TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/11 I419 2141566-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.03.2020
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Entscheidungsdatum

11.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2141569-1/17E

I419 2141554-1/15E

I419 2141557-1/14E

I419 2141561-1/14E

I419 2141566-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, hier als BF und gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als BF1 bis BF5 bezeichnet, sind eine Familie. BF1 ist der Vater, BF2, seine Gattin, die Mutter der weiteren BF, ihrer beiden Töchter BF3 und BF4 sowie ihres Sohnes BF5. Die BF stellten 2015 Anträge auf internationalen Schutz, begründet mit mangelnder Sicherheit und der angeblichen Bedrohung von BF1 als Sunnit, die auch BF5 bevorstehe.

2. Das BFA wies die Anträge mit den bekämpften Bescheiden betreffend die Status von Asylberechtigten ab und zuerkannte den BF den Status von subsidiär Schutzberechtigten.

3. Die Beschwerden richten sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten. Vater und Onkel von BF1 seien Mitglieder der XXXX-Partei gewesen, und im Herkunftsbezirk der BF würden Sunniten verfolgt und vertrieben. Der Onkel sei von schiitischen Milizen nach Drohungen getötet worden, BF1 von diesen bedroht und aufgefordert, die Gegend zu verlassen.

4. Das BFA hat einem weiteren, 2018 in Österreich geborenen, Sohn von BF1 und BF2 einen ebenfalls subsidiären Schutz, aber keinen Asylstatus erteilt, wobei gegen den Bescheid keine Beschwerde erhoben wurde und dieser auch nicht als in Beschwerde gezogen gilt (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0252).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zu den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern:

Die BF sind Sunniten arabischer Muttersprache und stammen aus XXXX, wo sie im Viertel XXXX im gleichnamigen Bezirk wohnten, der hauptsächlich von Sunniten bewohnt wird, und zwar mit dem Vater, der Stiefmutter und drei Brüder mit Schwägerinnen von BF1 in unterschiedlichen Wohneinheiten eines Gebäudes. Davor lebten die Genannten in einem anderen Gebäude in XXXX. In XXXX leben weiterhin der Vater und drei Schwestern von BF2 sowie zwei verheiratete Schwestern von BF1. Die genannten männlichen Angehörigen von BF1 leben in XXXX oder XXXX. Alle Familienangehörigen sind Sunniten.

Die BF sprechen arabisch, BF5 auch gut Deutsch. Ihre Identitäten stehen fest. Im Herkunftsstaat hat BF1 die Reifeprüfung abgelegt, Wehrdienst geleistet, Psychologie studiert, von 2005 bis mindestens 2014 eine Autowerkstatt betrieben und auch als Autohändler gearbeitet, indem er kaputte Autos kaufte, reparierte und verkaufte. BF2 wurde auf einem College als Mathematiklehrerin ausgebildet und hat bis zur Hochzeit 2004 und dann nochmals zumindest 2014 in einer Volksschule unterrichtet.

1.2 Zur Situation im Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zum Irak auf Stand 08.04.2016 zitiert. Aktuell steht ein zuletzt am 30.10.2019 aktualisiertes zur Verfügung. Im gegebenen Zusammenhang sind davon die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen:

[...] Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (XXXX, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nacheiner kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte XXXX, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über XXXX verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

XXXX: Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in XXXX zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement XXXX betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen XXXX die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt XXXX selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019, von denen auch XXXX betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019). Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement XXXX 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

1.2.2 Sicherheitsupdate 2. Quartal 2019

XXXX: Laut Joel Wing ist XXXX ist eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in XXXX Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine "Unterstützungszone" im südwestlichen Quadranten der "XXXXBelts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in XXXX und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement XXXX verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019). Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement XXXX verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019). Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt XXXX, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).

1.2.3 Sicherheitslage XXXX

Die Provinz XXXX ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner XXXXs sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz XXXX noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in XXXX als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in XXXX noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in XXXX allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS-Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. XXXX war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in XXXX fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in XXXX pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in XXXX langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz XXXX zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete XXXX die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte XXXX das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

In Bezug auf die Opferzahlen war XXXX von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in XXXX (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

1.2.2 Minderheiten

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). Es gab zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, die PMF und die Peshmerga (USDOS 20.4.2018).

