Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Dr. A***** E*****, vertreten durch Dr. Georg Watschinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, sowie die Nebenintervenienten auf Seite der beklagten Partei 1. ***** Universität *****, 2. ***** Dr. W***** S*****, 3. ***** Dr. K***** G*****, 4. ***** Dr. F***** M*****, und 5. ***** Dr. W***** K*****, vertreten durch die Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 228.624,60 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Jänner 2020, GZ 14 R 69/19y-270, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 2. April 2019, GZ 31 Cg 30/10z-265, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Gibt das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichts unrichtig wieder und legt sie seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde, verwirklicht dies eine Aktenwidrigkeit. Sie ist dadurch zu bereinigen, dass der Oberste Gerichtshof bei seiner Prüfung von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts ausgeht (RIS-Justiz RS0110055; RS0116014). Die offenbar irrtümliche Wiedergabe der erstinstanzlichen Feststellungen in der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich die Klägerin im Herbst 2010 aus dem täglichen Routinebetrieb zurückzog und nur mehr an den Morgenbesprechungen teilnahm, ist dahin zu korrigieren, dass dieses Verhalten bereits ab Herbst 2007 erfolgte. Eine Änderung der rechtlichen Beurteilung ergibt sich dadurch nicht.
2. Das Erstgericht wies umfangreiches Vorbringen, das die Klägerin im Schriftsatz vom 19. 12. 2018 erstattet hatte, gemäß § 179 ZPO zurück. Das Berufungsgericht erkannte darin keine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und hielt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung fest, dass auf das Berufungsvorbringen der Klägerin zu Art 31 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) schon deshalb nicht einzugehen sei, weil dieses Vorbringen vom Erstgericht zurückgewiesen worden sei. Die Revisionswerberin releviert als zweitinstanzlichen Verfahrensmangel, dass sich das Berufungsgericht mit ihrer Berufung auf Art 31 Abs 1 GRC auseinandersetzen hätte müssen, handle es sich dabei doch um „Rechtsvorbringen“, das im bisherigen Tatsachenvorbringen Deckung gefunden habe. Inhaltlich macht die Klägerin damit aber eine unrichtige rechtliche Beurteilung und keinen Mangel des Berufungsverfahrens geltend.
3.1. Beim Mobbing handelt es sich um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen und Kolleginnen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen („Bossing“), bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder mehreren Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet (1 Ob 56/18v mwN). Für Mobbing ist das systematische, ausgrenzende und prozesshafte Geschehen typisch, etwa durch systematische Verweigerung jeder Anerkennung, Isolation, Zurückhalten von Informationen, Rufschädigung und dergleichen (RS0124076 [T2]). In der jüngeren Rechtsprechung wurde auch betont, dass es darauf ankommt, ob die vom Vorgesetzten gesetzten Maßnahmen objektiv geeignet waren, beim Untergebenen einen Effekt des Verdrängens aus dem Arbeitsverhältnis zu bewirken, auch wenn darauf nicht abgezielt wurde (RS0124076 [T7]). Die Beurteilung, ob Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz Mobbing (oder „Bossing“) zugrundeliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0124076 [T4, T6]). Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zur Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte. Das ist hier nicht der Fall.
3.2. Wenn die Vorinstanzen den vom Erstgericht auf mehr als 80 Seiten festgestellten Sachverhalt zur Situation der Klägerin auf ihrem Arbeitsplatz und zum Verhalten des Fünftnebenintervenienten als ihres Vorgesetzten über mehrere Jahre übereinstimmend dahin werteten, dass kein systematisches, ausgrenzendes und prozesshaftes Mobbinggeschehen gegenüber der Klägerin bestanden hat, haben sie den ihnen zukommenden Beurteilungsspielraum nicht verlassen. Deren Wertung, dass die Verhaltensweisen des Fünftnebenintervenienten – entgegen der Einschätzung der Klägerin, die eine Reihe von Vorfällen als gegen sich gerichtet wahrgenommen hatte – keine gegen sie gerichtete Schlechterbehandlung mit sich gebracht habe, weil er sie nicht anders behandelt habe als die anderen Ärzte auch, und – etwa wenn er sie nicht grüßte – dies ohne Absicht (etwa, sie zu ignorieren), sondern vielmehr aus Unaufmerksamkeit oder als Ausdruck seines üblichen Verhaltens geschah, ist mangels objektiver