TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/18 Ra 2019/16/0142

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Veröffentlicht am 18.05.2020
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Index

22/02 Zivilprozessordnung
27/03 Gerichtsgebühren Justizverwaltungsgebühren

Norm

GGG 1984 TP1
GGG 1984 §18
GGG 1984 §30 Abs1
ZPO §204

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma, Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Juni 2019, Zl. W214 2011279-2/2E, betreffend Gerichtsgebühren (mitbeteiligte Partei: K GmbH in W, vertreten durch die Huber Swoboda Oswald Aixberger Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Tuchlauben 11/18), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        In einem über die von der mitbeteiligten Gesellschaft mbH (Mitbeteiligte) eingebrachte (Bestandzins- und Räumungs-)Klage beim Bezirksgericht Donaustadt anhängigen zivilgerichtlichen Verfahren schlossen die Streitparteien in der Tagsatzung vom 7. Juni 2013 einen (streitwerterhöhenden) gerichtlichen Vergleich.

2        Mit Zahlungsaufforderung vom 12. Juni 2013 schrieb die Kostenbeamtin des Bezirksgerichtes der Mitbeteiligten dafür restliche Pauschalgebühren nach TP 1 GGG vor.

3        Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2013 stellten die Streitparteien einen „Antrag auf einvernehmliche Berichtigung“ dieses Vergleichs, den das Bezirksgericht mit Beschluss vom 1. Juli 2013 abwies.

4        Dem dagegen mit Schriftsatz vom 10. Juli 2013 erhobenen gemeinsamen Rekurs der Streitparteien gab das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom 30. Juli 2013 nicht Folge. Dass das Bezirksgericht eine Diskrepanz zwischen materiellrechtlich erfolgter Einigung und Mitteilung gegenüber dem Gericht als offenkundige Unrichtigkeit hätte erkennen können, ergebe sich aus dem Akt nicht und die Rekurswerber führten dazu auch nichts aus. Nach der jüngeren Rechtsprechung sei zwischen der prozessbeendenden Wirkung des Vergleichs in prozessualer Hinsicht und dem zivilrechtlichen Rechtsgeschäft zu unterscheiden (Lehre vom Doppeltatbestand). Zwar sei eine textliche Berichtigung von Schreibfehlern auch bei einem Vergleich möglich, beim Vergleichsabschluss unterlaufene Willensmängel (Irrtum) seien mit selbständiger Feststellungsklage geltend zu machen.

5        Das Bezirksgericht Donaustadt erließ ein Versäumungsurteil vom 28. August 2013 über das Hauptbegehren einer von den beklagten Parteien eingebrachten Klage mit dem Begehren, den zwischen den Streitparteien am 7. Juni 2013 vor dem Bezirksgericht Donaustadt abgeschlossenen Vergleich mit ex tunc Wirkung anzupassen, sodass er einen näher wiedergegebenen Wortlaut aufweise, in eventu, diesen Vergleich mit ex tunc Wirkung aufzuheben.

6        Nach einem Zahlungsauftrag der Kostenbeamtin vom 7. Jänner 2014 und einer dagegen erhobenen Vorstellung schrieb die revisionswerbende Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien der Mitbeteiligten mit Bescheid vom 23. Dezember 2016 restliche Pauschalgebühr gemäß TP 1 GGG in Höhe von 59.670,40 € samt Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs. 1 GEG von 8 € vor. Möge die nachträgliche Änderung des den Anlass der nachträglichen Pauschalgebührenvorschreibung bildenden Vergleichs durch das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Donaustadt sachenrechtlich auch ex tunc wirken, könne sie die bereits entstandene Gebührenpflicht nicht rückwirkend aufheben. Daher sei die Bemessungsgrundlage der vorgeschriebenen Pauschalgebühr aus dem Vergleich mit dem am 7. Juni 2013 festgehaltenen Inhalt zu errechnen.

