Entscheidungsdatum
07.01.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W263 2122724-1/40E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Christina KERSCHBAUMER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen. Der Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird insoweit berichtigt, als dieser zu lauten hat: Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 09.01.2013 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Spruchpunkt II. nur zu lauten hat: Gemäß § 8 Absatz 1 AsylG 2005 wird der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.
III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der BF (in der Folge: "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 09.01.2013 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
2. Bei seiner Erstbefragung am 10.01.2013 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zusammengefasst an, er sei am XXXX in XXXX , Afghanistan, geboren. Er sei ledig, seine Muttersprache sei Pashto, er spreche aber auch gut Dari und beherrsche beide Sprachen in Wort und Schrift. Er gehöre der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er habe die Grundschule in XXXX besucht. Als Familienangehörige im Herkunftsstaat oder anderem Drittstaat gab der BF seinen Vater, zwei Brüder und zwei Schwestern an. Als seinen Wohnsitz in Afghanistan gab er den Distrikt XXXX , Provinz XXXX an. Er habe keine früheren Beschäftigungen/Ausbildungsverhältnisse in Afghanistan oder anderen Staaten. Seine finanzielle Situation und die seiner Familie in Afghanistan sei gut. Sein Vater versorge die Familie.
Befragt zu seinen Fluchtgründen, gab der BF an, er sei in Afghanistan sowohl seitens der Regierung, als auch seitens der Taliban in Lebensgefahr. In XXXX würden die Taliban herrschen. Er sei mit den Taliban nach Pakistan gegangen, nach Wazirestan. Dort sei er trainiert worden. Nach dem Training sei er zurück nach Afghanistan nach Nejrab gebracht worden und bei den Taliban gewesen. Er habe dort erfahren, dass die Taliban vor hatten, mit seiner Hilfe jemanden zu töten, und zwar den "Sicherheitskommandanten" von XXXX, der gegenüber von ihnen gewohnt habe und auch den "Landeshauptmann" von XXXX. Da er schon längere Zeit von zu Hause fort gewesen sei, habe er nach Hause gehen wollen. Um nach Hause gelangen zu können, habe er den Taliban zugesagt, ihnen zu helfen. Zuhause habe er seinem Vater von dem Vorhaben der Taliban erzählt. Sein Vater habe gesagt, wenn er den Taliban helfen würde, würde ihn die Regierung auf keinen Fall am Leben lassen, weil er ohnehin zu den Taliban gehöre. Er sei jetzt von Seiten der Taliban in Gefahr, weil er ihnen nicht habe helfen wollen. Deswegen sei er aus seiner Heimat geflüchtet. Andere Fluchtgründe habe er nicht.
Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst um sein Leben. Er hätte bei einer Rückkehr aber mit keinen Sanktionen zu rechnen.
3. Der BF erklärte gegenüber dem BFA mit Schreiben vom 16.01.2013 seine Volljährigkeit; er führte aus, er wolle sein Alter korrigieren. Der Schlepper habe ihm gesagt, dass er nicht ins Gefängnis komme, wenn er minderjährig sei. Daher solle er sich als Minderjähriger ausgeben. Es sei am XXXX geboren.
4. Im weiteren Verfahrensverlauf gab der BF in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 29.04.2013 zusammengefasst weiter an:
Er habe ungefähr zwölf Jahre die Grundschule in XXXX besucht, er spreche auch Urdu und habe keinen Militärdienst geleistet.
Der BF legte eine Tazkira, ein Schreiben seiner Schule und ein Schreiben der Provinzältesten vor.
Zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, im Dorf XXXX habe es zwei Gruppierungen gegeben, nämlich die Taliban und die Partei Hezb-e-Islami. Anfang März 2012 sei es plötzlich zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, bei der die Hezb-e-Islami verloren hätte. Nach dieser Zeit hätten in XXXX nur mehr die Taliban geherrscht. Von XXXX seien die Taliban in die Stadt XXXX gekommen, um inoffiziell junge Männer für die Taliban zu gewinnen. Er sei freiwillig mit den Taliban mitgegangen. Sein Vater sei nicht einverstanden gewesen und deshalb sei er von den Taliban in weiterer Folge mit anderen jungen Männern nach Pakistan, Wazirestan gebracht worden. Dort seien u.a. auch Tschetschenen und Araber gewesen. Er sei ungefähr ein Monat dort gewesen. Später hätten ihn die Taliban mit anderen nach Afghanistan in die Provinz Kapisa zu den Distrikten XXXX und Nejrab geschickt, dort sei er zwei Monate gewesen. Er habe dann wieder nach Hause gehen wollen. Er habe daher den Oberkommandanten in der Provinz XXXX angerufen, der ihm mitgeteilt habe, dass er zur Regierung (zum Friedensprojekt) gehen solle und inoffiziell für die Taliban weiter arbeiten solle. Er habe deshalb die Erlaubnis bekommen nach Hause zu gehen und habe seinen Vater angerufen und ihn gebeten mit den Sicherheitsbehörden und den Regierungsleuten zu sprechen und sie zu bitten, ihm nichts anzutun. Es sei nämlich bekannt gewesen, dass er zu den Taliban gehört habe. Sein Vater habe angerufen und gesagt, es sei alles Ordnung, er solle nach Hause kommen. Er sei von den Sicherheitsbehörden befragt worden und habe gesagt, dass er weiter die Schule besuchen wolle. Er sei dann zur Schule gegangen, habe Fußball gespielt und sich unauffällig verhalten und niemand habe bemerkt, dass er eigentlich noch zu den Taliban gehört habe. Diese hätten ihm gesagt, dass er zwei weitere Personen für die Taliban anwerben solle, damit sie zu dritt etwas machen können. Es gelang ihm, zwei Cousins für die Taliban zu gewinnen. Die Taliban ließen ihm eine Pistole mit Schalldämpfer zukommen. Er wisse weder von welcher Marke noch welches Kaliber. Er hätte den Leiter für Terrorismusbekämpfung der Provinz XXXX und drei Regierungsspione erschießen sollen. Ihm und einem seiner Cousins sei es gelungen, einen Regierungsspion zu erschießen. Sein Cousin sei mit dem Motorrad gefahren und der BF habe diesen Mann erschossen. Dies sei vor ungefähr acht Monaten in der Provinz XXXX, Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geschehen. Den Namen des Mannes wisse er nicht. Er habe von dieser Person ein Foto gehabt, das ihm jene Person gegeben habe, die ihm auch die Waffe gebracht habe. Es sei richtig, dass er ein Taliban sei und in Afghanistan einen Mord begangen habe. Er sei in Gefahr durch die Taliban und die Regierung.
5. Das (damals) Bundesasylamt erstattete daraufhin eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft XXXX .
6. Das BFA wurde mit Schreiben vom 07.03.2014 über die Einstellung des Verfahrens benachrichtigt. Nach dem Aktenvermerk vom 03.04.2014 habe nicht mit der nötigen Sicherheit davon ausgegangen werden können, dass der BF tatsächliche einen Mord begangen habe, obwohl der BF bei seiner Darstellung geblieben sei.
7. Der BF brachte bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 16.04.2014 eine Speicherkarte mit Fotografien Vorlage und gab zusammengefasst weiter an:
Es handle sich um Erinnerungsfotos, die ihn mit den Taliban zeigen würden. Es seien die obersten Taliban darauf zu sehen, die mit ihnen unterwegs gewesen seien. Sein Vater habe ihm die Speicherkarte geschickt.
Er stehe mit seinem Vater in telefonischem Kontakt.
Er sei in XXXX geboren und habe in der Stadt XXXX gelebt. In XXXX habe er einen Mathematik- und Geometriekurs für die Aufnahmeprüfung für die Universität besucht.
Zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, seine zwei Cousins väterlicherseits seien kurz nach seiner Erstbefragung bei der Polizei bei einer Explosion ums Leben gekommen, sein Vater habe es ihm nicht erzählt. Sie hätten Minen bei sich getragen. Die Cousins seien seine Mitarbeiter in der Provinz XXXX gewesen. Es seien auch einige Leute von der Regierung gekommen und hätten nach ihm gefragt.
