist (Z 2). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a Z 1 VStG muss der Spruch eines Straferkenntnisses so gefasst sein, dass die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die verletzte Verwaltungsvorschrift eindeutig und vollständig erfolgt, also aus der Tathandlung sogleich auf das Vorliegen der angelasteten Übertretung geschlossen werden kann. Der Beschuldigte hat zudem ein subjektives Recht darauf, dass ihm die als erwiesen angenommene Tat und die verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten werden. Die Identität der Tat muss unverwechselbar feststehen (VwGH 21.9.2018, Ra 2017/17/0661, mwN).

Besteht ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung, bei dem es sich nicht bloß um eine terminologische Abweichung handelt, deren Wirkung sich im Sprachlichen erschöpft, sondern bei dem die Wahl unterschiedlicher Begriffe vielmehr eine Unterschiedlichkeit in der rechtlichen Wertung durch Subsumtion unter je ein anderes Tatbild zum Ausdruck bringt, führt dies zu einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit (VwGH 21.9.2018, Ra 2017/17/0661, mwN).

11       Das Verwaltungsgericht führt in den Entscheidungsgründen des mündlich verkündeten sowie des schriftlichen Erkenntnisses aus, es sei die Feststellung zu treffen, der Revisionswerber habe „im Sinne der Tatumschreibung“ die verfahrensgegenständlichen verbotenen Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG unternehmerisch zugänglich gemacht (vgl. Seite 6 des Verhandlungsprotokolls bzw. Seite 8 des schriftlichen Erkenntnisses), sowie, dass sich „die unternehmerische Zugängigmachung durch den Beschwerdeführer“ als schlüssig begründet erweise (vgl. Seite 27 des schriftlichen Erkenntnisses). Das unternehmerische Zugänglichmachen stellt jedoch das dritte Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG dar.

In dem vom Verwaltungsgericht bestätigten Spruch des Straferkenntnisses wurde der Revisionswerber allerdings wegen der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild GSpG (unternehmerische Beteiligung) bestraft, wodurch sich insoweit ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ergibt.

12       Auch damit belastete das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

13       Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. Mai 2020

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160214.L00

Im RIS seit

08.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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