TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/13 Ra 2020/07/0016

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Veröffentlicht am 13.05.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/07/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revisionen 1. des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz und 2. der L Privatstiftung in L, vertreten durch die Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 30. Dezember 2019, Zl. LVwG 46.24-1877/2019-3, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. Prof. Mag. Dr. E K, 2. Reg.Rat W M, 3. M R, 4. Univ.-Prof. Dr. F R und 5. DI W P, alle in G und alle vertreten durch die Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 8010 Graz, Kalchberggasse 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Zweitrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Zweitrevisionswerberin ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. 466/1, KG W., auf dem sie die Errichtung einer Wohnanlage samt dazugehörigen Außenanlagen beabsichtigt.

2        Mit Eingabe vom 10. August 2018 beantragte sie die wasserrechtliche Bewilligung für die Verbringung der im Zuge dieses Vorhabens anfallenden Oberflächenwässer durch Versickerung in einem auf dem genannten Grundstück zu errichtenden Hochwasserretentionsbecken verbunden mit einer gedrosselten Rückleitung in einen näher bezeichneten Straßenkanal.

3        Dazu erstattete der vom Erstrevisionswerber dem Verfahren beigezogene wasserbautechnische Amtssachverständige ein Gutachten vom 28. September 2018. Darin gelangte dieser zu dem Ergebnis, die Verwirklichung des geplanten Projekts führe zu keinen zusätzlichen Gefährdungen oder negativen Beeinflussungen von Nachbarliegenschaften. Bei ordnungsgemäßer Wartung der Anlagen für die Oberflächenentwässerung sei die Entsorgung der anfallenden Niederschlagswässer dauerhaft gewährleistet.

4        Mit Mitteilung vom 9. Oktober 2018 übermittelte der Erstrevisionswerber dieses Gutachten den mitbeteiligten Parteien, die Eigentümer von unterhalb des gegenständlichen Grundstücks gelegenen Liegenschaften sind.

5        Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2018 erhoben die mitbeteiligten Parteien Einwendungen gegen das Vorhaben der Zweitrevisionswerberin.

6        Mit weiterer Eingabe vom 28. März 2019 legten sie eine gutachterliche Stellungnahme des DI M. vom 22. März 2019 vor. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, die Schlussfolgerungen des wasserbautechnischen Amtssachverständigen im Gutachten vom 28. September 2018 seien - aus näher dargelegten Gründen - unzutreffend.

7        Mit Verfahrensanordnung vom 19. April 2019 erklärte der Erstrevisionswerber das Ermittlungsverfahren für geschlossen und übermittelte den mitbeteiligten Parteien eine ergänzende Stellungnahme des wasserbautechnischen Amtssachverständigen vom 15. April 2019. Darin führte dieser unter Bezugnahme auf die Ausführungen des DI M. in der Stellungnahme vom 22. März 2019 aus, eine Abänderung des Gutachtens vom 28. September 2018 sei nicht notwendig.

8        Mit Bescheid vom 6. Juni 2019 erteilte der Erstrevisionswerber der Zweitrevisionswerberin schließlich die begehrte wasserrechtliche Bewilligung und wies die Einwendungen der mitbeteiligten Parteien als unbegründet ab.

9        Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Verwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien statt, hob den Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an den Erstrevisionswerber zurück. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

10       Begründend führte es aus, dem bekämpften Bescheid hafteten Ermittlungsmängel im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG an, weil die Auswirkungen der zur Versickerung zu bringenden Wässer auf das Grundwasser und in weiterer Folge auf die Liegenschaften der Unterlieger - und damit der mitbeteiligten Parteien - nur ansatzweise ermittelt worden seien.

11       Der Erstrevisionswerber habe lediglich einen wasserbautechnischen Amtssachverständigen zur Lösung der Sachfragen beigezogen, nicht jedoch einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Hydrogeologie, obwohl bereits das Einreichprojekt selbst Unterlagen aus diesem Fachgebiet enthalte.

12       Weiters begründete das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit der Einholung eines solchen Gutachtens mit der Lage des Vorhabens im Widmungsgebiet 2 des Grundwasserschutzprogramms Graz bis Bad Radkersburg 2018.

