TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/4 Ra 2018/04/0152

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Veröffentlicht am 04.05.2020
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Index

E6J
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
40/01 Verwaltungsverfahren
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

ABGB §294
AVG §37
AVG §45 Abs2
BVergG 2006 §195
BVergG 2006 §195 Z3
BVergG 2006 §195 Z5
BVergG 2006 §29 Abs2 Z2
62008CJ0275 Kommission / Deutschland

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/04/0153

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revisionen der G Ges.m.b.H. in M, vertreten durch Dr. Martin Leitner und Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Lindengasse 38/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2018, Zl. W139 2162939- 2/81E (protokolliert zu Ra 2018/04/0152), und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2018, Zl. W139 2162939-4/2E (protokolliert zu Ra 2018/04/0153), betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. F AG, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6, und 2. C GmbH in W, vertreten durch die Singer Fössl Rechtsanwälte OG in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 30), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis und der angefochtene Beschluss werden jeweils wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin insgesamt Aufwendungen in Höhe von EUR 2.692,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 1.1 Die Erstmitbeteiligte (im Folgenden: Auftraggeberin) führte im Jahr 2008 ein Vergabeverfahren mit der Bezeichnung "Ausschreibung für die Lieferung von div. Hygieneartikel sowie der dafür benötigten Spender am Flughafen X* für die Dauer von vier Jahren mit Option auf ein weiteres Jahr" als Verhandlungsverfahren im Oberschwellenbereich nach vorherigem Aufruf zum Wettbewerb nach den Bestimmungen des Sektorenvergaberechts. Die Ausschreibung umfasste die Lieferung von Hygieneartikeln aus Papier und Zellstoff, etwa Toilettenpapier, Putzpapier, Falt- und Rollenhandtücher, sowie Duftspender und Hygienebehälter und die Ausstattung mit Spendersystemen. Den Zuschlag für diesen Lieferauftrag erhielt die Zweitmitbeteiligte. Nach Inanspruchnahme einer vertraglich vereinbarten Verlängerungsoption endete die Vertragslaufzeit am 30. Juni 2014.

2 1.2 Am 29. Juni 2017 stellte die Revisionswerberin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Feststellung, "dass die Auftraggeberin den Vertrag betreffend Rollenhandtücher und Flüssigseife in den letzten drei Jahren rechtswidrig, nämlich ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung bzw. vorherigem Aufruf zum Wettbewerb geschlossen hat". Das Betriebsgelände der Auftraggeberin sei auch nach Ablauf der vierjährigen Laufzeit eines im Jahre 2008 von dieser vergebenen Auftrages, der die Belieferung mit Rollenhandtüchern und Flüssigseife umfasst habe, nach wie vor mit diesen Verbrauchsmaterialien ausgestattet, obwohl diesen faktisch beschafften Produkten kein Vergabeverfahren vorausgegangen sei. 3 2.1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) den Antrag der Revisionswerberin auf Feststellung, die Auftraggeberin habe den Vertrag betreffend Rollenhandtücher und Flüssigseife "in den letzten drei Jahren" rechtswidrig, nämlich ohne vorangehende Durchführung eines Vergabeverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung bzw. vorherigem Aufruf zum Wettbewerb geschlossen, ab (Spruchpunkt A). Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt B). 4 2.1.1 In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht zusammengefasst die Feststellungen, die Auftraggeberin habe in Hinblick auf die - wegen des Ablaufs der Vertragslaufzeit des unter Punkt 1. 1. erwähnten Vertrages - ab Juli 2014 wiederum notwendige Beschaffung der Hygieneartikel geprüft, ob ein Vergabeverfahren mit oder ohne vorherige Bekanntmachung durchzuführen sei. Am 17. Mai 2014 sei intern die Einleitung eines Verhandlungsverfahrens mit einem Bieter gemäß § 195 Z 3 iVm Z 5 BVergG 2006 zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einer Laufzeit von drei Jahren und einer Verlängerungsoption von zwölf Monaten genehmigt worden. 5 Als Begründung für die Wahl dieses Vergabeverfahrens sei (hier zusammengefasst) Folgendes schriftlich festgehalten worden:

