Entscheidungsdatum
30.01.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W146 2130987-3/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2019, 1083933605/180849612 EAST Ost, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
Erstes Verfahren
Die Beschwerdeführerin stellte am 24.08.2015 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab sie an, dass sie den Iran wegen familiärer Probleme verlassen habe. Ihre Großmutter und ihr Onkel väterlicherseits hätten sie mit ihrem Cousin väterlicherseits, welcher viel älter als sie gewesen sei, zwangsverheiraten wollen.
Bei ihrer Einvernahme am 23.03.2017 führte die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen aus, dass der Großvater beschlossen habe, dass sie ihren älteren Cousin heiraten solle.
Bei der Einvernahme am 03.10.2017 führte die Beschwerdeführerin aus, dass der Onkel und die beiden Cousins gewollt hätten, dass sie ihren älteren Cousin heirate, da sie sich geweigert habe, hätten sie gemeint, sie würden die Beschwerdeführerin umbringen.
Mit Bescheid vom 23.11.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig ist (Spruchpunkt V.). Das BFA sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Identität der Beschwerdeführerin feststehe. Sie sei Staatsangehörige des Iran und legal in das Bundesgebiet eingereist.
Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland Iran eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung zu gewärtigen habe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführerin eine Zwangsverheiratung durch ihre weiteren Familienangehörigen drohe. Diese Angaben seien unglaubwürdig.
Die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung gesund. Sie sei der Landessprache mächtig und mit der Landeskultur vertraut. Die Beschwerdeführerin verfüge über zumindest neun Jahre schulische Ausbildung. Ihre Mutter lebe nach wie vor im Iran, wie auch weitere Familienangehörige. Festgestellt werde, dass im Entscheidungszeitpunkt die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeute oder für die Beschwerdeführern als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.
Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde erhoben.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.06.2018, L508 2130987-2, wurde die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen.
Beschwerdegegenständliches Zweitverfahren
Die Beschwerdeführerin stellte am 07.09.2018 den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung gab sie an, dass sie lesbisch sei und deshalb nicht in den Iran zurückkehren könne. Durch einen Familienangehörigen habe sie erfahren, dass die Familie ihres Vaters von ihrer sexuellen Orientierung erfahren habe. Sie könne deshalb nicht mehr in den Iran zurückkehren - sie wisse nicht, wer schon aller davon wisse oder ob die Behörden informiert seien.
Bei der Einvernahme am 19.10.2018 führte sie zusammengefasst aus, dass auch ihre Mutter, ihr Bruder und die Familie ihrer Tante mütterlicherseits in Österreich aufhältig seien. Ihr Vater sei verstorben, aber seine Familie lebe noch im Iran.
Sie habe hier eine Partnerin aus dem Iran namens XXXX , aber sie würden noch nicht miteinander wohnen. Die Beschwerdeführer kenne sie seit weniger als einem Jahr, sie seien noch nicht intim geworden. Die Beschwerdeführerin sei seit September 2018 fixes Mitglied des Vereins ‚Queer Base'. Sie sei auch bei einem Verein der homosexuellen Iraner in Wien, für den sie auch Übersetzungen in Farsi mache.
Sie habe Probleme mit der Familie ihres Vaters, weil sie lesbisch sei. In Österreich würde die Cousine und ihr Bruder, im Iran die Familie ihres Vaters davon wissen.
Die Beschwerdeführerin habe auf Instagram gepostet, dass sie eine Lesbe sei. Durch eine Freundin Im Iran habe die Familie des Vaters davon erfahren. Sie habe bei ihrer ersten Asylantragstellung dies nicht sagen können, weil sie damals unter 18 Jahre gewesen und ihre Tante mütterlicherseits als Obsorgeberechtigte bei den Einvernahmen anwesend gewesen sei. Ihre Familie sei eine Familie, die solche Sachen nicht akzeptiere. Bis heute wissen weder die Tante noch die Mutter in Österreich von ihrer Neigung.
Auch ihre alten Gründe seien noch aufrecht. Die Familie des Vaters hätte sie mit ihrem Cousin verheiraten wollen. Sie sei deshalb mit dem Tod bedroht und einmal auch geschlagen worden. Sie habe diese Heirat nicht gewollt und deshalb den Iran verlassen.
