Entscheidungsdatum
05.06.2020Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
COVID-19-MaßnahmenG §2 Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Martschin über die Beschwerde des Herrn A. B. vom 6.5.2020 gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, vom 17.4.2020, Zl. ..., wegen einer Übertretung nach dem Covid-19-Maßnahmengesetz, zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.
II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Das angefochtene Straferkenntnis richtet sich gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten und enthält folgenden Spruch:
„Datum: 21.03.2020
Ort: Wien, C.-straße
Sie haben am 21.3.2020 auf Ihrem Weg von Ihrem Wohnort in Wien, D.-gasse zur Wohnung des Herrn E. F. in Wien, C.-straße einen öffentlichen Ort betreten, obwohl zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 das Betreten öffentlicher Orte durch VO gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. Nr. II Nr. 98/2020 i.d.F. BGBl. II Nr. 108/2020 in der Zeit von 16.03.2020 bis 13.04.2020 verboten ist, wenn der Aufenthalt am angeführten Ort nicht durch die unter § 2 dieser VO aufgezählten Ausnahmen gerechtfertigt. Sie haben sich zu Herrn E. F. begeben um dort Zeit miteinander zu verbringen.
„Die Rechtsmittelfrist zur Erhebung eines Einspruchs wird nicht bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen, sondern endet nach Ablauf von zwei Wochen ab Zustellung dieser Strafverfügung.
Rechtsgrundlage: § 1 Abs. 2 und 3 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, BGBl. I Nr. 12/2020 idF BGBl. I Nr. 16/2020“
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
§ 3 Abs. 3 und § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz i.V.m. § 1 der VO gem. § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes, BGBl. II Nr. 98/2020 i.d.F. BGBl. II Nr. 108/2020
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von falls diese uneinbringlich ist, Gemäß
Ersatzfreiheitsstrafe von
€ 500,00 10 Stunde(n) § 3 Abs. 3 COVID-19 Gesetz,
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG zu zahlen:
€ 50,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10 für jedes Delikt.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher € 550,00.“
Begründend führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, man müsse automatisch, um von einer Wohnung zu einer anderen zu kommen, den öffentlichen Ort betreten, auch wenn man den Großteil der Strecke im Auto zurücklegen würde. Der Beschwerdeführer habe sich mit Herrn E. ausschließlich zum persönlichen Vergnügen getroffen und würde sein Aufenthalt daher unter keine der in § 2 der zitierten Verordnung genannten Ausnahmen fallen. Da auch kein Vorbringen erstattet worden sei, das geeignet gewesen wäre, das mangelnde Verschulden des Beschuldigten glaubhaft zu machen, seien auch die subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit gegeben.
Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde des Beschuldigten, in welcher die Tatbegehung bestritten wird.
Mit Schreiben des Magistrates der Stadt Wien vom 7.5.2020 wurde der betreffende Verwaltungsakt dem erkennenden Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Im Beschwerdeverfahren erstattete sodann der Magistrat der Stadt Wien als belangte Behörde unaufgefordert die Stellungnahme vom 29.5.2020, mit welcher eine Abweisung der Beschwerde und eine Bestätigung des angefochtenen Straferkenntnisses beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, die Bestimmung des § 2 Z. 5 der Verordnung stelle darauf ab, welchem Zweck das Betreten öffentlicher Orte im Freien nach dem Willen des Betretenden dienen solle. Im Hinblick auf den Zweck des Betretungsverbotes, die Verbreitung von Covid-19 zu verhindern, sei nicht davon auszugehen, dass mit § 2 Z. 5 der Verordnung ein schrankenloses Betreten öffentlicher Orte im Freien als zulässig erklärt werde. Als gesichert anzunehmen sei, dass die in den Pressekonferenzen der Bundesregierung kolportierte Einschränkung auf Aktivitäten wie Spazierengehen oder Laufen in § 2 Z. 5 der Verordnung nicht ausdrücklich normiert sei, dass die Reichweite dieses Ausnahmetatbestandes vor allem auch nicht durch räumliche Schranken, wie einen bestimmten Bewegungsradius oder dergleichen, begrenzt sei und dass die Verordnung keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme biete, man müsse ständig in Bewegung bleiben, um sich nicht strafbar zu machen. Ein allzu weites Verständnis dieses Ausnahmetatbestandes widerspreche demgegenüber aber nicht nur dem offenkundigen Willen des Verordnungsgebers, sondern stünde auch im Widerspruch zu Judikatur des VwGH, wonach Ausnahmebestimmungen restriktiv auszulegen seien. Eine nahezu uneingeschränkte Gestattung von Zusammenkünften im privaten Rahmen würde auch dem Normzweck, durch eine drastische Reduktion der sozialen Kontakte die weitere Verbreitung von Covid-19 zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen, diametral zuwiderlaufen, da solche privaten Treffen mit einem erheblichen Ansteckungspotenzial verbunden wären. Es spreche somit vieles dafür, die in § 2 Z. 5 der Verordnung enthaltene Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot des Betretens öffentlicher Orte so zu interpretieren, wie es der von Anbeginn an vertretenen Position des Verordnungsgebers entspreche, nämlich dass sie nur dann greife, wenn es beim Betreten öffentlicher Orte im Freien bleibe und die Ausnahme nicht dazu verwendet werde, zu anderen privaten Haushalten zu gelangen oder dort was auch immer zu tun.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Es wird als erwiesen festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer zur angeführten Tatzeit mit einem Kraftfahrzeug von seinem Wohnort in Wien zum Wohnort des Herrn E. in Wien begeben hat, um diesen in dessen Wohnung zu besuchen. Nicht festgestellt werden konnte, dass dieser Besuch der Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, zur Betreuung und Hilfeleistung einer unterstützungsbedürftigen Person, der Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens oder beruflichen Zwecken diente. Weiters steht fest, dass der Beschwerdeführer und Herr E. zum Tatzeitpunkt nicht im selben Haushalt lebten.
