TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/18 96/09/0151

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Veröffentlicht am 18.03.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
OFG §1 Abs1 litc;
OFG §1 Abs1 lite;
OFG §1 Abs2;
OFG §16 Abs1;
OFG §3 Abs1;
OFG §5 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Werner Christ in Wien, vertreten durch Dr. Klaus Maleschitz, Rechtsanwalt in Wien XIII, Hietzinger Hauptstraße 22, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 7. November 1995, Zl. 844.614/3-5/95, betreffend Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung und Ausstellung einer Amtsbescheinigung nach dem Opferfürsorgegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 7. November 1995 wurde der Antrag des am 2. Februar 1924 geborenen Beschwerdeführers auf Anerkennung als Opfer im Sinne des Opferfürsorgegesetzes (OFG) und Ausstellung einer Amtsbescheinigung gemäß "§ 1 Abs. 1 lit. e, 1 Abs. 2, 3 Abs. 1, 4 Abs. 5 und 16 Abs. 1 OFG" abgewiesen. Zur Begründung führte der Bundesminister nach Darlegung des bisherigen Verfahrensganges und der maßgebenden Rechtslage folgendes aus:

"Die Berufungsbehörde hat die Berufungseinwendungen zum Anlaß einer weiteren Überprüfung genommen. Diese Überprüfung hat ergeben, daß zwar einige Hinweise dafür vorliegen, daß eine politische Tätigkeit des BW sowohl der Lagerleitung als auch Lagerinsassen bekannt war (Schreiben des Jugendschutzlagers Moringen an die Polizeileitstelle Wien vom 11. Februar 1944, Bestätigungen der Zeugen Leopold Dietrich bzw. Friedrich Laska vom 28. Juni 1993) jedoch nicht nachgewiesen ist, daß diese Tätigkeit auch der Grund für die Einweisung in das Lager Moringen war. Nach § 1 Abs. 2 OFG ist jedoch ausschließlich der Grund ("aus politischen Gründen") der Verfolgung für die Anerkennung als Opfer maßgeblich. Es muß in diesem Zusammenhang auf Grund der Bestätigungen der Kriminalpolizei Wien vom

21. und 27. Juli 1942, wonach der BW als "krimineller Minderjähriger" in das Jugendschutzlager Moringen eingewiesen wurde, davon ausgegangen werden, daß die Verurteilung im Anschluß an das Diebstahlsdelikt sowie die im Juli 1942 beendete Verbüßung der verhängten Strafe der Anlaß für die Einweisung war. Da somit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 OFG vom BW nicht nachgewiesen wurden (§ 3 Abs. 1 OFG), konnte der Berufung keine Folge gegeben werden. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Anerkennung als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne des OFG und auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung für seine Haftzeit im Lager Moringen verletzt. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß dem von der belangten Behörde (auch) als Rechtsgrundlage angewendeten § 1 Abs. 1 lit. e des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947 (OFG), sind Personen als Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich im Sinne dieses Bundesgesetzes anzusehen, die um ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewußtes Österreich, insbesondere gegen Ideen und Ziele des Nationalsozialismus, mit der Waffe in der Hand gekämpft oder sich rückhaltlos in Wort oder Tat eingesetzt haben und hiefür in der Zeit vom 6. März 1993 bis zum 9. Mai 1945 nachweisbar aus politischen Gründen mindestens ein Jahr, sofern die Haft mit besonders schweren körperlichen oder seelischen Leiden verbunden war, mindestens sechs Monate, in Haft waren.

Als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes sind nach § 1 Abs. 2 OFG Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität oder auf Grund einer Behinderung durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs- (im besonderen einer Staatspolizei-)Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaß zu Schaden gekommen sind. Als solche Schädigung in erheblichem Ausmaß sind unter anderem nach lit. i der zuletzt genannten Bestimmung eine Freiheitsbeschränkung von mindestens sechsmonatiger Dauer in Deutschland oder den von Deutschland besetzten Gebieten anzusehen.