Im ersten Verfahren habe der Vertreter die Frist für die Beschwerde versäumt. Diese sei gemeinsam mit der ihres Bruders verfasst, aber leider zu spät eingereicht worden, weil der Vertreter übersehen habe, dass sie unterschiedliche Fristen gehabt hätten.
Unter anderem legte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung von Queer Base vor, wonach sie sich in die LGBTI Community gut integriert und sich auch bezüglich ihrer lesbischen Neigung mittlerweile geoutet habe.
Am 14.12.2018 wurde die als Lebensgefährtin der Beschwerdeführerin genannte Person vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Zeugin einvernommen. Dabei gab diese an, dass ihre Beziehung mehr als eine Freundschaft sei. Sie würden sich so benehmen als seien sie zusammen. Sie würde die Beschwerdeführerin im Asylheim nicht besuchen, weil sie keine guten Erinnerungen an solche Heime habe. Sie wisse, dass ihr Bruder und ihre Mutter und auch andere Verwandte hier in Österreich seien. Die Fluchtgründe der Beschwerdeführerin kenne sie nicht, da die Beschwerdeführerin darüber nicht viel rede, weil ihr das schwer falle; aber sie habe Probleme mit der Familie ihres Vaters. Die Beschwerdeführerin gehe zu einem Lesbenverein, sie erzähle ihr davon. Die Zeugin sei aber noch nicht dort gewesen. Aber sie wisse, wo das sei.
Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag hinsichtlich des Status der Asylberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides). Hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde der Antrag ebenfalls wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Das BFA sprach zudem aus, dass gemäß § 55 Abs 1a keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI).
Begründend wurde dazu ausgeführt, dass das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren, was die ehemaligen Fluchtgründe für die Antragstellung betreffe, bereits im Erstverfahren überprüft und als unglaubwürdig eingestuft worden sei.
Die Beschwerdeführerin habe zwar nun einen neuen Fluchtgrund vorgebracht, welcher nach Ansicht des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als nicht glaubhaft erachtet werde.
Bereits im Vorverfahren sei das Vorbringen einer hinreichenden Prüfung unterzogen und als unglaubwürdig erachtet worden. Die widersprüchlichen Angaben der Beschwerdeführerin in den Einvernahmen würden ihre Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihr neuerliches Vorbringen erschüttern.
Es werde festgestellt, dass sich die behauptete Beziehung der Beschwerdeführerin zu einer weiblichen Person als reine Behauptung herausstelle.
Die Behörde komme zum Schluss, dass die Angaben der Beschwerdeführerin bezüglich ihrer sexuellen Orientierung unglaubhaft seien. Sie habe dies weder plausibel noch glaubhaft für die Zeit im Iran, noch für die Zeit ihres Aufenthaltes in Österreich glaubhaft machen können. Die angebliche Beziehung zu Frau XXXX erscheine sowohl aus den Angaben der Beschwerdeführerin als auch aus denen der Zeugin als völlig unglaubhaft.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und beantragte dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die belangte Behörde die in der Stellungnahme vom 09.11.2018 genannten Beweismittel nicht gewürdigt habe. Insbesondere sei ein Schreiben vom Verein Queer Base, Welcome and Support for LGBTI Refugees, vom 08.10.2018 vorgelegt worden, aus welchem hervorgehe, dass die Beschwerdeführerin gut in die Wiener LGBT Szene integriert sei. Auch werde der Prozess des Coming Outs und die derzeitige Verortung der Beschwerdeführerin in ihrem Prozess dargelegt und wären diese Inhalte des Schreibens relevant in Bezug auf die Beurteilung der Frage, ob der sexuellen Orientierung der Beschwerdeführer ein glaubhafter Kern zukomme, relevant gewesen.
