TE Lvwg Erkenntnis 2020/5/26 LVwG-411-24/2020-R12

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Veröffentlicht am 26.05.2020
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Entscheidungsdatum

26.05.2020

Norm

FSG 1997 §7 Abs3 Z3
StVO 1960 §15 Abs1

Text

Im Namen der Republik!

Erkenntnis

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Mag. Eva Ostermeier über die Beschwerde der N K, K, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft F vom 18.03.2020 betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als Spruchpunkt III. (Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen sowie die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme) aufgehoben wird. Im Übrigen wird der Beschwerde keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.

Begründung

1.   Mit angefochtenem Bescheid wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Abs 1 und 3 Z 3 iVm § 24 Abs 1 Z 1, § 25 Abs 1 und § 26 Abs 2a des Führerscheingesetzes (FSG) die Lenkberechtigung für die Klassen AM, A (Code 79.03 und 79.04) und B, beurkundet im Führerschein der Bezirkshauptmannschaft F vom 21.04.2010 für die Dauer von sechs Monaten, gerechnet ab Zustellung des Bescheides (26.03.2020) entzogen (Spruchpunkt I.). Zudem wurde darauf hingewiesen, dass gemäß § 29 Abs 3 FSG der über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellte Führerschein unverzüglich bei der Bezirkshauptmannschaft F oder der nächsten Dienststelle der Polizei oder Gemeindesicherheitswache abzugeben ist; diese Verpflichtung bestehe auch bei allfälliger Einbringung einer Beschwerde oder Vorstellung (Spruchpunkt II.).

Weiters wurde gemäß § 24 Abs 3 FSG die Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen sowie die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme angeordnet (Spruchpunkt III.). Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass, wenn diese Anordnungen innerhalb der festgesetzten Entzugsdauer nicht befolgt oder die Mitarbeit bei der Absolvierung der begleitenden Maßnahmen unterlassen werde, so ende die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnungen. Schließlich wurde gemäß § 13 Abs 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Bescheid ausgeschlossen. Der Bescheid sei somit sofort rechtswirksam (Spruchpunkt IV.).

Die Führerscheinbehörde hat der Beschwerdeführerin die Lenkberechtigung entzogen, weil sie zusammengefasst davon ausging, dass die Beschwerdeführerin am 15.01.2020 um 12.33 Uhr das verfahrensgegenständliche Fahrzeug in H auf der A14 Rheintalautobahn, Höhe Strkm XX, Fahrtrichtung T, auf der Überholspur gelenkt und in der Folge ein vor ihr fahrendes Fahrzeug rechts überholt habe. Anschließend habe sie aufgrund eines vor ihr auf der Normalspur fahrenden LKWs vorzeitig zurück auf die Überholspur gewechselt und aufgrund des zu geringen Abstandes das von ihr zuvor überholte Fahrzeug touchiert und beschädigt (Spiegel auf der Beifahrerseite sowie Stoßstange abgerissen), anschließend habe sie ihre Fahrt ungehindert fortgesetzt. Als bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs 1 FSG habe gemäß Abs 3 Z 3 dieser Gesetzesstelle zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setze, das an sich geeignet sei, besonders gefährliche herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen habe; wobei als Verhalten, das geeignet sei, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, ein Überholen von rechts anstatt von links grundsätzlich zu gelten habe. Aufgrund des geschilderten Fahrverhaltens habe die Beschwerdeführerin sich sowie andere Verkehrsteilnehmer erheblich gefährdet und liege somit eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs 3 Z 3 FSG vor.