1.2.3 Relevante Bevölkerungsgruppen

Ex-XXXXisten

Nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins durchlief der Irak eine Ent-XXXXifizierung, die die Auflösung der XXXX-Partei und verschiedener mit ihr verbundener Organisationen umfasste. Es kam zu Verhaftungen ehemaliger Parteimitglieder, sowie zur Säuberung des Staatsapparates, der Streitkräfte und der öffentlichen Verwaltung. Sunniten stellen die Ent-XXXXifizierung wiederholt als "Ent-Sunnifizierung" dar und beklagen, dass der Prozess zu einem Instrument konfessioneller Politik geworden ist (UKHO 11.2016; vgl. EUISS 10.2017, ICTJ 3.2013). Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen XXXX-Partei ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig aufgrund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Viele von ihnen haben weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien (AA 12.2.2018).

Einige mittel- bis hochrangige XXXXisten können für schwere, unter dem Saddam Regime begangene Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein. Es ist darüber hinaus auch möglich, dass einige frühere XXXXisten Verbindungen zum IS oder zu anderen aufständischen Organisationen, wie der "Armee der Männer des Naqshbandi-Ordens" (JRTN, Jaysh Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiyya), haben (UKHO 11.2016).

Im Zuge der Ent-XXXXifizierung von 2003-2013 soll es zu Festnahmen unter dem Anti-TerrorGesetz, zu Inhaftierungen ohne ordentliche Verfahren und zur Folter von Tausenden von Menschen, die der Mitgliedschaft in der XXXX-Partei bezichtigt wurden, gekommen sein (UKHO 11.2016). Schrittweise aufeinander folgende Gesetze zur Entfernung von XXXXisten aus dem öffentlichen Dienst basierten auf "Schuld durch Assoziation" anstatt individuell begangener und nachgewiesener Verbrechen (EUISS 10.2017). Tausende von Personen wurden so aufgrund ihres Rangs in der Partei und nicht wegen ihres eigentlichen Verhaltens bzw. ihrer Taten entlassen (Al Jazeera 12.3.2013; vgl. ICTJ 3.2013).

1.3 Zum Fluchtvorbringen:

BF2 hat betreffend die minderjährigen BF angegeben, dass diese keine eigenen Fluchtgründe haben (was die BF auch in der Beschwerdeverhandlung wiederholt haben), betreffend sich selbst, dass es im Herkunftsstaat nicht sicher sei, ihr Mann bedroht und der Schulbusfahrer von BF5 erschossen worden sei (AS 22 f). Später brachte sie weiter vor, im Rückkehrfall würde außer BF1 möglicherweise auch BF5 getötet, weil "die" dächten, dass dieser bald erwachsen sei und seinen Vater rächen werde wollen (AS 73).

1.3.1 Den BF droht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Araber und ihres religiösen Bekenntnisses als Sunniten keine Verfolgung, sei es von Milizen oder Dritten in XXXX. Ihnen droht auch keine Verfolgung als tatsächliche, ehemalige oder vermeintliche Mitglieder der XXXX-Partei.

Es kann nicht festgestellt werden, dass den BF aus anderen, und sei es auch unterstellten, Gründen der politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Herkunftsstaat staatliche Verfolgung oder eine private Verfolgung drohen würde, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könnte oder wollte.

1.3.2 Es kann nicht festgestellt werden, dass BF1 oder jemand aus seiner Familie 2007 oder später einen Drohbrief mit Beschimpfungen wegen XXXX-Mitgliedschaft oder mit einer Patrone als Beilage erhalten hätte.

1.3.3 Ein Schulbus-Fahrer, der mit einer Art Sammeltaxi unter anderem BF5 transportierte, wurde aus nicht feststellbaren Gründen durch einen Schuss getötet, während BF5 dabei war, das Fahrzeug zu verlassen. Es kann nicht festgestellt werden, wann das geschah.