Darüber hinaus seien auch zwei Screenshots aus dem Instagram Profil der Beschwerdeführerin vorgelegt worden, eines zeige ein Posting der Beschwerdeführerin vom 25.10.2018, nämlich zwei sich nahestehende Frauen, darunter sei ein kurzer Text zum Thema "gleiche Rechte für lesbische Paare" gestanden, welcher leider nicht auf dem Foto zu sehen sei, dass andere zeige weitere Postings der Beschwerdeführerin zum Thema LGBT Rechte. Es sei auf den Fotos auch erkennbar, wie viele Personen die jeweiligen Posts gesehen hätten. Diese beiden Fotos seien in der Beweiswürdigung völlig übergangen worden und seien unerwähnt geblieben, obwohl sie als entscheidungswesentlich zu beurteilen gewesen wären, da sie geeignet seien, das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich des Bekanntwerdens ihrer sexuellen Orientierung im Iran zu stützen.
Das Bundesamt vermeine, die Beschwerdeführerin habe ihre Minderjährigkeit als Hindernis für das Vorbringen ihrer Homosexualität im ersten Asylverfahren ins Treffen geführt, aber auch nun, dass sie bereits volljährig sei, habe sie sich vor ihre Tante und ihrer Mutter nicht geoutet (Bescheid S. 71). Dazu sei zu bemerken, dass die Beschwerdeführerin erklärt habe, aufgrund ihrer Minderjährigkeit im ersten Asylverfahren nicht ohne Anwesenheit ihrer Tante befragt worden zu sein. Sie habe sich damals und heute - aus Angst - nicht vor ihrer Tante outen wollen. Der Unterschied zum ersten Asylverfahren liege jedoch darin, dass sie nun volljährig sei und deswegen ohne ihrer Tante vom Bundesamt einvernommen werden könne. Deswegen sei es der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Volljährigkeit nunmehr möglich, ein Vorbringen bezüglich ihrer sexuellen Orientierung zu erstatten.
Die Bedeutung der Farben der Regenbogenfahne nicht zu kennen, sei entgegen der Ansicht des Bundesamts keinerlei Indiz für Heterosexualität, sondern würden viele LGBTI Personen, selbst nach einer Sozialisierung in Europa und einem viele Jahre zurückliegenden Outing, die esoterische Bedeutung der Fahnen nicht kennen.
Das Bundesamt unterstelle der Zeugin XXXX eine strafrechtlich relevante, absichtlich falsche Zeugenaussage. Da die Zeugin und die Beschwerdeführerin keine sexuelle Beziehung hätten und nicht im gemeinsamen Haushalt leben würden, könne "von einer Liebesbeziehung absolut keine Rede sein", es könne nicht einmal eine "intensive Mädchenfreundschaft" erkannt werden (Bescheid Seite 74). Begründend führe das Bundesamt an, dass es trotz einjähriger Bekanntschaft noch zu "keinerlei intimen Kontakten" gekommen sei. Dieser Vorhalt sei aktenwidrig, da die Zeugin angegeben habe, mit der Beschwerdeführerin Händchen zu halten und sich zu küssen. Im Grunde handle es sich um zwei Teenager, die eine altersgemäße Beziehung hätten, Erfahrungen sammeln würden und es "langsam angehen" möchten. Die Zeugin habe diesbezüglich sogar offen dargelegt, dass sie es bereue, in der Vergangenheit zu schnell zu intim geworden zu sein, weswegen sie es in dieser Beziehung gerne langsam angehen möchte.
Das Bundesamt halte der Zeugin vor, sie hätte das Geburtsdatum der Beschwerdeführerin nicht gewusst, obwohl sie bereits ein Jahr zusammen seien. Tatsächlich sei die Beschwerdeführerin nicht am XXXX , sondern am XXXX geboren und feiere sie ihren Geburtstag auch immer an diesem Tag. Bei der Eintragung des Geburtsdatums in das iranische Personenstandsregister werde häufig der " XXXX " eingetragen und entspreche der XXXX . dem XXXX nach persischem Kalender. Es handle sich um einen Fehler in den iranischen Dokumenten, der von den Eltern der Beschwerdeführerin nicht korrigiert worden sei. Das sie offiziell am XXXX geboren sei und ihre iranischen Dokumente auf dieses Geburtsdatum lauten würden, sei sie auch im Asylverfahren so registriert, allerdings sei sie in Wirklichkeit am XXXX geboren und feiere auch seit Kleinkindalter ihren Geburtstag an diesem Tag.