Das Betriebsgelände der Auftraggeberin sei mit Spendersystemen - je ca. 1300 Stück Handpapier- und Seifenspender im öffentlichen und nicht öffentlichen Bereich - der Zweitmitbeteiligten ausgestattet. Füllungen für dieses System würden nur von der Zweitmitbeteiligten geliefert werden. Ein Wechsel der Handpapierbzw. Seifenspender würde mit umfangreichen Montageaufwänden (ca. vier Monate) und hohen Kosten verbunden sein und komme daher nicht in Frage. Überdies entstünden aufgrund der unterschiedlichen Formen der Spender unansehnliche Bohrlöcher, die den Gesamteindruck nachhaltig beeinträchtigen würden. Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit einem Bieter gemäß § 195 Z 3 iVm Z 5 BVergG 2006 werde daher als zulässig erachtet. 6 Am 6. Juni 2014 sei mit der Zweitmitbeteiligten eine Rahmenvereinbarung für die Laufzeit von drei Jahren und einer Verlängerungsoption von zwölf Monaten abgeschlossen worden. Leistungsinhalt sei die Lieferung von Schaumseife, Handtuchrollen, Duftpatronen und Toilettensitzreiniger sowie die Bereitstellung von Spendern gewesen. Die Leistungsbeschreibung in diesem Vertrag habe hinsichtlich der Spendersysteme auszugsweise wie folgt gelautet:

"Kostenlose Ausstattung und Erweiterung von neuen Spendern; kostenloser Ersatz und Austausch von defekten bzw. beschädigten Spendern; kostenlose Montage, Wartung bzw. Reparatur der Spendersysteme (...)"

7 Die Ausstattung mit Handtuchspendern sei zur Erfüllung des Auftrages von der Zweitmitbeteiligten - wie bereits während der Laufzeit des Vertrages von 2008 bis 2014 - von einem dritten Unternehmen angeschafft worden, das - ohne das Eigentumsrecht an den Handtuchspendern zu übertragen - diese der Zweitmitbeteiligten entgeltlich für die Dauer der Vertragslaufzeit zur Verfügung stellte.

8 Zu den Eigenschaften der Spender stellte das Verwaltungsgericht fest, abhängig von der Verwendungsintensität sei bei diesen von einer Produktlebensdauer von sieben bis maximal fünfzehn Jahren auszugehen. Die Dauer eines Austausches der Spender (Demontage, Neumontage) sei von der Auftraggeberin auf drei bis vier Monate geschätzt worden. Aufgrund unterschiedlicher Abmessungen könne es bei der Neumontage der Spender zu Beschädigungen des jeweiligen Untergrundes kommen. Die Einhaltung der für das Betriebsgelände geltenden internationalen Sicherheitsstandards fordere zudem für den Zutritt unbegleiteter Personen eine Zuverlässigkeitsprüfung. Der Zutritt zu bestimmten sensiblen Bereichen dürfe aufgrund dieses Sicherheitsstandards nur bei Vorliegen wichtiger Gründe gestattet werden.

9 Disloziert in der rechtlichen Beurteilung traf das Verwaltungsgericht weiter die Feststellung, in der Ausschreibung im Jahr 2008 seien die Preise für Verbrauchsmaterialien, Ersatzspender bei Vandalismus sowie gegebenenfalls alternative Befestigungen jeweils als eigene Positionen ausgewiesen gewesen. Die Ausstattung mit "Spendersystemen" sowie deren Wartung und Montage seien kalkulatorisch bei den Verbrauchsmaterialien zu berücksichtigen gewesen. Eigene Preispositionen seien dafür nicht vorgesehen gewesen. Die Kosten für die Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit der Spender seien dem Auftragnehmer oblegen. 10 2.1.2 In rechtlicher Hinsicht bejahte das Verwaltungsgericht zunächst mit detaillierter Begründung sowohl die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, die Antragslegitimation der Revisionswerberin als Großhandelsunternehmen und verneinte die von den mitbeteiligten Parteien vorgebrachte Verfristung des verfahrensgegenständlichen Feststellungsantrages.