Anhaltspunkte für ein Mobbingverhalten nicht zu beanstanden. Der Kern und Ursprung der Probleme, die die Klägerin in der medizinischen Abteilung gehabt hatte, lag – so das Berufungsgericht ohne Fehlbeurteilung – in der Einteilung zu Operationen nach einem neuen System ab Herbst 2006 und der fehlenden Möglichkeit, Patienten durchgehend zu betreuen, in Verbindung mit ihrer ganz anders gelagerten Erwartungshaltung. Die von der Revisionswerberin angeschnittene Frage, ob Mobbing auch durch „Gleichbehandlung bei gebotener Ungleichbehandlung“ stattfinden könne, stellt sich nicht. Ihre Überlegung, sie wäre etwa in Bezug auf das Diensteinteilungssystem – als einzige Ärztin – anders als ihre Kollegen zu behandeln gewesen, weil sie einerseits besonders sensibel, andererseits mit einer „anderen Weltanschauung“ massiv unter der beruflichen Situation gelitten habe und zwar mehr als die anderen, führt nicht zur Qualifikation dieser sachlich begründeten organisatorischen Maßnahme, die von der Klägerin in Frage gestellt wird, als Mobbing, kommt es doch auf die objektive Eignung und nicht auf ihr subjektives Empfinden an. Wenn sie einzelne Verhaltensweisen herausgreift und diese als Mobbinghandlungen qualifiziert sehen will, übergeht sie einerseits den viel umfangreicher festgestellten Sachverhalt und vermag andererseits nicht aufzuzeigen, dass die festgestellten Vorfälle in ihrer Gesamtheit objektiv eine gegen sie als Ärztin gerichtete Ausgrenzungseignung gehabt hätten, weil es an einem systematischen Geschehen und der notwendigen Zielrichtung fehlt. Über die Klägerin wurde nach den Feststellungen weder ein Operationsverbot verhängt, noch ist ihre im Vergleich zu den anderen in der Abteilung tätigen Ärzten geringere Zahl durchgeführter (anspruchsvoller) Operationen auf das Diensteinteilungssystem an sich zurückzuführen, sondern allein auf ihre selbst abgelehnte Teilnahme an diesem Organisationsschema, auf das hohe Ausmaß ihrer auch krankheitsbedingten Abwesenheiten sowie auf die Einschätzung ihrer chirurgischen Fähigkeiten durch ihre Vorgesetzten im Hinblick auf die in der Abteilung angestrebte und letztlich auch erreichte internationale Spitzenstellung.
4. Die behauptete Diskriminierung der Revisionswerberin aufgrund ihrer „Weltanschauung“ bzw „sonstigen Anschauung“ im Sinn des „§ 8 B-GlBG“ (gemeint wohl: § 13 Abs 1 B-GlBG), des Art 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf bzw des Art 21 GRC liegt schon deshalb nicht vor, weil ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Diensteinteilungssystem auch bei einem weiten Begriffsverständnis weder dem einen noch dem anderen Ausdruck unterstellt werden kann.
5. Zur in der Revision behaupteten Missachtung des Förderungsgebots nach § 45 Abs 1 BDG bzw des § 11 B-GlBG enthielt die Berufung der Klägerin keine inhaltlichen Ausführungen, sodass diese Punkte in der Revision nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden können (RS0043352 [T27, T37]).
6. Nach den Feststellungen bewarb sich die Klägerin zu keinem Zeitpunkt während des zu beurteilenden Zeitraums auf eine bestimmte andere Stelle. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach ihr Recht auf Freizügigkeit gemäß Art 45 AEUV nicht verletzt sei, ist nicht zu beanstanden. Sie wurde nicht durch Mobbinghandlungen daran gehindert, ihren Operationskatalog zu erweitern. Vielmehr verfügte sie nur über ein eingeschränktes Operationsspektrum und konnte insbesondere keine Lungentransplantationen durchführen; der Grund für die geringere Anzahl (anspruchsvoller) Operationen lag nicht zuletzt auch in ihren langen Abwesenheiten und in der fachlichen – keineswegs unsachlichen – Einschätzung ihrer chirurgischen Fähigkeiten durch ihre Vorgesetzten, weswegen sie in dieser Hinsicht auch nicht speziell gefördert wurde. Sie vermag auch nicht darzulegen, inwiefern sie in ihrer Berufsfreiheit gemäß Art 15 GRC verletzt worden sein soll und eine – über das behauptete, aber nicht erwiesene Mobbing hinausgehende – Verletzung gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen gemäß Art 31 GRC vorliegen soll. Ihre Anregung, dem EuGH bestimmte Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, ist nicht nachzukommen, weil es sich dabei um die Klärung abstrakter Rechtsfragen handeln würde, die für die konkrete rechtliche Beurteilung nicht von Relevanz sind.
7. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E128243European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00039.20X.0416.000Im RIS seit
05.06.2020Zuletzt aktualisiert am
05.06.2020