Das Bundesamt halte es auch für erstaunlich, dass die Zeugin wenig über das frühere Leben und die Fluchtgründe der Beschwerdeführerin wisse und keine Ahnung habe, dass die Beschwerdeführerin eine freiwillige Rückkehr überlegt habe.
Diesbezüglich habe die Zeugin sehr umfangreich und nachvollziehbar dargelegt, dass die Beschwerdeführerin ihr gegenüber eher verschlossen sei, wenig von sich preisgebe und sich erst langsam öffne. Die Zeugin habe das Gefühl, die Beschwerdeführerin schäme sich oder erzähle aus Angst nicht alles, sie möchte sie auch nicht drängen, sondern warte, bis ihre Freundin sich von selbst öffne. Dies sei gut nachvollziehbar und entspreche der Lebenserfahrung, wonach Personen, die traumatisierende oder lebensbedrohliche Dinge erlebt hätten, erst nach langer Zeit genug Vertrauen in Personen gefasst hätten, um alles zu erzählen. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, dass es ihr zu dem Zeitpunkt, als sie die freiwillige Rückkehr unterschrieben habe, psychisch sehr schlecht gegangen sei und sie habe ihre Unterschrift auch sehr schnell widerrufen. Auch ihre engsten Freunde und Freundinnen hätten nichts von ihrer Aktion gewusst und habe die Beschwerdeführerin es auch vor ihrer Freundin geheim gehalten.
Das Bundesamt vermeine weiter, die Angaben der Zeugin stünden im Widerspruch zu den Angaben der Beschwerdeführerin, einen "von einer Iranerin geführten Lesbenverein, der in einer Privatwohnung sei", zu besuchen. Tatsächlich habe die Zeugin nicht angegeben, dass der Verein von einer Iranerin geführt werde, sondern dass sie nicht wisse, von wem der Verein geführt werde, dass aber eine Iranerin dort tätig sei (Bescheid Seite 22). Der Verein sei in der Nähe der XXXX und es sei kein Lokal, sondern "eine Art Wohnung mit verschiedenen Zimmern". Dies sei richtig, denn die XXXX sei in erster Linie ein Wohnverein mit einigen Wohnungen für LGBTI Personen, im Erdgeschoss seien zwei Vereine, darunter die Queer Base, angesiedelt. Die Iranerin sei XXXX , eine seit Jahren in Österreich aufhältige Transfrau aus dem Iran, die dort ehrenamtlich tätig und auch als Vertrauenspersonen bei der Einvernahme der Beschwerdeführerin am XXXX anwesend gewesen sei.
Abschließend halte das Bundesamt der Beschwerdeführer noch vor, dass ihre behauptete sexuelle Orientierung schon im Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens vorgelegen sei und sie diese daher hätte vorbringen müssen. Dabei würdige das Bundesamt in keinster Weise das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach diese als Minderjährige immer in Anwesenheit ihrer Tante befragt worden sei, vor der sie sich nicht outen wollte. Bei der Erstbefragung sei zwar die Tante nicht anwesend gewesen, aber ein Vertreter und ein männlicher Beamter, vor dem sie sich ebenfalls nicht outen wollte, da sie auch nicht gewusst habe, welche Informationen der Vertreter an die Obsorgeberechtigte weitergeben würde. Außerdem sei davon auszugehen gewesen, dass das Protokoll der Erstbefragung von der Obsorgeberechtigten gelesen werde.
Dazu wurden Fotos von der Beschwerdeführerin und ihrer Freundin XXXX sowie die Screenshots von Instagram vorgelegt.
Insgesamt wäre das Vorbringen der Beschwerdeführerin in Zusammenschau mit den vorgelegten Beweismitteln und der Zeugeneinvernahme dahingehend zu beurteilen gewesen, dass diesem zumindest ein glaubhafter Kern innewohne und hätte das Verfahren zur inhaltlichen Prüfung zugelassen werden müssen.