In Afghanistan habe er eine Straftat begangen, sei aber nicht verurteilt worden. Es würden keine aktuellen staatlichen Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc. gegen ihn bestehen. Er sei politisch tätig und Mitglied einer politischen Partei gewesen. Er habe an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teilgenommen.
Er sei sich sicher, dass er nach seiner Rückkehr seitens der Taliban getötet werde, da er die Geheimnisse der Taliban bei sich trage. Und seitens der Regierung werde er auch befragt werden. Es gebe keinen Haftbefehl gegen ihn; wie er sich dem Friedensprozess angeschlossen habe, habe die Regierung nichts über seine weiteren Aktivitäten gewusst. Die Regierung wisse nicht, dass er einen Mord begangen habe, nur die Taliban und seine Cousins wüssten davon. Befragt, warum die Regierung ihn wieder befragen würde, gab der BF an, es gebe seitens der Regierung keine Befragung, nur die Taliban würden ihn befragen und bedrohen.
Genauer zum Mord befragt, gab der BF an, er habe am Nachmittag Fußball am Spielplatz gespielt. Sein Cousin väterlicherseits sei mit einem Motorrad gekommen und habe gesagt, dass derjenige, der als Agent arbeite, sich auf der XXXX befinde. Das sei ihm von den obersten Taliban telefonisch mitgeteilt worden. Jetzt sei die Gelegenheit ihn zu liquidieren. Der BF habe seine Kleidung in eine Sporttasche gepackt und sei mit dem Motorrad mitgefahren. Der Cousin habe eine Pistole bei sich getragen. Als sie auf der XXXX angekommen seien, hätten sie junge Leute Volleyball spielen gesehen und die genannte Person sei auch dabei gewesen. Sie seien weiter ins Dorf gefahren. Sie seien zur Zeit des Abendgebetes zurückgekehrt. Die genannte Person sei alleine in einer Gasse unterwegs gewesen. Als er sich ihnen genähert habe, seien sie langsamer gefahren. Der BF habe vorher die Pistole von seinem Cousin genommen. Als sie ihm noch näher gekommen seien, habe er die Pistole auf ihn gerichtet, gefeuert und ihn am Kopf, auf der linken Stirnseite über dem Auge, erwischt. Er sei zu Boden gefallen und sie seien weiter gefahren.
Der BF habe nicht gewusst, ob er lebte oder gestorben sei. Nach zwei Tagen hätten die Taliban seinen Cousin angerufen und Bescheid gegeben, dass die Person seinen Verletzungen erlegen sei.
Die Person sei ein Agent gewesen, er habe immer über die Taliban berichtet - wer bei den Taliban gewesen sei. Er habe auch unschuldige Leute verraten.
Ungefähr einen Monat vor dem Mord sei er beim Friedensprozess gewesen und habe einen Anruf von den obersten Taliban bekommen. Diese hätten ihm befohlen den später Getöteten sowie zwei weitere Personen zu töten. Sie hätten konkret drei Personen, mit Namen XXXX , Chef der Kriminalabteilung, einen Agenten namens XXXX und einen weiteren Agenten, den der BF aber nicht gekannt habe, genannt. Die obersten Taliban hätten gesagt, dass diese Leute Agenten seien, sie würden die Taliban stören und seien Verräter. Sie würden die Menschen für Geld verraten.
Nach ungefähr 20 Tagen habe er wieder einen Anruf von den Taliban bekommen, welche ihn gebeten hätten, den Sicherheitskommandanten XXXX zu erledigen. Es wäre sehr schwierig, weil der Kommandant öfters sein Auto wechsle. Das Haus des Kommandanten sei gegenüber von ihrem Haus gelegen. Der BF solle ihn beobachten und ausspionieren - mit welchem Auto er fahre. Sie würden zum Haus des BF einen Selbstmordattentäter mit einer Weste schicken, der beim BF wohnen solle. Wenn der Kommandant das Haus verlassen wolle, solle der BF ihn anrufen und dieser solle sich vor dem Auto in die Luft sprengen. Der BF habe daraufhin zusammengefasst seinem Vater gestanden, mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Sein Vater habe zu ihm gesagt, heutzutage würden alle ins Ausland gehen, wenn sie Schwierigkeiten hätten. Im Ausland könne man ein normales Leben führen. Am nächsten Tag sei er zu einer Tante nach Pakistan gefahren. Das sei ungefähr 25 Tage nach dem Mord gewesen.
