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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des I M, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2019, W156 2191984-1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 3. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass er in Afghanistan geboren sei, jedoch mit seiner Familie ab seinem ersten Lebensjahr bis 2012 im Iran gelebt habe. Danach habe die Familie in Kabul gewohnt. Im Jahr 2013 sei der Revisionswerber vor seinem gewalttätigen, drogensüchtigen Vater zunächst nach Pakistan und später nach Österreich geflohen.
2 Mit Bescheid vom 6. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul unberücksichtigt lassen, dass der Revisionswerber Kabul im Alter von einem Jahr verlassen und lediglich im Jahr 2012 ein weiteres Jahr dort verbracht habe. In dieser Zeit sei er von seinem Vater regelmäßig verprügelt worden und habe das Haus nicht verlassen dürfen. Vor dem Hintergrund der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 scheide für den Revisionswerber aber auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazare Sharif aus. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Zumutbarkeitsabwägung nicht einbezogen, dass der Revisionswerber beinahe sein gesamtes Leben im Iran verbracht habe, er über keine Arbeitserfahrung in Afghanistan und dort über keine Familienangehörigen verfüge. Das Bundesverwaltungsgericht habe die dargelegte psychische Erkrankung des Revisionswerbers nicht angezweifelt, jedoch lediglich im Hinblick auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK, nicht hingegen im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung einbezogen.
8 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.1.2020, Ra 2019/20/0322, mwN).
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).
10 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Wird von der Behörde - im Beschwerdeverfahren: vom Verwaltungsgericht - nach entsprechender Prüfung die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Bezug auf ein Gebiet allgemein bejaht, so obliegt es dem Asylwerber, besondere Umstände aufzuzeigen, die gegen die Zumutbarkeit sprechen (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/01/0106).
11 Weder EASO (Leitfaden vom Juni 2018) noch UNHCR (Richtlinien vom 30. August 2018) gehen von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. VwGH 30.1.2020, Ra 2020/20/0003, mwN). 12 Weiters erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/01/0488, mwN).
13 Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit dem psychischen Zustand des Revisionswerbers und seiner Situation im Falle einer Neuansiedlung in den als innerstaatliche Fluchtalternativen ins Auge gefassten Gebieten auseinander. Ausgehend von dem vorgelegten klinischpsychologischen Befund vom 4. Juli 2018 stellte es fest, dass der Revisionswerber unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren Depression ohne psychotische Symptome leide. Es kam jedoch im Rahmen einer nicht als unschlüssig zu wertenden Beweiswürdigung mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass der Revisionswerber an keinen Einschränkungen leide, die ihn an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hindern würden. Dem hält der Revisionswerber nichts Stichhaltiges entgegen. Mit ihrem pauschalen Hinweis auf eine schwere Traumatisierung des Revisionswerbers legt die Revision nicht konkret dar, dass dieser nicht arbeitsfähig und die diesbezüglichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgericht unvertretbar wären.
14 Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber stehe jedenfalls in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre und sich hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt habe.
15 Wenn sich die Revision gegen die Existenz einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul wendet, ist darauf zu verweisen, dass es sich hierbei nach dem oben Gesagten lediglich um eine Alternativbegründung handelt. Auf die auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul Bezug nehmenden Ausführungen war daher nicht weiter einzugehen (vgl. zur Unzulässigkeit einer Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung etwa VwGH 13.11.2019, Ra 2019/01/0326, mwN). 16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
17 Gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG konnte von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichthof abgesehen werden.
Wien, am 27. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200242.L00Im RIS seit
09.06.2020Zuletzt aktualisiert am
09.06.2020