Diese Feststellungen gründen sich auf den vorliegenden, unbedenklichen Akteninhalt. Auch vom Beschwerdeführer wurde im Verfahren eingeräumt, dass er sich zur Tatzeit von seinem Wohnort in Wien zum Wohnort des Herrn E. in Wien begeben hat, um diesen in dessen Wohnung zu besuchen.
Gemäß § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl. I Nr. 12/2020, kann beim Auftreten von COVID-19 durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist nach Z. 1 dieser Gesetzesstelle vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt.
Gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3.600 Euro zu bestrafen, wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß § 2 untersagt ist.
Gemäß § 1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. II Nr. 98/2020, ist zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 das Betreten öffentlicher Orte verboten.
Nach § 2 Z. 5 leg. cit. sind vom Verbot gemäß § 1 Betretungen ausgenommen, wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.
Im Ergebnis kommt der vorliegenden Beschwerde bereits aus folgenden Erwägungen Berechtigung zu:
Gegenständlich ist evident, dass der Beschwerdeführer kein Verhalten gesetzt hat, welches unter die Ausnahmetatbestände des § 2 Z 1 bis 4 der Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. II Nr. 98/2020, idF. BGBl. II Nr. 108/2020, zu subsumieren wäre. Derartiges lässt sich der gesamten Aktenlage nicht entnehmen und wurde auch vom Beschwerdeführer nicht dargetan.
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kommt dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall jedoch der Ausnahmetatbestand des § 2 Z. 5 der zitierten Verordnung zugute.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist bei der Auslegung von Verwaltungsgesetzen vom Gesetzeswortlaut auszugehen; die Gesetzesmaterialien sind nur dann zur Auslegung eines Gesetzes heranzuziehen, wenn der Wortlaut des Gesetzes selbst zu Zweifeln über seinen Inhalt Anlass gibt (vgl. VwGH 28.6.2006, Zl. 2002/13/0156). Ein Abweichen von einem klaren Gesetzeswortlaut ist nach der Judikatur nur dann zulässig, wenn eindeutig feststeht, dass der Gesetzgeber etwas anderes gewollt hat als er zum Ausdruck gebracht hat, so z.B. wenn den Gesetzesmaterialien mit eindeutiger Sicherheit entnommen werden könnte, dass der Wille des Gesetzgebers tatsächlich in eine andere Richtung gegangen ist (VwGH 5.9.2008, Zl. 2005/12/0029, u.v.a.). Auch bei Verordnungen kommt es nach der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur auf den sich aus dem Wortlaut ergebenden objektiven Gehalt an, nicht aber auf den - vermuteten - Willen ihres Urhebers, sofern sich der objektive Gehalt aus dem Wortlaut zweifelsfrei ermitteln lässt (vgl. etwa VwGH 27.9.2018, Ra 2018/06/0170).
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts lässt schon der Wortlaut der in Rede stehenden Verordnungsbestimmung (§ 2 Z. 5 der Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. II Nr. 98/2020) dessen objektiven Gehalt zweifelsfrei erkennen, sodass kein Raum für eine teleologische oder gar historische Interpretation verbleibt. Insofern die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 29.5.2020 die Auffassung vertritt, dass bei Auslegung des § 2 Z. 5 der genannten Verordnung danach zu differenzieren sei, welchem Zweck das Betreten des öffentlichen Ortes im Freien nach dem Willen des Betretenden dienen solle, ist zunächst darauf zu verweisen, dass sich dem Verordnungstext nicht annähernd entnehmen lässt, zu welchen (bloß eingeschränkten) Zwecken dies gestattet sein sollte. Dazu kommt, dass die Nichteinhaltung der genannten Bestimmung unter Strafsanktion steht, sodass der einzelne Normunterworfene bereits zum Zeitpunkt seines Handelns klar erkennen können muss, durch welches Verhalten er sich allenfalls strafbar macht. Dies wäre jedoch dann nicht gegeben, wenn erst im Nachhinein seitens der Strafbehörde (oder des Verordnungsgebers) der genannte Ausnahmetatbestand dahingehend einschränkend ausgelegt wird, dass das Betreten des öffentlichen Ortes nur zu bestimmten - im Normtext selbst nicht näher genannten - Zwecken gestattet sei. Gerade im Bereich des Verwaltungsstrafrechts verbietet sich daher die von der belangten Behörde angedachte Auslegung des § 2 Z. 5 der genannten Verordnung, zumal für den Normunterworfenen nicht erkennbar ist, zu welchen (eingeschränkten) Zwecken das Betreten des öffentlichen Ortes im Freien gestattet sein solle (vgl. sinngemäß auch das Erkenntnis des LVwG NÖ vom 12.5.2020, GZ. LVwG-S-891/001-2020, wonach die genannte Verordnung „keine Beschränkung des Zwecks für ein Betreten des öffentlichen Ortes nach der Ausnahmebestimmung des § 2 Z. 5 vorsieht“).
Angesichts des dargestellten unzweifelhaften Auslegungsergebnisses ist dem Umstand, dass der zuständige Verordnungsgeber (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) allenfalls in Presseerklärungen oder dergleichen eine davon abweichende Auffassung vertreten hat, keine rechtserhebliche Bedeutung beizumessen.
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte infolge § 44 Abs. 2 VwGVG abgesehen werden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Betretungsverbot; öffentlicher Ort; ZweckEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.047.5718.2020Zuletzt aktualisiert am
09.06.2020