TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/21 Ra 2019/14/0551

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Veröffentlicht am 21.04.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verfassungsgerichtshof
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art135 Abs2
B-VG Art135 Abs3
B-VG Art83 Abs2
Geschäftsverteilung BVwG §24 Abs3 Z1
Geschäftsverteilung BVwG §24 Abs4
VwGG §42 Abs2 Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Himberger und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des X Y in Z, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2019, W163 2128468-3/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 30. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 26. Mai 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab und sprach aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005" nicht erteilt werde. Weiters erließ es gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies durch den Leiter der Gerichtsabteilung W163 die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit Spruchpunkt A) I. des Erkenntnisses vom 29. Juni 2018 ab. Weiters behob es mit Spruchpunkt A) II. einen Teil des Bescheides, "soweit damit über die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 abgesprochen wurde". Diese Teilaufhebung begründete es damit, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls nach der Neufassung des § 58 Abs. 2 AsylG 2005 durch das FrÄG 2015 dessen Abs. 3 keine Rechtsgrundlage (mehr) biete, in Fällen, in denen eine Rückkehrentscheidung erlassen oder nur für vorübergehend unzulässig erklärt werde, darüber hinaus auch noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen.

4 In der Folge stellte der Revisionswerber am 17. September 2018 einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des BVwG vom 29. Juni 2018 abgeschlossenen Verfahrens. Diesen Antrag wies das BVwG durch den Leiter der Gerichtsabteilung W163 mit Beschluss vom 30. November 2018 ab.

5 Am 12. April 2019 stellte der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005.

6 Das BFA wies diesen Antrag mit Bescheid von 30. Juni 2019 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Es erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Weiters sprach die Behörde aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG - wiederum durch den Leiter der Gerichtsabteilung W163 - die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, dass dem BVwG ein Verstoß gegen seine Geschäftsverteilung unterlaufen sei, worin ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege. Die Zuweisung an den Leiter der Gerichtsabteilung W163 habe "allem Anschein nach" ihren Grund allein darin, dass diesem bereits die Beschwerde im ersten Asylverfahren sowie der darauf bezogene Wiederaufnahmeantrag zugewiesen worden seien. Die Geschäftsverteilung des BVwG sehe jedoch eine solche Regelung - also eine Annexität eines Beschwerdeverfahrens zu früheren, bereits abgeschlossenen Verfahren des gleichen Beschwerdeführers - nicht vor. Die Beschwerde hätte daher auf Grund der in der Geschäftsverteilung vorgesehenen Vorwegzuweisungen einer anderen Gerichtsabteilung zugewiesen werden müssen.

9 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

10 Das BVwG teilte über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes mit, dass die Zuweisung der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 30. Juni 2019 an die Gerichtsabteilung W163 angesichts des aufhebenden Spruchpunktes A) II. des Erkenntnisses des BVwG vom 29. Juni 2018 infolge Annexität gemäß § 24 Abs. 4 der Geschäftsverteilung 2019 erfolgt sei.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zur Zuständigkeit des entscheidenden Richters zulässig. Sie ist auch begründet.

13 Die Beschwerde wurde dem BVwG am 1. August 2019 vorgelegt. Auf sie war daher die Geschäftsverteilung 2019 des BVwG (GV 2019) in der Fassung vom 18. Juli 2019 anzuwenden.

14 § 24 GV 2019 lautet auszugsweise:

"§ 24. Zuweisung von Annexsachen

(1) Annexsachen werden ohne Bedachtnahme auf die allgemeine Zuweisung einzeln den dafür jeweils zuständigen Gerichtsabteilungen zugewiesen.

(2) Annexsachen sind Rechtssachen derselben Zuweisungsgruppe, die nach Maßgabe der Bestimmungen der folgenden Absätze zu einer oder mehreren anderen, früher zugewiesenen Rechtssachen im Verhältnis der Annexität stehen.

(3) Annexität liegt in folgenden Fällen vor:

1. wenn sich eine Rechtssache nach dem AsylG 2005, dem BFA-

VG, dem FPG oder dem GVG-B 2005 auf dieselbe Person wie ein anhängiges Verfahren derselben Zuweisungsgruppe im Sinne der ANLAGE 1 bezieht;

(...)

9. bei Wiedereinsetzungs- und Wiederaufnahmeverfahren, die

sich auf eine anhängige oder abgeschlossene Rechtssache beziehen;

(...)

(4) Unbeschadet des Abs. 3 liegt Annexität bei allen Rechtssachen derselben Zuweisungsgruppe vor, die auf Grund einer Entscheidung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG oder einer zurückverweisenden Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG oder einer anderen kassatorischen Gesetzesbestimmung (z.B. § 21 Abs. 3 BFA-VG) erneut anhängig werden, sofern die Erledigung solcher Rechtssachen weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der betreffenden Gerichtsabteilung fällt oder es sich bei dieser Rechtssache um eine solche der Zuweisungsgruppen AFR, DUB, VIS oder SCH handelt. Dies gilt nicht, wenn der Herkunftsstaat (§ 2 Z 5) in dem der zurückverweisenden Entscheidung vorangegangenen Administrativverfahren ein anderer war als bei der nunmehr zuzuweisenden Rechtssache.

(...)"

15 Eine Annexität, die darauf gegründet ist, dass sich eine Rechtssache nach dem AsylG 2005 auf dieselbe Person bezieht wie ein bereits zugewiesenes Verfahren, liegt gemäß § 24 Abs. 3 Z 1 GV 2019 dann vor, wenn das bereits zugewiesene (frühere) Verfahren zum Zeitpunkt der Zuweisung der (späteren) Rechtssache noch anhängig ist. Dies ist vorliegend jedenfalls nicht gegeben, weil zum Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde beim BVwG die vorangehenden den Revisionswerber betreffenden Verfahren bereits abgeschlossen waren.

16 Eine Annexität zu einem der vorangehenden den Revisionswerber betreffenden Verfahren lässt sich aber - entgegen der Beurteilung des BVwG - auch nicht aus § 24 Abs. 4 GV 2019 ableiten.

17 Diese Bestimmung nennt drei Fälle, in denen eine erneut anhängig werdende Rechtssache als Annexsache in Bezug auf eine frühere Zuweisung zu behandeln ist: Entscheidungen nach § 28 Abs. 7 VwGVG (Auftrag an die säumige Behörde zur Nachholung eines Bescheides auf Grund einer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG), zurückverweisende Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (zur Erlassung eines neuen Bescheides durch die Behörde) und eine Entscheidung gemäß einer "anderen kassatorischen Gesetzesbestimmung" (wie etwa § 21 Abs. 3 BFA-VG - Stattgabe einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des BFA im Zulassungsverfahren).

18 Sämtlichen in § 24 Abs. 4 GV 2019 genannten Fällen ist gemeinsam, dass der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes ein fortgesetztes Verfahren vor der Verwaltungsbehörde in der gleichen Angelegenheit (und damit potenziell ein weiteres Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht) nachfolgt. In diesem Sinne spricht die Bestimmung auch davon, dass die

betreffenden "Rechtssachen ... erneut anhängig werden".

19 Im vorliegenden Fall folgte auf Basis des Spruchpunkts

A) II. des (ersten) Erkenntnisses des BVwG vom 29. Juni 2018, mit dem der damals angefochtene Bescheid insofern (teilweise) aufgehoben wurde, soweit im Spruch ausdrücklich über die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 abgesprochen wurde, kein solches fortgesetztes Verfahren. Die Teilaufhebung wird zwar im Spruch des Erkenntnisses nicht ausdrücklich als "ersatzlos" bezeichnet. Jedoch ergibt sich aus der Begründung eindeutig, dass nach Ansicht des BVwG keine Grundlage dafür besteht, von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen, also dass ein solcher amtswegiger Ausspruch nicht hätte erfolgen dürfen. Insofern wurde unzweifelhaft eine ersatzlose Eliminierung dieses Ausspruchs verfügt. In diesem Sinn hat das BFA danach in dieser Angelegenheit auch keine weitere Entscheidung getroffen.

20 Sohin stellt der im nunmehr gegenständlichen Beschwerdeverfahren angefochtene Bescheid des BFA auch keine (Ersatz-)Entscheidung in einem fortgesetzten Verfahren dar. Vielmehr erledigt er (erstmals) den zweiten Antrag des Revisionswerbers vom 12. April 2019. Die Rechtssache, über die das BVwG mit dem Erkenntnis vom 29. Juni 2018 abgesprochen hatte, wurde also nicht "erneut anhängig".

21 Da somit eine Annexität der hier gegenständlichen Rechtssache zu einem früheren Beschwerdeverfahren weder auf § 24 Abs. 3 Z 1 noch - wie vom BVwG angenommen - Abs. 4 GV 2019 gestützt werden kann, stellt die nach § 24 Abs. 1 GV 2019 ("ohne Bedachtnahme auf die allgemeine Zuweisung") vorgenommene Zuweisung an die Gerichtsabteilung W163 einen Verstoß gegen die Geschäftsverteilung dar.

22 Entscheidet ein nach der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichtes nicht zuständiger (Einzel-)Richter, so führt dies im Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Aufhebung der Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes (VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0032, mwN).

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.

24 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140551.L00

Im RIS seit

18.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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