Er sei seit ungefähr zwei Jahren in den Diensten der Taliban. Als er zur Schule gegangen sei, seien täglich die Taliban zum Missionieren gekommen, um die jungen Leute zu sich zu holen. Im Frühling 2012 hätten die Taliban begonnen mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Eines Tages sei er mit ihnen nach XXXX gegangen. Sein Vater habe ihn abgeholt und der BF sei dann wieder zu den Taliban und von diesen nach Pakistan geschickt worden. In Pakistan habe er einen Monat lang trainiert. Dann sei er mit einer Gruppe in die Provinz Kapisa, XXXX , Afghanistan, geschickt worden und sei dort zwei Monate gewesen. Er habe nach Hause gewollt, weil es dort langweilig gewesen sei und habe die obersten Taliban deswegen angerufen. Diese hätten gewollt, dass er sich in XXXX dem Friedensprozess anschließe und weiter mit ihnen zusammenarbeite. Er habe seinen Vater angerufen, er solle mit den zuständigen für den Friedensprozess sprechen. Ungefähr zwei Monate später habe er den Mordauftrag erhalten. Drei Tage nach seiner Rückkehr habe er seinen Cousin zu den Taliban gebracht. Die Taliban hätten ihm ein Foto des Mordopfers sowie den Schalldämpfer für die Waffe über seinen Cousin geschickt. Der Mord sei ungefähr einen Monat, nachdem er von XXXX in sein Heimatdorf zurückgekehrt sei, geschehen.
In Afghanistan habe er einen Vollbart und traditionelle Kleidung getragen. Hier rasiere er sich und trage Hosen und T-Shirts und westliche Kleidung. Er meine damit, dass er integrationsfähig sei.
Seine Familie sei wohlhabend, sein Vater habe ein Lebensmittelgeschäft in XXXX gehabt.
Befragt, ob er noch etwas angeben wolle, was ihm besonders wichtig erscheine, gab der BF an, er habe in Afghanistan in den Bergen gelebt und in Österreich lebe er auch in den Bergen. Er sei sehr weit weg von der Stadt. Er sei sehr nachdenklich über seine Zukunft.
8. Mit Bescheid vom 10.02.2016 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan sei gemäß § 8 Abs. 3a AsylG iVm § 9 Abs 2 AsylG unzulässig (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.).
9. Mit Verfahrensanordnung vom 11.02.2016 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig der XXXX als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
10. Der BF erhob gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde, welche am 01.03.2016 beim BFA einlangte und in der Folge an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet wurde. In der Beschwerde wurden die Anträge gestellt, 1. es möge Spruchpunkt I. des hier angefochtenen Bescheides dahingehend abgeändert werden, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde; 2. in eventu der angefochtene Bescheid möge dahingehend abgeändert werden, dass gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt werden; 3. in eventu möge ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen iSd AsylG erteilet werden; 4. es möge eine öffentliche, mündliche Verhandlung anberaumt werden, damit der BF seine Fluchtgründe und seine persönliche Glaubwürdigkeit vor unabhängigen RichterInnen unter Beweis stellen könne.
Spruchpunkt II. Satz 2 des gegenständlichen Bescheides bleibe ausdrücklich unberührt.
11. Am 02.06.2016 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsbekanntgabe XXXX ein.
12. Nach Ersuchen im Wege der Rechtsvertretung und Anforderung der Beschuldigtenvernehmung und des abweisenden Beschlusses hinsichtlich des Antrags der Staatsanwaltschaft XXXX auf Bewilligung der Anordnung der Festnahme des BF führte das Bundesverwaltungsgericht am 06.12.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF ohne seine Rechtsvertretung teilnahm und der ein Dolmetscher für die Sprache Pashto beigezogen wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung ebenfalls nicht teil. Der BF erklärte nach telefonischer Rücksprache mit dem XXXX von diesem auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vertreten werden zu wollen. Die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.
