TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/9 Ra 2019/14/0282

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Veröffentlicht am 09.04.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §69 Abs1 Z1
BFA-VG 2014 §21 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des X Y, vertreten durch MMag. Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes

vom 23. April 2019, L525 2216903-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der im Jahr 1979 in Myanmar geborene und von 1990 bis zu seiner Ausreise in Bangladesch aufhältige Revisionswerber stellte am 4. Februar 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), wobei er sich als staatenlos bezeichnete. Diesem Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. Mai 2012 stattgegeben und dem Revisionswerber gemäß § 3 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. 2 Mit Bescheid vom 5. März 2019 nahm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Asylverfahren vom 4. Februar 2012 gemäß § 69 Abs. 1 AVG von Amts wegen wieder auf ohne über den Antrag auf internationalen Schutz abschließend abzusprechen.

3 Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, der Revisionswerber habe seine bengalische Staatsangehörigkeit verschwiegen. Aus den - im Zuge eines Einreiseantrages seines "vermeintlich" adoptierten Sohnes - zwei vorgelegten Unterlagen ergebe sich eindeutig, dass der Revisionswerber die Staatsangehörigkeit von Bangladesch besitze. Es sei unwahrscheinlich, dass zweimal irrtümlicherweise die Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers in den Unterlagen aufgenommen worden sei. Von einer Irreführungsabsicht sei deshalb auszugehen, weil der Revisionswerber bewusst die bengalische Staatsangehörigkeit nicht bekanntgegeben habe.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe den Bescheid mit welchem ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, aufgrund seiner unrichtigen Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit erschlichen. Der Revisionswerber habe sich dadurch einen Vorteil in seinem Asylverfahren erhofft. Der Revisionswerber sei bereits zum Zeitpunkt der Adoption des nunmehr die Einreise begehrenden Sohnes im Jahr 2011 bengalischer Staatsangehöriger gewesen. Sei auch aus der Wendung in der Adoptionsurkunde "at present bangladesh" die Staatsangehörigkeit nicht eindeutig ableitbar, ergebe sich aus dem Gesamtzusammenhang, dass damit eigentlich nur die Staatsangehörigkeit gemeint sein könne. Dass der Revisionswerber seine bengalische Staatsangehörigkeit vorsätzlich verschwiegen habe, liege auf der Hand.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen.

8 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint (§ 24 Abs. 4 VwGVG ist hier nicht anwendbar) und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

10 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0268, mwN).

11 Diese Voraussetzungen lagen im gegenständlichen Fall nicht vor.

12 Das Verwaltungsgericht begründete den Entfall der Durchführung der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG damit, dass die Beschwerde der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht substantiiert entgegengetreten sei und auch nicht aufgezeigt habe, warum die Beweiswürdigung falsch oder unschlüssig sein sollte. Es sei auch die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht beantragt worden.

13 Im vorliegenden Fall trat der Revisionswerber den Tatsachenfeststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in der Beschwerde entgegen und rügte in diesem Zusammenhang vor allem die fehlende Auseinandersetzung in den Feststellungen bzw. in der Beweiswürdigung zu dem von der Behörde angenommenen bewusst zur Täuschung der Behörde gesetzten Verhalten des Revisionswerbers. Dazu wurde ausgeführt, dass sich die Behörde lediglich auf zwei näher genannte Urkunden stütze und insbesondere aus der "Erklärung der Adoption" die Staatsangehörigkeit nicht eindeutig hervorgehe. Es sei nicht ausreichend, aus dieser Urkunde auf den Bestand der bengalischen Staatsangehörigkeit zu schließen und dem Revisionswerber wissentliche Irreführung vorzuwerfen. Es sei naheliegend, dass es aufgrund der bengalischen Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau zu einem Missverständnis gekommen sei.

14 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging von der Unglaubwürdigkeit der dazu vom Revisionswerber gemachten Aussage aus, ohne auf die zu den einzelnen Urkunden getätigten Angaben des Revisionswerbers einzugehen. Dieser Würdigung schloss sich das Bundesverwaltungsgericht an und konstatierte selbst, dass aus der "Erklärung der Adoption", insbesondere aus der dort enthaltenen Wendung "at present Bangladesh" nicht eindeutig ableitbar sei, dass der Revisionswerber bengalischer Staatsbürger sei. Lediglich aus dem Gesamtzusammenhang ergebe sich für das Gericht, dass nur die Staatsangehörigkeit gemeint sein könne. Letztlich folgerte das Gericht, es läge auf der Hand, dass der Revisionswerber seine bengalische Staatsangehörigkeit zwecks Erlangung von Asyl verschwiegen habe.

15 Eine derartige Würdigung durfte das Verwaltungsgericht jedoch nicht vornehmen, ohne sich vorher in einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers zu verschaffen, zumal hierdurch eine weitere Klärung zu erwarten bzw. jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen war.

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Erschleichen" eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zu Stande kam, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt wurden, wobei das Verschweigen wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0280, mwN).

17 Die für die Erschleichung eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass die Partei wider besseren Wissens gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. VwGH 15.12.2015, Ro 2015/01/0002, mwN).

18 Fallbezogen fehlen zur Beurteilung einer Irreführungsabsicht des Revisionswerbers im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ausreichende Feststellungen. Schon in der Beschwerde wurde aufgezeigt, das Bundesamt habe sich nicht damit auseinander gesetzt, inwieweit der Revisionswerber vorsätzlich gehandelt habe. 19 Angesichts des - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes - hinreichend substantiierten Beschwerdevorbringens und der im behördlichen Verfahren mangelhaften Feststellungen hätte das Verwaltungsgericht nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen dürfen.

20 Da die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung der mündlichen Verhandlung somit nicht vorlagen, erweist sich das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften als rechtswidrig. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140282.L00

Im RIS seit

09.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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