2.   Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig Beschwerde erhoben. In dieser bringt sie im Wesentlichen vor, dass sie zum angegebenen Zeitpunkt mit dem Firmenfahrzeug unterwegs gewesen sei, welches weitaus größer sei als ihr privates Auto und die Geräusche im Fahrzeug wegen dem Werkzeug sehr laut gewesen seien und die Sicht in den Rückspiegel für sie nur sehr schwer möglich gewesen sei, da sie durch ihre Körpergröße nicht über den Werkzeugschrank sehen habe können. Sie würde niemals eine solche Tat mit Fahrerflucht begehen. Sie sei eine Person, die sich an alle Gesetze halte und in einer solchen Situation sofort angehalten hätte, wenn sie den Vorfall bemerkt hätte. Sie kenne keinen Grund, weshalb sie, wenn sie es bemerkt hätte, nicht anhalten hätte sollen, um so eine Tat (Fahrerflucht) zu begehen. Sie sei schon über zehn Jahre im Straßenverkehr und sei bisher noch nie schwer negativ aufgefallen. Auch sei sie zum Zeitpunkt, als sich der Unfall ereignet habe, weder alkoholisiert noch sonst in irgendeiner Art beeinträchtigt gewesen. Sie habe die Strafe von 270 Euro nur deshalb überwiesen, weil sie mit dieser unangenehmen Geschichte abschließen habe wollen – dies sei keinesfalls als Schuldeingeständnis zu betrachten. Sie sei schwer überfordert und habe extreme Existenzängste, denn für sie sei ein solcher Entzug des Führerscheines mit sehr vielen Problemen verbunden. Sie müsse täglich zu ihrer Arbeitsstelle fahren und auf diesem Weg nehme sie auch zwei weitere Personen, die keinen Führerschein hätten, mit. Auch untertags sollte sie für den Betrieb mobil sein. Der Führerscheinentzug hätte somit starke Auswirkungen auf ihr Berufsleben. Ein weiterer Punkt sei, dass ihr Lebenspartner (leider nicht mobil) eine neunjährige Tochter habe, die sie jedes zweite Wochenende zu sich holen würden. Sie wisse nicht, wie sie das alles ohne Führerschein überstehen solle. Sie bitte deshalb höflichst, den Bescheid zu überarbeiten und vom Führerscheinentzug Abstand zu nehmen.

Mit E-Mail vom 29.04.2020 hat die Beschwerdeführerin ergänzend vorgebracht, dass sie keine mündliche Verhandlung beantrage, nichtsdestotrotz sei sie sehr enttäuscht über den Führerscheinentzug. Dieser würde ihr sehr viele Probleme bringen, im beruflichen sowohl als auch im privaten Bereich. Sie verstehe, dass es Gesetze gebe, wenn man eine Straftat begehe; was sie an ihrer Situation jedoch nicht verstehe, da sie ein gesetzestreuer Mensch sei und diesen Unfall bestimmt nicht aus irgendwelchen Gefährdungen oder sonstigen Gründen verursacht habe. Es stehe ihr nun nicht nur der lange Führerscheinentzug bevor, sondern auch eine finanziell große Last. Sie habe die Strafe von 270 Euro beglichen und sich zum Vorfall geäußert; sie wolle nun darum bitte, dass sie keine Nachschulung bzw verkehrspsychologisches Gutachten besuchen müsse, denn dies würde sie zusätzlich in den Ruin treiben. Sie könne gerne Kontoauszüge vorlegen. Auch habe sie so einen Prozess nicht notwendig, da sie bereits über zehn Jahre im Straßenverkehr unterwegs sei und noch nie schwer negativ aufgefallen sei, weder wegen Alkohol noch sonstigen Belangen.

