TE Vwgh Beschluss 2020/5/14 Ra 2020/22/0004

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Veröffentlicht am 14.05.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der V S in W, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 21, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 22. November 2019, VGW-151/017/13073/2019-1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Die Revisionswerberin, eine ukrainische Staatsangehörige, stellte - nach mehrfacher Verlängerung eines Aufenthaltstitels als Studentin - einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger von ÖsterreicherInnen“. Zusammenführender ist ihr 2010 geborener Sohn, ein österreichischer Staatsbürger, für den der Revisionswerberin die alleinige Obsorge zukommt. Im Rahmen der Unterlagenvorlage gab sie als Betreff jedoch „Antrag auf Erteilung eines Daueraufenthalts“ an. Nach Rückfrage des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) stellte die Revisionswerberin mit E-Mail vom 25. April 2019 klar, dass der Betreff wohl falsch gewählt sei und sie die Begriffe verwechselt habe. Der beantragte Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ wurde ihr mit Bescheid vom 4. September 2019 mit einjähriger Gültigkeit erteilt.

5        In ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (VwG) wandte sich die Revisionswerberin ausschließlich gegen die Befristung des Aufenthaltstitels; sie berufe sich auf ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, weshalb ihr eine „Daueraufenthaltskarte“ auszustellen sei.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das VwG die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

In seiner Begründung führte das VwG aus, die Revisionswerberin sei aufgrund ihrer Aufenthaltstitel als Studentin gemäß § 2 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nicht niedergelassen und erfülle auch nicht die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1a Z 2 NAG (durchgehende rechtmäßige Niederlassung in den letzten zwei Jahren) für die Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Dauer von drei Jahren. Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ gemäß § 45 NAG lägen mangels Niederlassung ebenfalls nicht vor.

7        In der Zulässigkeitsbegründung verweist die Revision auf das Urteil des EuGH vom 11. [gemeint wohl: 10.] Mai 2017, Chavez-Vilchez u.a., C-133/15, sowie ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes (BFG) vom 20. Jänner 2015, RV/7101450/2013, beide zur Frage der Unionsbürgerschaft gemäß Art. 20 AEUV.

8        Dazu ist zunächst festzuhalten, dass weder das VwG feststellte noch die Revisionswerberin vorbrachte, ihr Sohn hätte sein Freizügigkeitsrecht im Sinn der Richtlinie 2004/38/EG ausgeübt. Angesichts dessen ist diese Richtlinie auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden (vgl. VwGH 20.7.2016, Ra 2016/22/0025, Rn. 17; EuGH C-133/15, Rn. 52). Gemäß § 57 NAG gelten die die Richtlinie 2004/38/EG umsetzenden §§ 51 ff NAG für Angehörige von Österreichern nur, sofern der Österreicher sein unionsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch nahm und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt. Ein solcher Sachverhalt liegt im gegenständlichen Fall nicht vor.

9        Der Hinweis auf die Judikatur des EuGH zur Unionsbürgerschaft gemäß Art. 20 AEUV ist nicht zielführend, weil der Revisionswerberin ohnehin ein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Die Revision zeigt nicht auf, aus welchem Grund der Sohn der Revisionswerberin trotz des seiner Mutter erteilten und verlängerbaren Aufenthaltstitels de facto gezwungen sein sollte, das Gebiet der Union zu verlassen. Ein Eingriff in den Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, erfolgt somit nicht (vgl. VwGH 26.6.2012, 2008/22/0775, mwN).

10       Der Verwaltungsgerichtshof setzte sich bereits mit der Frage auseinander, welcher Aufenthaltstitel zu erteilen ist, wenn eine Verweigerung des Aufenthaltsrechts an die Mutter dazu führen könnte, dass ihr die Unionsbürgerschaft besitzendes Kind de facto gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Der Verwaltungsgerichtshof kam zu dem Ergebnis, in einem solchen Fall sei § 47 NAG im Sinn der Judikatur des EuGH zu Art. 20 AEUV unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass der Mutter ein Aufenthaltstitel zuerkannt werde (vgl. VwGH 20.7.2016, Ra 2016/22/0025, Rn. 18 ff). Genau das erfolgte im vorliegenden Fall: einem in den Verfahrensakten befindlichen Aktenvermerk der Behörde vom 8. August 2019 zufolge wurde der Revisionswerberin aufgrund ihrer alleinigen Obsorge für ihren die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Sohn ein Aufenthaltstitel „zum Schutz und zur Wahrung des Familien- und Privatlebens ungeachtet der allgemeinen Voraussetzungen erteilt.“ Das angefochtene Erkenntnis steht somit mit der hg. Rechtsprechung im Einklang.

Dem hg. Erkenntnis vom 20. Juli 2016 zufolge lasse sich aus der Judikatur des EuGH (Urteil vom 8. März 2011, C-34/09, Zambrano) nicht ableiten, dass in einer der gegenständlichen Fallkonstellation vergleichbaren Situation eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG, also eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, auszustellen sei. Der Hinweis im hg. Erkenntnis auf Rn. 42 des Urteils des EuGH in der Rechtssache Zambrano, wonach Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegen stehe, die bewirkten, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestandes verwehrt werde, ist dahin zu verstehen, dass mit einem Aufenthaltstitel gemäß § 47 NAG ein nationales Aufenthaltsrecht konstitutiv erteilt und nicht ein unionsrechtliches dokumentiert wird. Das Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung, wonach der Aufenthalt der Revisionswerberin auf der Grundlage des Unionsrechts rechtmäßig sei und einem nationalen Aufenthaltstitel nur deklarative Wirkung zukomme, trifft auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zu. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt unter anderem dann vor, wenn die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird; eine abweichende Rechtsansicht des BFG vermag hingegen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

11       Unabhängig davon lässt die Revision offen, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Behörde verpflichtet sein sollte, einen Drittstaatsangehörigen über den „Ablauf der 5-jährigen Frist der erforderlichen Niederlassungszeit gem. § 45 Abs. 1 NAG“ zu belehren.

12       Soweit in der Zulässigkeitsbegründung verfassungsrechtliche Bedenken geäußert werden, wird auf den Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Jänner 2020, E 39/2020-5, verwiesen.

13       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

14       Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

15       Damit erübrigte sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 14. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220004.L00

Im RIS seit

09.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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