TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/23 W187 2160634-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2020
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Entscheidungsdatum

23.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W187 2160626-1/19E

W187 2160623-1/19E

W187 2160619-1/20E

W187 2160629-1/17E

W187 2160634-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , 3. dem minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , 4. der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX und 5. der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter XXXX , alle vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom XXXX , 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. XXXX und 5. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX , XXXX alias XXXX , dem minderjährigen XXXX , der minderjährigen XXXX und der minderjährigen XXXX gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX alias XXXX , dem minderjährigen XXXX , der minderjährigen XXXX und der minderjährigen XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Das Ehepaar XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführerin) und XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführer) sowie deren minderjähriger Sohn XXXX (in der Folge: Drittbeschwerdeführer) und deren minderjährige Tochter XXXX (in der Folge: Viertbeschwerdeführerin) reisten gemeinsam unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am XXXX ihren Antrag auf internationalen Schutz stellten.

2. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer wurden im Rahmen ihrer jeweiligen Erstbefragungen am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi zu ihren Identitäten, ihrer Reiseroute und ihren Fluchtgründen einvernommen. Dabei gaben sie übereinstimmend an, miteinander verheiratet und Eltern des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin zu sein. Die Erstbeschwerdeführerin gab an, am XXXX in XXXX in Afghanistan geboren zu sein, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören, sowie Moslemin zu sein. Weiter führte sie aus, dass sie im ersten Monat schwanger sei. Als Beweggrund für die gemeinsame Ausreise führte sie an, sie habe ihren Mann gegen den Willen ihrer Verwandten geheiratet. Die Verwandten ihres Gatten hätten sie mit dem Umbringen bedroht. Die Erstbeschwerdeführerin habe zwei Kinder und könne so nicht in Afghanistan leben. Zudem herrsche in ihrem Land immer Krieg. Aus diesem Grund habe sie Afghanistan verlassen.

Der Zweitbeschwerdeführer gab an, am XXXX in XXXX in Afghanistan geboren zu sein, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören, sowie Moslem zu sein. Zum Fluchtgrund führte er aus, er habe seine Frau gegen den Willen seiner Verwandten geheiratet. Aus diesem Grund sei es zu Problemen mit seinen Verwandten gekommen, welche ihm auch mit dem Umbringen gedroht hätten. Er sei auch ein paar Mal von seinen Verwandten geschlagen worden. Aus diesem Grund habe der Zweitbeschwerdeführer gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern das Land verlassen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern von seinen Verwandten ermordet zu werden.

3. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer wurden am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi niederschriftlich zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab hier zunächst an, dass sie am XXXX in XXXX im Iran geboren sei. Als sie sieben Jahre alt gewesen sei, sei ihre Familie mit der Erstbeschwerdeführerin zurück nach Afghanistan gegangen. Zu ihren Fluchtgründen gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen zusammengefasst an, ihre Ehemann und sie hätten aus Liebe geheiratet. Vor ihrer Hochzeit sei ihr Gatte, der Zweitbeschwerdeführer, jedoch seiner Cousine mütterlicherseits versprochen worden. Ihr Gatte habe die Cousine auch heiraten wollen, sein älterer Bruder habe dann jedoch um die Hand dieser Cousine angehalten. Aus Respekt vor seinem Bruder, der eine Behinderung an der Hand habe, habe ihr Gatte dies zugelassen. Die Familie seines Onkels mütterlicherseits habe dann ihre zweite Tochter mit ihrem Mann verheiraten wollen. Dies habe ihr Mann nicht gewollt und schließlich die Erstbeschwerdeführerin geheiratet. Die Angehörigen ihres Gatten hätten versucht, ihn davon zu überzeugen, dass die Erstbeschwerdeführerin eine schlechte Frau für ihn sei und er sie verlassen solle, damit sie ihre Tochter mit ihm verheiraten können. Nachts sei die Erstbeschwerdeführerin auch von Unbekannten angerufen worden. Ihr Mann sei dann misstrauisch geworden und sie hätten ständig gestritten. Insbesondere ihre Schwiegermutter sei gegen die Erstbeschwerdeführerin gewesen. Sie habe der Erstbeschwerdeführerin zu Unrecht unterstellt, dass sie ein Verhältnis zu einem anderen Mann habe. Ihr Mann habe schließlich keinen Wert mehr auf die Erstbeschwerdeführerin und den gemeinsamen Sohn, den Drittbeschwerdeführer, gelegt. Als der Drittbeschwerdeführer sechs Jahre alt gewesen sei, habe der Zweitbeschwerdeführer ihr gesagt, dass er sich trennen wolle. Die Erstbeschwerdeführerin habe daraufhin versucht, sich mit Tabletten umzubringen und sei im Krankenhaus gewesen. Nach diesem Vorfall habe ihr Mann sie wieder gut behandelt. Zuletzt sei der Zweitbeschwerdeführer jedoch von unbekannten Personen angerufen und bedroht worden. An einem Freitag sei der Zweitbeschwerdeführer von unbekannten Personen zusammengeschlagen worden, wobei er sich die Hand gebrochen habe. Ihr Gatte sei auch zu Unrecht beschuldigt worden, ein Verhältnis zu seinem Gehilfen zu haben. Daraufhin seien sie gezwungen gewesen, das Land zu verlassen.

Der Zweitbeschwerdeführer stellte zunächst richtig, dass er am XXXX in XXXX geboren sei. Zu seinen Fluchtgründen führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass seine Mutter und sein Onkel mütterlicherseits ( XXXX ) mitsamt seiner Familie gegen ihn gewesen seien. Als Kind sei ihm eine Tochter des Onkels mütterlicherseits namens XXXX versprochen worden. XXXX habe den Zweitbeschwerdeführer geliebt und der Zweitbeschwerdeführer habe ihr versprochen, dass er sie heiraten werde. Der Onkel mütterlicherseits sei zehn Jahre lang im Gefängnis gewesen. In dieser Zeit habe der Zweitbeschwerdeführer seine jetzige Frau, die Erstbeschwerdeführerin, kennengelernt und geheiratet. Aus diesem Grund seien seine Mutter sowie sein Onkel mütterlicherseits, ein ehemaliger Drogenhändler, samt dessen Familie gegen den Beschwerdeführer gewesen. Einmal hätten sie einen anderen Mann angestiftet, den Zweitbeschwerdeführer zu vergiften, wodurch er zwei Jahre lang benommen gewesen sei. Ein anderes Mal sei der Zweitbeschwerdeführer von unbekannten Personen im Auftrag seines Onkels geschlagen worden. Nachdem ihm die Hand gebrochen worden sei, habe er sich von einem Gehilfen namens XXXX mit dem Auto zur Bank bringen lassen. Sein Onkel habe jemanden bezahlt, welcher gegenüber dem Vater des Gehilfen behauptet habe, dass XXXX schwul sei und mit dem Zweitbeschwerdeführer schlafe. Der Gehilfe habe acht Brüder gehabt. Schließlich sei der Zweitbeschwerdeführer telefonisch von Unbekannten bedroht worden, dass man ihn in 20 Tagen "erledigen" werde. Der Zweitbeschwerdeführer habe sich nicht mehr getraut, alleine in sein Geschäft oder seine Firma zu gehen. Aus diesem Grund sei er ständig von einem anderen Gehilfen begleitet worden. Seine Mutter habe zudem immer wieder vom Zweitbeschwerdeführer verlangt, dass er sich von seiner Frau trennen solle. Aus diesem Grund habe seine Gattin auch einmal versucht, sich umzubringen. Der Onkel des Zweitbeschwerdeführers sei sehr kriminell gewesen und habe sogar seinen Bruder ermordet.