11 Zur inhaltlichen Berechtigung des zu prüfenden Antrages führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, es sei das Vorliegen der Ausnahmetatbestände gemäß § 195 Z 3 und Z 5 BVergG 2006 zu prüfen, auf die sich die Auftraggeberin mit dem Vorbringen berufe, dass die Befüllung der verfahrensgegenständliche n Spender durch andere Unternehmen als der Zweitmitbeteiligten wegen des Vorliegens ausschließlicher Rechte nicht in Frage komme, andere Nachfüllpackungen mit dem Spendersystem nicht kompatibel seien und es bei einem Wechsel des bisherigen Lieferanten und einem Wechsel des bestehenden Spendersystems zu unverhältnismäßigen technischen Schwierigkeiten und einem unwirtschaftlichen Aufwand komme.

12 Dem Verhandlungsverfahren komme nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Ausnahmecharakter zu. Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb sollten auch nach dem Erwägungsgrund 61 der Richtlinie 2014/25/EU zudem angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Beweislast für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes habe derjenige zu tragen, der sich auf diesen berufe.

13 Beim Tatbestand des § 193 Z 3 dritter Fall BVergG 2006 - dem Schutz eines Ausschließlichkeitsrechtes - gehe es um die rechtlichen Möglichkeiten von potentiellen Mitbietern. Bei Ausschließlichkeitsrechten sei zwar vor allem an Patent-, Urheber- , Marken- und Musterschutzrechte zu denken. Jedoch seien den Erläuternden Bemerkungen zu dem mit § 195 Z 3 BVergG 2006 vergleichbaren § 29 Abs. 2 Z 2 BVergG 2006 zufolge auch jene Fälle darunter zu subsumieren, in denen ein bestimmter Unternehmer ausschließliche Verfügungs- oder Nutzungsrechte besitze. 14 Fallbezogen führte das Verwaltungsgericht aus, es sei zunächst zu klären, ob für die Bestimmung des Leistungsgegenstandes durch die Auftraggeberin hinreichende sachliche und auftragsbezogene Gründe vorgelegen seien. Aufgrund des im Jahre 2008 durchgeführten Vergabeverfahrens hätten sich nach Ablauf der Vertragsdauer die Spender in den sanitären Anlagen des Betriebsgeländes der Auftraggeberin befunden. Aufgrund der Produktlebensdauer der Spender sei im Jahr 2014 eine komplette Erneuerung derselben nicht erforderlich gewesen. Das Verwaltungsgericht kam zu dem Schluss, dass die Überlegungen der Auftraggeberin - Kosten der Demontage und Neumontage, der mit einer Erneuerung einhergehende administrative Aufwand, die erheblichen Beeinträchtigungen des Flughafenbetriebes - hinreichende sachliche und auftragsbezogene Überlegungen dargestellt hätten, sodass diese bei der Leistungsbestimmung eine Neuanschaffung der Spender nicht zugrunde legen musste. 15 Aus dieser Leistungsbestimmung folge, dass die Zweitmitbeteiligte alleine berechtigt sei die gegenständlichen Leistungen zu erbringen: Aus den Feststellungen zu der Ausschreibung aus dem Jahr 2008 ergebe sich, dass die dort festgelegte "Ausstattung" mit Spendern im Sinne einer Bereitstellung für die Vertragslaufzeit zu verstehen gewesen sei, während ein zivilrechtlicher Eigentumsübergang nicht vereinbart werden sollte. Die Zweitmitbeteiligte sei Eigentümerin der auf dem Betriebsgelände der Auftraggeberin montierten Seifen- und Duftspender gewesen. Ein drittes Unternehmen habe im Auftrag der Zweitmitbeteiligten die Handtuchspender zur Verfügung gestellt, sei jedoch selbst Eigentümer derselben geblieben. Wegen dieser Eigentumsverhältnisse habe die Auftraggeberin keine rechtliche Möglichkeit gehabt, anderen Unternehmen die Spender "zugänglich" zu machen, ohne die bestehenden Eigentumsrechte - die Ausschließlichkeitsrechte - an den Spendern zu verletzen. Dabei habe die Auftraggeberin aufgrund der vor der Auftragserteilung eingeholten Erkundigungen auch davon ausgehen dürfen, dass das die Handtuchspender zur Verfügung stellende Unternehmen exklusiv mit der Zweitmitbeteiligten eine Vereinbarung betreffend die Beschickung der Handtuchspender treffen würde. Aus diesen Gründen sei die Zweitmitbeteiligte das einzige Unternehmen gewesen, das berechtigt gewesen sei, den verfahrensgegenständlichen Auftrag, den die Auftraggeberin wie oben dargestellt definieren durfte, auszuführen. Eine allfällige Erweiterung mit neuen Spendern in einer gemeinsamen Ausschreibung sei ebenfalls gerechtfertigt. 16 Das Vorbringen, die Auftraggeberin habe die vorliegende Situation bereits mit Blick auf das verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren selbst herbeigeführt, sei nicht gerechtfertigt. Die Entscheidung der Auftraggeberin, das Eigentum an den Spendern nicht zu erwerben, sei durch die niedrigeren Anschaffungskosten und das Erfordernis der reibungslosen Wartung begründet und habe sich damit im Rahmen des von den vergaberechtlichen Bestimmungen begrenzten Entscheidungsspielraums bewegt. Es würden keine Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass die Auftraggeberin die damalige Entscheidung bereits in Hinblick auf das verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren getroffen habe. 17 2.2 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Ersatz der für den Feststellungsantrag entrichteten Pauschalgebühr ab und erklärte unter einem die ordentliche Revision für nicht zulässig. Zur Begründung des Beschlusses verwies das Verwaltungsgericht auf das oben dargestellte Ergebnis betreffend den Feststellungsantrag und darauf, dass ein Ersatz der entrichteten Pauschalgebühr wegen der Abweisung des Antrages nicht stattfinde.