Gemäß § 4 Abs. 5 OFG ist Opfern der politischen Verfolgung, die den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 entsprechen, anstelle eines Opferausweises eine Amtsbescheinigung nach § 1 Abs. 1 lit. d beziehungsweise e auszustellen, wenn im Zuge der Verfolgung eine Schädigung im Ausmaße der Bestimmungen des § 1 Abs. 1 lit. d bzw. e erfolgte. Opfern der politischen Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. i, die eine Freiheitsbeschränkung in der Dauer von mindestens einem Jahr erlitten haben, ist zufolge § 4 Abs. 6 OFG anstelle eines Opferausweises eine Amtsbescheinigung auszustellen.

Im Beschwerdefall ist - nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten - unbestritten, daß der Beschwerdeführer auf Grund einer vom "Landgericht Wien früher Jugendgerichtshof" über ihn verhängten Arreststrafe bis einschließlich 13. Juli 1942 im Rahmen dieses Strafvollzuges inhaftiert war, nach Verbüßung dieser Strafhaft aber nicht in Freiheit (nach Hause) entlassen wurde (vgl. insoweit auch das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft für den 17. Bezirk vom 19. Mai 1942 an das Landgericht Wien, früher Jugendgerichtshof). Die "staatliche Kriminalpolizei, Kriminalpolizeistelle Wien" erstattete am 21. Juli 1942 an das "Zentralmeldungsamt" die Mitteilung, der Beschwerdeführer "sitzt seit 21.7.42 als krim. Minderjähriger zwecks Einweisung in das Jugendschutzlager Moringen/Solling im hiesigen pol. Gef. ein." Am 27. Juli 1942 erging von der genannten Kriminalpolizei die Mitteilung, daß der Beschwerdeführer "am 25.7.42 als krimineller Minderjähriger dem Jugendschutzlager Moringen/Solling eingeliefert wurde". Unbestritten ist auch, daß der Beschwerdeführer im Lager Moringen (Konzentrationslager für Jugendliche) bis 4. April 1945 inhaftiert war. Aus diesem Lager Moringen wurde er am 4. April 1945 entlassen und "der Wehrmacht zur Verfügung gestellt" (vgl. insoweit den am 4.4. vom Kommandanten der Sicherheitspolizei des Jugendschutzlagers Moringen/Solling ausgestellten Entlassungsschein).

Es geht im Beschwerdefall somit ausschließlich darum, ob die vom Beschwerdeführer im Konzentrationslager Moringen verbrachte Haft (Freiheitsbeschränkung) im Sinne des OFG als politische Verfolgung anzuerkennen ist.

Nach § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG hat der Antragsteller die Voraussetzungen nach § 1 nachzuweisen. Auf das Verfahren finden nach § 16 Abs. 1 OFG - soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt - die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) Anwendung.

Gemäß § 37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.

Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, und solche für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen gemäß § 45 Abs. 1 AVG keines Beweises. Im übrigen hat die Behörde nach § 45 Abs. 2 AVG unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Als Beweismittel kommt gemäß § 46 AVG alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen und Anträge von Parteien abgesprochen wird.

Der wiedergegebene § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG enthält eine Beweislastregel. Diese spiegelt die Tatsache wieder, daß diese Beweisführung zum Verantwortungsbereich desjenigen zählt, der Begünstigungen, Fürsorge und Entschädigungsmaßnahmen nach dem Opferfürsorgegesetz beantragt. Denn diese Person hat einen weitaus stärkeren Bezug zu den anspruchsbegründenden Sachverhaltselementen als die Behörde. Sie ist also am ehesten in der Lage, Beweismittel für ihren Anspruch beizubringen. Wenn daher der Nachweis der Voraussetzungen dem Antragsteller auferlegt ist, dann muß der von dieser formellen Beweislast Betroffene eindeutig nachweisen, daß er die anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Dieser Nachweis kann durch Urkunden oder auf andere Weise, etwa durch Zeugenaussagen, erbracht werden. "Nachweisen" heißt, ein behördliches Urteil über die Gewißheit des Vorliegens einer entscheidungsrelevanten Tatsache (eben die "Überzeugung" hievon) herbeizuführen. Es ist demnach Aufgabe des Antragstellers, alle Beweismittel, die sich in seiner Hand befinden, der Behörde vorzulegen und im übrigen die zur Nachweisung seines Vorbringens erforderlichen Beweisanträge zu stellen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 6. Juni 1991, Zl. 91/09/0057, vom 16. Jänner 1992, Zl. 91/09/0179, und vom 20. April 1995, Zl. 93/09/0408).

Der Beschwerdeführer erhebt in seiner Beschwerde den Vorwurf, die belangte Behörde habe ihren Bescheid nicht gesetzmäßig begründet und von ihm vorgelegte bzw. über seine Beweisanträge aufgenommene Beweise nicht bzw. nicht ausreichend in ihre Beweiswürdigung einbezogen. Der Beschwerdeführer ist damit im Recht, daß der angefochtene Bescheid keine ausreichende und vollständige Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes enthält, und daß diesem Bescheid keine gesetzmäßige (schlüssige) Beweiswürdigung bzw. nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vorliegenden Beweisergebnissen entnommen werden kann.

Die belangte Behörde verkennt bei der von ihr gebrauchten Argumentation, daß der Beschwerdeführer die über ihn verhängte Arreststrafe bereits vor Einweisung in das Lager Moringen vollständig verbüßt hatte. Es fehlt im angefochtenen Bescheid aber jede Auseinandersetzung damit, aus welchem Grund der Beschwerdeführer auch nach dieser Verbüßung seiner Arreststrafe dennoch nicht in Freiheit entlassen wurde. Daß die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in dem Konzentrationslager für Jugendliche als ein Strafvollzug hätte gewertet werden dürfen, wurde im angefochtenen Bescheid - mangels dafür vorliegender Nachweise - nicht festgestellt. Demnach kann aber die auf die vorliegenden Nachweise gestützte Argumentation des Beschwerdeführers, seine nach vollständiger Verbüßung der über ihn verhängten Arreststrafe durch die Einweisung in ein Konzentrationslager fortgesetzte Freiheitsberaubung durch das NS-Regime bzw. Behörden des NS-Regimes sei aus politischen Gründen erfolgt, nicht als widerlegt angesehen werden. Die belangte Behörde hat sich auch nicht ausreichend mit dem Berufungsvorbringen auseinandergesetzt, der Beschwerdeführer habe bis zu seiner Verhaftung Flugblätter und keine Aufklebeplakate (mit politischem, gegen das NS-Regime gerichteten Inhalt) ausgestreut und sei wegen dieser Tätigkeit in das Konzentrationslager Moringen eingeliefert worden. Den Aussagen der als Zeugen vernommenen Haftinsassen des Lagers Moringen, Leopold Dietrich und Friedrich Laska, kann zudem entnommen werden, daß der Beschwerdeführer in dem genannten Lager Moringen "zu einem guten Nationalsozialisten" erzogen und ihm in diesem Lager "das Zettelausteilen und seine schwarze Gesinnung abgewöhnt" werden sollten. Nach Darstellung von Friedrich Laska soll der Beschwerdeführer auch regelmäßig als "Hahnenschwänzler" und als "Vaterlandstreuer" von Verantwortlichen des Lagers Moringen bezeichnet worden sein. Daß bzw. aus welchem Grund diese Aussagen (insbesondere auch im Zusammenhalt mit weiteren im Akt befindlichen Unterlagen sowie der Darstellung des Beschwerdeführers selbst) als unwahr oder als widerlegt angesehen werden müßten, wird im angefochtenen Bescheid mit keinem Wort begründet. Die belangte Behörde hat - unter Außerachtlassung des § 46 AVG - im angefochtenen Bescheid auch nicht dargelegt, aus welchem Grund die über Antrag des Beschwerdeführers aufgenommenen Beweise bzw. die von ihm vorgelegten Beweismittel zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nicht geeignet wären.

Die belangte Behörde hat somit aus den dargelegten Gründen Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ferner ist auch der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die unvollständig gebliebenen Tatsachenfeststellungen und die rechtswidrige Beweiswürdigung dadurch an der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gehindert. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von Beweisen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996090151.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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