Der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin wurden aufgrund ihres jungen Alters nicht einvernommen.

3. Am XXXX wurde die gemeinsame Tochter der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, XXXX (in der Folge: Fünfbeschwerdeführerin), geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am XXXX als gesetzliche Vertretung für die Fünfbeschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz.

4. Mit Schreiben vom XXXX ersuchte die belangte Behörde die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin der Fünfbeschwerdeführerin um Mitteilung, ob die Fünfbeschwerdeführerin gesund sei. Weiter wurde die Erstbeschwerdeführerin aufgefordert, der belangten Behörde mitzuteilen, ob die Fünfbeschwerdeführerin eigene Gründe für die Antragsstellung habe oder ob der Grund für die Antragstellung in der Aufrechterhaltung des Familienverbandes mit der Kernfamilie liege.

5. Die Erstbeschwerdeführerin teilte der belangten Behörde mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Fünfbeschwerdeführerin gesund sei und keine eigenen Fluchtgründe habe. Die Angaben, die die Erstbeschwerdeführerin im Verfahren gemacht habe, würden auch für ihre Tochter gelten.

6. Am XXXX langte ein Schreiben von Dr. XXXX des Psychosozialen Dienstes XXXX hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers bei der belangten Behörde ein. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer würden beide an Depressionen verbunden mit Angst- und Panikattacken sowie Schlafstörungen leiden. Aufgrund ihrer schweren Traumatisierung sei zu befürchten, dass es zu einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung infolge des Traumas kommen werde. Die Situation des Wartens auf den Asylbescheid sei für beide extrem belastend, weshalb Dr. XXXX ersuche, der Familie ehestmöglich einen Bescheid zukommen zu lassen.

7. Am XXXX langte bei der belangten Behörde eine gemeinsame Stellungnahme der Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen sowie zu den Länderberichten samt Vorlage von Integrationsunterlagen und medizinischen Befunden ein.

8. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers, des Drittbeschwerdeführers, der Viertbeschwerdeführerin und der Fünfbeschwerdeführerin sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen die Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Beschwerdeführern amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

9. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Schreiben vom XXXX gemeinsam fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Fehler, Verfahrensmängeln und falscher rechtlicher Beurteilung.

10. Die Beschwerde und die dazugehörigen Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangten Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

11. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine gemeinsame Beschwerdeergänzung der Beschwerdeführer ein, in der näheres zu den Verfahrensmängeln, der fehlerhaften Beweiswürdigung der Behörde, zur psychischen Erkrankung der Beschwerdeführer, zu ihren Fluchtgründen und zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ausgeführt wird. In einem legten die Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen sowie medizinische Unterlagen vor.

12. Mit Eingabe vom XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsbekanntgabe des MigrantInnenvereins St. Marx ein.

13. Mit Schreiben vom XXXX und XXXX ersuchten die Beschwerdeführer, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, um eine möglichst baldige Entscheidung bzw. um Durchführung einer Verhandlung, da die Ungewissheit ihres Aufenthaltes sehr belastend für sie sei.

14. Der MigrantInnenverein St. Marx gab mit Schreiben vom XXXX die Auflösung des Vollmachtverhältnisses bekannt.

15. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsbekanntgabe von Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin, für die Beschwerdeführer ein.

16. Mit Schreiben vom XXXX legte der Verein Menschenrechte Österreich die am XXXX erteilte Vollmacht zurück.

17. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Konvolut an Integrationsunterlagen ein.

18. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX ein, wonach der minderjährige Drittbeschwerdeführer verdächtigt wird, einen Schulkollegen am XXXX durch einen Faustschlag am Körper verletzt zu haben.

19. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom XXXX die Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Drittbeschwerdeführer.

20. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte den Parteien mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan.

21. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Vollmachtsbekanntgabe des Vereins Menschenrechte Österreich für die Beschwerdeführer ein.

22. Mit Schreiben vom XXXX gab die bisherige Rechtsvertretung der Beschwerdeführer, RA Mag. Nadja Lorenz, bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst wurde.