"Entschiedene Sache" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liege vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert habe und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit den früheren decke. Der Begriff Identität der Sache müsse in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden. Dies bedeute, dass dem behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen müsse.
Dies sei gegenständlich der Fall. Die Beschwerdeführerin habe ihre sexuelle Orientierung im ersten Verfahren aus nachvollziehbaren Gründen (kein Outing vor der in den Einvernahmen anwesenden Tante aufgrund ihrer Minderjährigkeit) nicht angegeben. Deswegen stelle es einen wesentlichen, neuen Sachverhalt dar, der auch in Anbetracht der Länderberichte über die Gruppenverfolgung von Homosexuellen im Iran (drohende Todesstrafe oder Auspeitschung) zu einer anderen rechtlichen Beurteilung geführt hätte.
Darüber hinaus werde noch dargelegt, warum ein Coming-out auch für sich genommen einen neuen Sachverhalt darstelle:
Der Coming-out Prozess sei kein linearer Prozess. Homosexuelle, die aus zutiefst homophoben Gesellschaften stammen würden, müssten sich erst von gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Normen und Zwängen, die selbstredend auch die Beschwerdeführerin geprägt hätten, befreien. Die Beschwerdeführerin stamme aus einem Kulturkreis, in dem gleichgeschlechtliche Sexualität verpönt sei, als Schande empfunden werde und zu massiven Repressionen inklusive physischer Gewalt, Auspeitschung bis hin zum Tod führe. Die Situation der Beschwerdeführerin sei bisher durch eine komplexe psychosoziale Problemstellung gekennzeichnet - die Bewältigung von sexuellem Stigma in Kombination mit Migration/Flucht. Begleitet werde ein Coming-out Prozess von Ängsten in Bezug auf die Verurteilung durch andere, auf fehlende Unterstützung durch andere, auf Isolation und auf existenzielle Bedrohung; eigene negative Bewertungen (Selbst-Stigma) in Bezug auf Homosexualität und sowie Scham- und Schuldgefühle in Bezug auf Sexualität allgemein. Gleichzeitig handle es sich bei Sexualität, Liebe und Partnerschaft um sehr zentrale und intime menschliche Bedürfnisse.
Eine erkannte gleichgeschlechtliche sexuelle Anziehung mache es notwendig, dies auf irgendeine Art zu integrieren mit den eigentlichen Sexualleben, mit Vorstellungen von Partnerschaft, mit den verschiedenen Aspekten von Identität, mit allen Anforderungen von außen und an sich selbst, vor dem Hintergrund von individuellen, familiären, ethnisch-kulturellen, religiösen und situationsbezogenen Faktoren. Das Coming-out geschehe in einem Prozess, im Alltag aber auch in Beratung- und Therapiesituationen über Sammeln von Informationen, Experimentieren, Riskieren, Annehmen, Verwerfen, ... Ein persönlicher Kontakt zu anderen homosexuellen Personen sei wahrscheinlich der potenteste Faktor zur Reduktion von internalisiertem Stigma bei sich selbst und bei Mitmenschen und die dadurch resultierende Schaffung sozialer Identität unterstütze zudem den Coming-out Prozess.
Im Herkunftsland Iran bestünde massive existenzielle Bedrohung durch institutionelles (Recht, Religion und Medizin) Stigma alle Lebensbereiche betreffend. Ein bisher bewusstes und unbewusstes Unterdrücken, Verheimlichen und Verbergen gleichgeschlechtlicher Gedanken und Handlungen, müsse unter diesen Bedingungen auch als überlebenswichtige Strategie interpretiert werden und sei im Sinne der Wahrung der persönlichen Sicherheit zu verstehen. Hier habe die Beschwerdeführerin abzuwägen zwischen der Unterstützung im Umfeld und dem Risiko ausgeführten Stigmas gegen sich selbst.
Dass das Coming-out eine wesentliche Sachverhaltsänderung darstelle, entspreche der ständigen Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts in Entscheidungen über Zurückweisungen wegen entschiedener Sache:
W202 1423253-4/10 E vom 06.09.2017
L516 2141814-2/2E vom 01.03.2018
L516 2209561-1/4E vom 22.11.2018
Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin lesbisch, ihre sexuelle Orientierung ihrer Familie im Iran bekannt sei und ihr im Falle ihres offenen und freien Auslebens ihrer sexuellen Orientierung im Iran eine staatliche und gesellschaftliche Verfolgung und somit jedenfalls eine Verletzung ihrer Rechte, insbesondere Art. 3 EMRK, drohe.