7        Dagegen erhob die Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 18. Jänner 2017 Beschwerde. Die (durch den Vergleich vom 7. Juni 2013) entstandene Gebührenpflicht sei gemäß § 30 Abs. 1 GGG durch das diesen Vergleich ex tunc abändernde Versäumungsurteil vom 28. August 2013 teilweise erloschen.

8        Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesverwaltungsgericht den vor ihm bekämpften Bescheid ab und schrieb der Mitbeteiligten eine restliche Pauschalgebühr gemäß TP 1 GGG in Höhe von 40.002,65 € samt Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs. 1 GEG von 8 € vor. Das Bundesverwaltungsgericht sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Unstrittig sei, dass der am 7. Juni 2013 abgeschlossene Vergleich den Wert des Klagebegehrens übersteige und dadurch eine Änderung der Bemessungsgrundlage herbeigeführt worden sei.

10       Fest stehe, dass der Vergleich vom 7. Juni 2013 durch das Versäumungsurteil vom 28. August 2013 rückwirkend abgeändert worden sei, wobei insbesondere ein Punkt über eine Pönalzahlung und ein Satz gestrichen worden seien. Mit dieser Abänderung des Vergleichs ex tunc könne nach § 30 Abs. 1 GGG auch die Gebührenpflicht der Mitbeteiligten nicht mehr in der ursprünglich vorgeschriebenen Höhe bestehen. Daher berechne das Bundesverwaltungsgericht die Pauschalgebühr nach dem durch das Versäumungsurteil abgeänderten Wortlaut des Vergleichs.

11       Die dagegen erhobene Revision der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien legte das Bundesverwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

12       Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); die Mitbeteiligte reichte mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2019 eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision ein.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15       Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16       Die revisionswerbende Präsidentin trägt zur Zulässigkeit ihrer Revision zusammengefasst vor, es bestehe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob § 30 Abs. 1 GGG auf eine mit Versäumungsurteil erfolgte nachträgliche Änderung eines unbedingten Vergleiches ex tunc anzuwenden sei.

17       Die Revision ist zulässig und aus folgenden Gründen berechtigt:

18       Tarifpost (TP) 1 des Gerichtsgebührengesetzes (GGG) sieht Pauschalgebühren in zivilgerichtlichen Verfahren erster Instanz nach einer nach dem Wert des Streitgegenstandes abgestuften Höhe vor.

19       Gemäß § 18 Abs. 1 GGG bleibt die Bemessungsgrundlage mit den in § 18 Abs. 2 leg. cit. vorgesehenen Ausnahmen für das ganze Verfahren gleich. Insbesondere ist die Pauschalgebühr gemäß § 18 Abs. 2 Z 2 GGG unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen, wenn Gegenstand des Vergleiches eine Leistung ist, deren Wert das Klagebegehren übersteigt. Eine Änderung des Streitwertes für die Pauschalgebühren tritt gemäß § 18 Abs. 3 GGG nicht ein, wenn das Klagebegehren etwa eingeschränkt wird.

20       Die Pauschalgebühr nach TP 1 GGG entsteht gemäß § 2 Z 1 lit. a GGG mit der Überreichung der Klage, für Vergleiche mit der Beurkundung durch das Entscheidungsorgan.

21       § 30 Abs. 1 GGG lautet:

„§ 30. (1) Ist in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, erlischt die Gebührenpflicht, wenn sie durch eine nachfolgende Entscheidung berührt wird.“

22       Von diesem Erlöschen der Gebührenpflicht sind Fälle zu unterscheiden, in denen eine Gebührenpflicht von vorneherein nicht bestanden hat, sich dies aber erst aus nachfolgenden gerichtlichen Entscheidungen ergibt.

23       So führte es etwa zur Zurückzahlung von Gerichtsgebühren, weil der OGH im Fehlen eines Parteiantrages auf einvernehmliche Scheidung einen Grund für die rückwirkende Aufhebung des erst- und zweitgerichtlichen Verfahrens gesehen hatte, woraus sich ergab, dass für die Gebühr nach TP 12 GGG keine Zahlungsverpflichtung bestand (VwGH 30.4.1999, 97/16/0017).