13. Mit Schreiben vom 07.12.2017 langte die Vollmacht des XXXX sowie eine Vollmachtszurückziehung gegenüber dem XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.
14. Am 12.12.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsauflösung des XXXX ein.
15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.02.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF und sein nunmehriger Rechtsvertreter teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Pashto beigezogen wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Es wurde eine einwöchige Frist zwecks Übermittlung von Unterlagen zum Gesundheitszustand des BF und Erstattung einer Stellungnahme zu den Länderberichten eingeräumt.
16. Nach Mitteilung, dass es Probleme hinsichtlich der medizinischen Unterlagen gebe, wurde am 07.03.2018 eine ärztliche Bestätigung vorgelegt. In weiterer Folge wurden Unterlagen zur Teilnahme des BF am Projekt " XXXX " vorgelegt.
17. In der Folge wurden Parteiengehöre zu aktualisierten Länderberichten eingeräumt, Stellungnahmen abgegeben und Integrationsunterlagen vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der bereits im Antragszeitpunkt volljährige BF führt den Namen XXXX (alias XXXX alias XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX ), ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Pashto. Der BF beherrscht Pashto und Dari in Wort und Schrift und spricht auch etwas Urdu. Der BF ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.
Der BF ist im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz XXXX , Afghanistan, geboren worden und lebte bis zu seiner Ausreise in der Provinz XXXX .
Der BF besuchte ungefähr zwölf Jahre lang eine staatliche Schule. Weiters besuchte er in XXXX einen Mathematik- und Geometriekurs als Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung an der Universität.
Der BF hat in seiner Herkunftsprovinz verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte.
Der BF lebte ungefähr bis November 2012 in Afghanistan.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er hat in Österreich afghanische und österreichische Freunde.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hält sich seit 09.01.2013 in Österreich auf und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er für die Taliban gearbeitet habe.
Der BF persönlich ist in Afghanistan keiner Verfolgung und damit einhergehenden physischen und/oder psychischen Gewalt auf Grund seiner behaupteten Tätigkeit für die Taliban oder seiner Ausreise durch die Taliban, von staatlicher Seite oder durch andere ausgesetzt; dies auch nicht auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe jener Personen, die sich wohlbegründet davor fürchten, nach Afghanistan zurückzukehren, weil ihnen im Herkunftsstaat die Todesstrafe droht.
Konkret der BF ist auf Grund der Tatsache, dass er sich im Ausland und konkret in Europa aufgehalten hat und damit einhergehend "westlicher" orientiert ist, in Afghanistan keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt bzw. hat er (oder jeder derartige "Rückkehrer") eine solche im Falle seiner Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.
Dem BF droht im Falle einer Rückkehr auch keine Verfolgung aufgrund einer psychischen Erkrankung.
Insgesamt ist der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:
Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat würde diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen.
Eine Rückkehr des BF in seine Heimatprovinz ist nicht möglich.
Dem BF steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Der BF hat bis zu seiner Ausreise in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat nicht gelebt und bestehen keine familiären oder sozialen Beziehungen hinsichtlich dieser Städte.
Der BF kann Mazar-e Sharif oder Herat-Stadt von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug auf Grund der vorhandenen internationalen Flughäfen erreichen.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat-Stadt ausschließen würden, liegen nicht vor. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Der BF ist mobil, anpassungsfähig und befindet sich im erwerbsfähigen Alter. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit des BF.
Der BF liefe im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat-Stadt nicht maßgeblich Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder in Herat-Stadt eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen.
Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und Sprachen seines Herkunftsstaates vertraut.
Im Übrigen hat der BF die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.4.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (verbliebene Fehler im Original, Nummerierung geändert):
"1.4.1. Politische Lage:
... Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).
...
1.4.2. Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).
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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit
29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. ...
Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).
Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).
Zivile Opfer
Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.
- 30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).
Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).
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High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).
Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten
Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).
Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).
Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018
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Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):
Taliban
Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).
Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).
Haqqani-Netzwerk
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).
Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).
Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)
Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).
Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).
Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).
Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).
Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).
Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen
Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).
Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).
Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).