1.3.4 Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF den Herkunftsstaat aus anderen als aus Gründen der allmeinen Sicherheit verlassen hätten.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt. Die Feststellung betreffend das 2018 geborene weitere Kind beruht auf dem vom BFA vorgelegten dieses Kind betreffenden Bescheid (hier protokolliert zu XXXX).

2.2 Zu den Personen:

Die Feststellungen zu den Lebensumständen und Identitäten, der Herkunft der BF und ihrer Integration ergaben sich aus den Aussagen von BF1 und BF2, dem unbestrittenen Inhalt der vorliegenden Reisepässe und anderen Urkunden sowie den Registerabfragen, die Deutschkenntnisse von BF5 auch aus dessen Befragung in der Beschwerdeverhandlung.

Betreffend den Wohnort der männlichen Angehörigen von BF1 war nur die Alternativfeststellung möglich, weil dieser 2015 und 2016 angab, sie seien in XXXX (AS 33, 75, 83), bei der Beschwerdeverhandlung jedoch, dass sie 2014 nach XXXX gezogen seien, ein Bruder nach Syrien. Nach Angabe von BF2 in der Verhandlung war es "Ca. im Jahr 2014".

2.3 Zum Herkunftsstaat:

Bei den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen handelt es sich um eine ausgewogene Auswahl sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs, die es ermöglicht, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates zur Kenntnis gelangen, über den berichtet wird, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb ihnen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann.

Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des Gerichts bei den Feststellungen im Länderinformationsblatt um ausreichend ausgewogene und aktuelle.

Die BF haben in der Verhandlung und in ihrer Stellungnahme vorab zu den Länderberichten auf die oben zitierten Inhalte verwiesen, BF1 ergänzt, in den Augen der Milizen sei man entweder Schiit, "als Angehöriger der Partei und zugehörig", oder - außerhalb davon - kein Mensch. Die BF traten den Quellen und ihren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren damit nicht substantiiert entgegen, teils beriefen sie sich auch auf diese.

2.4 Zum Fluchtvorbringen

2.4.1 Zur Feststellung, dass den BF aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Araber und ihres religiösen Bekenntnisses als Sunniten keine Verfolgung droht, gelangte das Gericht aufgrund dessen, dass es diesen nicht gelang, eine Verfolgungshandlung aus diesen Gründen glaubhaft zu machen, wie sogleich gezeigt wird, sowie wegen der Tatsache, dass sunnitische Angehörige der BF nach wie vor in XXXX wohnen.

2.4.2 Neben den Informationen des oben zitierten Länderinformationsblatts finden sich im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen solche in einer Anfragebeantwortung zum Irak (Aktuelle Lage in XXXX: Überblick Gebietskontrolle; Sicherheitslage aktuell und Entwicklungen seit 2016; Lage von Sunniten [ACCORD, März 2017]).

Dieser ist zu entnehmen:

"HRW (Human Rights Watch, Anm.) berichtet im März 2016, dass kriminelle Banden in XXXX und Diyala für Drohungen und Tötungen verantwortlich seien, die nicht untersucht worden seien. Sunnitische Opfer dieser Banden hätten gesagt, dass diese Verbindungen zu den irakischen Streitkräften und schiitischen Milizen hätten" sowie

"Anfang November (2016) habe Mohammed al-Rubaie, der Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates XXXX, bekanntgegeben, dass sunnitische Bewohner gewaltsam aus dem mehrheitlich von Schiiten bewohnten, südöstlichen Viertel Zaafaraniya vertrieben worden seien. Banden, die behauptet hätten, einflussreiche Einwohner zu vertreten, hätten fünf Familien dazu gezwungen, wegzuziehen."

Eine Situation, wie sie die BF geschildert haben, kam also möglicherweise 2016 in schiitischen Umgebungen vor und im selben Jahr mit kriminellen Tätern, kann aber nicht als längerfristig und ebenso nicht als Bedrohung in mehrheitlich sunnitischen Umgebungen festgestellt werden. Schon gar nicht ist aus diesen oder anderen Länderfeststellungen eine generelle Schutzlosigkeit von Sunniten im Irak abzuleiten, die nicht mit Schiiten verschwägert sind, wie dies BF1 in der Verhandlung vorbrachte (S. 18).

2.4.3 Dazu kommt, dass BF1 und auch BF2 die Fluchtgründe (von BF1) - auch - im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich dargestellt haben:

2.4.4 BF1 gab unter anderem an, mehrmals bedroht worden zu sein, weil er Sunnit sei. Im eigenen Heim sei er mit einer Pistole am Kopf bedroht und aufgefordert worden, sofort diese Umgebung zu verlassen. Den Ausreiseentschluss habe er 2005 gefasst. (AS 33, 37) BF2 gab für den Ausreiseentschluss "Vor 2 Monaten" an, also Anfang August 2015 (AS 17). In der Beschwerdeverhandlung sagte sie aus, dass sie Ende 2014 den Irak verlassen wollten (S. 9).

Einvernommen gab BF1 2016 an, nach der Tötung des Onkels ("weil er Sunnit ist") "waren wir an der Reihe". Er, BF1, sei ab 2007 mehrmals bedroht worden, weil er das Familienoberhaupt sei. Sein Vater sei "sehr alt und gebrechlich". (AS 77, 79) Erstbefragt hatte er als dessen Geburtsjahr 1949 angegeben, womit das Alter des Vaters bei etwa 58 gelegen wäre.

Die erste Bedrohung, 2007, schilderte er so: "Ich wollte aus der Türe hinaus (...). Mein Haus liegt an einer Hauptstraße. Plötzlich hielt ein Auto und einer stieg aus. Er hielt eine Waffe an meinen

Kopf und sagte: ‚Du Sunnit (Nasibi), wenn du das Haus und deine Gegend nicht verlässt, werden wir dich und deine Familie auf der Straße hinrichten' (...) Manchmal wurde ich am Markt bedroht. Man sagte mir ‚Du Nasibi, wohnst du noch immer dort?' Meinem Onkel (...) ist dies auch passiert und später wurde er getötet." Die letzte Bedrohung, 2014 sei auf dieselbe Weise passiert wie die erste. (AS 79 ff) Gleich darauf erklärte er, die erste Bedrohung habe ohne Auto stattgefunden: "2007 kamen sie nicht in einem Auto, sondern durchkämmten die Gegend und bedrohten mich plötzlich". (AS 81)

2.4.5 BF2 gab einvernommen an, BF1 sei zweimal "direkt mit einer Waffe bedroht" worden, und zwar Anfang 2014 in einem Abstand von etwa zwei Wochen. (AS 67, 71) Dazu führte sie aus: "Wir hatten große Angst, wir trauten uns nicht mehr vor die Türe zu gehen. Sie sagten zu ihm, entweder gehst du raus, damit meinten sie entweder er verlässt die Gegend oder sie würden ihn töten." BF1 leitet die Begegnung ein mit: "Ich wollte aus der Türe hinaus und in das Auto einsteigen. Manchmal hatte ich kein Auto und nahm ein Taxi." (AS 79) Dabei überrascht neben dem Widerspruch in den Zeitangaben und betreffend die Emotion auch das zweitweise Fehlen eines Autos bei einem Autohändler.

In der Beschwerdeverhandlung referierte BF2 über die erste Bedrohung von BF1 "eine Kontrolle auf der Straße von Milizen, wo er aufgehalten wurde", "als er von seiner Arbeit zurückgekommen ist". "Sie haben zu ihm gesagt (...)". (S. 8) BF1 gab dazu in der Verhandlung abweichend an: "Bei der ersten Bedrohung hat man mir eine Patrone vor die Tür gelegt in einem Kuvert (...) wo die Bedrohung draufstand, sinngemäß ‚dreckiges XXXX-Mitglied, (...)' Das ist (...) was ich nicht erwähnt habe bisher, weil ich es nicht beweisen konnte." (S. 15)