18 3. Gegen diese Entscheidungen richtet sich jeweils die außerordentliche Revision mit dem Antrag, die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben.

19 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung, mit welcher sie die Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragten.

20 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in den wegen ihres tatsächlichen, persönlichen und rechtlichen Zusammenhangs verbundenen Revisionssachen erwogen:

21 4.1. § 195 BVergG 2006 lautete auszugsweise:

"Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb

§ 195. Sektorenauftraggeber können in den folgenden Fällen auf ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zurückgreifen:

1.

(...) oder

2.

(...) oder

3.

wenn der Auftrag wegen seiner technischen oder

künstlerischen Besonderheiten oder auf Grund des Schutzes von ausschließlichen Rechten nur von einem bestimmten Unternehmer durchgeführt werden kann, oder

4.

(...) oder

5.

im Falle von Lieferaufträgen bei zusätzlichen, vom

ursprünglichen Lieferanten durchzuführenden Lieferungen, die entweder zur teilweisen Erneuerung gängiger Lieferungen oder Einrichtungen oder zur Erweiterung von Lieferungen oder bestehenden Einrichtungen bestimmt sind, wenn ein Wechsel des Lieferanten den Sektorenauftraggeber zum Kauf von Material unterschiedlicher technischer Merkmale zwingen würde und dies eine technische Unvereinbarkeit oder unverhältnismäßige technische Schwierigkeiten bei Gebrauch oder Wartung mit sich bringen würde, oder

         6.       (...)"

22 4.2 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit im Sinne

des § 28 Abs. 3 VwGG kurz zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht lege entgegen der Rechtsprechung § 195 Z 3 BVergG 2006 dahingehend aus, dass die dort genannten Ausschließlichkeitsrechte nicht bloß solche sein könnten, die am Leistungsgegenstand selbst bestünden, sondern aufgrund von Rechten am Umfeld des Leistungsgegenstandes. Das Verwaltungsgericht sei zudem von der Rechtsprechung zu § 294 ABGB abgewichen. Es stelle sich die Frage, welche Grenzen dem Auftraggeber bei der Festlegung des Beschaffungsgegenstandes gesetzt seien. Zudem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu der Frage, ob ein Auftraggeber eine bestimmte Verfahrensart wählen dürfe, wenn er die Voraussetzungen für die betreffende Verfahrensart erst selbst geschaffen habe. Das Verwaltungsgericht habe seine Begründungspflicht verletzt und beruhe die Entscheidung auf einer unvertretbaren Beweiswürdigung. Die Zulässigkeit der Revision betreffend den angefochtenen Beschluss ergebe sich aus der Abhängigkeit von der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses.