24       Zu einer Zurückzahlung der Gerichtsgebühren gelangte der Verwaltungsgerichtshof auch, weil ein Landesgericht mit Beschluss ausgesprochen hatte, dass es sich bei der erstinstanzlichen Entscheidung des Bezirksgerichtes um ein „Nichturteil“ gehandelt habe, weshalb es sich beim Verfahren über das gegen diese „Nichturteil“ erhobene, als „Berufung“ bezeichnete Rechtsmittel nicht um ein Berufungsverfahren gehandelt habe und deshalb keine Gebühren im Berufungsverfahren (TP 2 GGG) entstanden seien (VwGH 25.2.1993, 91/16/0027).

25       Wie das Bundesverwaltungsgericht insoweit zutreffend festhält, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass für eine nachträgliche Änderung des Gebührenanspruchs (nach § 30 Abs. 1 GGG) eine Rückwirkung der späteren Entscheidung erforderlich sei (VwGH 19.12.1991, 91/16/0131). Allerdings war in jenem Fall strittig, ob eine spätere Feststellung in einem Bescheid der Agrarbezirksbehörde, dass der damals in Rede stehende Grunderwerb einer Bodenreformmaßnahme diene, die entstandene Gebührenpflicht für die grundbücherliche Eintragung (TP 9 GGG) berühre. Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, dass die für eine Änderung des im Zeitpunkt der Vornahme der Eintragung entstandenen Gebührenanspruches eine Rückwirkung des späteren Bescheides der Agrarbezirksbehörde erforderlich wäre, weil die zweifellos entstandene Gebührenpflicht nur in diesem Fall durch eine nachfolgende Entscheidung berührt wäre. Eine Rückwirkung späterer Entscheidungen der Agrarbehörden auf gebührenrechtliche Tatbestände sei in den gesetzlichen Bestimmungen nicht normiert.

26       Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass jede vorgesehene Rückwirkung zu einer Änderung der entstandenen Gerichtsgebühren führt.

27       Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fällt auch nach erfolgreicher Bekämpfung eines Vergleichs mit selbständiger Klage nicht dessen prozessuale, insbesondere prozessbeendigende Wirkung weg (Gitschthaler in Rechberger ZPO5, Rz 6 ff, insbes. Rz 8/2 u. 9 zu §§ 204 - 206 ZPO mwN; ebenfalls Klicka in Faching/Konecny3, II/3, Rz 43 zu §§ 204 - 206 ZPO); eine prozessuale Wirkung eines Vergleiches kann - abgesehen von der Prozessbeendigung - auch in einer Streitwerterhöhung liegen.

28       Im Revisionsfall ist zu beachten, dass § 18 GGG anderes iSd § 30 Abs. 1 erster Halbsatz GGG bestimmt.

29       Gerichtliche Entscheidungen, welche lediglich auf Grund der Parteiendisposition ergehen, mögen zwar eine zivilrechtliche Rückwirkung zwischen den Parteien bewirken. Die einmal erfolgte Verwirklichung eines zur Gerichtsgebührenpflicht führenden Tatbestandes lässt sich nach § 18 GGG durch Parteiendisposition nicht aufheben.

30       Daher können im Revisionsfall durch die nach Abweisung des von den Parteien gemeinsam gestellten „Berichtigungsantrages“ von einer der Streitparteien eingebrachte Klage auf rückwirkende Anpassung des Vergleichs vom 7. Juni 2013 und durch das unbekämpfte Versäumungsurteil die prozessuale Wirkung des einmal geschlossenen Vergleichs und die damit entstandene weitere Pauschalgebührenpflicht nicht aufgehoben werden.

31       Das Bundesverwaltungsgericht hätte somit seiner Pauschalgebührenvorschreibung den am 7. Juni 2013 abgeschlossenen Vergleich zu Grunde legen müssen.

32       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 18. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160142.L00

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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