3.   Folgender Sachverhalt steht fest:

3.1. Die Beschwerdeführerin ist Besitzerin einer Lenkberechtigung für die Klassen AM, A (Code 79.03 und 79.04) und B.

3.2. Die Beschwerdeführerin lenkte am 15.01.2020 um 12.33 Uhr das verfahrensgegenständliche Fahrzeug (gelber Pritschenwagen der Firma P GmbH) in H auf der (zweispurigen) A14 Rheintalautobahn, Höhe Strkm XX, Fahrtrichtung T, auf der Überholspur und überholte in der Folge ein vor ihr fahrendes Fahrzeug, welches mit ca 100 km/h fuhr, rechts. Anschließend wechselte sie aufgrund des vor ihr auf der Normalspur (langsamer) fahrenden LKWs vorzeitig zurück auf die Überholspur und touchierte dabei aufgrund des zu geringen Abstandes das von ihr zuvor überholte Fahrzeug. Durch dieses Fahrmanöver wurde der Spiegel auf der Beifahrerseite des überholten Fahrzeuges beschädigt sowie dessen Stoßstange vollständig abgerissen. Die Beschwerdeführerin setzte ihre Fahrt anschließend ungehindert fort; der Lenker des beschädigten PKWs sowie ein Zeuge hielten ihre Fahrzeuge am Pannenstreifen an. Das beschädigte Fahrzeug musste in der Folge durch den ÖAMTC geborgen werden. Durch den Unfall wurde niemand verletzt.

Nachdem der Geschädigte den Pritschenwagen eindeutig der Firma P GmbH zuordnen konnte, wurde die Beschwerdeführerin ausgeforscht, welche bei der genannten Firma angestellt ist.

Zur Tatzeit war die Fahrbahn trocken, es herrschte reges Verkehrsaufkommen im gegenständlichen Bereich der A14 Rheintalautobahn. Die Fahrzeuge fahren hier mit hohen Geschwindigkeiten (ca 100 km/h und darüber).

3.3. Mit rechtskräftiger Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft B vom 24.01.2020 wurde die Beschwerdeführerin aufgrund dieses Vorfalls wegen einer Übertretung nach § 4 Abs 5 StVO 1960 (Meldepflicht bei Sachschäden) und nach § 15 Abs 1 StVO (Rechtsüberholen) bestraft.

4.              Dieser Sachverhalt wird aufgrund des Akteninhaltes, insbesondere aufgrund der Anzeige vom 16.01.2020 der Autobahnpolizei D (samt Lichtbildbeilage) sowie der E-Mails der Beschwerdeführerin vom 15.01.2020 und 04.03.2020 als erwiesen angenommen. Er wird von der Beschwerdeführerin, die auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat, im Wesentlichen auch nicht bestritten.

Die Feststellungen zum Unfallhergang stützen sich größtenteils auf die Angaben der Beschwerdeführerin selbst. So hat diese in einem E-Mail vom 15.01.2020 an die Autobahnpolizei D ausgeführt, dass sie die Lenkerin des gesuchten Fahrzeuges sei und ihre Daten bekannt gegeben. Weiters hat sie Folgendes erklärt:

„Ich war ehrlich gesagt beim Fahrbahnwechsel spät dran und habe vom tatsächlichen Aufprall nicht wirklich was mitbekommen. Ich kann mir das nur so vorstellen ich hatte die Musik aufgedreht und da Werkzeug in dem Auto ist, und sonstige laute Nebengeräusche waren.“

Weiters hat die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde – auszugsweise – wie folgt Stellung genommen:

„Ich habe mich bereits für schuldig erklärt, bezüglich des Rechtsüberholens, da das andere Fahrzeug mit ca 100 km/h auf der Überholspur fuhr. Ich habe die Situation falsch eingeschätzt, da der LKW ca 300 Meter vor mir fuhr. Ich war mir aber zu diesem Zeitpunkt sicher, laut Rückspiegel, das geht sich aus mit dem Abstand zwischen mir und dem links fahrenden Fahrzeug. Darauffolgend habe ich von Ihnen eine Geldstrafe in der Höhe von 270 Euro bekommen und gleich einbezahlt, da ich den Fehler einsehe, jedoch habe ich bereits Stellungnahme abgegeben, da ich vom Zusammenstoß nichts bemerkt habe. Das gelenkte Fahrzeug war ein Firmenfahrzeug und da sich im hinteren Abteil Werkzeug befindet, das während des Fahrens leicht hin und her rutscht, war ich mir sicher, dass die Geräusche von da kommen und das Auto an sich sehr laut ist während dem Fahren. Ansonsten wäre ich natürlich sofort stehen geblieben. Auch zum Zeitpunkt als die Polizei in den Betrieb kam, war ich mir noch nicht mal im Klaren, dass die wegen mir hier waren, habe dann aber gleich beim gelenkten Fahrzeug nach einem Schaden gesucht und mich dann sofort gestellt und die Situation meinem Chef berichtet. Aus diesem Grund sehe ich mich nicht schuldig im Sinne der Fahrerflucht, dennoch war es nicht in Ordnung und ich habe die Geldstrafe sofort bezahlt.“

