TE Vfgh Beschluss 2020/2/24 KI4/2020

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Veröffentlicht am 24.02.2020
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Index

43/01 Wehrrecht allgemein

Norm

B-VG Art138 Abs1 Z2
MilitärstrafG §7
WehrG 2001 §26
VfGG §7 Abs2, §43 Abs1

Leitsatz

Keine Einleitung eines Verfahrens zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonflikts zwischen einem ordentlichen Gericht und dem Verwaltungsgerichtshof mangels Vorliegens derselben Sache betreffend die Befreiung vom Grundwehrdienst

Spruch

Ein Verfahren zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bezirksgericht Eisenstadt und dem Verwaltungsgerichtshof wird nicht eingeleitet.

Begründung

Begründung

I.       Anzeige

1.       Mit einer auf §43 VfGG gestützten Anzeige wurde dem Verfassungsgerichtshof "das Entstehen eines Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bezirksgericht Eisenstadt und dem Verwaltungsgerichtshof iSd §43 VfGG iVm Art138 Abs1 Z2 B-VG" mitgeteilt.

2.       Der Anzeiger führt im Einzelnen aus, er habe am 19. Juli 2018 einen Antrag auf Befreiung vom Grundwehrdienst auf Grund besonderer berücksichtigungswürdiger wirtschaftlicher Interessen eingebracht, der durch einen Serverwechsel im zuständigen Ministerium vorerst von der Behörde nicht behandelt worden sei. Vielmehr sei ihm ein Einberufungsbefehl für einen Einberufungstermin am 6. Mai 2019 zugestellt worden. Die Behörde habe den Antrag daraufhin (als später eingebrachten Antrag) behandelt und dem Anzeiger das Ergebnis des Beweisverfahrens mitgeteilt, wonach die Fortführung des Betriebes des Anzeigers für die Existenz der ganzen Familie essentiell sei, habe jedoch abweichend von diesem Ermittlungsergebnis einen abschlägigen Bescheid vom 26. Februar 2019 hinsichtlich der Befreiung vom Grundwehrdienst zugestellt. Nach Ansicht des Anzeigers habe zwar der Antrag auf Befreiung keine aufschiebende Wirkung, sodass der Einberufungsbefehl gültig sei, solange nicht das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde mit gesetzlich aufschiebender Wirkung in Anspruch genommen werde. Eine Bescheidbeschwerde besitze jedoch nach §13 Abs1 VwGVG aufschiebende Wirkung, die Behörde habe auf die Möglichkeit des Ausschlusses nach §13 Abs2 leg.cit. verzichtet. Die aufschiebende Wirkung einer zum Einberufungstermin anhängigen Bescheidbeschwerde gegen einen abweisenden Bescheid über die Befreiung vom Grundwehrdienst stelle nach §26 Abs4 Wehrgesetz 2001 (WG 2001), BGBl I 146 idF BGBl I 102/2019, ein rechtliches Einberufungshindernis dar. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit Erkenntnis vom 25. Oktober 2019 die Beschwerde des Anzeigers abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof habe über Antrag des Anzeigers die Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Revision gegen diese Entscheidung bewilligt, sodass beim Verwaltungsgerichtshof ein Verfahren über die Befreiung des Anzeigers vom Grundwehrdienst anhängig sei. Am 11. Februar 2020 wurde dem Verfassungsgerichtshof ein Schriftsatz des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Einleitung eines Vorverfahrens nach §36 VwGG übermittelt.

3.       Gleichzeitig sei jedoch mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Eisenstadt ein Strafverfahren wegen §7 Militärstrafgesetz (MilStG), BGBl 344/1970 idF BGBl I 112/2007, anhängig gemacht worden. Da der Tatbestand der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles voraussetze, dass der Einberufungsbefehl zum Einberufungstermin durch das Fehlen denkmöglicher rechtlicher Einberufungshindernisse auch rechtlich wirksam gewesen sei – wobei das Vorliegen eines einzigen rechtlichen Einberufungshindernisses genüge –, werde im Strafverfahren vom ordentlichen Strafgericht ebenso wie im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der als Einberufungshindernis geltend gemachten aufschiebenden Wirkung der zum Einberufungstermin anhängigen Bescheidbeschwerde entschieden. Damit sei auch die im Strafverfahren wesentliche Rechtsfrage anhängig, ob bei dem Anzeiger auch ein bedingter Vorsatz zur Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles bestanden habe. Diesen bedingten Vorsatz habe der im Strafverfahren beschuldigte Anzeiger durch seine stets gleichbleibende Rechtfertigung mit der aufschiebenden Wirkung der Bescheidbeschwerde als Einberufungshindernis zum Einberufungstermin offenkundig nicht gehabt.

4.       Aus Sicht des Anzeigers sei daher in diesem Fall ein Kompetenzkonflikt iSd §43 Abs1 VfGG zur Entscheidung über dieselbe in beiden Verfahren maßgebliche Rechtsfrage der aufschiebenden Wirkung der anhängigen Bescheidbeschwerde und dessen rechtlicher Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit eines Einberufungsbefehles zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Bezirksgericht Eisenstadt entstanden.