23 Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf eine unzulässige Bestimmung des Leistungsgegenstandes gründete.

24 4.3 Vorweg ist der Auftraggeberin insofern diese in ihrer Revisionsbeantwortung die mangelnde Beschwer der Revisionswerberin und daraus resultierende Unzulässigkeit der Revision darauf gründen will, dass sich die Revisionswerberin an einem mit europaweiter Bekanntmachung vom 6. August 2019 ausgeschriebenen Vergabeverfahren nicht als Bieterin beteiligt habe, zu entgegnen, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beurteilung des rechtlichen Interesses an einem Vergabeverfahren aus dem Jahre 2014 von der Teilnahme an der Ausschreibung im Jahre 2019 - eine unabhängig von den früheren Vergabeverfahren zu treffende unternehmerische Entscheidung - abhinge.

25 4.4 Unstrittig ist, dass die Auftraggeberin nach dem Ende der Vertragslaufzeit des auf Basis der Ausschreibung im Jahr 2008 mit der Zweitmitbeteiligten abgeschlossenen Liefervertrages den Auftrag zur weiteren Ausstattung ihres Betriebsgeländes mit (zusammengefasst ausgedrückt) Hygieneartikeln wiederum an die Zweitmitbeteiligte vergeben hat. Diese Vergabe erfolgte in einem Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb im Sinne des § 195 BVergG 2006, indem am 6. Juni 2014 mit der Zweitmitbeteiligten eine Rahmenvereinbarung für die Laufzeit von drei Jahren und einer Verlängerungsoption von zwölf Monaten abgeschlossen wurde.

26 4.5 Nach der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sind die Rechtfertigungsgründe für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung eng auszulegen. Die Beweislast dafür, dass die eine Ausnahme rechtfertigenden, außergewöhnlichen Umstände tatsächlich vorliegen, trägt derjenige, der sich darauf berufen will (vgl. VwGH 21.1.2014, 2011/04/0003, mit Verweis auf das Urteil des EuGH 15.10.2009, Rs C-275/08, Kommission gegen Deutschland, Rz. 54 ff).

Dies liegt auch den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zugrunde. 27 4.6.1 Das Verwaltungsgericht meint, die Auftraggeberin könne sich fallbezogen auf den Ausnahmetatbestand des § 195 Z 3 BVerG 2006 stützen, weil die auf ihrem Betriebsgelände "vorhandenen" Spender aufgrund der daran bestehenden Eigentumsrechte und des gebotenen Schutzes dieser Ausschließlichkeitsrechte im Sinne des § 195 Z 3 BVergG 2006 von keinem anderen Unternehmen als der Zweitmitbeteiligten befüllt werden dürften.

28 Diese rechtliche Schlussfolgerung setzt voraus, dass im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichts davon auszugehen war, dass die Auftraggeberin den Leistungsgegenstand des verfahrensgegenständlichen Beschaffungsvorgangs als (bloße) Belieferung mit Nachfüllungen der auf ihrem Betriebsgelände montierten Spender (Handtuchspender und Seifen- bzw. Duftspender) definieren durfte.

29 Das Verwaltungsgericht begründet seine Ansicht unter Heranziehung des § 195 Z 5 BVergG 2006 ausgehend von den Feststellungen betreffend den hohen wirtschaftlichen und administrativen Aufwand, den ein Austausch der Spender mit sich bringen würde. Diese Argumentation ist insofern unklar, als das Verwaltungsgericht einerseits mit dem Berufen auf den Ausnahmetatbestand des § 195 Z 3 BVergG 2006 das Bestehen des Spendersystems voraussetzt; andererseits gründet das Verwaltungsgericht das Vorhandensein des Spendersystems offenbar darauf, dass die Spender ihrerseits im Jahr 2014 von der Auftraggeberin (unter Anwendung des § 195 Z 5 BVergG 2006) beschafft wurden. Darauf deuten die Ausführungen in den Feststellungen, dass den Leistungsinhalt des verfahrensgegenständlichen Beschaffungsvorgangs die Lieferung von Schaumseife, Handtuchrollen, Duftpatronen und Toilettensitzreiniger sowie die Bereitstellung von Spendern gebildet hätten.