Im Übrigen stützen sich die Feststellungen (betreffend Örtlichkeiten, Beteiligte, Straßenverhältnisse, Fahrzeugbeschädigungen etc) auf die oben erwähnte Anzeige der API D samt Lichtbilder, die insbesondere das Fahrzeug des Geschädigten bzw dessen Schäden zeigen.

Bekanntermaßen, und wie das Unfallgeschehen zeigt, herrscht auf dem in Rede stehenden Autobahnabschnitt der A14 Rheintalautobahn insbesondere auch um die Mittagszeit ein hohes Verkehrsaufkommen.

Es ist auch festzuhalten, dass das Landesverwaltungsgericht an die rechtskräftige Strafverfügung vom 24.01.2020 gebunden ist (vgl zB VwGH 15.12.2016, Ra 2016/11/0170). Schon aufgrund dieser Strafverfügung steht somit fest, dass die Beschwerdeführerin am 15.01.2020 zur angeführten Tatzeit am angeführten Tatort ein anderes Fahrzeug rechts auf der A14 Rheintalautobahn überholt hat (und anschließend ihre Fahrt fortgesetzt hat).

5.              Maßgebliche Rechtsvorschriften:

5.1.           Nach § 24 Abs 1 Z 1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Lenkberechtigung zu entziehen.

Gemäß § 3 Abs 1 Z 2 FSG gehört zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung die Verkehrszuverlässigkeit (§ 7).

Nach § 7 Abs 1 Z 1 FSG gilt eine Person als verkehrszuverlässig, wenn nicht aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs 3) und ihrer Wertung (Abs 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird.

Der § 7 Abs 3 FSG führt beispielhaft jene bestimmten Tatsachen an, auf Grund derer bei entsprechender Wertung die Verkehrsunzuverlässigkeit angenommen werden muss. Gemäß Z 3 hat als solche Tatsache insbesondere zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, sowie jedenfalls Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 90 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 100 km/h, das Nichteinhalten des zeitlichen Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand eine Zeitdauer von 0,2 Sekunden unterschritten hat und diese Übertretungen mit technischen Messgeräten festgestellt wurden, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen.

Nach § 7 Abs 4 FSG sind für die Wertung der in Abs 1 genannten und in Abs 3 beispielsweise angeführten Tatsachen deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

Gemäß § 25 Abs 1 FSG ist bei der Entziehung auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

Gemäß § 26 Abs 2a FSG hat die Entziehungsdauer im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs 3 Z 3 genannten Übertretung mindestens sechs Monate zu betragen, sofern nicht gemäß Abs 2 eine längere Entziehungsdauer auszusprechen ist.

5.2. Gemäß § 15 Abs 1 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges außer in den Fällen der Abs 2 und 2a nur links überholen. Nach Abs 2 leg cit sind rechts zu überholen: a) Fahrzeuge, deren Lenker die Absicht anzeigen, nach links einzubiegen …, b) Schienenfahrzeuge, wenn … . Nach Abs 2a leg cit dürfen Fahrzeuge des Straßendienstes, die bei einer Arbeitsfahrt einen anderen als den rechten Fahrstreifen benützen, rechts überholt werden, … .