II.      Rechtslage

1.       §43 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG), BGBl 85 idF BGBl I 33/2013, lautet:

"§43. (1) Ist ein Kompetenzkonflikt dadurch entstanden, dass ein ordentliches Gericht und ein Verwaltungsgericht, ein ordentliches Gericht und der Verwaltungsgerichtshof oder der Verfassungsgerichtshof selbst und ein anderes Gericht (Art138 Abs1 Z2 B-VG) die Entscheidung derselben Sache in Anspruch genommen haben (bejahender Kompetenzkonflikt), so hat der Verfassungsgerichtshof nur dann ein Erkenntnis zu fällen, wenn von einem der genannten Gerichte ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache noch nicht gefällt ist.

(2) Hat ein Gericht bereits einen rechtskräftigen Spruch in der Hauptsache gefällt, so bleibt die alleinige Zuständigkeit dieses Gerichtes aufrecht.

(3) Lag ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache noch nicht vor, so ist das Verfahren zur Entscheidung des Kompetenzkonfliktes einzuleiten, sobald der Verfassungsgerichtshof von dem Entstehen des Konfliktes, sei es durch Anzeige eines im Abs1 bezeichneten Gerichtes oder der an der Sache beteiligten Behörden oder Parteien, sei es durch den Inhalt seiner eigenen Akten, Kenntnis erlangt.

(4) Die im Abs3 genannten Behörden sind zu dieser Anzeige verpflichtet.

(5) Die Einleitung des Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof unterbricht das bei dem betreffenden Gericht anhängige Verfahren bis zur Entscheidung des Kompetenzkonfliktes."

2.       §§24 und 26 Wehrgesetz 2001, BGBl I 146 idF BGBl I 102/2019, lauten auszugsweise:

Einberufung zum Präsenzdienst

§24. (1) Wehrpflichtige sind zum Präsenzdienst nach den jeweiligen militärischen Interessen mit Einberufungsbefehl einzuberufen. Der Einberufungsbefehl ist zu erlassen

1. spätestens vier Wochen vor dem Einberufungstermin zum Grundwehrdienst und

2. spätestens acht Wochen vor dem Einberufungstermin zu

a) Milizübungen und

b) freiwilligen Waffenübungen und Funktionsdiensten.

Der Einberufungsbefehl zum Grundwehrdienst darf nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach erstmaliger Feststellung der Tauglichkeit des Wehrpflichtigen zum Wehrdienst erlassen werden. Die Fristen nach Z1 und 2 dürfen nach Maßgabe militärischer Erfordernisse, im Falle der Z2 insbesondere zum Üben der Herstellung der Einsatzbereitschaft von Verbänden im Wege von Waffenübungen, verkürzt werden. Sämtliche Fristen dürfen auch mit schriftlicher Zustimmung des Wehrpflichtigen verkürzt werden.

(2) […]

(3) Wehrpflichtige, die zum Präsenzdienst einberufen werden, sind den jeweiligen militärischen Dienststellen zuzuweisen

1. nach Eignung und Bedarf für eine militärische Verwendung und,

2. soweit militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, unter Bedachtnahme auf

a) den Beruf und die sonst nachgewiesenen Fachkenntnisse,

b) den Wohnsitz und

c) ihre Wünsche hinsichtlich Garnisonierung, Waffengattung und Einberufungstermin."

"Befreiung und Aufschub

§26. (1) Taugliche Wehrpflichtige sind, soweit zwingende militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, von der Verpflichtung zur Leistung eines Präsenzdienstes zu befreien

1. von Amts wegen, wenn und solange es militärische Rücksichten oder sonstige öffentliche Interessen erfordern, und

2. auf ihren Antrag, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Als sonstige öffentliche Interessen gelten insbesondere gesamtwirtschaftliche oder familienpolitische Interessen sowie die Tätigkeiten von Fachkräften der Entwicklungshilfe nach §15 des Entwicklungshelfergesetzes. Als familiäre Interessen gelten auch solche aus einer eingetragenen Partnerschaft. Eine Befreiung ist auch zulässig, wenn eine Voraussetzung nach Z1 oder 2 während eines Präsenzdienstes eintritt. Befreiungen nach Z1 hat der Bundesminister für Landesverteidigung zu verfügen.

(2) - (3) […]

(4) Mit Erlassung eines Bescheides, durch den einem Wehrpflichtigen eine Befreiung oder ein Aufschub gewährt wurde, wird eine bereits rechtswirksam verfügte Einberufung für den Zeitraum dieser Befreiung oder dieses Aufschubes für ihn unwirksam."

