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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Martin Dellasega & Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 2019, W168 2219394- 1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 22. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, in seinem Dorf sei eine Gruppe gegründet worden, um sich gegen die Kutschi-Nomaden zu verteidigen. Als er in einer Nacht Wache gehalten habe, sei er vergewaltigt worden. Drei Jahre nach dem Ereignis habe er den Herkunftsstaat verlassen. Er sei Schiit und Haraza, jedoch sei er nie ein gläubiger Mensch gewesen.
2 Mit Bescheid vom 24. April 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Der Revisionswerber brachte gegen diese Entscheidung zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 28. November 2019, E 3984/2019-7, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision im Wesentlichen vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es einerseits die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen habe. Andererseits nehme das Gericht in Abweichung von der Rechtsprechung eine Rückkehrmöglichkeit nach Mazar- e Sharif bzw. Herat als innerstaatliche Fluchtalternative an, ohne die Richtlinien des UNCHR und die "Country Guidance" des EASO zu berücksichtigen und eine abschließende Beurteilung vorzunehmen, ob für den Revisionswerber eine langfristige Niederlassung möglich sei. Das BVwG habe nicht begründet, weshalb es von einer sicheren Rückkehr für den Revisionswerber, welcher Hazara und Schiit sei, ausgehe, obwohl EASO das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für die Kombination aus Hazara und Schiit überhaupt ausschließe.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa 18.12.2019, Ra 2019/14/0452, mwN).
10 Die Revision vermag mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen, dass das BVwG von diesen Leitlinien abgewichen wäre:
Es liegt hier weder ein Fall vor, in dem das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzte, noch stellte der Revisionswerber selbst in seiner Beschwerde solche Behauptungen auf, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätten. 11 So setzte er den Feststellungen der Behörde zum Fluchtgrund lediglich erneut sein Vorbringen entgegen. Insbesondere brachte er - entgegen den Behauptungen in der Revision - auch nicht vor, von der Behörde erkannte Widersprüche zu den Angaben seines Bruders, die ihm im Verfahren nicht vorgehalten worden waren, entkräften zu können. Auf diese Widersprüche nimmt das BVwG auch nur in einem die Beweiswürdigung nicht tragenden Hinweis Bezug. Ebensowenig wurde mit dem Beschwerdevorbringen, dass der Revisionswerber zwar an Gott glaube, aber die mit der schiitischen Glaubensrichtung verbundenen Rituale für sich nicht in Anspruch nehme und den Glauben nicht auslebe bzw. sich damit nicht identifiziere, ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet.
12 Soweit die Revision vorbringt, das BVwG habe zwar die Beweiswürdigung des BFA im Wesentlichen übernommen, sie aber auch um Passagen ergänzt, weshalb es zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen wäre, ist dem entgegenzuhalten, dass nach der ständigen hg. Rechtsprechung das Aufzeigen weiterer, vom BFA nicht aufgegriffener und somit erstmals thematisierter Aspekte die Verhandlungspflicht nur dann auslöst, wenn damit die tragenden verwaltungsbehördlichen Erwägungen nicht bloß unwesentlich ergänzt werden (vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0452, mwN). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben.
13 Weiters trifft das Revisionsvorbringen, das BVwG habe anders als das BFA eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazare Sharif und Herat angenommen, angesichts der diesbezüglichen Erwägungen im Bescheid, der auch von einer solchen Möglichkeit ausgeht, nicht zu.
14 Zur Verhandlungspflicht macht die Revision überdies geltend, in der mündlichen Verhandlung wäre das Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK durch Verschaffung eines persönlichen Eindrucks zu klären gewesen. Dem Revisionswerber ist zuzustimmen, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Allerdings kann in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden (vgl. VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0245 mwN). Mit dem lediglich abstrakt gehaltenen und ohne einen Bezug zum vorliegenden Fall herstellenden Vorbringen zur Verhandlungspflicht legt die Revision in ihrer Zulassungsbegründung allerdings nicht dar, dass kein solch eindeutiger Fall vorliege. Insbesondere wird auch nicht ausgeführt, welche zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände vom BVwG hätten ergänzend festgestellt werden müssen. 15 Soweit die Revision schließlich vorbringt, das BVwG habe die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und die "Country Guidance" des EASO nicht berücksichtigt, macht sie Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 19.1.2020, Ra 2020/14/0001, mwN). 16 Dies gelingt der Revision im vorliegenden Fall nicht. Mit dem bloßen Vorbringen, bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensmängel hätte das Bundesverwaltungsgericht "nicht festgestellt, dass die Rückkehr nach Herat bzw Mazar-e Sharif zulässig (sind) und zumindest subsidiären Schutz zuerkannt", wird die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht dargetan. Darüber hinaus hat das BVwG - entgegen dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung - die am 30. August 2018 veröffentlichten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender in seine Beurteilung einbezogen. Soweit sich die Revision auf die "Country Guidance" des EASO beruft, ist darauf hinzuweisen, dass diese - anders als die Revision annimmt - eine Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative für schiitische Hazara nicht generell ausschließt (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0278; 11.12.2019, Ra 2019/20/0475, mwN). Die Revision zeigt fallbezogen weder auf, dass in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine Situation vorläge, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellen würde, noch dass dem Revisionswerber eine Ansiedelung in diesen Städten nicht zumutbar wäre (vgl. in Bezug auf Mazar-e Sharif etwa VwGH 6.2.2020, Ra 2019/14/0325, mwN).
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. Wien, am 6. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140051.L00Im RIS seit
16.06.2020Zuletzt aktualisiert am
16.06.2020