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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §2 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Dezember 2018, W191 2196959-1/10E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A K R in R), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 28. Dezember 2015 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seiner minderjährigen Tochter einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Begründend brachte er vor, er habe Afghanistan wegen des Krieges und Unruhen sowie auf Grund der schlechten Situation für Frauen und Mädchen in Afghanistan verlassen.
2 Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. März 2017 wurde der Mitbeteiligte wegen des Vergehens des versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15 Abs. 1, 127, 128 Abs. 1 Z 2, 129 Abs. 1 Z 2 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
3 Mit Bescheid vom 24. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.) und erließ ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
4 Am 19. August 2018 wurde der Mitbeteiligte von der Polizeiinspektion Lembach wegen gefährlicher Drohung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung auf freiem Fuß angezeigt.
5 Mit Mandatsbescheid vom 14. September 2018 widerrief das BFA die dem Mitbeteiligten eingeräumte Frist für die freiwillige Ausreise.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des BFA vom 24. April 2018 statt, erkannte ihm gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 34 Abs. 2 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu (Spruchpunkt A.I.), stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme (Spruchpunkt A.II.), behob die Spruchpunkte II., IV. bis V. und VII. des angefochtenen Bescheides (Spruchpunkt A.III.) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B). 7 Das BVwG stellte - soweit hier maßgeblich - fest, dass der Mitbeteiligte keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht habe und dass keine Gründe vorlägen, nach denen der Mitbeteiligte von der Asylgewährung auszuschließen wäre. In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, für den Mitbeteiligten lägen keine Gründe für eine "originäre" Asylzuerkennung vor. Ihm sei jedoch als Ehemann seiner Ehefrau, der mit Erkenntnis vom selben Tag der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei, im Familienverfahren ebenfalls der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. In Zusammenhang mit der Aufhebung des Einreiseverbotes führte das BVwG aus, es bestehe im Hinblick auf Art und Intensität der vom Mitbeteiligten verletzten rechtlich geschützten Werte und seines Persönlichkeitsbildes durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in einem Ausmaß, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes gerechtfertigt wäre. Ein Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 liege ebenfalls nicht vor.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Der Mitbeteiligte hat auf die Erstattung einer Revisionsbeantwortung verzichtet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit auf das Wesentliche zusammengefasst vor, der Mitbeteiligte sei iSd. § 2 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 straffällig geworden, weswegen ihm gemäß § 34 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 im Familienverfahren nicht der Status des Asylberechtigten hätte zuerkannt werden dürfen. 11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, lauten auszugsweise:
"Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
...
22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen
Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, ...;
...
(3) Ein Fremder ist im Sinne dieses Bundesgesetzes
straffällig geworden, wenn er
1. wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren
Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, oder
2. mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich
begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu
verfolgen ist
rechtskräftig verurteilt worden ist.
...
Familienverfahren im Inland
§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
...
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als
Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines
Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des
Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit
Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
...
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten
zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
..."
13 In den Materialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122, wird zu § 34 AsylG 2005 Folgendes ausgeführt (RV 330 BlgNR XXIV. GP 23):
"Der Entwurf sieht vor, bei Familienverfahren im Inland gemäß § 34 neue Prüfungskriterien im Hinblick auf straffällige Fremde einzuführen. Gemäß der neuen Z 1 in den Abs. 2 und 3 kann sich ein Familienangehöriger demnach nicht auf die Gewährung internationalen Schutzes im Rahmen des Familienverfahrens berufen, wenn er straffällig im Sinne des § 2 Abs. 3 geworden ist (zur Definition dieses Begriffs siehe dort) oder gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten in Österreich zuerkannt wurde - also der Bezugsperson des Familienangehörigen - ein Verfahren zur Aberkennung des jeweiligen Schutzstatus anhängig ist (Z 3 der Abs. 2 und 3). ..."
14 Die maßgeblichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches - StGB, BGBl. Nr. 60/1974, lauten:
"Strafbarkeit vorsätzlichen und fahrlässigen Handelns
§ 7. (1) Wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, ist nur vorsätzliches Handeln strafbar.
...
Strafbarkeit des Versuches
§ 15. (1) Die Strafdrohungen gegen vorsätzliches Handeln gelten nicht nur für die vollendete Tat, sondern auch für den Versuch und für jede Beteiligung an einem Versuch.
..."
15 Eine Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an einen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, ist gemäß § 34 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005, dass der Familienangehörige nicht straffällig geworden ist. Die Definition von Straffälligkeit im Sinne dieser Bestimmung ergibt sich aus § 2 Abs. 3 AsylG 2005 (vgl. RV 1803 BlgNR XXIV. GP 43). Nach dessen Z 1 ist ein Fremder im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, rechtskräftig verurteilt worden ist.
16 § 2 Abs. 3 (Z 1) AsylG 2005 stellt auf die Begehungsform des Vorsatzes ab ("vorsätzlich begangen"), erfasst also Vorsatzdelikte, nicht aber Fahrlässigkeitsdelikte. § 2 Abs. 3 (Z 1) AsylG 2005 verlangt hingegen nicht, dass die Tat, wegen der ein Fremder rechtskräftig verurteilt worden ist, vollendet wurde, erfasst daher auch rechtskräftige Verurteilungen wegen eines versuchten Vorsatzdeliktes.
17 Im Revisionsfall wurde der Mitbeteiligte mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. März 2017 wegen des versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15 Abs. 1, 127, 128 Abs. 1 Z 2, 129 Abs. 1 Z 2 StGB, also wegen des Versuchs eines in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fallenden Vorsatzdeliktes (vgl. § 31 Abs. 4 Z 1 StPO), rechtskräftig verurteilt. Er ist somit gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 straffällig geworden. Gemäß § 34 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 lagen daher die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren an den Mitbeteiligten nicht vor. Eigene Fluchtgründe des Mitbeteiligten hat das BVwG nicht festgestellt.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 27. April 2020
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190421.L00Im RIS seit
09.06.2020Zuletzt aktualisiert am
09.06.2020