Das Rechtsüberholen stellt die Ausnahmeregelung dar; der Lenker eines Kraftfahrzeuges muss besonders sorgfältig prüfen, ob alle Voraussetzungen für ein solches Fahrmanöver gegeben sind. Ein Fahrzeug darf allein deshalb, weil es die linke Fahrbahnhälfte befährt, nicht rechts überholt werden (vgl OGH 29.04.1982, 8 Ob 94/82).

5.3.           Rechtliche Beurteilung:

Als „bestimmte Tatsache“ im Sinne des Abs 1 hat gemäß § 7 Abs 3 Z 3 FSG insbesondere zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat. § 7 Abs 3 Z 3 FSG enthält eine demonstrative Aufzählung von Umständen, die geeignet sind, „besonders gefährliche Verhältnisse“ zu begründen. Als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gilt danach ua das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen. Es besteht im Hinblick auf den beispielhaften Charakter der erwähnten Aufzählung kein Zweifel daran, dass auch bestimmte Überholmanöver auf Autobahnen an sich geeignet sein können, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Entscheidend ist im gegenständlichen Fall also, ob die Beschwerdeführerin als Lenkerin eines Kraftfahrzeuges ein Verhalten gesetzt hat, das so wie in den in § 7 Abs 3 Z 3 leg cit demonstrativ aufgezählten Fällen an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen (vgl VwGH 23.03.2004, 2002/11/0135).

Eine bei einem Verstoß gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften unterlaufene Fahrlässigkeit „unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ ist dann anzunehmen, wenn sie entweder unter Umständen erfolgt, unter denen nach allgemeiner Erfahrung der Eintritt eines besonders umfangreichen und schweren und zunächst gar nicht überblickbaren Schadens zu erwarten ist, oder wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein umfangreicher und schwerer und zunächst gar nicht überblickbarer Schaden eintreten werde, wegen der vorliegenden Umstände besonders groß ist, und der Lenker, obwohl ihm die eine solche Verschärfung der Verkehrssituation bedingenden Umstände bewusst oder bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennbar waren, sich auf diese vom Vorstellungselement der Fahrlässigkeit umfassten höheren Gefahrenmomente dennoch eingelassen hat (siehe VwGH 31.03.2006, 2006/02/0040).

Dadurch, dass die Beschwerdeführerin auf der Autobahn einen auf der Überholspur vor ihr fahrenden PKW durch einen Fahrbahnwechsel auf die erste Spur (Normalspur) rechts überholte („da das andere Fahrzeug mit ca 100 km/h auf der Überholspur fuhr“), hat sie gegen das Verbot des Rechtsüberholens verstoßen (§ 15 Abs 1 StVO 1960). Dabei schätzte sie – auch nach eigenen Angaben zufolge – die Situation falsch ein. Denn auf der Normalspur befand sich in der Folge ein LKW vor ihr und sie scherte ohne dabei auf den Nachfolgeverkehr – nämlich den überholten PKW – zu achten, zu knapp vor diesem wieder auf die Überholspur zurück, um das Überholmanöver abzuschließen. Die Beschwerdeführerin touchierte durch ihr risikobereites Fahrverhalten das überholte Fahrzeug und beschädigte dieses erheblich (abgefahrener Seitenspiegel auf der Beifahrerseite, vollständig abgerissener Frontstoßfänger), sodass dieses letztlich vom ÖAMTC abgeschleppt werden musste. Die Beschwerdeführerin, welche den Unfall mitbekommen haben muss, hat ihre Fahrt indes ungestört fortgesetzt.