23. Am XXXX fanden vor dem Bundesverwaltungsgericht zwei öffentliche mündliche Verhandlungen statt, im Zuge derer die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi jeweils getrennt vom erkennenden Richter zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz und ihren Beschwerdegründen einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift betreffend den Zweitbeschwerdeführer lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja, es geht mir gut.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Das erste Jahr nach meiner Einreise in Österreich stand ich in medizinischer Behandlung und habe auch Medikamente einnehmen müssen. Danach nicht mehr. Die letzten 3 Nächte hatte ich kaum Schlaf. Ich bin psychisch belastet. Es geht um unsere Zukunft. Dazu möchte ich noch anmerken, dass ich ungefähr 1 1/2 Jahre gebraucht habe, bis es mir psychisch wieder gut gegangen ist.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja, zu 100%.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX in der Stadt XXXX geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche FARSI und verstehe auch etwas DEUTSCH. In diesen Sprachen kann ich auch lesen und sprechen. DEUTSCH nicht hervorragend, aber ausreichend.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin schiitischer Muslim, bin Afghane, verheiratet und gehöre der Tadschikischen Volksgruppe an.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Ja, drei.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Als der Krieg gegen die Russen ausgebrochen ist, ich spreche von der damaligen Revolution, damals war ich ein Kleinkind, ich kann mich an diese Zeit nicht erinnern. Mein Vater hat uns aus der Heimat in den IRAN gebracht. Ungefähr 15 Jahre habe ich mit meinen Eltern im IRAN gelebt. Die Lebensumstände waren dort sehr schwierig, nicht nur für uns, sondern für alle Afghanen. Ich war ungefähr 16/17 Jahre alt, als ich mitbekommen habe, dass viele Afghanen aufgegriffen wurden. Ich glaube, ich war sogar älter, 18/19 Jahre. Die Russen haben Krieg geführt, der sehr brutal war. Viele Afghanen wurden in die Flucht getrieben. Die Iraner wollten und loswerden. Damals war unsere finanzielle Situation mehr als nur schlecht. Mein Vater hat als Bauhilfsarbeiter gearbeitet. Auch wir haben gearbeitet. Meine Brüder und ich konnten uns trauriger Weise keine Bildung leisten. Mein Vater wollte, dass wir arbeiten, z.B. als Schneiderlehrling um etwas Geld zu verdienen. Wir hatten zwar Flüchtlingsausweise, das war eine grüne Karte. Mit dieser Karte hatte man auch keine Rechte. Wir haben dann entschieden, in die Heimat zurückzukehren. In der Heimat haben wir nur Zerstörung wahrgenommen. Wie bereits zuvor erwähnt, hat mein Vater auf Baustellen gearbeitet. In der Heimat haben wir ein Grundstück besessen. Mein Vater hat sofort seine Ärmel hochgekrempelt. Wir haben mit angepackt und von vorne begonnen. Wir haben alle hart gearbeitet. Es war eine körperlich anstrengend, schmutzige Arbeit. Mit der Zeit hat sich unsere finanzielle Situation gebessert. Wir haben sogar Häuser gebaut und verkauft. Allerdings gab es keine andere Entwicklung, ich spreche von Bildung. Ich habe dann mit meinem ältesten Bruder entschieden, in den IRAN zurückzukehren. Mein Onkel mütterlicherseits wurde mit einer weiteren Person wegen Drogenhandel im IRAN festgenommen. Meine Tante hat somit ohne Ehemann gelebt. Mein Onkel hatte drei Töchter und einen Sohn. Diese Tante mütterlicherseits, die Schwester des Onkels der inhaftiert wurde, wurde von ihrem Ehemann verlassen, da sie keine Kinder bekommen konnte. Meine Tante hat uns darum gebeten, bei ihr zu leben, weil sie keine männlichen Personen hatte und somit schutzlos war. Wir haben bei dieser Tante gelebt, sind unserer Arbeit nachgegangen. Mein Onkel mütterlicherseits hat eine Wohnstraße weiter weg von uns gelebt. Ungefähr 5 oder 6 Jahre haben wir zusammengelebt. Wir haben auch während dieser Zeit meinen Onkel mütterlicherseits besucht. Die Familie mütterlicherseits hatte in AFGHANISTAN Grundstücke in teuren Gegenden, vererbt von meinem Großvater. Ohne dass wir das bewusst mitbekommen haben, wurde eine Abmachung getroffen, dass wir Brüder die Cousinen mütterlicherseits, die Töchter des Onkels, heiraten sollen. Meine Mutter hatte einen Reisepass und ist gelegentlich auf Besuch gekommen. Sie war mit dieser Situation einverstanden. Wir haben unser Leben dort fortgeführt. Die Veränderungen sind dann eingetreten, als mein Onkel aus dem Gefängnis entlassen wurde. Mein Onkel wurde dann nach 10 Jahren Haft über die Grenze nach AFGHANISTAN zurückgeschoben. So wie ich es wahrgenommen habe, hat sich meine Tante nur wegen meinem Onkel im IRAN aufgehalten, damit sie ihn jede Woche in der Haft besuchen kann. Mein Großvater hat einiges geopfert. Er hat ein Geschäft besessen, das er verkauft hat. Seine finanzielle Situation war überdurchschnittlich gut. Mein Großvater ist plötzlich verstorben. Ich glaube, dass er sich große Sorgen um seine Existenz gemacht hat. Er hat sehr viel Geld verloren und darüber hinaus war mein Onkel im Gefängnis. Mein Onkel hat sehr schlecht über den IRAN gesprochen. Er ist anders als die anderen Angehörigen jemand, der kriminelle Sachen gemacht hat, gepokert hat. Die älteste Tochter meines Onkels hatte Gefühle für mich. Ich habe sie nur als Schwester gesehen. Es kam für mich nicht in Frage sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Sie hat mir ihre Liebe gezeigt und auch offen gesagt, dass sie mich liebt. Mein Bruder, der sich immer bei mir aufgehalten hat, war körperlich behindert. Seine Hand war bis zu einem Teil amputiert. Er meinte zu mir, dass keine Frau sich für einen Krüppel interessieren würde. Dieser Bruder hatte Gefühle für die älteste Tochter meines Onkels, die wiederrum nur an meiner Person interessiert war. In AFGHANISTAN ist die Gesellschaft anders. Es gilt das Gesetz der Scharia. Die Eltern entscheiden über das, was man zu tun hat. Mein Bruder hat mich darum gebeten mich von unserer Cousine fernzuhalten. Ich hatte kein Interesse an ihr. Deswegen habe ich ihm gesagt: "Natürlich mache ich das." Die Wahrheit war, dass sie es auf mich "abgesehen" hatte. Ich stand in der Mitte. Mein Bruder, der wegen seiner Behinderung gelitten hat und auf der anderen Seite hat sie ihn abgelehnt. Ich hatte noch einen weiteren Onkel mütterlicherseits. Die beiden haben eine Einheit gebildet. Dieser Bruder, der jünger war, war bedauerlicherweise drogenabhängig. Er ist plötzlich verstorben. In AFGHANISTAN hat die Familie mütterlicherseits im Stadtzentrum ein großes Grundstück besessen. Der Drogenabhängige Onkel, der verstorben ist, hatte weder eine Frau noch Kinder. Der andere Onkel hat ein genussvolles Leben gelebt. Hat ständig gefeiert, Leute eingeladen, getrunken. Er wusste, dass das Grundstück sehr viel wert ist. Die Menschen in der Ortschaft haben gelästert. Es gab auch mit der Zeit Auseinandersetzungen zwischen meinen Onkeln, auch deswegen, weil der eine überaus verschwenderisch gelebt hat. Plötzlich ist der eine dann verstorben. Seine Geschwister waren sehr nachsichtig, weil er 10 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hat. Sie meinten, er soll das Erbe alleine bekommen. Die Tante, die von ihrem Ehemann verlassen wurde, war damit zufrieden, ein Dach über ihrem Kopf bei ihrem Bruder zu haben. Auch meine eigene Mutter war ihrem Bruder hörig. Ich habe noch eine weitere Tante mütterlicherseits. Ihr Ehemann hatte große Auseinandersetzungen mit diesem Onkel. Sie leben jetzt in DEUTSCHLAND. Der Ehemann meiner Tante hat aus Angst um sein Leben die Flucht ergriffen. Mein Onkel kennt viele Leute und jeder weiß, dass er etwas mit dem Tod seines eigenen Bruders zu tun hat. In HERAT ist es üblich, dass Gerüchte sich schnell verbreiten, ob richtig oder falsch sei dahingestellt. Es wurde sehr viel Druck auf meine Cousine ausgeübt. Ich habe mich wie versprochen, zurückgehalten. Sie wurde dazu gezwungen, meinen Bruder zu heiraten. Ich wollte meine jüngere Cousine heiraten. Ich wollte auch in der Nähe meines Bruders sein, wir waren immer zusammen. Meine Mutter war mit