Auffallend ist neben den voneinander und von den bisherigen abweichenden Versionen auch das erstmalige Verbinden der angeblichen Drohung mit dem Vorwurf der XXXX-Mitgliedschaft. Die Frage nach der Größe der Patrone konnte der Beschwerdeführer nicht beantworten, sondern gab an: "Ich war da nicht im Haus. Deshalb habe ich das Kuvert nicht gesehen. Es lag vor dem Haus und war an die ganze Familie gerichtet (...)" Wenn BF1 dann weiter angab, es habe sich um eine 9-mm Patrone von einer Pistole oder eine von einer Kalaschnikow gehandelt, dann ergibt sich, dass BF1 auch die Munition nicht gesehen hat, zumal er - speziell nach dem Wehrdienst - zwischen einer Pistolen- und einer deutlich längeren (Sturm-) Gewehrpatrone unterscheiden hätte können müssen.

Zu diesem - gesteigerten - Vorbringen, dessen späten Zeitpunkt BF1 auch nicht erklären konnte (weil er ja auch zum bisherigen nicht mehr Beweise hatte), war deshalb und wegen des Fehlens eines Zusammenhangs zu BF1 nur eine Negativfeststellung möglich, da dieser nicht dartat, warum der Brief ihm gelten hätte sollen, nicht (nur) dem - früher XXXX zugehörigen - Vater. Selbst bei unterstellter Existenz des Briefs bliebe daneben offen, inwiefern sich darin eine noch 13 Jahre später drohende Verfolgung manifestierten soll.

2.4.6 Betreffend die letzte bewaffnete Bedrohung gab BF1 in der Verhandlung an: "Vor meiner Tür haben sie mich an der Kleidung gezogen und auf den Boden geworfen und mit einer Schusswaffe bedroht. Meine Frau hat geschrien. Meine Nachbarn haben auch geschrien. Es wurde laut. Alle Leute sind gekommen. Sonst hätten sie mich getötet. Dann haben sie mich freigelassen. Dann haben sie gesagt: ‚Seid ihr noch da?'" (S. 15) Das harmoniert zwar mit der zuvor in derselben Verhandlung gemachten Aussage von BF2 ("Sie waren maskiert und sehr laut (...)" (S. 8), nicht jedoch mit der bisherigen Schilderung "[...] einer stieg aus".

2.4.7 Die angebliche Entführung und Ermordung des Onkels im Jahr 2007 wegen dessen Mitgliedschaft bei der XXXX-Partei wäre nicht nur wegen der lange zurückliegenden Tatzeit kein Hinweis auf einen aktuellen Fluchtgrund der BF, sondern auch deshalb, weil diese durchwegs angaben, dass (außer dem Onkel nur) der Vater von BF1 Mitglied der XXXX-Partei gewesen sei, nicht aber BF1 (zuletzt in der Stellungnahme vom 24.01.2020, S. 17).

BF1 hat lediglich in der Beschwerdeverhandlung - nach Rückübersetzung - neu vorgebracht, er sei während seines Wehrdiensts wegen der Mitgliedschaft seines Vaters für die "mittlere Stufe einer Parteimitgliedschaft" vorgeschlagen worden.

Wenn jedoch sogar der Vater - wie die Geschwister - von BF1 unbehelligt blieb und sich (abgesehen vom Immobilienkauf und der freiwilligen Übersiedlung innerhalb des Bezirks 2013) noch heute im Herkunftsstaat aufhält, dann ist eine Verfolgung von BF1, BF2 oder einem ihrer Kinder wegen unterstellter politischer Gesinnung ebenso unwahrscheinlich wie eine aus Gründen der Konfession.

BF1 hat auch in der Beschwerdeverhandlung das Verfolgungsmotiv damit beschrieben, dass er "in den Augen der Schiiten ein Kafir, ein ungläubiger Mensch" sei, womit er auf das schon bei der Erstbefragung Gesagte zurückkam, "weil ich ein Sunnit bin" (AS 37), was er auch in der Einvernahme sinngemäß wiederholte: "Du Sunnit (...), wenn Du das Haus und deine Gegend nicht verlässt (...)". (AS 79) Dort hat er auch noch angegeben, dass sein Onkel getötet worden sei, weil er Sunnit war (AS 77).