Somit steht fest, dass das von der Beschwerdeführerin unter Bedachtnahme auf die Chronologie und die örtlichen Verhältnisse gesetzte Fahrverhalten an sich geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, zumal nach allgemeiner Lebenserfahrung derartige verbotene Überholmanöver und ein damit verbundenes „Schneiden“ von anderen Verkehrsteilnehmern auf der Autobahn Verkehrsunfälle mit schweren Folgen verursachen können. Es bestehen keine Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten sowohl sich selbst als auch andere Verkehrsteilnehmer konkret erheblich gefährdete. Die Beschwerdeführerin hat auf der Überholspur einer (zweispurigen) Autobahnstrecke, wo im Allgemeinen mit hohen Geschwindigkeiten gefahren wird, einen für andere Verkehrsteilnehmer nicht vorhersehbaren Überholvorgang gestartet. Indem sie dann in der Folge aufgrund des auf der Normalspur vor ihr fahrenden LKWs vorzeitig den zweiten Fahrspurwechsel einleitete (um den Überholvorgang abzuschließen) und damit dem überholten PKW quasi den Weg abschnitt, hat sie ein Verhalten gesetzt, das an sich geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse – wie der dadurch verursachte Unfall zeigt – herbeizuführen.

Liegt eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs 3 Z 3 FSG vor, so ist die Lenkberechtigung gemäß § 26 Abs 2a FSG – unter Entfall der im § 7 Abs 4 FSG ansonsten vorgesehenen Wertung – zwingend für die Dauer von (mindestens) sechs Monaten zu entziehen, wenn das Entziehungsverfahren innerhalb eines Jahres eingeleitet wurde (vgl zB VwGH 11.05.2016, Ra 2016/11/0062; 21.11.2017, Ra 2017/11/0261 mwN).

Die Behörde hat das gegenständliche Entziehungsverfahren im Februar 2020 eingeleitet (Parteiengehör). Aufgrund des Vorliegens einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs 3 Z 3 FSG ergibt sich daher zwingend ein Entzug der Lenkberechtigung in der Dauer von sechs Monaten.

Sofern die Beschwerdeführerin ausführt, sie habe die Fahrerflucht nicht begangen, da sie vom Unfall nichts mitbekommen habe bzw die Geräusche dem Werkzeug im Pritschenwagen etc zugeordnet habe, so ist festzuhalten, dass sich die Behörde bei der Beurteilung des Führerscheinentzuges nicht auf dieses Delikt gestützt hat, sondern das Überholmanöver maßgeblich war. Diesbezüglich ist jedoch ebenfalls auf die rechtskräftige Strafverfügung vom 24.01.2020 zu verweisen.

Im Übrigen haben private und berufliche Umstände bei einer Entziehung der Lenkberechtigung aus Gründen des öffentlichen Interesses, ua verkehrsunzuverlässige Lenker von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen, außer Betracht zu bleiben (vgl VwGH 20.03.2001, 99/11/0074).

6.              Gemäß § 24 Abs 3 FSG kann die Behörde bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen (Satz 1). Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden (Satz 4).

Die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist als Teil der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu verstehen (vgl zB VwGH 26.04.2018, Ra 2018/11/0031).

Das Rechtsüberholen auf Autobahnen stellt zwar einen relativ schwerwiegenden Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften dar, ein einmaliger Vorfall – auch wenn er hier zur Herbeiführung besonders gefährlicher Verhältnisse geführt hat – reicht nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes noch nicht für die begründete Annahme, dass bei der Beschwerdeführerin die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nicht in ausreichendem Maße gegeben sein könnte. Eine weitere Übertretung des § 4 Abs 1 lit a und § 4 Abs 5 StVO 1960 vom 16.02.2020 ist noch nicht rechtskräftig. Dies würde am obigen Ergebnis jedoch noch nichts ändern.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

7.              Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 4 und 5 VwGVG unterbleiben, zumal die Akten erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im Übrigen wurde seitens der Beschwerdeführerin auf die Durchführung einer Verhandlung ausdrücklich verzichtet. Die Behörde hat keine mündliche Verhandlung beantragt.

8.   Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Führerscheinentzug, besonders gefährliche Verhältnisse, rechtsüberholen Autobahn, Fahrstreifenwechsel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGVO:2020:LVwG.411.24.2020.R12

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Vorarlberg LVwg Vorarlberg, http://www.lvwg-vorarlberg.at
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