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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §22 Abs6Beachte
Rechtssatz
(Auch) Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FrPolG 2005 ist daran geknüpft, dass sich die konkrete Schubhaft als verhältnismäßig erweist. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 76 Abs. 2 Z 1 legcit. und ist aus verfassungsrechtlichen Gründen (vgl. VfGH 20.9.2011, B 1447/10, VfSlg. 19.472/2011) geboten. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zufolge § 76 Abs. 2a FrPolG 2005 ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden "in Betracht zu ziehen". Neben dem Gesichtspunkt des § 76 Abs. 2a legcit. ist auch die Frage der voraussichtlichen Dauer des Asylverfahrens bzw. eines dem Asylwerber weiterhin zukommenden "Bleiberechts" einzubeziehen (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0177; VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204; VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0005). Die Überlegung, ein offenes Asylverfahren schließe unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht (per se) die Anwendung des § 76 Abs. 2 Z 1 legcit. aus, ist zwar zutreffend. Einer nicht näher abschätzbaren weiteren Dauer des Asylverfahrens und damit folgend der nicht absehbaren Dauer der weiteren Anhaltung nach § 76 Abs. 2 Z 1 legcit. jegliche Bedeutung abzusprechen, widerspricht dem Grundsatz, dass eine Schubhaft nur dann verhängt und aufrechterhalten werden darf, wenn ihr Zweck innerhalb der Schubhafthöchstdauer voraussichtlich realisiert werden kann (vgl. VwGH 11.5.2017, Ra 2016/21/0144). Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 legcit. ist nämlich gemäß § 80 Abs. 5 FrPolG 2005 insoweit zeitlich beschränkt, als sie bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von zehn Monaten nicht überschreiten darf. Wäre - ungeachtet der gesetzlichen Entscheidungsfristen (siehe vor allem § 22 Abs. 6 AsylG 2005), von deren Einhaltung, aber nicht ohne Weiteres ausgegangen werden kann - von vornherein damit zu rechnen, dass es innerhalb dieses Zeitrahmens nicht zur Erlassung einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme kommen werde, so erwiese sich eine dennoch verhängte oder aufrechterhaltene Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FrPolG 2005 somit regelmäßig als rechtswidrig. Die nach der genannten Bestimmung verhängte Schubhaft kann ihren Zweck nämlich nur dann entfalten, wenn der Fremde dann auch für den Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Abschiebung) zur Verfügung steht (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0177). Es ist unverzichtbar, bei Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FrPolG 2005 die Dauer des Asylverfahrens näher in den Blick zu nehmen und Ermittlungen (naheliegend durch Erkundigungen beim zuständigen Entscheidungsorgan) dazu anzustellen, wann mit dessen Abschluss gerechnet werden könne.
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020210004.J01Im RIS seit
12.08.2020Zuletzt aktualisiert am
19.08.2020