Mit Beschluss vom 28.02.2019, W146 2130987-3, wurde der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Das Bundesverwaltungsgericht stellt den Verfahrensgang fest, wie er unter Punkt I. wiedergegeben ist.
Insbesondere stellt das Bundesverwaltungsgericht dazu fest, dass der in der Sache erledigte - erste - Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin damit begründet wurde, dass die Verwandten väterlicherseits die Beschwerdeführerin gegen ihren Willen mit ihrem älteren Cousin verheiraten haben wollen.
Das neue Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie lesbisch sei, die Familie ihres Vaters im Iran davon erfahren habe und sie deshalb Verfolgung befürchte, stützt sich nunmehr zu einem erheblichen Teil auf ein Vorbringen von Verfolgungshandlungen, welche sich nach Abschluss des ersten Verfahrens ereignet hätten.
Die wesentlichen Feststellungen zum Iran lauten:
Sexuelle Minderheiten
Verboten ist in Iran jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen, unabhängig von der Religionsangehörigkeit (ÖB Teheran 12.2018, vgl. FH 4.2.2019). Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als "Verbrechen gegen Gott" gelten, stehen offiziell Auspeitschung und kann mit der Todesstrafe (dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden) bestraft werden (ÖB Teheran 12.2018, vgl. HRW 17.1.2019). Im Falle von "Lavat" (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe. Auf "Mosahegheh" ("Lesbianismus") stehen 100 Peitschenhiebe. Nach vier Wiederholungen kann aber auch hier die Todesstrafe verhängt werden. Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als die für Frauen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. US DOS 13.3.2019). Gleichfalls ist Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nicht verboten. Die Todesstrafe wird vor allem bei homosexuellen Vergewaltigungen verhängt. Im Falle von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen werden zumeist Freiheitssowie Körperstrafen verhängt. Da Homosexualität offiziell als Krankheit gilt, werden Homosexuelle vom Militärdienst befreit und können keine Beamtenfunktionen ausüben. Es ist davon auszugehen, dass Verurteilungen im Falle von Homosexualität auf andere Straftatbestände lauten, weshalb es kaum Daten zu Menschenrechtsverletzungen in diesem Bereich gibt. Geständnisse können durch Folter erzwungen worden sein (ÖB Teheran 12.2018).
Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches "Coming out" grundsätzlich nicht möglich (AA 12.1.2019). Auch werden Missbräuche durch die Gesellschaft oft nicht angezeigt, was Mitglieder von sexuellen Minderheiten noch anfälliger für Menschenrechtsverletzungen macht (ÖB Teheran 12.2018).
Lesbische Frauen aus traditionellen, armen Familien sehen sich aus sozio-ökonomischen Gründen oder von Seiten der Familie häufig gedrängt, einen Mann zu heiraten (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018).
Transsexualität ist im Iran seit 1987 erlaubt, wird aber laut Gesetz als Geisteskrankheit definiert. Laut einer Fatwa Ayatollah Khomeneis sind Geschlechtsumwandlungen für "diagnostizierte Transsexuelle" erlaubt (ÖB Teheran 12.2018). Entsprechende Operationen werden zum Teil von den Krankenversicherungen unterstützt. Nach der Operation dürfen Transgender-Personen heiraten (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Die Geschlechtsumwandlungen gelten allerdings häufig als Weg, von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierungen oder Identitäten in die Legalität zu bringen (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Iran hat nach Thailand die höchste Rate an Geschlechtsumwandlungen (AA 12.1.2019). Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass Transsexuelle unter Druck gesetzt werden, sich für ein Geschlecht zu entscheiden, um ihre sexuelle Orientierung ausleben zu können (ÖB Teheran 12.2018, vgl. US DOS 13.3.2019). Transsexuelle Personen werden häufig sozial stigmatisiert, auch im Berufsumfeld und in der eigenen Familie, sodass sie in die Prostitution gedrängt werden (ÖB Teheran 12.2018). Personen, die sich Geschlechtsumwandlungen unterzogen haben, können bei Gericht einen Antrag für neue Dokumente stellen, die effizient und transparent ausgestellt werden (US DOS 20.4.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 5.6.2019
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FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 5.6.2019
-- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 5.6.2019
-
ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 5.6.2019
-
US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 5.6.2019
Rechtsschutz / Justizwesen
(...)