2.4.8 Betreffend den Schuss auf den Schulbusfahrer hat BF1 2016 angegeben, dass dieser Ende 2014 stattgefunden habe (AS 79), in der Beschwerdeverhandlung (S. 15), dass es 2010 gewesen sei, zwischen den Bedrohungen gegen ihn 2007 und 2014. Zudem gab BF2 in der Einvernahme 2016 an: "Sie erschossen (...) und flüchteten sofort", aber auf die Frage nach der Zahl der Täter: "Es war eine Person". (AS 69) Genauere Feststellungen waren unter diesen Aspekten nicht möglich.

Ein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen den vorgebrachten Verfolgungsgründen und dem Tod des Schulbusfahrers hat sich nicht ergeben.

2.4.9 Letztlich ist nicht zu übersehen, dass dem Vorbringen nach die Vorbereitungen zur Ausreise zum Jahreswechsel 2014/15 damit begonnen hätten, das Haus(teil) zum Kauf anzubieten, dieses dann Anfang 2015 verkauft worden wäre, für die bürokratische Abwicklung des Verkaufs zwei oder drei Monate anzunehmen waren, und die Zuzählung der zweiten Kaufpreishälfte nur mehr vom Zeitpunkt der Räumung des Objekts abhängig gewesen wäre (Verhandlung S. 10). Dennoch haben BF1 und BF2 nicht sogleich die (vier Jahre gültigen) Reisepässe für die anderen BF besorgt, sondern diese nicht vor etwa Mitte/Ende August beantragt. (Verhandlung S. 9) In einer Verfolgungs- und Fluchtsituation wäre demgegenüber zu erwarten, dass alle Vorbereitungen bereits getroffen werden, um tatsächlich schnellstmöglich auszureisen, "sobald wir den Erlös aus dem Hausverkauf hatten". (a.a.O.)

Alles in allem ist es damit weder BF1 noch den anderen BF gelungen, ein Verfolgungsgeschehen glaubhaft zu machen. Damit entfällt aber auch die gedankliche Basis für das Vorbringen, die Gegner könnten ihre Aversion gegen BF1 auch auf BF5 übertragen, weil dieser als dessen möglicher Rächer anzusehen wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden:

3.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen von BF1 - er sei als Sunnit von Milizen bedroht und zum Verlassen seiner Wohngegend gezwungen sowie als angebliches XXXX-Mitglied beschimpft und bedroht worden - ist festzuhalten, dass das Geschilderte soweit es die behaupteten Erlebnisse von BF1 vor der Ausreise und deren Kausalität als Fluchtgründe betrifft - wie es (von der Neuerung im Beschwerdeverfahren abgesehen) bereits das BFA sah (S. 23 ff, AS 115 ff) - als unglaubwürdig, wenig wahrscheinlich und damit in seiner Gesamtheit als nicht den Tatsachen entsprechend erscheint.

Wie die Feststellungen zeigen, hat dieser BF damit also keine Verfolgung oder Bedrohung glaubhaft gemacht, die asylrelevante Qualität hätte. Da auf eine asylrelevante Verfolgung des BF1 auch sonst nichts in den Feststellungen hinweist, etwa die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe wie z. B. Journalisten oder (vermutete) Unterstützer des "IS", ist davon auszugehen, dass ihm keine Verfolgung aus in den in der GFK genannten Gründen droht.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher für BF1 nicht gegeben, aber auch nicht für die anderen BF. Aus diesem Grund waren die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum Beweismaß beim Fluchtvorbringen zur Feststellung asylrelevanter Verfolgung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

Schlagworte

Asylantragstellung, asylrechtlich relevante Verfolgung,
Asylverfahren, begründete Furcht vor Verfolgung, Familienverfahren,
Fluchtgründe, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, Verfolgungsgefahr,
Verfolgungshandlung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2141566.1.00

Zuletzt aktualisiert am

05.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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