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1.4.3. Baghlan
Baghlan, das sich im Nordosten Afghanistans befindet, grenzt an die Provinzen Bamyan, Samangan, Kunduz, Takhar, Panjshir, Parwan (UNOCHA 4.2014), und in einem sehr kleinen Abschnitt an Balkh (AIMS o.D.).
Baghlan ist in die folgenden 15 Distrikte unterteilt: Andarab, Baghlan-e-Jadeed (auch bekannt als Baghlan-e-Markazi), Burka, Dahana-e-Ghuri, Deh Salah, Dushi, Firing Wa Gharu, Gozargah-e-S. Noor, Khinjan, Khost Wa Firing, Khwaja hejran (Jalga), Nahreen, Pul-e-Hisar, Pul-i-Khumri und Tala Wa Barfak. Die Hauptstadt der Provinz ist Pul-i-Khumri (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Die zentrale Statistikorganisation Afghanistan (CSO) schätzt die Bevölkerung von Baghlan für den Zeitraum 2019-20 auf 995.814 Personen (CSO 2019). Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan (NPS o.D.).
Baghlan befindet sich auf der Kabul-Nord-Route, welche insgesamt neun Provinzen miteinander verbindet (PAJ o.D.). Dies ist die einzige Trans-Hindukush-Autobahn in Afghanistan und die wichtigste Transitroute zwischen Kabul und dem Norden des Landes (AAN 21.10.2015). Die Sicherheit entlang der Autobahn ist auch bedeutsam für die Energieversorgung Kabuls, da Stromleitungen aus Tadschikistan und Usbekistan entlang dieser verlaufen (AT 29.3.2019; PAJ 14.4.2018; KP 19.3.2018).
Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Baghlan im Jahr 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. Der Schlafmohnanbau blieb in Baghlan im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 ungefähr gleich (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans;
Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen (KP 20.5.2019;
vgl. KP 11.6.2019, KP 11.4.2019). Im Dezember 2018 erklärte das afghanische Innenministerium (MoI), dass Baghlan zu den Provinzen mit einer hohen Taliban-Präsenz gehört und dass afghanische Streitkräfte in Teilen der Provinz in tödliche Kämpfe verwickelt sind (TN 26.12.2018). Zwischen 2014 und 2018 wurde in Baghlan ein Angriff des ISKP gezählt(CTC 3.12.2018).
Aufseiten der Regierungstruppen liegt Baghlan im Verantwortungsbereich des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Der folgenden Tabelle kann die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Baghlan gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
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Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 261 zivile Opfer (68 Tote und 193 Verletzte) in Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 17% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben ( IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
Baghlan liegt im Fokus der im April 2019 von der Regierung beschlossenen "Operation Khalid" (UNGASC 14.6.2019). Seit dem Jahr 2018 führen die ANDSF regelmäßig Operationen in der Provinz durch (KP 20.5.2019; vgl. PAJ 5.11.2018; PAJ 11.9.2018). Bereits im November wurden zusätzliche Sicherheitskräfte vom Verteidigungsministerium als Verstärkung nach Baghlan entsandt (TN 8.11.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und den Taliban finden statt (TN 3.9.2019; vgl. 13.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen im Mai 2019 in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri Sicherheitskräfte an (AJ 5.5.2019) und im September 2019 die Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri selbst (NZZ 1.9.2019) und lieferten sich weitere bewaffnete Zusammenstöße. Die Verbindungsstraßen in die Hauptstadt waren temporär gesperrt (TN 3.9.2019) und waren erst nach großangelegten Sicherheitsoperationen der afghanischen Regierungstruppen wieder eröffnet worden (TN 13.9.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 13.421 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, in den benachbarten Provinzen Parwan, Balkh Panjsher und Bamyan sowie in anderen Provinzen wie Kabul, Kapisa und Khost Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.699 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die in der Provinz selbst verblieben, sowie nach Kabul und Herat gingen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.2018 bis 31.12.2018 meldete UNOCHA 11.928 Vertriebene in die Provinz Baghlan, die alle aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 936 konfliktbedingt nach Baghlan vertriebene Personen, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 18.8.2019).
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1.4.4. Balkh:
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt:
Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganis