TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/19 97/06/0193

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Veröffentlicht am 19.03.1998
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L82007 Bauordnung Tirol;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/10 Grundrechte;
19/05 Menschenrechte;
22/02 Zivilprozessordnung;

Norm

BauO Tir 1989 §22 Abs1;
BauO Tir 1989 §22 Abs2;
BauO Tir 1989 §22;
MRKZP 01te Art1;
StGG Art5;
VwGG §33 Abs1;
ZPO §204;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des F und der H, beide vertreten durch Dr., Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29. Jänner 1997, Zl. Ve1-550-2568/1-1, betreffend Duldung gemäß § 22 der Tiroler Bauordnung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern zusammen Aufwendungen in der Höhe von S 15.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer eines Grundstückes im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde, das an eine Straße (Gemeindestraße) grenzt. Diese Straße beschreibt im Bereich des Grundstückes der Beschwerdeführer eine Krümmung; das Grundstück liegt an der Innenseite des Bogens.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 30. September 1993 war der Gemeinde als Straßenverwalter eine Straßenbaubewilligung für den Ausbau dieser Straße erteilt worden; in dem im Bescheid wiedergegebenen Befund des Sachverständigen heißt es, es sei (unter anderem) vorgesehen, "die notwendigen Versorgungseinrichtungen, wie Brauchwasser, und elektr. Strom der TIWAG, sowie Entsorgungseinrichtung, wie die Kanalisation im Straßenkörper unterzubringen". Im Zuge dieses Verfahrens schloß die mitbeteiligte Gemeinde mit den Beschwerdeführern verschiedene Vereinbarungen, die in einem "Nachtrag zum Bescheid" wiedergegeben sind.

Mit Erledigung vom 18. Dezember 1995 verständigte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde die Beschwerdeführer unter Hinweis auf § 22 der Tiroler Bauordnung (TBO), daß im Zuge der Errichtung einer Straßenlampe an diesem Gemeindeweg durch das Zuleitungskabel das Grundstück der Beschwerdeführer nordöstlich im Grenzbereich "in einen kleinen Teilbereich überspannt" werde.

Die Beschwerdeführer bezogen mit einem anwaltlichen Schreiben vom 27. Dezember 1995 Stellung gegen dieses Vorhaben. Sie führten aus, daß sich "im Grundstück" bereits eine Überlandleitung der TIWAG befinde. Sie seien daher freiwillig nicht bereit, noch ein weiteres "Kabelwerk" (im Original unter Anführungszeichen) auf ihrem Grundstück zu dulden, wobei dies auch nicht erforderlich sei, weil eine entsprechende Verpflichtung nur dann bestehe, wenn auf öffentlichem Gut für die Anbringung und Aufstellung einer solchen Einrichtung kein geeigneter Platz vorhanden sei. Diesfalls wäre ein Bescheid zu erlassen, damit die strittige Frage im Instanzenzug ausgetragen werden könne. Die Straße sei "in letzter Zeit" zweimal aufgegraben worden und es wäre ein Leichtes gewesen, für die Verkabelung zu sorgen. Auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so würden derartige Leitungen kaum noch als Freileitungen gelegt, sondern prinzipiell verkabelt, was auch in anderen Gemeinden so geschehe. Für eine derartige Verkabelung sei am öffentlichen Weg mehr als genügend Platz. Es sei auch unzutreffend, daß nur ein kleiner Teil des Grundstückes überspannt würde, vielmehr solle dies auf einer Länge von 20 m erfolgen. Im übrigen sei auch nicht nur eine Verkabelung möglich, sondern auch die Anbringung einer Freileitung an einer anderen Stelle.

Mit Bescheid vom 16. Jänner 1996 stellte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde gemäß § 22 Abs. 1, 2 und 3 TBO fest, daß es zur Errichtung der (näher umschriebenen) Straßenbeleuchtung an diesem Weg notwendig sei, das Grundstück der Beschwerdeführer "im nordöstlichen Grenzbereich in ausreichender Höhe mit einem 220 Volt stromführenden Setra Luftkabel zu überspannen". Begründend heißt es, die Gemeinde beabsichtige zu (bei) einer näher beschriebenen Reihenhaussiedlung eine Straßenbeleuchtung zu installieren. Das Stromversorgungskabel der TIWAG sei aus technischen Gründen nicht in der Gemeindestraße, sondern südlich der Häuser über Privatgrund verlegt worden. Somit bestehe für den Lampenstandort an der Gemeindestraße keine Anschlußmöglichkeit bzw. keine Möglichkeit, das Straßenlampenkabel mitzuverlegen. Die Verlegung des Straßenlampenkabels allein sei aus Kostengründen für die Gemeinde nicht vertretbar. Die Anspeisung des Straßenbeleuchtungsstandpunktes über eine Freileitung sei auch in anderen Bereichen der Gemeinde üblich. Bei einer in Zukunft notwendigen Erweiterung der Straßenbeleuchtung im Bereich jener Reihenhaussiedlung werde auch hier eine eigene Schaltstelle erforderlich. Das Luftkabel werde dann wieder entfernt werden. Die bescheidgegenständliche Überspannung über das Grundstück der Beschwerdeführer sei gemäß § 22 Abs. 1 TBO von den Beschwerdeführern als Grundbesitzer zu dulden und stelle eine äußerst geringe Beeinträchtigung des Grundbesitzes dar.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Berufung. Darin brachten sie unter anderem vor, um überhaupt ihr Grundstück mit dem fraglichen Kabel überspannen zu können, müsse das Kabel an einem Mast angebracht werden, der für eine Überlandsleitung bestimmt sei. Hier bestehe ein Dienstbarkeitsrecht für die TIWAG. Wie ihnen der Ortsstellenleiter der TIWAG mitgeteilt habe, brauchten sie nicht zu dulden, daß auf diesem Mast noch ein weiteres Kabel angebracht werde. "Hier wird auch ein Bescheid der Gemeinde nichts nützen". Darüber hinaus sei darauf zu verweisen, daß diese Freileitung über einen Grund (Anmerkung: über den Grund der Beschwerdeführer) führen solle, der einen Bauplatz darstelle und zur Zeit mit Obstbäumen bepflanzt sei. Die Anbringung des Kabels sei in der Natur derart (es sei von der TIWAG bereits angebracht, dann aber infolge Protestes der Beschwerdeführer wieder entfernt worden), daß das Kabel über die Obstbäume oder zum Teil zwischen dem Geäst der Obstbäume hindurchgehe. Es sei klar, daß deshalb die Benützung des Grundstückes wesentlich erschwert werde, wobei sogar eine Gefahr für das Kabel durch das Geäst der Bäume gegeben sei. Darüber hinaus könnte das Kabel nicht wie vorgeschrieben fünfeinhalb Meter über dem Grundstück liegen, sondern höchstens 2,5 bis 3 m, was ebenfalls unstatthaft sei. Einer solchen Kabelführung stimmten sie nicht zu. Sie hätten bereits darauf hingewiesen, daß keine technische Notwendigkeit gegeben sei, ein Freiluftkabel über das Grundstück zu führen. Im Zuge der Errichtung jener Reihenhaussiedlung sei die Straße mehrfach aufgegraben worden und es wäre bei ordnungsgemäßer Planung natürlich kein Problem gewesen, dieses Kabel zu verlegen. Sie hätten dieses Versäumnis nicht zu verantworten. Es sei selbstverständlich auch jetzt noch ein Leichtes, eben auf dem öffentlichen Gut durch Verkabelung die erforderlichen Anschlüsse für die Straßenbeleuchtung anzubringen. Mögliche Mehrkosten, die sich aus den Versäumnissen der Gemeinde ergäben, könnten den Beschwerdeführern nicht entgegengehalten werden. Auch beeinträchtige dieses Kabel die Aussicht.

Die Berufungsbehörde ergänzte das Ermittlungsverfahren und holte zunächst einerseits Kostenvoranschläge für die Herstellung eines Erdkabels ein, andererseits eine Stellungnahme des technischen Büros Ing. S. vom 6. März 1996. Darin heißt es, daß zur Stromversorgung jener neu errichteten Straßenleuchte vom bestehenden Lichtmast ein ca. 85 m langes Luftkabel gespannt werde, das aufgrund seiner Länge am 25 Kv-Leitungsmast der TIWAG, welcher in der Fluchtlinie der beiden Lichtmaste stehe, abgespannt werden müsse. Der geforderte Sicherheitsabstand zur 25 Kv-Leitung sei einzuhalten. Als Variante für die Leitungsführung bestehe die Möglichkeit, ein Erdkabel entlang der Straße zu verlegen. "Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit kann die Verlegung eines Erdkabels nur für die Straßenbeleuchtung alleine nicht empfohlen werden, da die Herstellungskosten um ein Vielfaches höher sind. Die Verlegung des Luftkabels im vorliegenden Fall entspricht dem Stand der Technik".

Die Beschwerdeführer äußerten sich in einer Stellungnahme vom 20. März 1996 ablehnend und verwiesen darauf, daß die Variante, ein Freikabel auf andere Weise, als über ihr Grundstück zu führen, nicht geprüft worden sei.

Ing. S. äußerte sich in einer ergänzenden Stellungnahme vom 5. Juni 1996 zu letzterer Variante wörtlich (lediglich) wie folgt:

"Überspannung über öffentliches Gut und Errichten von 2 Masten im Weg.

Die Masten im Straßenbereich würden ein erhebliches Hindernis für den Straßenverkehr darstellen."

Abschließend heißt es, die Verlegung des Luftkabels entspreche dem Stand der Technik sowie der Ö-NORM E4000-4351.

Die Beschwerdeführer äußerten sich hiezu abermals ablehnend und verblieben im wesentlichen auf ihrem bisherigen Standpunkt; sie verwiesen insbesondere darauf, daß die Verlegung von Erdkabeln allgemein üblich sei (im übrigen warfen sie der mitbeteiligten Gemeinde vor, den Vereinbarungen anläßlich des Ausbaues der Straße nicht gehörig nachgekommen zu sein).

Hierauf wies die Berufungsbehörde mit Bescheid vom 17. Dezember 1996 die Berufung der Beschwerdeführer als unbegründet ab.

Soweit für das Beschwerdeverfahren erheblich, führte die Berufungsbehörde nach zusammengefaßter Darstellung der Gesetzeslage und des Verfahrensganges aus, die "Überspannungsstrecke" auf dem Grundstück der Beschwerdeführer belaufe sich auf rund 32 m, wobei die Überspannung "in ausreichend sicherer Höhe an der tiefsten Stelle ca. 1 1/2 bis 2 m in das Grundstück hinreicht". Im Berufungsverfahren sei ein "Gutachten" betreffend die Kabelgrabungs- und Erdbauarbeiten von einem befugten Bauunternehmen eingeholt worden (demgemäß beliefen sich die Gesamtkosten für eine Erdverkabelung auf rund S 200.000,--). Selbst bei "Annahme eines Konkurrenzanbotes" mit einer erheblich niedrigeren angenommenen Kostensumme, wäre eine derartige Ausführung immer noch um ein Vielfaches höher als die Kosten für ein Überspannungskabel. Demnach sei die Einholung eines zweiten Anbotes entbehrlich gewesen. Mögliche Eigenleistungen der Gemeinde in diesem Bereich, wie die Beschwerdeführer einwendeten, seien für die Kostenbeurteilung unmaßgeblich, sondern es seien hiefür "nach den Regeln der Kostenschätzung" jene Kosten heranzuziehen, die ein befugtes und konzessioniertes Unternehmen nach den hiefür bestehenden Kostensätzen errechne. Dem Einwand der Beschwerdeführer, das Luftkabel könne anders geführt werden, sei entgegenzuhalten, daß die erforderliche Installation eines zusätzlichen Mastens auf öffentlichem Gut (Anmerkung: in weiterer Folge ist stets von zwei zusätzlichen Masten die Rede) wegen der Einschränkung der ohnedies nur maximal 4 m breiten Fahrbahn nicht möglich sei und jede Inanspruchnahme anderer Privatgrundstücke infolge der Weg- und Grundstücksituierung jedenfalls im Ergebnis eine größere Beeinträchtigung von Privatgrundstücken bedeuten würde. Die erstinstanzliche Behörde habe daher zu Recht die Notwendigkeit einer Inanspruchnahme des Grundstückes der Beschwerdeführer festgestellt. Auch könne aus dem grenznahen Verlauf der Überspannungsstrecke, "die sich im stärksten Durchhängebereich mehr als 5 m über einem Obstgarten befindet", eine wesentliche Erschwerung der Benützung des Grundstückes oder der (darauf befindlichen) baulichen Anlagen nicht abgeleitet werden. Der Einwand der Beschwerdeführer betreffend die "private Dienstbarkeit des bestehenden Lichtmastes" sei deshalb nicht zielführend, weil die Duldungspflicht der Eigentümer nach § 22 TBO davon nicht berührt werde.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Vorstellung, die mit dem nun angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde (im Kopf des angefochtenen Bescheides ist zwar von "Vorstellungen" (Mehrzahl) die Rede, tatsächlich erhoben die Beschwerdeführer gegen den Berufungsbescheid aber nur eine Vorstellung). Begründend führte die belangte Behörde nach zusammengefaßter Wiedergabe des Verfahrensganges und der Rechtslage aus, § 22 TBO normiere Eigentumsbeschränkungen, welche im öffentlichen Interesse lägen, wobei der Gesetzgeber den betroffenen Grundstückseigentümern diesbezüglich kein Zustimmungs- oder Einspruchsrecht eingeräumt habe. Das gegenständliche Verfahren könne sich somit ausschließlich auf die Überprüfung der objektiven Maßstäbe beschränken, ob

1.

auf öffentlichem Gut ein geeigneter Platz für die Anbringung der Einrichtungen vorhanden sei und, "wenn diese Feststellung verneint wird",

2.

ob die Anbringung der Einrichtung nicht zu einer wesentlichen Erschwerung der Benützung des Grundstückes oder der baulichen Anlage durch den Eigentümer führe.

Die Beschwerdeführer gingen vor allem davon aus, daß die mitbeteiligte Gemeinde anläßlich der Errichtung der nunmehr zu beleuchtenden Straße die Erklärung abgegeben habe, sämtliche Versorgungseinrichtungen in den Straßenkörper zu verlegen.

Weiters heißt es im angefochtenen Bescheid:

"Die Erdverlegung des Kabels stellt keine Örtlichkeit im Sinne der obzitierten Bestimmung dar, sondern beschreibt nur eine andere Variante in der Art der Einrichtung. § 22 Abs. 1 TBO enthält jedoch keinerlei Bestimmungen, daß neben dem geeigneten Standort auch eine Überprüfung hinsichtlich einer geeigneten Art und Ausgestaltung der Einrichtung zu erfolgen hat. Durch die Gemeinde (...) wurde im Zuge des Ermittlungsverfahrens ein Kostenvoranschlag mit

ca. S 200.000,-- an ausgewiesenen Kosten für die Variante der Erdverkabelung vorgelegt. Diese sind - und darüber kann aus der Offensichtlichkeit der Feststellung die Einholung eines weiteren Kostenvoranschlages entfallen - ein Vielfaches höher, als die schlichte Überspannung der Wegstrecke mit einem Luftkabel unter Ausnützung der bereits vorhandenen Masten. Eine allfällige Säumnis der Gemeinde im Hinblick auf eine Mitverlegung des benötigten Erdkabels bei früheren Grabungsarbeiten bzw. auf mögliche Zusagen der Verlegung der Versorgungseinrichtungen in den Straßenkörper sind nicht Gegenstand des öffentlich-rechtlich Verwaltungsverfahrens, sondern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen allenfalls auf den Zivilrechtsweg durchzusetzen. Unter diesem Licht ist auf sämtliche sonst vorgeschlagenen Erdverkabelungsvarianten nicht weiter einzugehen".

Dem Einwand der Beschwerdeführer, daß durch das Aufstellen von zwei weiteren ca. 10 cm breiten Masten entlang des Weges keine Verkehrsbeeinträchtigung erfolge, weil im Winter eine Schneeräumung ohne weiteres möglich sei, könne "nicht Folge gegeben werden". Die Errichtung von zwei Masten entlang eines nur 4 m breiten Weges stelle in jedem Fall, und nicht nur im Hinblick auf eine Schneeräumung, "ein behinderndes bzw. sogar gefährdendes Moment in der Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs dar". Entscheidend hiefür sei auch nicht die Dicke des Mastes (10 cm), sondern der Bestand des Hindernisses als solches. Sowohl seitens der Gemeinde, als auch in einer Stellungnahme des Ing. S. werde die Errichtung weiterer Masten als beträchtliches Verkehrshindernis bezeichnet. Die Inanspruchnahme von einem anderen "privaten" (im Original unter Anführungszeichen) Grund durch Versetzung der Masten könne nicht "Überprüfungsgegenstand des gegenständlichen Verfahrens sein, da ausschließlich die Geeignetheit von öffentlichem Grund gefordert" sei. Weiters könne die Rechtsauffassung der Beschwerdeführer, § 22 TBO würde nur Einrichtungen umfassen, welche genau das Straßenstück beträfen, wo sich das Haus (der Beschwerdeführer) befände, nicht geteilt werden. Unter Einrichtungen zur Beleuchtung einer öffentlichen Verkehrsfläche seien nicht nur der Lampenmast und die Leuchte als "Endprodukt" (im Original unter Anführungszeichen) des beabsichtigten Zweckes zu verstehen, sondern darüber hinaus sämtliche dafür erforderlichen Versorgungs- und Zuleitungseinrichtungen.

§ 22 Abs. 2 TBO normiere, daß diese Einrichtungen so anzubringen oder aufzustellen seien, "daß die Benützung des Grundstückes oder der baulichen Anlage wesentlich erschwert wird" (gemeint wohl: nicht wesentlich erschwert wird). Die Beschwerdeführer hätten dazu keinerlei Ausführungen getroffen. Vielmehr lasse sich aus ihrem Vorbringen erkennen, daß die derzeit einzige Beeinträchtigung in einer gewissen Störung des freien Ausblickes bestehe. Sie hätten auch nicht die Begründung des Berufungsbescheides widerlegt, wonach sich das Luftkabel in beträchtlichem Abstand zum bestehenden Wohnhaus befinde und bei der Überspannung über das Grundstück eine maximale Tiefe von ca. 1,5 m erreiche. Für den Fall späterer Baumaßnahmen sehe

§ 22 Abs. 2 letzter Satz TBO vor, daß die Einrichtungen erforderlichenfalls zu entfernen oder entsprechend zu verändern seien.

Grundsätzlich handle es sich bei Duldungspflichten, wie vorliegendenfalls, um Eigentumseinschränkungen des Einzelnen im Sinne des Gemeinwohles, welche unter dem Grundsatz der möglichsten Schonung des Betroffenen zu vollziehen seien. Da die Anbringung des Luftkabels auf einem bereits bestehenden Mast an der Grundstücksgrenze der Beschwerdeführer erfolge, wirke sich die Beeinträchtigung lediglich in einer unwesentlichen Überspannung des Grundstückes mit einer geringfügigen Beeinträchtigung der freien Aussicht aus. Der "freien Sicht" werde durch die TBO sowie durch das Tiroler Raumordnungsgesetz 1994 lediglich im Rahmen der Mindestabstandsbestimmungen in den verschiedenen Widmungskategorien Rechnung getragen und stelle im übrigen kein "gesondert geltend zu machendes Recht" dar.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (dort eingegangen am 8. April 1997), der mit Beschluß vom 16. Juni 1997, B 784/97-3 (beim Verwaltungsgerichtshof eingangen am 15. September 1997) die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet; darin wird zunächst die Auffassung vertreten, im Hinblick auf einen zwischen den Beschwerdeführern und der mitbeteiligten Gemeinde abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich sei Klaglosstellung eingetreten; hilfsweise wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Aus den Verwaltungsakten ergibt sich diesbezüglich, daß die Beschwerdeführer mit einer im April 1997 bei Gericht eingebrachten Klage die Verurteilung der mitbeteiligten Gemeinde begehrt hatten, sie habe es zu unterlassen, das streitgegenständliche Grundstück "mit Versorgungsseinrichtungen, nämlich mit einem Straßenbeleuchtungskabel zu überspannen bzw. überspannen zu lassen".

Am 24. Juni 1997 wurde diesbezüglich zwischen den Beschwerdeführern als klagenden Parteien einerseits und der mitbeteiligten Gemeinde als beklagter Partei andererseits (bezüglich des streitgegenständlichen Grundstückes) ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen, der auszugsweise (soweit für das Beschwerdeverfahren erheblich) folgenden Wortlaut hat:

"Die klagende Partei duldet beschränkt auf eine Dauer bis einschließlich 30.9.1998 die Überspannung des Gst-Nr. (...) mit einem Straßenbeleuchtungskabel, dies im nord-östlichen Grenzbereich in ausreichender Höhe mit einem 220 Volt stromführenden Setra Luftkabel. Der Verlauf des Kabels ergibt sich aus dem Bescheid, den die Gemeinde (...) am 16.1.1996 erlassen hat und ist der Verlauf den klagenden Parteien ebenso wie der beklagten Partei bekannt.

Für die Dauer der Überspannung dem Vergleich Satz 1 entsprechend, verpflichten sich auch die klagenden Parteien, diesbezüglich gegenüber einer Überspannung mit Straßenbeleuchtungskabeln im vorgenannten Umfang über die Gp. (...) gegenüber der TIWAG keinen Einwand zu erheben.

2. Festgehalten wird, daß die klagenden Parteien den Verwaltungs- Verfassungsgerichtshof zwecks Bekämpfung des Bescheides des Amtes der Tiroler Landesregierung

V e 1-550-2568/1-1 angerufen haben. Mit der Eingabe an den Gerichtshof haben sie einen Antrag auf Erteilung aufschiebender Wirkung verbunden. Für den Fall, daß diesem Antrag stattgegeben wird, verpflichten sich die klagenden Parteien bis zum 30.9.1998 keinen Gebrauch zu machen und diesbezüglich nicht Exekution zu führen.

Auch für den Fall, daß er einer Kenntnis (gemeint wohl: ein Erkenntnis) des Höchstgerichtes bis zum vorgenannten Zeitpunkt 30.9.1998 vorliegt, wird von diesem in der Hauptsache nicht Gebrauch gemacht und bleibt es beim Vergleich sowie er eingangs abgeschlossen wurde.

Die klagenden Parteien verpflichten sich, aus der Überspannung ihres Grundstückes bis zum 30.9.1998 Entschädigung gegenüber der beklagten Partei nicht anzusprechen und verzichten ausdrücklich auf diesbezügliche Ansprüche.

..."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer bezeichnen als belangte Behörde - unzutreffend - das "Amt der Tiroler Landesregierung". Diese Fehlbezeichnung stellt aber vorliegendenfalls keinen Zurückweisungsgrund dar, weil der der Beschwerde angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zweifelsfrei entnommen werden kann, daß es sich dabei um einen Bescheid der Tiroler Landesregierung handelt (siehe dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 240 wiedergegebene hg. Judikatur).

Im Beschwerdefall ist die Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 33/1989, in der Fassung LGBl. Nr. 10/1995, anzuwenden.

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Abs. 1 und 2 des § 22 TBO lauten:

"(1) Jeder Grundstückseigentümer hat zu dulden, daß an geeigneter Stelle an seiner baulichen Anlage oder auf seinem Grundstück Einrichtungen zur Beleuchtung öffentlicher Verkehrsflächen angebracht werden. Ebenso hat er die Anbringung oder Aufstellung von Tafeln und Zeichen zum Hinweis auf die Lage von Verkehrsflächen, Versorgungsleitungen, Kanalisationsanlagen und dergleichen zu dulden. Diese Verpflichtungen bestehen nur, wenn auf öffentlichem Gut für die Anbringung oder Aufstellung dieser Einrichtungen kein geeigneter Platz vorhanden ist.

(2) Für die Inanspruchnahme von Grundstücken und baulichen Anlagen für die im Abs. 1 angeführten öffentlichen Einrichtungen besteht kein Anspruch auf Entschädigung. Solche Einrichtungen sind jedoch so anzubringen oder aufzustellen, daß die Benützung des Grundstückes oder der baulichen Anlage nicht wesentlich erschwert wird. Soweit es zur Durchführung eines Bauvorhabens oder einer Änderung am Grundstück erforderlich ist, sind die Einrichtungen zu entfernen oder entsprechend zu verändern."

Die belangte Behörde vertritt in der Gegenschrift die Auffassung, die Beschwerdeführer seien durch den gerichtlichen Vergleich vom 24. Juni 1997 klaglos gestellt worden. Dieser Auffassung ist (auch dann, wenn man entgegen dem Wortlaut des ersten Satzes des Vergleiches in der vorliegenden Ausfertigung davon ausginge, daß sich beide Beschwerdeführer zu einer entsprechenden Duldung verpflichtet hätten, es sich demnach bei der Formulierung "die klagende Partei duldet" - Einzahl - nur um einen - weiteren - Schreibfehler in der ansonsten auch nicht fehlerfreien Vergleichsausfertigung handeln sollte) schon deshalb nicht zu folgen, weil damit nur eine befristete Duldung vereinbart wurde, es im vorliegenden Beschwerdeverfahren aber um eine unbefristet angeordnete Duldungspflicht geht.

Wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, gestattet § 22 Abs. 1 und 2 TBO einen Eigentumseingriff im öffentlichen Interesse. Dieser - nach Abs. 2 noch dazu entschädigungslose - Eingriff ist zunächst nach Abs. 1 letzter Satz leg. cit. an die Voraussetzung geknüpft, daß auf öffentlichem Gut für die Anbringung oder Aufstellung der dort genannten Einrichtungen "kein geeigneter Platz vorhanden" ist. Aber auch dann, wenn eine Verpflichtung des Grundstückeigentümers nach Abs. 1 zu bejahen ist, bringt Abs. 2 eine weitere Einschränkung dahin, daß die Einrichtungen so anzubringen oder aufzustellen sind, daß die Benützung des Grundstückes oder der baulichen Anlage nicht wesentlich erschwert wird (zweiter Satz dieses Absatzes).

Vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles tritt der Verwaltungsgerichtshof der Beurteilung der belangten Behörde bei, daß das streitgegenständliche Kabel als "Einrichtung" im Sinne des § 22 Abs. 1 leg. cit. anzusehen ist, das heißt, daß die Formulierung "anbringen" im ersten Satz dieses Absatzes auch in dem streitgegenständlichen Sinn ("überspannen") zu verstehen ist.

Daraus allein ist aber für die mitbeteiligte Gemeinde noch nichts zu gewinnen: Bei dem gegenständlichen Kabel handelt es sich nicht um eine "Einrichtung", die bestimmungsgemäß, also der Natur der Sache nach (wie es etwa bei einer Lampe zur Beleuchtung der Straße der Fall ist) nur oberirdisch "angebracht" (das heißt hier: geführt) werden kann. Vielmehr ist unstrittig, daß die Stromzufuhr zu jener Straßenlampe auch im Wege eines Erdkabels, also unterirdisch erfolgen könnte. Im Beschwerdefall kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß zur Führung eines solchen Erdkabels "auf" (hier: unter) dem öffentlichen Gut "kein geeigneter Platz vorhanden" sei. Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob der in Abs. 1 letzter Satz leg. cit. umschriebene "Platzmangel" etwa dann zu bejahen wäre, wenn es unter dem in Betracht kommenden öffentlichem Gut bereits zahlreiche Einbauten gäbe oder wenn etwa infolge besonderer Bodenverhältnisse (z.B. felsiger Boden) Grabungsarbeiten besonders erschwert wären, weil es für derartige außergewöhnliche Verhältnisse im Beschwerdefall keine Hinweise gibt.

Darauf, daß die Verlegung eines entsprechenden Erdkabels wesentlich teurer wäre als die Verlegung des streitgegenständlichen Freikabels, kommt es im Beschwerdefall nicht entscheidend an. Diesbezüglich ist der belangten Behörde zunächst entgegenzuhalten, daß nach dem maßgeblichen Wortlaut des Gesetzes eine Bedachtnahme auf solche ökonomischen Aspekte nicht vorgesehen ist. Mag auch das streitgegenständliche Freikabel dem "Stand der Technik" entsprechen, ist nicht hervorgekommen, daß ein entsprechendes Erdkabel nicht auch dem "Stand der Technik" entsprechen würde. An sich zutreffend haben die Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren auch darauf verwiesen, daß die Verlegung von Erdkabeln allgemein verbreitet ist und auch immer wieder Freikabel durch Erdkabel ersetzt werden. Die Beschwerdeführer verlangen daher nichts an sich Ungewöhliches. Weiters ist zu bedenken, daß die in § 22 TBO enthaltene Eigentumsbeschränkung im Zweifel restriktiv zu interpretieren ist (vgl. im übrigen das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1997, Zl. 93/06/0230).

Da somit die belangte Behörde bei der gegebenen Verfahrenslage eine Verpflichtung der Beschwerdeführer nach Abs. 1 leg. cit. zu Unrecht bejaht hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war, ohne daß auf die weitere Argumentation der Beschwerdeführer einzugehen gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997060193.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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