meiner Entscheidung einverstanden. Auch meine Tante war damit einverstanden. Meine andere Cousine hat gemeint, wenn es zu einer Heirat zwischen mir und ihrer Schwester kommt, wird sie das nicht aushalten. Sie ist auch erkrankt. Sie haben kein glückliches Leben miteinander geführt. Ein Teil der Familie wollte, dass ich meine Cousine heirate und keine fremde Frau in die Familie bringe. Mein Onkel hat mich nicht gemocht, ich weiß nicht weswegen. Ich habe damals bei einer Veranstaltung meine jetzige Frau kennengelernt. Ich glaube, dass es von Gott so gewollt war. Meine Familie, ich spreche von meiner Mutter und der restlichen Sippschaft waren gegen meine jetzige Frau, weil sie aus einer höheren Schicht kam und auch eine offene Denkweise hatte. Sie waren mit einer Eheschließung nicht einverstanden. Meine Cousine hat selbst ein unglückliches Leben geführt und konnte mein Glück nicht ertragen. Deswegen hat sie aktiv entgegengewirkt. Damals ging es uns finanziell gut. Wir hatten ein eigenes Haus, haben einiges selbst erbaut. Meine Cousine hat die Familie erpresst. Sie meinte damals, sollte es zu einer Eheschließung zwischen mir und ihrer Schwester kommen, wird sie sich das Leben nehmen. Ich wollte keine Unruhe in der Familie stiften. Ich habe um die Hand meiner Frau angehalten. Meine Frau kannte ich nicht richtig. Ich habe sie nur für einen Moment bei der Essensausgabe gesehen. Freunde und Bekannte haben ein Foto meiner jetzigen Frau organisiert. Ich habe dann meine Mutter darum gebeten, offiziell bei ihrer Familie anzufragen. Als sie zurückkam, meinte sie, sie hätte eine riesengroße Narbe im Gesicht. Sie hat sie versucht, schlecht zu machen. Ich habe diese hässliche Narbe die sie erwähnt hat nicht gesehen. Das hat mich stutzig gemacht. Ein Bekannter hat ein Foto organisiert, deswegen wusste ich, dass man mich anlügt. Ich habe es geschafft, sie zu heiraten. Wir wurden islamisch getraut. Ewa 3 oder 4 Tage nach der Heiratszusage hat meine Familie mir erklärt, dass ich in der Familie heiraten soll. Man sei jetzt mit einer Heirat einverstanden. Das andere Mädchen, d. h. meine jetzige Ehefrau, würde mich nicht mehr wollen. An dem Tag, an dem ich ausgesprochen habe, dass ich meine Cousine nicht heiraten werde, haben die Auseinandersetzungen begonnen. Ich hatte eine Zusage, ich wollte mein Wort halten. Ich wollte auch mein Gesicht nicht verlieren, indem ich einfach "abspringe". Als ich mein gemeinsames Leben mit meiner Ehefrau angefangen habe, hat mein Onkel uns das Leben erschwert, indem er mir Probleme in der Arbeit gemacht hat. Mein Cousin mütterlicherseits, der Sohn meines Onkels, hat mich körperlich attackiert. Meine Mutter, meine Tante, mein Onkel, alle haben die Beziehungen zu mir abgebrochen. Sie haben versucht meine Frau und mich in die Irre zu führen, uns gegeneinander aufzuhetzen, damit wir uns gegenseitig verlassen. Sie haben sehr viel Druck ausgeübt. Druck der psychisch ausgeartet ist. Meine Frau hat gelitten. Ich hatte auch Streitereien mit meiner Ehefrau. Meine Frau musste Medikamente einnehmen. Sie meinte, dass sie lebensmüde geworden ist. Sie war kurz davor Selbstmord zu begehen. Meine Frau wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Ihr Magen wurde ausgepumpt. Diese Gefahr haben wir überstanden. Ich hatte einen Bekannten, einen Arbeiter, der Drogenabhängig war, zwar keine harten Drogen wie Kokain oder Heroin, er hat Haschisch geraucht. Mir war das egal so lange es die Arbeit nicht beeinträchtigt hat. Mein Onkel hat diesen Mann beauftragt in mein Essen etwas hinzugeben und danach wusste ich nicht mehr bewusst, was ich tue. Ich habe dann im Nachhinein herausgefunden, dass dieser Mann ungefähr 20.000 Afghani von meinem Onkel erhalten hat, damit er das mit mir tut. Ich war unzählige Male beim Arzt, sogar nach PAKISTAN bin ich gereist um behandelt zu werden. Auch im IRAN war ich deswegen. Es waren Zustände, wo ich aus heiterem Himmel Anfälle bekam, wonach ich mich nicht mehr erinnern kann, was mit mir geschehen ist. Es ging mir dermaßen schlecht, so dass ich nicht mehr wusste, was sich in meiner Buchhaltung eingetragen hatte und was nicht. All das ist mir nur zugestoßen, aus Rache, weil ich mich dagegen entschieden habe, meine jetzige Frau zu verlassen und deren Willen zu erfüllen. Nach meiner Heirat gab es verschiedene Wege über die Rache gegen uns ausgeübt wurde. Bis zuletzt, als sie mir einen sehr großen Schaden zugefügt haben. Mein Onkel mütterlicherseits hat drei verschiedene Personen bezahlt, damit sie mir anlasten, ich hätte einen kleinen Jungen misshandelt, missbraucht. Das war schlimmer als eine Explosion. Das Ganze wurde inszeniert. Diese drei Personen wurden auf mich angesetzt. Ich habe im Nachhinein erfahren, dass sogar mein ältester Bruder bei dieser Sache mitgewirkt hat. Ich bin in einem Cafe gesessen, als es zu einer Auseinandersetzung gekommen ist. Mein Onkel hat diese Männer bezahlt und der Sohn von dem einen Mann hat dann behauptet ich hätte diese schlimmen Dinge mit ihm gemacht. HERAT ist eine streng religiöse, konservative Stadt. Man bekommt nicht die Möglichkeit angehört zu werden. Es bestand die Gefahr, dass jede Person auf der Straße mich umbringt und als Held gefeiert wird. Ich habe die Gefahr gespürt, da die Gerüchte sich sehr schnell verbreitet haben. Alles war im Vorfeld geplant und vorbereitet. Zu wem soll man zuerst laufen und erklären, dass es eine Lüge ist. Es gibt auch keine Polizei die neutral eine Sache betrachtet. Ich hatte auch die Furcht, dass man für wenig Geld ungefähr 10.000 Afghani jemanden beauftragt mich zu töten. Es war eine Furcht, die ich damals gespürt habe. Ich war beim Arzt, weil ich Herzschmerzen, Krämpfe hatte. Ich habe Säfte eingenommen, damit sich die Muskeln entspannen. Wenn ich rausgegangen bin, um im Geschäft zu arbeiten, bin ich nur in Begleitung gegangen und nicht mehr so wie früher, um 7 Uhr in der Früh, sondern um 10 Uhr am Vormittag. Ich bin nicht mehr spät in der Dunkelheit nach Hause zurückgekehrt, sondern gegen 16 Uhr in Begleitung. Ich wurde auch telefonisch von verschiedenen Personen unter verschiedenen Nummern bedroht. Durch die Drohanrufe war ich psychisch belastet, gestresst. Ich habe an Schlafstörungen gelitten. Ich habe mich daran erinnert, dass es einige Vorfälle gab, wo man Menschen vorgeworfen hat, dass sie die religiösen Regeln missachtet haben. Diese Menschen wurden von der Masse totgeprügelt. In ganz AFGHANISTAN und in HERAT gab es einige Vorfälle. Männer und Frauen waren davon betroffen. In der Stadt HERAT gab es einen Vorfall bei dem ein Entführer gefasst wurde. Es gab auch im Fernsehen Berichte über ihn. Nach einem Jahr ist er gegen Bezahlung freigekommen. Es gab viele Vorfälle. Gegen Ende hat sich alles zugespitzt. Ich hatte Angst davor, dass man meinen Kindern Schaden zufügen könnte. Wir haben aus Not entschieden, teilweise zu Fuß und mit einem Schlauchboot gefährliche Gewässer zu überqueren. Wir sind auch mit Taxis gefahren. Beim Grenzübertritt wurde auf uns geschossen. Mit dem Schlepper habe ich auch fürchterliche Dinge erleben müssen Ich habe ihn bezahlt, damit meine Familie sicher in einem Schiff wegkommt. Ich wurde mit einer Pistole bedroht. Schlussendlich sind wir mit einem Schlauchboot, überladen, unter gefährlichen Umständen weggekommen. Über die Berge sind wir zu Fuß gegangen. Ich hatte Angst, dass meine Kinder verdursten. Wir waren auf sie angewiesen. Drei Tage und Nächte haben wir in Ungewissheit verbracht. Die Berge dort sind sehr gefährlich. Es sind Menschen gestürzt. Keiner hat versucht zu helfen. Ich habe meine Tochter dann am Rücken "hochgepackt", da ich Angst hatte, sie könnte ausrutschen. Auf der Flucht hat der Schlepper wieder Geld von mir verlangt. Ich war ihm ausgeliefert. Ich musste nachgeben. Jeder Schlepper wollte bezahlt werden. In MAZEDONIEN war es auch nicht einfach. Es hat stark geregnet. In den Wäldern mussten wir zweimal umkehren. Wir wären beinahe ertrunken. In dem Schlauchboot hatte ich von Anfang an, ein schlechtes Gefühl. Wir haben uns gegenseitig angespornt, das Wasser aus dem Schlauchboot zu bekommen.

[...]

Richter: In der Vernehmung vor dem BFA haben Sie angegeben, dass Sie verdächtigt wurden, eine homosexuelle Beziehung zu einem 17- oder 18-jährigen Gehilfen in Ihrem Geschäft gehabt zu haben. Jetzt haben sie angegeben, dass Sie einen kleinen Jungen missbraucht haben. Was stimmt jetzt?

Beschwerdeführer: Ich habe nicht von einem kleinen Jungen heute gesprochen, sondern gesagt, dass man mir unterstellt hätte, ich hätte einen Jungen missbraucht. Das Alter habe ich nicht angegeben. Er war ungefähr so alt. In AFGHANISTAN sagt man generell "Junge". Man kann damit ein Kleinkind aber auch ein älteres Kind oder einen Jugendlichen in dem Alter. Ich glaube das war 18 oder 19 Jahre. Sie haben diese Unterstellung gemacht.

Richter: In der Vernehmung vor dem BFA haben Sie angegeben, dass Sie dieser Junge mit dem Auto herumgeführt hat und ein Gehilfe von Ihnen war. Davon haben Sie heute nichts erwähnt.

Beschwerdeführer: Ich habe Ihnen heute versucht zusammenfassend zu erzählen. Ich habe gemerkt, dass es sehr lange dauert, wenn ich alle Details erwähne. Wir sind oft zusammengefahren. Damals hatte ich einen Bruch an der Hand. Ich habe mir nichts dabei gedacht, mich von ihm fahren zu lassen. Die Leute werden stutzig, wenn ein etwas älterer Mann mit einem jüngeren Mann unterwegs ist. In HERAT ist es üblich, dass man nur mit Angehörigen unterwegs ist. Wenn zwei fremde Männer mit einem Altersunterschied oft zusammengesehen werden, besteht die Gefahr, dass man verdächtigt wird, dass man eine heimliche körperliche Beziehung miteinander führt.

Richter: Sie haben angegeben, dass Ihnen eine Substanz ins Essen gegeben wurde. Haben Sie jemals herausgefunden, welche Substanz das war?

Beschwerdeführer: Nein, auch die Ärzte konnten nicht herausfinden, welche Substanz das war. Wenn man Anfälle bekommt, dann nimmt man in AFGHANISTAN an, dass man von bösen Geistern besessen ist. Das habe ich am Anfang auch gedacht. Ich hatte Angst, den Verstand komplett zu verlieren. Ich bin froh darüber, dass mich das, was mir gegeben wurde, nicht körperlich ruiniert hat und bin froh darüber, dass meinen Kindern nichts zugestoßen ist. Ich wollte einfach von dort wegkommen. Vor allem nach der Unterstellung, ich hätte einen "Jungen" sexuell missbraucht. Das war alles zu viel.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ich hatte anfänglich Kontakt zu ihnen, zu meinem Bruder. Ich wollte, dass er zumindest das verkauft, was mein Anteil ist, damit ich ausreichend Geld für uns habe. Mein Vater hat bedauerlicherweise einen Infarkt erlitten. Mein Vater war dann nicht mehr handlungsfähig. Es wurde alles verkauft, gegen seinen Willen. Ich habe kein Geld erhalten. Ich habe angerufen, da ich auf meinen Anteil bestanden habe. Ich habe nur erfahren, dass der Verkauf stattgefunden hat. Wenn ich angerufen habe, wurde nicht einmal abgehoben. Mit wurde nur erklärt, dass die Behandlungskosten meines Vaters sehr hoch gewesen sind. Er wurde in PA-KISTAN behandelt. Daher sei nichts mehr übriggeblieben. Ich habe alles aufgegeben. Ich habe sie auch so zurückgelassen. Ich habe die Heimat aufgegeben, weil dort alles ungerecht war. Mit Recht kommt man dort nicht weit. Hier haben wir von Vorne angefangen. Ich fühle mich sehr unwohl dabei, so schlecht über meine eigene Familie zu sprechen. Es ist auch beschämend. Aber das ist das, was mir zugestoßen ist.

Richter: Haben Sie in Afghanistan weiter entfernte Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Es haben viele mit mir damals gebrochen. Ich selbst habe auch mit Angehörigen gebrochen. Ich habe wegen Blutsverwandter sehr viel Leid erleben müssen.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich bin dankbar dafür, dass ich hier leben darf. Ich darf zurzeit für die Rettung arbeiten. Seit ca. 3 oder 4 Monaten bekomme ich zweimal in der Woche Deutschunterricht. In ungefähr 20 Tagen habe ich meine Prüfung.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja, in der Gegend in der wir leben, versuche ich jeden anzusprechen, nicht nur Österreicher, auch Afghanen oder Araber. Es gibt aber auch gute Freunde, die ich unterstützte. Befreundet bin ich mit XXXX und XXXX . Ich habe auch weibliche Freunde. Auch Frau XXXX . Ich helfe ihr gelegentlich. Es gibt Veranstaltungen in unserer Gegend. Ich helfe aus. Auch beim Tragen und Austeilen des Essens. Wir sind aktiv in unserer Ortschaft.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Dort wo ich arbeite, bin ich auch Mitglied. Wir treffen uns in der Freizeit, rauchen miteinander, ich spreche von der Rettung. Ich schätze meine Kollegen. Es sind sehr angenehme Menschen.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Weil wir nicht abgeschoben werden wollen. Meine Frau macht sich große Sorgen, ist gestresst. Ich will endlich im Leben ankommen. Ich möchte meine Kosten selbst bezahlen. Das wollen wir beide. Ich glaube, dass diese Perspektivlosigkeit von uns beiden eine stressige Situation für uns verursacht, die wir ungewollt auf unsere Kinder übertragen. Wir wollen endlich in Ruhe leben, sodass wir uns auf das Lernen und Weiterkommen konzentrieren können.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Ich weiß nicht, was uns dort erwarten würde. Ich befürchte aber das Schlimmste. Weil diese Angelegenheit bzw. diese Unterstellungen sich weit verbreitet haben. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich dort keine Lebensgrundlage mehr habe.

[...]

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Die Rechtsvertretung des Zweitbeschwerdeführers legte in der mündlichen Verhandlung Integrationsunterlagen vor, die zum Akt genommen wurden.

Die Verhandlungsschrift betreffend die Erstbeschwerdeführerin lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführerin: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführerin: Ja.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführerin: Ja. Ich habe auch unmittelbar nach meiner Einreise angegeben, dass ich psychisch nicht gesund bin. Diese psychische Erkrankung hat sich in meiner Jugend entwickelt. Ich wollte immer schon eine schulische Ausbildung machen. Zu Zeiten der Taliban konnte ich mich nicht entwickeln. Ich war ungefähr 16/17 Jahre alt, als die Schmerzen im rechten Arm begonnen haben. Als ich ein junges Mädchen war, haben die Taliban allen Frauen verboten eine Ausbildung zu machen, die Schule zu besuchen. Als sich dann alles geändert hat, war ich älter und man sagte, es sei nicht angebracht in dem Alter eine schulische Ausbildung zu machen. Ich habe mich immer minderwertig gefühlt. Es ist schwierig, sich selbst als Analphabetin zu akzeptieren. Es ist nicht nur das, sondern dass man weder als Mädchen noch als Frau in AFGHANISTAN über sich selbst entscheiden darf. Ich hatte Wünsche, die ich mir selbst nicht erfüllen konnte. Mir wurde es nicht erlaubt. Ich habe dann geheiratet, die Kinder bekommen, aber diese Wünsche nicht vergessen. Als ich im IRAN war habe ich den Lernstoff von der ersten und zweiten Klasse mit sehr viel Mühe mir selbst beigebracht. Teilweise habe ich nachts, heimlich gelernt. Ich habe dann Texte geschrieben, meinem Bruder gezeigt, damit er meine Fehler korrigiert. (BF erzählt sehr bewegt und weint) Es sind teilweise auch Tränen, die ich aus Freude nicht zurückhalten kann, wenn ich hier Frauen sehe, die aus AFGHANISTAN sind, ihre Chance ergriffen haben und unabhängig leben. Den Iranerinnen geht es, was die Bildung betrifft auch gut. Es ist immer abhängig, gehalten zu werden.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführerin: Ja, ich habe die Wahrheit angegeben. Ich möchte nur anmerken, dass der Referent sehr ungeduldig mit mir war, und nicht so wie Sie, mir zugehört hat.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführerin: Ich wurde im IRAN Zuhause geboren. Ich weiß nur, dass ich jetzt XXXX Jahre alt bin. Ich weiß nur, dass mein Geburtsdatum nicht genau aufgenommen werden konnte. Ich weiß, dass ich hier XXXX oder XXXX Jahre alt bin.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführerin: Ich spreche und beherrsche FARSI. Das Lesen und Schreiben habe ich mir selbst beigebracht. Ich hatte hier große psychische Probleme. Ich komme ohne ärztliche Anweisungen und Medikamente nicht zurecht. Ich muss täglich meine Medikamente einnehmen. Dennoch habe ich etwas Deutsch gelernt.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführerin: Ich bin verheiratet, schiitische Muslima und bin Tadschikin.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführerin: Ja, drei.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan/Iran aufgehalten haben.

Beschwerdeführerin: Ich war ungefähr 8 oder 9 Jahre alt als meine Familie nach AFGHANISTAN zurückgekehrt ist. Dann sind die Taliban gekommen. Als sie abgezogen sind, war ich ungefähr 17 Jahre alt. Ich wollte dennoch in diesem Alter die Schule besuchen. Aber der gesellschaftliche Druck auf meine Familie war groß. Sie konnten mich nicht unterstützen. Als XXXX die Macht übernommen hat, habe ich geheiratet. So wie es in AFGHANISTAN üblich ist, habe ich meinen Ehmann vor der Ehe nicht kennengelernt. Wir haben uns auf einer Veranstaltung, genauer auf einer Hochzeit, kurz gesehen. Es wurde dann offiziell um meine Hand angehalten. In AFGHANISTAN war es mir untersagt, selbst über mich zu entscheiden. Nach der Heirat wurde mir bewusst, dass meine Schwiegerfamilie mich eigentlich gar nicht wollte. Meine Schwiegermutter hat mich gequält. Es waren nicht nur Kleinigkeiten. Sie hat mich bloßgestellt. Ich habe auch mitgehört, wie zu meinem Mann gesagt wurde, ich sei es als Frau nicht wert, er möge mich verlassen. Er soll wieder heiraten. Sie haben auch Lügen erfunden um meinen Mann gegen mich aufzuhetzen. Es war zuhause ständige Unruhe. Es hat sich alles so entwickelt, dass ich lebensmüde wurde. Ich wollte all dem ein Ende setzen und habe alle meine Medikamente auf einmal geschluckt. Meine Schwiegermutter hat andere beeinflusst, damit sie bezeugen, ich hätte eine Affäre mit einem anderen Mann. Es hätte mich sogar jemand besucht, der in einem weißen TOYOTA COROLLA vorgefahren ist. Ich hatte nie in AFGHANISTAN die Erlaubnis etwas selbst zu tun, oder selbst zu entscheiden. Ich bin auch nie alleine wo anders hingegangen. Ich habe einmal in der Woche meine Mutter besucht. Mein Ehemann hat mich hingefahren und wieder zurückgebracht, oder mein Bruder. Es war mir auch nicht erlaubt, dort alleine durch die Gegend zu fahren. Hier stehe ich oft da und es kommen mir die Tränen, wenn ich alleine unterwegs bin. Ich genieße es jedes Mal und bin dankbar dafür, dass ich mich mit meinen Freunden einfach so alleine treffen darf. Ich kann mit meinen Kindern hinausgehen, wenn es mir recht ist. Ich habe jetzt die innere Ruhe hier gefunden. Diese Angst, dafür bestraft zu werden, dass man eine kleine Entscheidung, wie hinauszugehen, getroffen hat, musste ich erst realisieren. Ich habe eine sehr gute österreichische Freundin, namens XXXX . Mit ihr treffe ich mich im Park und tausche mich aus. Wir gehen auch zusammen einkaufen und beraten uns gegenseitig. Wir besuchen uns auch gegenseitig zuhause. Sie ist auch meine Nachbarin.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführerin: Meine Mutter lebt in AFGHANISTAN. Mein Vater ist vor ca. 4 Monaten verstorben. Drei Brüder leben in AFGHANISTAN. Ein Bruder wurde im Alter von 42/43 Jahren wegen einer Feindschaft getötet. Wegen dieser Feindschaft ist er in den IRAN geflüchtet. Als er in die Heimat zurückgekommen ist, hat er sein Leben verloren. Eine Schwester lebt im IRAN. Zwei Schwestern leben in AFGHANISTAN.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführerin: Ich habe gelegentlich Kontakt zu meinen Geschwistern, auch zu meiner Schwester die im IRAN lebt. Ich erkundige mich nach ihrem Wohlergehen.

Richter: Haben Sie in Afghanistan andere Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen wie Freunde und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführerin: Ich habe nur Kontakt zu meiner eigenen Familie. Zu anderen Verwandten habe ich keinen Kontakt. Ich kenne die meisten Verwandten nicht. Ich habe keine Schule besucht und habe daher auch keine Schulfreunde. Hier habe ich einige österreichische Freunde gefunden.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführerin: Ich besuche zurzeit dreimal in der Woche einen Deutschkurs. Ich versuche viele der Dinge selbst zu schaffen, zu erlernen. In meiner Freizeit gehe ich mit meinen Kindern und meinem Ehemann einkaufen. Wir schauen uns aber auch die Gegend an. Darüber hinaus schaue ich darauf, dass meine Kinder alles richtig lernen und es ernst nehmen. Zu meinen ärztlichen Terminen gehe ich selbst. So sieht es zurzeit aus. Einmal in der Woche helfe ich einer älteren, österreichischen Dame beim Einkauf. Ich putze ihr auch die Wohnung. Diese Dame heißt XXXX . Sie hat auch ein Empfehlungsschreiben geschrieben. Sie geht sehr liebevoll mit uns um. Wir mögen sie sehr gerne.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführerin: Nein, in einem Verein bin ich nicht. Aber unser Deutschkurs veranstaltet jeden Freitag Sportunterricht. Einige Male konnte ich teilnehmen.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführerin: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführerin: Wegen meiner Schwiegerfamilie mussten wir flüchten. Sie wollten mich als Teil der Familie nicht haben. Ich war müde von all den Attacken. Sie wollten weder mich noch meine Kinder. Ich wollte nicht mehr gequält werden. Ich wollte nicht, dass man uns Schaden zufügt. Deswegen habe ich zu meinem Mann gesagt, lass uns weit weg gehen. Sie haben mir mein Leben dermaßen erschwert, dass ich bereits dort ohne ärztliche Therapie und Medikamente nicht mehr ausgekommen bin. Ich habe an Schlaflosigkeit gelitten und hatte auch Verfolgungsängste. Aus Angst habe ich mich am helllichten Tag zuhause eingesperrt. Ich hatte Angst davor, dass meine Schwiegermutter auf mich losgeht, mich angreift. Ich habe niemanden geschadet. Ich hatte bereits damals das Gefühl, das ich im Leben gescheitert bin. Eigentlich wollte ich nie so früh heiraten. Ich wurde von Veranstaltungen, Einladungen ferngehalten, nicht eingeladen. Ich habe all das nicht mehr ertragen. Deswegen war ich froh darüber, als wir entschieden haben, von dort wegzugehen. Nachdem ich meine Kinder bekommen habe, hatte ich auch Angst davor, dass meinen Kindern in Zukunft etwas zustoßen könnte. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Töchter eine Ausbildung machen. Sie sollen über sich selbst bestimmen, die Freiheit haben unabhängig über sich selbst bestimmen. Ich möchte, dass sie sich selbst entscheiden zu heiraten dann, wenn sie es für richtig halten.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführerin: Mein Schwiegervater hat mich mehrere Mal geohrfeigt. Das war damals, als meine Schwiegermutter die Geschichte mit dem Auto und der Affäre erfunden hat. Ich wurde mehrere Mal verbal bedroht. Damals habe ich auch einen Selbstmordversuch unternommen. Die Ärzte wissen hier, dass meine rechte Körperhälfte anfängt zu schmerzen, wenn ich psychisch belastet bin. Ich bekomme auch stechende Schmerzen in der rechten Brust. Ich kann dann auch keinen Gegenstand in meinen Händen halten. Es ist so, als würde ich neben mir stehen. Ich habe dann so ein Kältegefühl in meinen Armen und Beinen. Ich schwitze dann verstärkt.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführerin: Der Onkel mütterlicherseits meines Ehemannes ist ein sehr schlechter Mann. Er hat meinen Ehemann bedroht. Mein Ehemann hätte seine Tochter heiraten sollen, was er nicht gemacht hat. Das hat meine Schwiegermutter mir übelgenommen. Wegen seiner Entscheidung haben sie mich gequält. Obwohl sie wissen sollten, dass ich in AFGHANISTAN, so wie die anderen Frauen auch, nicht selbst über mich entschieden habe.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführerin: Wir sind zuerst in den IRAN gekommen. Unsere Reise ging aus dem IRAN, weiter in die TÜRKEI. Wir haben verschiedene Schlepper bezahlt. Sie haben uns sehr viel Geld abgenommen. Die Flucht war sehr gefährlich. Die Überfahrt zum Festland war sehr gefährlich. Mein Mann hat immer an uns gedacht, mich sogar aus dem Wasser gezogen. Wir haben gefroren. Die Kinder waren durstig. Jedes Mal habe ich mir gedacht, wir schaffen es nicht. Es ist auch vorgekommen, dass Polizisten auf uns geschossen haben. Ich hatte fürchterliche Angst. Als die Beamten gebrüllt haben: "auf den Boden legen." Habe ich nach meinem Kind gegriffen, bin dabei ausgerutscht. Ich hatte starke Schmerzen. Es war sehr kalt. Ich hatte meine Kinder in Plastiksäcken eingewickelt. Ich hatte Angst, dass sie krank werden. Dann haben wir es geschafft ein Lagerfeuer zu machen. Meine Kinder waren durstig, sie haben die ganze Nacht geweint. Ich weiß, dass es Mittag war, als ich ihnen einen Schluck Wasser geben konnte. Auch in MAZEDONIEN haben wir einiges in den Wäldern erlebt. Wir mussten dann zurückmarschieren. Die Nächte waren kalt, windig und regnerisch. Beim Gehen bin ich einige Male in den Pfützen ausgerutscht. Ich bin froh darüber, dass wir in ÖSTERREICH bleiben konnten, obwohl man uns gesagt hat, wir seien in DEUTSCHLAND. Am Anfang war ich durcheinander. Wir haben einen Asylantrag gestellt, mir wurden Fingerabdrücke abgenommen. Das musste alles gemacht werden.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführerin: Wir hatten unsere Ersparnisse, d.h. mein Mann hatte das Geld. Mein Mann hat unser Geld bei dem Schwager, dem Ehemann meiner Schwester, im IRAN gelassen. So wurden die Schlepper bezahlt.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführerin: Wir haben in einer Pension gelebt. Wir haben dann mitbekommen, wie eine Familie zurückgeschoben wurde. Ich möchte nicht, dass uns das wiederfährt. Ich habe große Angst. Ich gebe es ehrlich zu. Ich hatte wieder Selbstmordgedanken, weil ich diesen Zustand nicht ertragen kann. Wenn ich nachts einen Laut gehört habe, bin ich in Panik geraten. Ich hatte Angst davor, dass man uns wegbringen würde. Es ist auch vorgekommen, dass ich in der Nacht einfach aufgestanden bin, mich vor die Türe gesetzt habe um zu realisieren, dass sonst niemand da ist. Ich war sehr dankbar dafür, dass wir die Wohnung bekommen haben, da es für mich auch ein Stück Freiheit bedeutet, mein Leben ruhig mitbestimmen zu können. Ich war beim Arzt. Der Arzt hat mir geraten, mich einweisen zulassen. Ich habe mich dagegen entschieden. Jedes Mal, wenn es mir schlecht geht, leiden meine Töchter darunter. Ich habe auch mehrere Anfälle bekommen, als ich Polizisten in der Ferne gesehen habe. Psychisch geht es mir teilweise sehr schlecht. Ich habe auch körperliche Beschwerden. Mir wurde auch eine Therapie in Form von Massagen verschrieben. Der Arzt hat mir erklärt, dass all diese Beschwerden von dem Stress, den ich mir selbst bereite, verursacht werden. Es ist schwierig, in einer perspektivlosen Situation in der wir uns jetzt befinden, zurechtzukommen. Mein Sohn leidet still. Ich kann es nicht verheimlichen, dass ich auf Medikamente angewiesen bin. Die Schlaftabletten haben die Nebenwirkung, dass man benommen ist und auch Dinge verlangsamt wahrnimmt. Zuhause verdunkle ich alles, das verschafft mir etwas Ruhe. Der Arzt hat gemeint, dass ich an starken Depressionen leide. Es gibt oft diese Situation, in der ich mir denke, wenn ich mir das Leben nehme, wie würde es meinen Kindern ergehen. Wären sie besser ohne mir dran. Ich möchte nicht, dass meine Kinder so sind, wie ich es bin. Es gibt immer bestimmte Phasen im Leben, in denen man bestimmte Sachen erreichen kann. Mir wurde viele weggenommen. Ich möchte das, was geht nachholen und meine Kinder sollen es besser haben. Ich versuche, wegen der Kinder mich selbst nicht aufzugeben, deswegen besuche ich den Deutschkurs in der Hoffnung auch eine Ausbildung machen zu können. Ich möchte, wie die Frauen die ich hier kennengelernt habe, auf meinen eigenen Beinen stehen. Ich möchte arbeiten, mich selbst finanzieren, etwas erlernen. Wir leben seit ca. 4 Jahren hier. Seit ca. 6 Monaten besuche ich diesen Deutschkurs. Davor gab es diese Möglichkeit nicht. Ich umgebe mich mit diesen eigenständigen Frauen, um mich ständig daran zu erinnern, dass ich auch eines Tages unabhängig sein werde.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführerin: Ich habe große Angst, vor einer Rückkehr. Ich habe vor allem Angst um meine Töchter. (Beschwerdeführerin ist sehr ergriffen und weint) Ich könnte es nicht ertragen, die Hilflosigkeit meiner Kinder zu ertragen. Ich würde es vorziehen, zu sterben, als das mitzuerleben. Die Medikamente, die ich hier erhalte, bekomme ich dort nicht. In AFGHANISTAN war ich eingesperrt. Ich bin nicht bereit meine Freiheit hier aufzugeben. In AFGHANISTAN kann ich mich nicht so kleiden, wie ich es jetzt tue. Mein Kopf muss immer bedeckt sein. Es wäre ein Alptraum dorthin zurückkehren zu müssen. Insbesondere würden meine Töchter in AFGHANISTAN leiden.

[...]

Festgehalten wird, dass die Beschwerdeführerin im Zuge der heutigen Einvernahme immer wieder weint. Festgehalten wird auch, dass sich die Beschwerdeführerin westlich kleidet (Pullover, Hose, Schal, hochgesteckte Haare) und stark geschminkt ist.

Der Beschwerdeführerin bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführerin: Ja."

Die Rechtsvertretung der Erstbeschwerdeführerin legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung ärztliche Befunde betreffend die Erstbeschwerdeführerin und Integrationsunterlagen vor.

Weiter erstattete die Rechtsvertretung der Erstbeschwerdeführerin eine mündliche Stellungnahme zu den Fluchtgründen der Erstbeschwerdeführerin. Insbesondere brachte die Rechtsvertretung vor, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau handle, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen - und Gesellschaftsbild orientiert sei. Der Erstbeschwerdeführerin drohe daher Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und die Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zu den Personen der Beschwerdeführer und ihrem Leben in Afghanistan

Die Beschwerdeführer tragen den im Spruch angeführten Namen und sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Sie gehören der Volk

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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