Index
E6JNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Himberger und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des X Y in Z, vertreten durch Mag. Wilhelm Lackner, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Propstengasse 1/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. September 2019, W103 1314933- 3/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. 2 Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 25. April 2008 wurde dem damals minderjährigen Revisionswerber im Familienverfahren gemäß § 3 Abs. 1 und § 34 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) - abgeleitet von seiner Mutter als Bezugsperson - der Status eines Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukomme. 3 Der Revisionswerber wurde später mehrfach strafgerichtlich verurteilt. Dies nahm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im März 2019 zum Anlass, ein Verfahren zur Aberkennung des dem Revisionswerber gewährten Status einzuleiten.
4 Mit Bescheid vom 2. Mai 2019 sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten aberkannt werde, stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Das BFA legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber zudem ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot.
5 Begründend führte das BFA in Bezug auf die Aberkennung des Status des Asylberechtigten aus, die Umstände, aufgrund derer dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden seien, seien im Sinn des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 weggefallen. Die allgemeine Sicherheitslage in seinem Herkunftsstaat lasse eine Rückkehr nicht unmöglich erscheinen. Der Revisionswerber habe niemals eigene Fluchtgründe vorgebracht. Es sei ihm Asyl im Familienverfahren gewährt worden. Es stehe ihm frei, sich außerhalb Tschetscheniens niederzulassen. Auch sei es ihm zumutbar, sich im Herkunftsstaat selbst zu erhalten. Die Familie des Revisionswerbers könne ihn auch finanziell unterstützen. Er sei mehrfach von österreichischen Strafgerichten verurteilt worden, weshalb die Ablaufhemmung des § 7 Abs. 3 AsylG 2005 nicht zum Tragen komme. Auf die Voraussetzungen des im Spruch des Bescheides angeführten § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ging die Behörde nicht näher ein.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. September 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 In seiner Begründung führte das BVwG - zusammengefasst und soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Interesse - aus, es könne dem Bescheid vom 25. April 2008 nicht konkret entnommen werden, aufgrund welchen Sachverhalts dem damals acht Jahre alten Revisionswerber der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Es liege "ungeachtet dessen" aktuell keine individuelle oder generelle Gefährdung des Revisionswerbers im Heimatland vor. Die belangte Behörde habe anhand umfassender Länderberichte dargelegt, dass sich die Lage in Tschetschenien seit dem Zeitpunkt der Statuszuerkennung wesentlich und nachhaltig verändert habe. Aus dem Verwaltungsakt sei zu entnehmen, dass die Eltern des Revisionswerbers von russischen Soldaten wiederholt misshandelt worden seien. Der Vater sei dann verschwunden. Die Mutter sei mit dem Revisionswerber und seiner Schwester aus dem Heimatland ausgereist. Der Revisionswerber habe weder im damaligen Verfahren noch im gegenständlichen Verfahren vorgebracht, an Kampfhandlungen beteiligt gewesen zu sein oder Widerstandskämpfer unterstützt zu haben. Er habe sich zuletzt im Kindesalter im Herkunftsstaat aufgehalten. Es lägen weder Hinweise auf eine herausragende Stellung des Revisionswerbers in der dortigen Gesellschaft noch auf eine gezielte Suche der dortigen Behörden nach ihm vor. Es sei kein Sachverhalt gegeben, der eine Asylgewährung "notwendig" mache. Auch sei dem Vorbringen, der Revisionswerber sei aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu seinem Vater im Herkunftsstaat gefährdet, keine konkrete asylrelevante Verfolgung seiner Person zu entnehmen. Es sei nicht im Sinn des Gesetzgebers, Personen, die individuell nie gefährdet gewesen seien, dann straffällig werden, aber nicht gefährdet seien, den Status des Asylberechtigten nicht abzuerkennen. Dies würde zu einer unsachlichen Besserstellung dieser Personen gegenüber jenen Asylberechtigten, deren individuelle Verfolgung weggefallen sei und dies eine Aberkennung des Schutzstatus zur Folge habe, führen. Weiters legte das BVwG dar, weshalb dem Revisionswerber subsidiärer Schutz nicht zuzuerkennen und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes geboten und verhältnismäßig sei.
8 Die dagegen erhobene Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u. a. vor, das BVwG, das verkannt habe, dass beim Revisionswerber ein Wegfall der Gründe gar nicht in Betracht gezogen werden dürfe, habe notwendige Ermittlungen zu den Umständen der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren, zur Frage, ob diese Umstände noch vorlägen, sowie zu den Verhältnissen im Herkunftsstaat unterlassen, ebenso die notwendige Gefährdungsprognose und die damit zusammenhängende Einzelfallprüfung. Auch habe das BVwG verkannt, dass der Bescheid des BFA erhebliche Widersprüche zwischen Spruch und Begründung aufweise. Das BFA habe dem Spruch zufolge die Aberkennung auf § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt, sich jedoch in der Begründung auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 bezogen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegenständliche Revision nach Vorlage derselben samt der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 11 § 7 AsylG 2005 lautet (auszugsweise und samt Überschrift):
"Aberkennung des Status des Asylberechtigten
§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1.
ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
2.
einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder
3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.
(2) ...
...
(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.
(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen."
12 Das BVwG hat dem Spruch zufolge - wie schon zuvor das BFA - seine Entscheidung über die Aberkennung des dem Revisionswerber früher zuerkannten Status des Asylberechtigten auf § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt. Dazu fehlt aber jegliche Begründung. Vielmehr ergibt sich anhand der Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts, dass es für die Aberkennung allein auf die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK ("Wegfall der Umstände") abgestellt hat.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0059, ausführlich mit den Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK, wenn einem Fremden zuvor der Status des Asylberechtigten nach den Bestimmungen des Familienverfahrens (§ 34 AsylG 2005) zuerkannt worden war, auseinandergesetzt. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Dort wurde in den Rn. 28 bis 30 festgehalten:
"Die Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK beruhen auf der Überlegung, dass internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden sollte, wo er nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gerechtfertigt ist. Bei der 'Wegfall der Umstände'-Klausel ist dies dann der Fall, wenn die Gründe, die dazu führten, dass eine Person ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 1979, Rn. 111, 115). Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 ist es, Familienangehörigen die Fortsetzung des Familienlebens mit einer Bezugsperson in Österreich zu ermöglichen (vgl. RV 952 BlgNR XXII. GP 15). Bestehen jene Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr, und kann es die Bezugsperson daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatstaates zu stellen, besteht weder nach dem Zweck des internationalen Flüchtlingsschutzes noch nach jenem des Familienverfahrens nach dem AsylG 2005 eine Rechtfertigung dafür, den Asylstatus des Familienangehörigen, der diesen Status von der Bezugsperson nur abgeleitet hat, aufrecht zu erhalten (...).
Für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände kommt es also darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.
Gelangt die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) in so einem Fall zu der Beurteilung, dass die in Rn. 29 genannten Umstände nicht mehr vorliegen, ist der Asylstatus eines Familienangehörigen, dem dieser Status im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannt worden ist, abzuerkennen, sofern im Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich des Familienangehörigen nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (drohende Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) vorliegen (vgl. in diesem Sinn auch EuGH 2.3.2010, C-175/08 u.a., Aydin Salahadin Abdulla u.a., Rn. 81 ff)."
14 Demnach hat in jenem Fall, in dem der einem Fremden zuvor im Familienverfahren zuerkannte Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK aberkannt wird, sowohl eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der (als Vorfrage zu beantwortenden) Frage zu erfolgen, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson - im vorliegenden Fall die Mutter des Revisionswerbers - als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, als auch die Prüfung der Frage, ob hinsichtlich des Fremden - hier also des Revisionswerbers - die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen.
15 Zwar hat das BVwG in diesem Sinn geprüft, ob Gründe vorlägen, wonach der Revisionswerber im Fall der Rückkehr in sein Heimatland selbst einer asylrechtlich relevanten Verfolgung unterliegen könnte. In Verkennung der oben dargestellten Rechtslage hat das BVwG aber keine Ermittlungen vorgenommen und auch keine Feststellungen getroffen, die die Beurteilung erlaubt hätten, ob hinsichtlich der Mutter, von der der Revisionswerber den Status als Asylberechtigter im Familienverfahren abgeleitet zuerkannt erhalten hatte, jene Umstände, die zu ihrer Anerkennung als Flüchtling geführt haben, nicht mehr bestünden und es diese daher nicht weiterhin ablehnen könne, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.
16 Auf die Frage, ob im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des - vom Verwaltungsgericht im Spruch seiner Entscheidung erwähnten - § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 für die Aberkennung gegeben waren, war an dieser Stelle nicht weiter einzugehen. Dazu enthält die angefochtene Entscheidung nämlich - wie bereits oben erwähnt - überhaupt keine Begründung (vgl. zu den Anforderungen an eine solche aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 27.6.2019, Ra 2018/14/0274, mwN); insbesondere (auch) nicht die für eine einwandfreie rechtliche Beurteilung notwendigen Feststellungen zu den vom Revisionswerber begangenen Straftaten. 17 Nach dem Gesagten ist das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
18 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 22. April 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62008CJ0175 Salahadin Abdulla VORABSchlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140501.L01Im RIS seit
09.06.2020Zuletzt aktualisiert am
09.06.2020