30 Mussten jedoch die Spender ebenso erst beschafft werden, kann deren "Vorhandensein" nicht gleichzeitig zur Begründung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 195 Z 3 BVergG 2006 herangezogen werden. Diese Bestimmung setzt ja das Bestehen eines zu schützenden Ausschließlichkeitsrechts bereits voraus, das bedingt, dass der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmer ausgeführt werden kann und damit die ausnahmsweise zulässige Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung rechtfertigt.

31 4.6.2 Vorweg ist die Frage zu klären, ob die Spender aufgrund des im Jahre 2008 geschlossenen Vertrages ins Eigentum der Auftraggeberin übergingen oder nicht:

32 Aus den Feststellungen zu den Ausschreibungsbedingungen im Jahr 2008 ergibt sich, dass aufgrund dieses Vertrages kein Kauf der Spender vereinbart worden war, der auf einen Eigentumsübergang abzielt und die Annahme eines solchen rechtfertigt. Vielmehr waren die Spender im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichts aufgrund des festgestellten Inhalts der zugrunde liegenden Ausschreibung als bereitzustellende Ausstattung anzusehen, die dem Zweck dienten, die zugekauften Hygieneartikel entsprechend verwenden zu können, und deren Zurverfügungstellung mit der Vertragslaufzeit befristet war, zumal keine Preisbestandteile für diese anzugeben waren. Nur für diejenigen Spender, die wegen Vandalismus zerstört würden, hätte die Ersatzkosten die Auftraggeberin übernommen, was dafür spricht, dass die Nachteile der üblichen Abnützung zu Lasten der Bieterin (als Eigentümerin) gingen. Diese Vereinbarung ist mit einem Kauf nicht in Einklang zu bringen. Ungeachtet dessen, ob der Teilaspekt des Auftrages betreffend die Zurverfügungstellung der Spender als (unentgeltliche) Leihe oder Miete anzusehen wäre, endete die Verpflichtung zur Bereitstellung und Wartung der Spender durch die Zweitmitbeteiligte mit dem Zeitpunkt der Beendigung des ursprünglichen Liefervertrages im Juni 2014.

33 Weiter ist zu klären, ob die Spender aufgrund der Montage - Verbindung mit der Hauptsache - ins Eigentum der Auftraggeberin übergingen: Als Bestandteile bezeichnet man die Teile einer zusammengesetzten Sache; ist die Verbindung von Teilen mit der Hauptsache so eng, dass sie von dieser tatsächlich nicht oder nur durch eine unwirtschaftliche Vorgangsweise abgesondert werden könnten, spricht man von unselbständigen Bestandteilen, die sonderrechtsunfähig sind; lassen sich die Bestandteile hingegen tatsächlich und wirtschaftlich von der Restsache trennen, nennt man sie selbständige Bestandteile; diese sind sonderrechtsfähig, müssen also nicht notwendigerweise das sachenrechtliche Schicksal der Hauptsache teilen. Würde durch die Absonderung das Wesen der Hauptsache oder des Bestandteiles so verändert, dass die nach der Absonderung verbliebene Hauptsache oder der abgelöste Bestandteil wirtschaftlich als etwas anderes anzusehen wäre als vor der Absonderung, dann liegt ein unselbständiger Bestandteil vor (zu alldem OGH 21.10.1987, 1 Ob 643/87, mwN). Entscheidend ist im Einzelfall die Verkehrsauffassung (OGH 14.11.2017, 10 Ob 32/17d, mwN).