3.       §7 Militärstrafgesetz (MilStG), BGBl 344/1970 idF BGBl I 112/2007, lautet:

"I. Straftaten gegen die Wehrpflicht

Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles

§7. (1) Wer der Einberufung

1. zum Grundwehrdienst oder

3. zu einer Milizübung oder

4. zu einem Einsatzpräsenzdienst oder

5. zu einer außerordentlichen Übung oder

6. zu einem Aufschubpräsenzdienst

nicht Folge leistet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Wer der Einberufung zum Grundwehrdienst länger als 30 Tage nicht Folge leistet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

(3) Wer der Einberufung

1. zu einer Milizübung oder

2. zu einem Einsatzpräsenzdienst oder

3. zu einer außerordentlichen Übung oder

4. zu einem Aufschubpräsenzdienst

länger als acht Tage nicht Folge leistet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen."

III.    Erwägungen

1.       Die Einleitung eines Verfahrens zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes ist unzulässig:

2.       Gemäß Art138 Abs1 Z2 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua über Kompetenzkonflikte zwischen ordentlichen Gerichten und dem Verwaltungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß §43 Abs3 VfGG ein Verfahren zur Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes einzuleiten, sobald er von dem Entstehen eines Kompetenzkonfliktes Kenntnis erlangt und ein rechtskräftiger Spruch in der Hauptsache noch nicht vorliegt.

3.       Gemäß §43 Abs1 VfGG besteht ein bejahender Kompetenzkonflikt zwischen einem ordentlichen Gericht und dem Verwaltungsgerichtshof, zu dessen Entscheidung der Verfassungsgerichtshof gemäß Art138 Abs1 Z2 B-VG berufen ist, wenn ein ordentliches Gericht und der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung derselben Sache in Anspruch genommen haben.

4.       Ein solcher bejahender Kompetenzkonflikt kann dabei nur dann gegeben sein, wenn eines der beiden Gerichte zu Unrecht die Entscheidung in derselben Sache in Anspruch nimmt (vgl VfSlg 1351/1930, 1720/1948). Ob "dieselbe Sache" vorliegt, hängt weder von den in den Erledigungen verwendeten Formulierungen noch von den darin zitierten Rechtsvorschriften ab (vgl VfSlg 14.295/1995, 14.383/1995, 19.997/2015, 20.164/2017; VfGH 26.9.2019, KI8/2019), sondern ist insbesondere danach zu beurteilen, ob dieselben Rechtsvorschriften auf denselben Sachverhalt angewendet werden (vgl VfSlg 16.682/2002, 17.678/2005). Der Begriff der Identität der Sache darf nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht allzu streng ausgelegt werden, weil sich gewisse Verschiedenheiten in der Geltendmachung des Anspruches schon daraus ergeben müssen, dass die Verteilung der Zuständigkeit von materiell-rechtlichen Momenten abhängig ist, die bei der Geltendmachung vor den ordentlichen Gerichten anders geartet sind als bei der Geltendmachung vor den Verwaltungsbehörden und -gerichten nach den für diese geltenden Verwaltungsvorschriften (vgl VfSlg 16.104/2001 mwN; VfGH 28.11.2019, KI16/2019). Keine Kompetenzkonflikte sind Bindungskonflikte (vgl VfSlg 1341/1930, 1720/1948, 2899/1955, 9060/1981) oder divergierende Beurteilungen von Vorfragen (VfGH 11.6.2019, KI13/2019).

5.       Vor diesem Hintergrund liegt im vorliegenden Fall eine Identität der Sachen, deren Entscheidung das Bezirksgericht Eisenstadt einerseits und der Verwaltungsgerichtshof andererseits in Anspruch genommen haben, nicht vor:

6.       Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet über eine außerordentliche Revision des Anzeigers gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, mit dem seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Befreiung vom Grundwehrdienst aus besonders rücksichtswürdigen Interessen nach §26 Abs1 Z2 WG 2001 abgewiesen wurde. Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichthof ist sohin das Vorliegen der Voraussetzungen einer Befreiung des Anzeigers vom Grundwehrdienst. Demgegenüber entscheidet das Bezirksgericht Eisenstadt über einen Strafantrag wegen Nichtbefolgung eines (rechtskräftigen) Einberufungsbefehles nach §7 MilStG. Wenngleich die Frage einer möglichen Befreiung des Anzeigers vom Grundwehrdienst bzw der Wirkungen der darauf gerichteten Antragstellung durch den Anzeiger für das Verfahren vor dem Bezirksgericht Eisenstadt maßgeblich sein möge, weil die Rechtswirksamkeit des Einberufungsbefehles eine Vorfrage im Verfahren vor dem Bezirksgericht Eisenstadt darstellt, so vermag dies nichts daran zu ändern, dass der Verwaltungsgerichtshof und das Bezirksgericht Eisenstadt in der Hauptsache jeweils auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage über unterschiedliche Rechtsfragen zu entscheiden haben, und begründet damit keinen Kompetenzkonflikt.

7.       Ein bejahender Kompetenzkonflikt iSd §43 Abs1 VfGG besteht daher mangels Identität der Sache offenkundig nicht.

IV.      Ergebnis

1.       Schon aus diesem Grund ist es dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, ein Verfahren zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes einzuleiten.

2.       Dies konnte gemäß Art19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Militärrecht, Wehrpflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:KI4.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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