13       Auch enthalte der bekämpfte Bescheid den Hinweis, dass bei der Versickerung der anfallenden Oberflächenwässer die Qualitätszielverordnung (QZV) „Chemie Grundwasser“ eingehalten werden müsse, „was“ allerdings im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ebenso durch die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Hydrogeologie zu prüfen gewesen wäre.

14       Dazu komme, dass die mitbeteiligten Parteien ihre substantiierten Einwendungen mit einem dem genannten Fachbereich zuzuordnenden Fachgutachten bekräftigt hätten.

15       Trotz fundierter und fachlich untermauerter Einwendungen der mitbeteiligten Parteien sei die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Hydrogeologie, dessen Gutachten zur Frage der Auswirkungen der zur Versickerung zu bringenden Wässer auf das Grundwasser und in weiterer Folge auf die Liegenschaften der Unterlieger einen entscheidungswesentlichen Beitrag zur Klärung des Sachverhalts leisten könne, unterblieben.

16       Daraus ergab sich für das Verwaltungsgericht, dass der Erstrevisionswerber „nur ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt und bloß ansatzweise den entscheidungsmaßgebenden Sachverhalt ermittelt“ habe. Ihm seien daher wesentliche Ermittlungsmängel anzulasten, sodass die Aufhebung des bekämpften Bescheids und die Zurückverweisung der Sache an den Erstrevisionswerber zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten gewesen seien.

17       Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit den verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

18       Dagegen richten sich die vorliegenden Revisionen und machen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

19       Die mitbeteiligten Parteien erstatteten je eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück- bzw. Abweisung der Revisionen beantragten.

20       Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Verbindung der beiden Revisionen zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung - erwogen:

21       In den Zulässigkeitsbegründungen der vorliegenden Revisionen wird übereinstimmend vorgebracht, der angefochtene Beschluss weiche von der - näher dargestellten - einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte ab.

22       Die Revisionen sind damit zulässig und berechtigt.

23       Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheids streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

24       Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa jüngst VwGH 4.3.2020, Ra 2020/01/0010, mwN).

25       Das Verwaltungsgericht rechtfertigt die Aufhebung des gegenständlichen wasserrechtlichen Bewilligungsbescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit zusammengefasst damit, dass der Erstrevisionswerber zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts kein hydrogeologisches Sachverständigengutachten eingeholt habe.

26       Wie in den Revisionen dazu zutreffend vorgebracht wird, entspricht es aber der ständigen hg. Rechtsprechung, dass selbst die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Gutachtens im Allgemeinen die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigt (vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/10/0119, mwN).

27       Der Erstrevisionswerber hat geeignete Ermittlungsschritte in Zusammenhang mit den wasserbautechnischen Aspekten des antragsgegenständlichen Vorhabens der Zweitrevisionswerberin gesetzt und den mitbeteiligten Parteien dazu schriftliches Gehör eingeräumt. Es ist daher nicht erkennbar, dass es sich bei dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Mangel um eine krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücke des Erstrevisionswerbers im obigen Sinn handelt. Dieser hat weder jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, noch kann ihm vorgeworfen werden, nur ansatzweise ermittelt oder nur völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt zu haben. Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Klärung der vom Verwaltungsgericht als offen angesehenen Frage (vgl. Rz 10 bzw. 13) besonders schwierige und umfangreiche Ermittlungen erfordere.

28       Das Verwaltungsgericht hat somit zwar einen Mangel im verwaltungsbehördlichen Verfahren angenommen und dazu auf die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Hydrogeologie verwiesen. Inwieweit der Ermittlungsmangel eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigte, wird vom Verwaltungsgericht allerdings nicht dargetan.

29       Es wäre daher gehalten gewesen, den von ihm als erforderlich erachteten Ermittlungsschritt selbst zu setzen, mithin die Ermittlungen des Erstrevisionswerbers zu vervollständigen und über die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden.

30       Darüber hinaus ist auf jene - in den Revisionen ebenso ins Treffen geführte - ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur nachvollziehbaren Begründung des Nichtvorliegens seiner meritorischen Entscheidungszuständigkeit auch dann nicht entsprochen hat, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - dem Beschluss im Sinn des § 28 Abs. 3 VwGVG keine Begründung dazu entnehmen lässt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. im Wesentlichen zu all diesen Ausführungen abermals VwGH Ra 2019/10/0119, mwN).

31       Der angefochtene Beschluss war daher - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

32       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020070016.L00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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