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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des M S in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. März 2020, W241 2148299-1/14E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt rechtlich davon abhängenden Aussprüche nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Mit Bescheid vom 6. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die Revision wendet sich gegen das angefochtene Erkenntnis ausdrücklich nur soweit, als das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid vom 6. Februar 2017 erhobene Beschwerde betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie die rechtlich davon abhängenden Aussprüche abgewiesen hat. Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt sie vor, das Bundesverwaltungsgericht habe die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK in unvertretbarer Weise vorgenommen. Es habe die für die Interessenabwägung relevanten Umstände falsch gewichtet und nicht ausreichend berücksichtigt. Der Revisionswerber habe bis zu seiner Flucht im Iran gelebt, wo er auch geboren sei. Er verfüge in Afghanistan über keine nächsten Familienangehörigen. Die aus diesen Gründen fehlende Bindung zum Herkunftsstaat habe das Bundesverwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen. Entgegen der Feststellung, dass der Revisionswerber kein Mitglied eines Vereins sei, sei dieser bereits seit geraumer Zeit ehrenamtlich bei der "Tafel Österreich" des Roten Kreuz tätig. Der Tätigkeit des Revisionswerbers in der Pfarre, im Pfarrcafe und bei Pfarrfesten komme eine erhöhte Bedeutung zu, weil der Revisionswerber ein schiitischer Moslem sei. Entgegen den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts verfüge der Revisionswerber über freundschaftliche Beziehungen in Österreich. Auch sei die Annahme eines Automatismus, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren abzuweisen sei, verfehlt. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich zudem nicht mit der überlangen Dauer des Asylverfahrens auseinandergesetzt und das Vorliegen eines Arbeitsvorvertrages nicht ausreichend gewürdigt, sondern sei von einer bloßen Einstellungszusage ausgegangen.
8 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0420, mwN).
9 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2019/20/0526 und 0527, mwN).
10 Die durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das Bundesverwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfall vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003).
11 Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN). Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2019/18/0322, mwN).
12 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. wiederum VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).
13 Dass beim Revisionswerber eine derartige Verdichtung seiner persönlichen Interessen besteht, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gesprochen werden könnte, lässt sich den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen. Solches wird auch von der Revision nicht dargelegt. Entgegen dem Vorbringen in der Revision ist das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers keineswegs von einem "Automatismus" ausgegangen, sondern kam im Rahmen der Interessenabwägung zur Auffassung, dass die vom Revisionswerber gesetzten Integrationsschritte "nicht über das übliche Maß" hinausgingen. Bei seiner Gesamtbetrachtung berücksichtigte es unter anderem auch die ehrenamtlichen Tätigkeiten des Revisionswerbers, seine freundschaftlichen Beziehungen zu österreichischen Staatsbürgern und den Umstand, dass er im Iran - in einem afghanischen Kulturkreis - aufgewachsen ist. Es stellte zudem das Bestehen eines Arbeitsvorvertrages fest.
14 Die Revision zeigt nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht nehmenden Interessenabwägung von den in der Rechtsprechung dargelegten Leitlinien abgewichen wäre und in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass einer überlangen Verfahrensdauer lediglich dann Relevanz für den Verfahrensausgang zukäme, wenn sich während der Verfahrensdauer schützenswerte familiäre oder private Interessen herausgebildet hätten (vgl. VwGH 21.3.2018, Ra 2018/18/0122 und 0123). Derartiges wurde in der Revision nicht dargetan. Auch mit dem Vorbringen, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinen rechtlichen Erwägungen den vorgelegten Arbeitsvorvertrag als bloße Einstellungszusage wertete, vermag die Revision nicht darzulegen, dass das Bundesverwaltungsgericht in relevanter Weise tragende Verfahrensgrundsätze verletzt oder im Ergebnis eine unvertretbare Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen hätte. 15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 15. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200145.L00Im RIS seit
01.07.2020Zuletzt aktualisiert am
01.07.2020