34 Fallbezogen ergibt sich zwar ein erheblicher Aufwand für die Demontage der Spender aus der großen Anzahl der Spender und den administrativen Schwierigkeiten aufgrund der Sicherheitsanforderungen. Es wurde jedoch nicht vorgebracht, dass die Demontage zu einer auch nur teilweisen Zerstörung oder erheblich eingeschränkten, "wesensveränderenden" Brauchbarkeit der Spender führen würde, die sohin zu einer Unwirtschaftlichkeit der Trennung der einzelnen Bestandteile im Sinne der oben wiedergegebenen Judikatur zur Sonderrechtsfähigkeit von Bestandteilen führen würde. Dass die Betriebsanlage der Auftraggeberin eine nennenswerte Veränderung der Funktionstüchtigkeit oder ihres Werts erleiden würde, ist - auch in Anbetracht des Zurückbleibens von Bohrlöchern - von der Hand zu weisen.

35 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Auftraggeberin selbst keine Eigentumsrechte an den Spendern zukamen, wovon auch das Verwaltungsgericht ausging.

36 4.6.3 Vor diesem Hintergrund ist es jedoch unrichtig, dass die Auftraggeberin zunächst im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichts die Entscheidung treffen konnte, "ob das bestehende Spendersystem beibehalten werden konnte oder aber, ob eine gänzliche Neuanschaffung erforderlich war". Die Auftraggeberin verfügte nach Ablauf der Vertragslaufzeit im Jahr 2014 über kein Spendersystem, weil die Verpflichtung für die Zurverfügungstellung der Spender durch die Zweitmitbeteiligte mit der Vertragslaufzeit des im Jahr 2008 ausgeschriebenen Vertrages endete. Sie musste daher die Beschaffung der Spender jedenfalls neu vergeben.

37 Dabei konnte sie sich jedoch - ungeachtet des wirtschaftlichen Aufwandes -nicht auf § 195 Z 5 BVergG 2006 stützen. Diese Bestimmung, die wegen ihres Charakters als Ausnahmebestimmung nach der Rechtsprechung des EuGH restriktiv auszulegen ist, gestattet seinem Wortlaut nach dem Auftraggeber die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung "im Falle von Lieferaufträgen bei zusätzlichen, vom ursprünglichen Lieferanten durchzuführenden Lieferungen, die entweder zur teilweisen Erneuerung gängiger Lieferungen oder Einrichtungen oder zur Erweiterung von Lieferungen oder bestehenden Einrichtungen bestimmt sind". Es handelt sich aber fallbezogen nicht um eine teilweise Erneuerung bzw. um eine Erweiterung des Spendermaterials, sondern - ungeachtet des physischen Vorhandenseins - um eine Neubeschaffung der gesamten Spender, weil diese der Auftraggeberin nach Ablauf der Vertragszeit im Juni 2014 rechtlich betrachtet insgesamt nicht mehr zur Verfügung standen. Darauf deutet wohl auch die Leistungsbeschreibung des verfahrensgegenständlichen Vertrages hin, der laut den Feststellungen gerade auch die Bereitstellung der Spender umfasste (siehe angefochtenes Erkenntnis S 68).

38 4.6.4 Vor diesem Hintergrund ist der Ansicht, die Auftraggeberin könne die verfahrensgegenständliche Vergabe auf § 195 Z 3 BVergG 2006 stützen, die Grundlage entzogen. Es bestehen zum Zeitpunkt des Beschaffungsvorgangs keine von der Auftraggeberin zu berücksichtigenden Ausschließlichkeitsrechte, die diese von vornherein daran hindern, die Versorgung durch die Bereitstellung von Spendern samt Hygieneartikel einem bestimmten Unternehmen zu übertragen. Der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Auftraggeberin im vorliegenden Fall auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zurückgreifen durfte, ist daher nicht zu folgen.

39 4.6.5 Das angefochtene Erkenntnis und der angefochtene Beschluss, der auf diesem beruht, sind daher jeweils wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

40 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung. Umsatzsteuer ist nicht gesondert zuzusprechen (vgl. VwGH 28.4.1999, 94/13/0097).

Wien, am 4. Mai 2020

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht MitwirkungspflichtSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018040152.L00

Im RIS seit

23.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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