In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).
(...)
Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen - auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen ("Qisas"), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes ("Diya") kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).
(...)
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 24.5.2019
-
AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 24.5.2019
-
AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 24.5.2019
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BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 24.5.2019
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FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019
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HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 24.5.2019
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ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 24.5.2019
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US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 24.5.2019
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US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html, Zugriff 24.5.2019
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus. Dazu kommt es vorrangig in nicht registrierten Gefängnissen, aber auch aus offiziellen Gefängnissen wird von derartigen Praktiken berichtet, insbesondere dem berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht. Foltervorwürfen von Inhaftierten gehen die Behörden grundsätzlich nicht nach (AA 12.1.2019, vgl. US DOS 13.3.2019). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen, unter ihnen auch Minderjährige, erhalten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben (AI 22.2.2018, vgl. US DOS 13.3.2019). Sie wurden wegen Diebstahls oder tätlichen Angriffen verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. außereheliche Beziehungen, Anwesenheit bei Feiern, an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen, Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder Teilnahme an friedlichen Protestkundgebungen. Gerichte verhängten Amputationsstrafen, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Die Behörden vollstrecken auch erniedrigende Strafen (AI 22.2.2018).
Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, unter Umständen ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung, bei der Alkohol konsumiert wird, für die Betroffenen gefährlich. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 12.2018). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018).
Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase, um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidiger und jugendlichen Straftätern. Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen. Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019, vgl. HRW 17.1.2019). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.2.2019).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 31.5.2019
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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 28.5.2019
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FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019
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HRC - UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (8.2.2019): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/40/24], https://www.ecoi.net/en/file/local/2005822/a_hrc_40_24_E.pdf, Zugriff 28.5.2019
.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 27 von 89
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HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 28.5.2019
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ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 28.5.2019
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US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 28.5.2019
Todesstrafe
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel, schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, "Mohareb" ("Waffenaufnahme gegen Gott"), Abfall vom islamischen Glauben und homosexuelle Handlungen, sowie auf Vergehen wie Drogenkonsum oder außerehelichen Geschlechtsverkehr (ÖB Teheran 12.2018). Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt und auch gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.12019). Der Anteil öffentlich vollstreckter Hinrichtungen, ist 2018 auf knapp 3% gesunken (2017: 5%, 2016: 5%, 2015: 7%, 2014: 10%). Es wird über erfolgte Hinrichtungen nicht offiziell informiert (AA 12.1.2019).
Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom "Geschädigten" gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der "Steinigungsliste". Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 12.2018). Wie in den Vorjahren erhielt Amnesty International 2018 keine Berichte über gerichtlich angeordnete Hinrichtungen durch Steinigung. Allerdings wurde bekannt, dass in Iran zwei neue Todesurteile gefällt wurden, die durch Steinigung vollstreckt werden sollen (AI 10.4.2019).
Weiterhin finden in Iran Hinrichtungen von Straftätern statt, die zum Zeitpunkt ihrer Tat unter 18 Jahre alt waren. Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 12.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 31.5.2019
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AI - Amnesty International (10.4.2019): Todesurteile und Hinrichtungen 2018,
https://www.amnesty.at/media/5416/act50-9870-2019_uebersetzung_at.pdf, Zugriff 31.5.2019
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FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019
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HRC - UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (8.2.2019): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/40/24], https://www.ecoi.net/en/file/local/2005822/a_hrc_40_24_E.pdf, Zugriff 31.5.2019
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HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 31.5.2019
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ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 31.5.2019
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten der Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Länderfeststellungen stützen sich auf das Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 14.06.2019.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).
Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.
In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.
Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls